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Pelziger Mitbewohner: Christian der Löwe

Foto: Derek Cattani

Spektakuläres Haustier Mann, haben wir 'nen Kater

Diese Liebe war der Brüller: 1969 kauften zwei australische Hippies bei Harrods in London ein Löwenbaby. Der Welpe wurde zum Star der Londoner High Society, dann musste er ausgewildert werden. Ein Jahr später gab es ein Wiedersehen in der Savanne Kenias - mit einem überraschenden Ausgang.

Auf einmal standen sie sich gegenüber, mitten in der glühenden Hitze Kenias: Zwei schlaksige, langhaarige Australier, in engen, dunklen Jeans; und ein stattlicher, fast ausgewachsener Löwe. Für ein paar Sekunden zögerte die Raubkatze. Dann rannte sie auf die Männer los und setzte zum Sprung an.

John Rendall und Anthony Bourke blieben einfach stehen - und dann geschah das Wunder: Der Löwe sprang sie freudig, aber vorsichtig an, mit eingezogenen Krallen. Die mächtigen Pranken umarmten immer wieder zärtlich die Köpfe der Männer, Afrikas König der Tiere benahm sich wie ein übermütiges, aber zahmes Hündchen. Der Grund: Er hatte soeben die Menschen wiedererkannt, die ihn einst großgezogen hatten - tausende Kilometer entfernt, mitten in London.

Vierzig Jahre liegt diese emotionale Begegnung nun zurück. Doch für John Rendall ist sie immer noch der schönste Moment in seinem Leben. Den Löwen Christian, wie er ihn nennt, hat er in all den Jahrzehnten nie vergessen. Noch heute kann der Brite stundenlang von ihm sprechen, und wenn er dann von Christians "schönen, rostfarbenen Augen" und seinem "großartigen Sinn für Humor" schwärmt, klingt es immer noch nach einer frischen Liebesgeschichte.

Weltreise mit Folgen

Sie begann 1969. Die beiden Australier hatten gerade ihr Studium beendet und wollten, bevor der Ernst des Arbeitsalltags begann, noch ein wenig um die Welt reisen. Also kratzten John Rendall und Anthony Bourke ihr Erspartes zusammen und fuhren los, mal gemeinsam, dann wieder getrennt, bis sich ihre Wege im Herbst 1969 erneut in London kreuzten. Aus einer Laune heraus besuchten sie das legendäre Kaufhaus Harrods. Dort entdeckten sie in der Tierabteilung zwischen Hunden und Siamkatzen zwei Löwenwelpen - zum Verkauf!

"Wir waren überrascht, geschockt", erinnert sich der heute 65-jährige Rendall. Und zugleich berührt, denn einer der beiden Welpen entpuppte sich als sehr zutraulich, "ein echter großer Teddybär." John Rendall und sein Freund Anthony Bourke, Spitzname "Ace", konnten sich nicht mehr losreißen. "Er war unwiderstehlich. Wir saßen stundenlang verzaubert vor seinem Käfig", schrieben sie später in ihrem Buch "A Lion called Christian."

Ein Vermögen für eine verrückte Idee

Auf einmal reifte da diese verrückte Idee. Wie wäre es, den Welpen zu kaufen? In naiver Rittermanier wähnten sich die beiden jungen Männer schon als Retter, die das Löwenbaby vor einer düsteren Zukunft im Zoo oder den Machenschaften skrupelloser Tierhändler bewahren. So kramten sie ihre einzigen eleganten Tweedjacketts aus dem Reisegepäck, kämmten sich die Haare ordentlich und gingen am nächsten Morgen erneut in die Tierabteilung von Harrods. Und tatsächlich: Die Seriösitäts-Offensive wirkte - sie konnten den Verkäufer von der Ernsthaftigkeit ihres Plans überzeugen.

Der Welpe war jedoch kein Schnäppchen. 275 britische Pfund sollte Christian kosten, das entspricht heute rund 3000 Pfund, etwa 3500 Euro. Ein kleines Vermögen für zwei junge Uni-Absolventen. Doch die beiden waren so vernarrt in das Jungtier, dass sie sofort all ihre Reisepläne für eine verrückte Idee opferten.

Bevor sie ihr neues Haustier mitnehmen durften, gab es da allerdings noch ein Problem: Sie mussten eine Unterkunft für sich und das Tier finden - und dem Verkäufer gegenüber nachweisen. "Löwenwelpe, 2 junge Männer suchen passendes Haus mit Garten", so inserierten sie. Doch außer Journalisten, die eine Sensation witterten, meldete sich niemand. Nur mit viel Glück fanden die beiden Freunde schließlich doch noch eine Lösung: Das "Sophistocat", ein elegantes Fachgeschäft für antike Kiefernmöbel, in dem sie nebenher jobbten, stellte sein Kellergeschoss für Christian zur Verfügung.

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Als dann auch noch ein Pastor den Abenteurern erlaubte, den nahegelegen, 3000 Quadratmeter großen, ummauerten Garten seiner Kirchengemeinde regelmäßig als Löwenspielplatz nutzen zu dürfen, konnte aus der fixen Idee endlich Realität werden. Wochenlang hatten John und "Ace" jeden Abend nach Geschäftsschluss in Harrods Tierabteilung mit dem Löwenbaby gespielt. Jetzt konnten sie es endlich in ihr Auto packen und losfahren.

Schüchterner Medienstar

Tagsüber durfte der Welpe sogar im Möbelgeschäft "Sophistocat" herumtollen. Ob gewollt oder nicht: Die Idee entpuppte sich langfristig als genialer Marketingcoup. Der Löwe hinter dem Schaufenster im teuersten Ortsteil Chelsea wurde zum Stadtgespräch. Zwar erschreckte das Tier auch manchen nichts ahnenden Kunden. Aber viele Menschen - Mütter mit ihren Kindern, Politiker, bekannte Schauspieler wie Mia Farrow und Diana Rigg - kamen nur, um einmal einen echten Löwen erleben zu können.

Nun meldeten sich auch Reporter aus aller Welt. Die beiden Besitzer des Löwen vermarkteten ihn, wie sie später sagten, "sehr maßvoll", um die horrenden Kosten für seinen Unterhalt zu decken. So machte die Zeitschrift "Vanity Fair" ein Löwen-Foto-Shooting mit einem leichtbekleideten Mädchen. Das Model fürchtete allerdings um ihre Karriere, als die Raubkatze eine Vorliebe für ihre langen Haare entwickelte und ständig auf ihnen herumkaute. Das Verbot akzeptierte Christian nur widerwillig - und zerfetzte frustriert zwei Satinkissen.

Auch die Fluglinie BOAC, Vorgänger von British Airways, buchte den Löwen für einen Werbespot, um ihre neue Verbindung nach Afrika anzupreisen. Und schon bald saß Londons berühmteste Raubkatze sogar im Radiostudio der BBC, spielte dort aber lieber mit Kabeln herum, als auch nur irgendein löwentypisches Geräusche von sich zu geben. "Mikro-scheuer Christian floppt im Radio", lästerte die "Daily Mail" über die unfreiwillige Lachnummer.

Machtkampf um einen Fellgürtel

So verlebte Christian eine völlig untypische Löwenkindheit: Sein Biorhythmus wurde auf den Kopf gestellt. Statt Nachts zu jagen, schlief er in einem Keller und wurde morgens wie ein Schulkind geweckt. Sein Rudel bestand aus langhaarigen Australiern und Briten, die ihn hinter Fußbällen herjagen ließen, und wenn er Beute machte, dann waren es nur Stofftiere, die er binnen Minuten in tausend Stücke zerfetzte; seine echte Nahrung servierten ihm hingegen Menschen: rohes Fleisch, Eier und ab und zu einen ungehäuteten Hasen.

Damit das ganze Experiment nicht in einer Tragödie endete, trafen seine Erzieher Vorsichtsmaßnahmen: "Sobald Christian beim Spielen zu wild wurde, hörten wir sofort auf", berichtet Rendall. Auf diese Weise sollte das Tier nicht merken, dass es körperlich überlegen war. Einmal kam es dennoch zu einer gefährlichen Situation - wegen eines Fellgürtels, den sich der Löwe geschnappt hatte: Als die Australier versuchten, ihm den Gürtel wegzunehmen, legte er seine Ohren an und fauchte ihnen eine Warnung entgegen. "Er hätte uns angegriffen, wenn wir es noch einmal versucht hätten."

Den beiden Löwenbändigern war klar, dass sich solche Situationen irgendwann häufen würden. Denn der niedliche Welpe war rasant gewachsen und hatte binnen zweier Monate von 15 auf 38 Kilo zugelegt. Schon bald würde sich sein Gewicht erneut verdoppelt haben - seine Zeit als Haustier war endlich.

Verwöhnter Stadtlöwe in Afrika

In den Zoo wollten sie Christian aber auf keinen Fall abschieben. Doch wohin dann mit ihm? Als sie zufällig den britischen Schauspieler Bill Travers trafen, ergab sich ein Ausweg: Travers hatte 1966 in "Born Free" gespielt. Der erfolgreiche Film erzählte die wahre Geschichte der Löwin Elsa, die als Welpe gefunden und vom Wildpfleger George Adamson in Kenia aufgezogen und erfolgreich ausgewildert wurde. Berührt von Christians Geschichte stellte Travers den Kontakt zu Adamson her - und der war begeistert von der Idee, einen Londoner Stadtlöwen auf die Natur vorzubereiten.

Im August 1970 verließ Christian bei britischem Dauerregen seine alte Heimat, wurde nach Nairobi geflogen und dann zu Adamsons Camp nach Kora, 450 Kilometer nördlich von Nairobi, gebracht. Dort benahm er sich anfangs wie eine verwöhnte Hauskatze: Er litt unter der Hitze, seine Mähne war durch das englische Klima länger als gewöhnlich, seine Pranken dagegen viel zu weich. Von einem größeren Löwen eingeschüchtert, kuschelte er sich im Camp am liebsten neben seine Freunde John und Anthony.

Die wussten, dass sie sich jetzt trennen mussten. "Es war ziemlich hart", erinnert sich Rendall an den Abschied kurz vor ihrem Abflug. "Aber wir waren auch erleichtert und stolz, dass Christian in Kenia war. Er war der erste Löwe, der es je aus London nach Afrika geschafft hatte."

Spektakuläres Comeback

Was sie damals nicht ahnten: Auch der Löwe vergaß seine Erzieher nicht. Seine herzliche Begrüßung ein Jahr später beim Wiedersehen überraschte selbst den erfahrenen Wildhüter Adamson. Im August 1972 kam es schließlich zu einem zweiten und letzten Wiedersehen. Inzwischen war Christian drei Jahre alt, nahezu ausgewachsen und brachte es auf 250 Kilo, doch noch immer erinnerte er sich an seine Londoner Spielgefährten. Kurz nach dem Treffen wurde er ausgewildert und verschwand in den Weiten Kenias.

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Obwohl damals eine zweiteilige Dokumentation über Christians Rückkehr in die Wildnis gedreht wurde, geriet seine Geschichte dennoch bald in Vergessenheit. Erst Jahrzehnte später tauchte die rührende Wiedersehensszene aus dem Jahr 1971 plötzlich bei YouTube auf und wurde binnen kurzer Zeit millionenfach angeschaut und versendet. Christian stieg zum zweiten Mal zum Star auf.

"Ich habe keine Ahnung, wer das Video reingestellt hat", versichert John Rendall. Er und sein Freund Bourke hätten erst selbst über Freunde davon erfahren. Fast scheint es so, meint Rendall, als habe sich Christian noch einmal bei seinen liebevollen Erziehern melden wollen.

Zum Weiterlesen:

Anthony Bourke, John Rendall: "Der Löwe Christian. Ein Löwenbaby und seine zwei Freunde - eine wahre Geschichte". Limes-Verlag, München 2010, 187 Seiten.

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