

Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in den Nationalparks Amerikas: Trag alles wieder hinaus, was du hineingetragen hast.
Auf dem Mond waren die Amerikaner nicht so umsichtig und naturverbunden. Mehr als hundert Gegenstände ließen Buzz Aldrin und Neil Armstrong zurück, als sie am 21. Juli 1969 um 17.54 Uhr Weltzeit den Erdtrabanten verließen - darunter vier Urinbehälter, mehrere Spucktüten, eine Hasselblad-Kamera, lunare Überschuhe sowie eine komplette Mondlandestufe.
Die Mission ist von historischer Bedeutung. Sind es auch die Urinbeutel?
Kalifornische Denkmalschützer sind davon überzeugt. Sie haben die Überbleibsel der "Apollo 11"-Mission im sogenannten Meer der Ruhe kürzlich als "Historical Resource" ausgewiesen. Damit gewinnt eine Forschungsdisziplin Auftrieb, die bislang eher als Orchideenfach galt: die Weltraumarchäologie.
"Es ist an der Zeit, die Bedeutung dieser Stätten für die Menschheit anzuerkennen", sagt Beth O'Leary, Anthropologin an der New Mexico State University und Mitbegründerin des Lunar Legacy Project. Zusammen mit Kollegen hat die Forscherin eine Fundkarte des Landeplatzes samt umfassender Liste des "Apollo"-Schrotts angefertigt.
Die Sorge der Weltraumarchäologen: Künftige Missionen oder gar Mondtouristen könnten diesen "heiligen Ort der Weltgeschichte" plündern und zerstören.
"Stellen Sie sich vor, jemand fährt mit einem Rover über Neil Armstrongs berühmten ersten Fußabdruck", warnt Peter Capelotti, Anthropologe von der Penn State University in Abington, Pennsylvania. Die Artefakte menschlicher Mond- und Marsmissionen bedürften dringend behördlichen Schutzes: "Sonst müssen wir damit rechnen, dass bald Teile von 'Apollo 11' bei Ebay angeboten werden."
Schon heute gleichen die Weiten des Sonnensystems einem extraterrestrischen Technikmuseum mit einem Inventar von Tausenden Tonnen Weltraumschrott. Der Mars etwa wartet mit einem ganzen Fuhrpark legendärer Rover auf. Eine Messsonde des Nasa-Satelliten "Galileo" schwebte 1995 gar am Fallschirm in die Atmosphäre des Jupiters. Ihr archäologischer Wert hat indes arg gelitten: Sie zerbarst bei über 150 Grad Celsius und einem Druck von 22 Bar. Selbst wenn einzelne Splitter den Crash überlebt haben sollten, dürfte der Gasplanet sie verschluckt haben.
Auf dem Mond sind die Bedingungen günstiger. Rund hundert Tonnen Altmetall und -plastik warten dort auf die Wächter des Kulturerbes. Die schönsten Objekte: die Überreste der Sowjetsonde "Lunik 2", die 1959 mit 12.000 Stundenkilometern auf den Erdtrabanten krachte; Dutzende kleiner Sowjetembleme, die diese kurz vor dem Aufschlag abwarf; das erste Mondauto, 1971 von der "Apollo 15"-Mission auf den Mond gebracht und nunmehr geparkt nahe der "Hadley-Rille"; schließlich jener Golfball, den der US-Astronaut Alan Shepard am 6. Februar 1971 nahe dem "Fra Mauro"-Krater mit einem 6er-Eisen etwa 300 Meter weit drosch - nicht schlecht für einen Einhandschlag im unbequemen Weltraumanzug.
Vor allem aber sind da eben die Überreste der legendären "Apollo 11"-Mis-sion. Einen veritablen Schrottberg haben Aldrin und Armstrong zurückgelassen: O'Learys Karte weist in direkter Nähe des Landemoduls beispielsweise das Goldreplikat eines Ölzweigs aus, zudem einen Laserreflektor, ein seismisches Messgerät sowie die klobigen "Space Boots" der Astronauten.
Die Fußspuren der Mondfahrer sind ebenso kartiert wie das "Areal intensiver menschlicher Aktivität" und die "Abwurfzone", vulgo Müllkippe. Alles ist vermutlich gut erhalten, weil sich auf dem Mond mangels Atmosphäre kein Lüftchen rührt.
Doch warum ließen Aldrin und Armstrong die Sachen überhaupt zurück? "Sie hatten die Anweisung, alles auszuladen, was nicht mehr wichtig war", sagt O'Leary. Stauraum für staubige Bodenproben und wertvolles Mondgestein musste geschaffen werden. Die US-Fahne und die Gedenkplaketten waren ohnehin für die Ewigkeit bestimmt. Ans Einbetonieren dachte damals niemand - ein Umstand, der den lunaren Unikaten jetzt zum Verhängnis werden könnte.
Die Mondarchäologen befürchten nämlich, dass sich das Meer der Ruhe bald in einen Rummelplatz für Weltraumtouristen verwandeln wird. Gutbetuchte Abenteurer könnten schon bald den Mond besuchen und in schicken Weltraumoveralls die US-Spucktüten entweihen.
Und was erst, wenn chinesische Astronauten Buzz Aldrins tragbares Lebenserhaltungssystem vom Typ "A7L" mitgehen ließen? "Sie alle würden sich zudem vor der US-Flagge fotografieren lassen wollen", klagt Anthropologe Capelotti.
"Unkontrollierte Probennahme" oder sogar "unverblümte Trophäenjagd" befürchtet auch der Archäologe John Campbell von der australischen James Cook University. "Wir haben es mit einer der wichtigsten historischen Stätten der Menschheitsgeschichte zu tun", sagt er. "Und unglücklicherweise steht dieser Ort unter keinerlei Schutz."
Das zu ändern, hat Kalifornien nun in Angriff genommen. Dass das Denkmal rund 380.000 Kilometer außerhalb der Bundesstaatsgrenzen liegt, schreckte dessen Schützer dabei wenig. Schließlich waren an der "Apollo"-Mission ja viele Kalifornier beteiligt.
Außerdem erwägen inzwischen auch New Mexico, Florida und Texas ähnliche Schritte. Anschließend, so hoffen die Mondarchäologen, soll der "Apollo 11"-Landeplatz zum "Nationalen Monument" und schließlich zum Weltkulturerbe erklärt werden.
Spätestens dann jedoch wird sich die Frage stellen, wem denn der Mond eigentlich gehört. Der etwas vage formulierte Weltraumvertrag der Vereinten Nationen von 1967 legt fest, dass "Weltraummüll" Eigentum jenes Staates bleibt, der ihn ins All geschossen hat. Grund und Boden auf dem Mond dagegen kann weder staatliches noch privates Eigentum sein - ein Dilemma, das dringend der Klärung bedarf: Armstrongs Fußabdruck gehört ganz offensichtlich den USA. Doch was ist mit dem Mondstaub, in den er gedrückt wurde?
Gut, dass sich bei anderen Objekten derlei Streitigkeiten auf absehbare Zeit erübrigen. Die Raumsonde "Pioneer 10" zum Beispiel flog 1973 am Jupiter vorbei und nahm anschließend Kurs auf den Stern Aldebaran im Sternbild des Stiers. Dort wird sie zweifellos spektakulär abstürzen und sich dadurch in eine archäologische Stätte von größter Bedeutung verwandeln.
Allerdings frühestens in zwei Millionen Jahren.
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Galaktische Müllkippe: Mehr als hundert Gegenstände ließen Buzz Aldrin (Foto) und Neil Armstrong auf dem Mond zurück, als sie am 21. Juli 1969 um 17.54 Uhr Weltzeit den Erdtrabanten verließen. Im Vordergrund befindet sich ein Gerät zur Messung von Mondbeben. Ganz im Hintergrund ist die US-Flagge zu sehen. Doch es blieben nicht nur Messgeräte und ein Banner zurück - unter anderem landeten auch die Urinbeutel der Astronauten im Mondstaub.
Wir kommen in Frieden: ... und bringen Geschenke mit. Der goldene Ölzweig, den Neil Armstrong auf der Mondoberfläche hinterließ, soll den Wunsch der Menschheit nach Frieden symbolisieren - nun ist er ein weiteres Stück Nippes auf dem Erdtrabanten.
Eine Scheibe Erde: Die "Apollo 11"-Astronauten ließen zur Erinnerung an ihre Mission auch diese Scheibe aus Silizium (r.) mit eingravierten Botschaften aus 73 Ländern der Erde auf dem Mond zurück. Die münzgroße Platte mit den Mitteilungen sollte einen symbolischen Zweck erfüllen und die friedlichen Absichten der Mission unterstreichen.
Kurzer Aufenthalt: Zwei Stunden und 31 Minuten verbrachte die "Apollo 11"-Crew auf dem Mond - und hinterließ mehr als hundert Gegenstände. Gewiss mehr Müll, als eine vierköpfige Familie bei einem ebenso langen Picknick auf der Autobahnraststätte zurücklassen würde. Auf dem Foto richtet Buzz Aldrin ein Sonnenwindsegel aus.
Auch in der Umlaufbahn der Erde befindet sich jede Menge Allmüll: Die Computersimulation der Europäischen Weltraumorganisation Esa nach Daten vom Februar 2009 zeigt Weltraumschrott in der erdnahen Umlaufbahn.
Ein Kracher: Rund hundert Tonnen Altmetall und -plastik liegen auf dem Mond herum. Das wohl hübscheste Stück dieser Sammlung lieferten die Russen, obwohl sie nie persönlich auf dem Mond gelandet sind. Es ist die Sowjetsonde "Lunik 2" (Foto). Diese krachte 1959 mit rund 12.000 Stundenkilometern auf den Erdtrabanten.
Lunares Kulturerbe: Auf dem Foto ist der Astronaut und Kommandant der Apollo 17, Eugene A. Cernan, zu sehen, wie er den Lunar Rover am 11. Dezember 1972 bei einem Außenbordmanöver im Taurtus-Littrow-Tal testet. Dort blieb das Mondauto auch nach dem Rückflug stehen.
Wem gehört der Mond?: Die Fußabdrücke der Apollo-Astronauten (hier im Bild Buzz Aldrin) gehören gemäß des Weltraumvertrages der Vereinten Nationen von 1967 den USA. Doch wer hat Anrecht ...
... auf den Mondstaub, in den der Fußabdruck gedrückt wurde?: Diese Frage bedarf einer Klärung. Denn Weltraumschrott gehört zwar der Nation, die ihn ins All geschossen hat. Doch für den Grund und Boden auf dem Mond gibt es bislang keine juristische Lösung.
Wenig Stauraum im Raumschiff: "Apollo 12"-Astronaut Alan Bean sammelt Mondstaub - den nimmt er mit, seinen Müll nicht. Die Crew hatte den Auftrag, Stauraum für wertvolle Bodenproben zu schaffen, dafür wurde sogar eine der Hasselblad-Fotokameras auf dem Mond gelassen.
Außenbordmanöver: "Apollo 15"-Astronaut James B. Irwin am Mondauto. Die Crew sammelte mit dem Gefährt kilogrammweise Gestein und legten rund 34 Kilometer zurück. Als der Lunar Rover seinen extraterrestrischen Dienst geleistet hatte, parkten die Astronauten ihn an der "Hadley-Rille". Dort könnte er nun von betuchten Weltraumtouristen bestaunt oder gar Stück für Stück als galaktisches Mitbringsel entwendet werden. Dies zumindest befürchten die Gründer des Lunar Legacy Project, die sich dafür einsetzen, dass die Mondlandestellen unter Denkmalschutz gestellt werden.
Bald schon ein Ausflugsort?: "The Eagle", die "Apollo 11"-Landefähre, auf dem Mond. Am 20. Juli 1969 um 20.17 Uhr landete sie vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern im Meer der Ruhe - und machte dieses Fleckchen Mond mit einem Schlag berühmt. Weltraumarchäologen befürchten nun, dass sich der Stützpunkt schon bald in einen Rummelplatz für Mondtouristen verwandeln könnte, die die historischen Fußspuren der Astronauten zertrampeln.
Zukunftspläne: Nach dieser Nasa-Illustration könnte es auf dem Mond schon bald wie auf einem Rummelplatz zugehen. Ein Schreckensszenario für die Wissenschaftler des Lunar Legacy Project.
Souvenirs vom Mond: Sollte der Weltraumtourismus richtig in Schwung kommen, könnte das den lunaren Hinterlassenschaften zum Verhängnis werden. Denn ans Einbetonieren dachte niemand, als die "Apollo 11"-Astronauten die US-Flagge in den Mondboden rammten - zukünftige All-Reisende könnten deswegen die Überreste der Weltraummissionen ganz leicht mitgehen lassen, befürchten einige Wissenschaftler.
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