Spionage trifft Showbusiness »Sie trägt ihre kugelsichere Weste mit herausragender Leichtigkeit«

Katja Majorowa alias »Miss KGB«
Foto:SHONE / Gamma-Rapho / Getty Images
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Stars leben im Rampenlicht, Spione in der Schattenwelt. Das eine schließt das andere eigentlich aus. Ein berühmter Entertainer ist ein erfolgreicher Entertainer. Ein berühmter Spion ist bald ein Ex-Spion – oder tot.
Ganz so einfach ist es in Wirklichkeit nicht. Zwischen Showbusiness und Geheimdienstalltag gibt es überraschend viele Gemeinsamkeiten: Erfundene Identitäten, Täuschungen und Improvisationskunst sind essenziell für beide Berufe. Spione wie Schauspieler müssen jemand anderen darstellen. Und manche Agenten und Agentinnen brachte es zu Weltruhm.
Entertainment und Spionage sind derart ähnlich, dass der frühere Zirkusdirektor Julius Green und Cambridge-Professor Christopher Andrew, Altmeister der Geheimdienstgeschichte, ein Buch darüber geschrieben haben: »Stars and Spies. Intelligence Operations and the Entertainment Business«. Hier kommen sechs spannende Beispiele aus den zwei Welten, die sich eigentlich ausschließen.
Die bekannteste Showbiz-Spionin der Geschichte ist Mata Hari, so der Künstlername der Niederländerin Margaretha Geertruida Zelle. Als exotische Tänzerin und Edel-Kurtisane spionierte sie als Agentin »H-21« während des Ersten Weltkrieges für Deutschland in Pariser Séparées.

Berühmt, selbst als Agentin: Mata Hari wurde zum Mythos
Foto: Heritage Images / Getty ImagesDoch Mata Hari blieb keine schöne Unbekannte. Schnell wussten auch der französische und der britische Geheimdienst von ihr. Was sie von Deutschen erfuhr, gab sie den Franzosen weiter und umgekehrt. Dabei erzählte sie beiden Seiten mehr Tratsch als kriegswichtige Informationen. Dafür wuchsen ihre Honorarwünsche ins Unermessliche.
Ähnlich wie an ihrem Mythos als indonesische Tänzerin war auch an Mata Haris Agenten-Rolle wenig real. Doch diese Rolle stand ihr bald so gut, dass sie sich am Ende von selbst erfüllte: Als Mata Hari 1917 verhaftet wurde, präsentierte Frankreich der Welt eine angebliche Topspionin, was auch die Deutschen nicht bestritten.
Bis zum Tod folgte die Gefasste dem selbst inszenierten Zerrbild der verruchten Top-Spionin: Nur mit einem Pelzmantel bekleidet, ohne Augenbinde und im letzten Moment den Mantel fallen lassend soll sie am 15. Oktober 1917 ihren Todesschützen gegenübergetreten sein. Eine andere Legende besagt, sie sei gar nicht erschossen worden – sondern mit einem Offizier im Nebel geflohen.
König Alfred der Große war nicht nur König der West- und Angelsachsen, er soll auch ein Unterhalter und Spion gewesen sein. Im Jahr 878 befand sich Alfreds Reich im Krieg mit den Dänen, die Teile der britischen Insel beherrschten. Kurzerhand, so will es die Legende, schlüpfte König Alfred in die Rolle eines Minnesängers, den Entertainern des Mittelalters.
Derart verkleidet erregte er keinen Verdacht, die dänischen Wachen ließen ihn zu Feierlichkeiten im Lager des Dänenkönigs Guthrum dem Alten vor. Alfred soll vor dem Königszelt Harfe gespielt und gesungen haben, bis er Einlass bekam. Gute Unterhaltung ließ die Dänenkrieger leichtsinnig werden, so erfuhr König Alfred ihre Kriegsplanungen. Dem mittelalterlichen Chronisten William von Malmesbury zufolge führten diese Informationen zu Alfreds Sieg in der Schlacht von Edington im Mai 878.
Allerdings: Mittelalterliche Chroniken sind stets interessengeleitet und voll von wundersamen Wendungen. Und diese Chronik entstand fast 400 Jahre nach der Schlacht. Alfred war da längst schon zum Mythos geworden.
Die in Deutschland recht unbekannte Aphra Behn war der Superstar der englischen Literatur in der Frühen Neuzeit. Ihre Stücke liefen am Königshof, als erste Frau Englands verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Schriftstellerin.
Doch vor ihrem kometenhaften Aufstieg war Behn Spionin – sogar die erste, die offiziell für eine britische Regierung spitzelte. Mitten im Englisch-Niederländischen Krieg wurde sie 1666 unter dem Decknamen »Astrea« als »Agent 160« rekrutiert. Ihre Mission: ihren ehemaligen Geliebten William Scott, der in Antwerpen für die Niederlande gegen die Briten spionierte, als Doppelagenten zu gewinnen.
Bald nach ihrer Ankunft meldete Behn nach London: Mission ausgeführt! Doch die Berichte, die sie nach London schickte, weckten Zweifel. Äußerst dünn waren die angeblichen Informationen, immer wieder erklärte Behn Wissenslücken recht wolkig.
In Wirklichkeit hatte sie die Meldungen mit literarischem Talent erfunden. Die britische Krone drehte Behn deswegen den Geldhahn zu und zwang sie so damit, fortan von der Schriftstellerei zu leben. Ihr erstes Stück »Die erzwungene Heirat« von 1670 wurde für den – damals noch unerklärlichen – Satz berühmt: »Auch die Poetin, so sagt man, hat ihre Spione im Ausland«.
1909 ernannte die britische Regierung Mansfield Smith-Cumming zum ersten Chef der Auslandsspionage des Secret Service Bureau. Cumming war nicht nur der Geburtshelfer der modernen britischen Geheimdienste, er diente später auch als Vorlage für Geheimdienstchef »M« der James Bond-Reihe. Mit Wehmut erinnerte sich »C«, wie Cumming genannt wurde, im Ersten Weltkrieg an seine vorherigen Spionage-Einsätze.
»Das war die Zeit, als dieses Geschäft noch richtig amüsant war«, sagte er dem Schriftsteller und Dramatiker Compton Mackenzie, »es ist ein großartiger Sport!« Mackenzie glaubte ihm und bewarb sich erfolgreich auf die Stelle als Leiter des britischen Geheimdienstbüros in Athen. Seine blumigen Geheimdienstberichte, die er manchmal in Versform verfasste, unterhielten »C« so sehr, dass er ihm schrieb: »Wir mögen Ihre poetischen Berichte unheimlich gern, bitte schicken Sie mehr!«
Es war nicht Cummings einzige Verbindung in die Welt des Showbiz. »C« hatte eine Schwäche für das Theater, für Schriftsteller und Verkleidungen. In London war er regelmäßiger Kunde im Geschäft von Willy Clarkson, dem Theaterausstatter und Perückenmacher des Königs. Im Januar 1911 verkleidete Clarkson »C«, bevor dieser sich zu einem Treff mit einem Agenten aufmachte, der Informationen über die österreichische Schiffsproduktion versprach.
Seine Kostüme und Verkleidungen ließ »C« auf einem Foto festhalten, sodass er sie bei Bedarf wieder anfordern konnte. Ein solches Foto, das Cumming als »typischen Deutschen« zeigte, stellte er in seinem Büro auf. Es war auch ein Spielchen: Würde ihn seine Besucher erkennen?
Moskau im Januar 1990: Als das rote Riesenreich der Sowjetunion implodierte, wandte sich der Volkszorn auch gegen den Geheimdienst. Der KGB antwortete mit einer skurrilen PR-Offensive und sorgte für einen »Schönheitswettbewerb der Sicherheitsbehörden«.
Die Siegerin wurde Katja Majorowa, die erste »Miss KGB«. Im – von Sexismus nur so triefenden – Pressetext hieß es: »Sie trägt ihre kugelsichere Weste mit der herausragenden Leichtigkeit eines Pierre-Cardin-Models, aber ist jederzeit dazu in der Lage, ihrem Feind einen tödlichen Karate-Kick an den Kopf zu verpassen.«
Doch selbst »Miss KGB« schaffte es 1990 nicht, das russische Volk vom KGB zu überzeugen. Das hielt die russischen Geheimdienste nicht davon ab, 20 Jahre später eine aktualisierte Version zu präsentieren: die gescheiterte Spionin Anna Chapman, die 2010 in den USA als Teil eines zehnköpfigen Spionagerings verhaftet wurde. Nach ihrer Rückkehr präsentierten die Geheimdienste sie als »Agentin 90-60-90«, und Chapman posierte in Reizwäsche und Schusswaffe auf der Frontseite des Erotikmagazins »Maxim«.
Howard Hunt arbeitete mehr als 20 Jahre für die CIA, beteiligt an vielen schmutzigen Aktionen wie etwa der fehlgeschlagenen Invasion in Kuba 1961. Zudem war er unter US-Präsident Richard Nixon erst mit der Überwachung von Whistleblower Daniel Ellsberg beauftragt, dann mit dem Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokratischen Partei, der die Watergate-Affäre auslöste.
Doch Hunt mischte auch im Showbusiness mit: Mehr als 50 Spionageromane schrieb er unter seinem Namen und unter einigen Pseudonymen, mit mäßigem Publikumserfolg. Zudem war er einer der ersten Agenten, die für die CIA Kontakte in Hollywood knüpften, um antikommunistische Filme zu fördern. Einer davon war die Verfilmung von George Orwells Klassiker »Animal Farm« 1954.
Zur gleichen Zeit überwachte das FBI im Zuge der Kommunistenhatz unter Senator McCarthy halb Hollywood. Als Quelle »T-10« warben die Agenten zum Beispiel den Vorsitzenden der Schauspielervereinigung an: Ronald Reagan, später US-Präsident.
Ihre größte Qualität zeigten CIA und FBI jedoch bei der Eigenwerbung. Der von Ben Affleck produzierte Film »Argo« erzählte 2012 die – einige Jahre zuvor von der CIA offiziell freigegebene – Geschichte von CIA-Agent Tony Mendez und gewann drei Oscars. Als Spezialist für das geheime Ausschmuggeln von Personen gelang es Mendez 1979, sechs amerikanische Diplomaten aus dem Iran zu schleusen, getarnt als Filmcrew aus Hollywood.
Filmreif ist das Geheimdienstmarketing von CIA bis heute geblieben. 2018 organisierte sie eine öffentliche Diskussion mit Bond-Darsteller Daniel Craig – mitten in ihrer legendenumwitterten Zentrale in Langley. Die Beratung für den Netflix-Dauerbrenner »The Americans«, eine Spionageserie über ein getarntes russisches Agentenpärchen in den USA, übernahm der Ex-CIA-Agent Joe Weisberg.
Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Gründung von »Spycraft Entertainment«. Die Agentur, ansässig in Los Angeles und Washington, bringt Spione, Agenten und Filmemacher zusammen – und lässt die Grenzen zwischen der Welt der Spione und des Entertainments noch weiter verschwimmen.