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DIY-Insel: Die schwimmende Heimat

Foto: Richart Sowa

Leergutinsel Paradies aus Abfall

Eine eigene Tropeninsel - für lau? 1996 zog der Brite Richart Sowa nach Mexiko und konstruierte aus Flaschen und Holzplatten "Spiral Island", eine schwimmende Oase mit Palmenstränden und Wohnhaus. Doch dann fand er seinen Traum aus Müll am Strand - in Stücke gerissen.

Mit dem Ufo hatte alles angefangen: Im Sommer 1977 saß Richart Sowa auf dem Balkon seines Mietshauses im baden-württembergischen Pfullendorf und zeichnete eine fliegende Untertasse. Eigentlich war der junge Brite kein Künstler. Er war mit seiner Familie aus Middlesbrough nach Deutschland gezogen, um Arbeit als Zimmermann zu finden. Doch sein Job für die Firma Alno Einbauküchen lastete ihn kreativ nicht aus. Also malte er in seiner Freizeit und verdiente sich mit Auftragsarbeiten ein wenig Geld dazu. Oft malte er Naturmotive: Wälder, Seen, Regenbögen und Tiere.

Aber das Bild, das jetzt auf seinem Skizzenblock entstand, war kein Auftrag, sondern spontane Eingebung. Strich für Strich entstand ein rundes Gebilde in Form eines Raumschiffs. Je weiter er kam, umso mehr wurde klar: Es flog nicht im All, sondern trieb im Meer. Der Pilot schien es schon vor etlichen Jahren einfach als schwimmenden Müll zurückgelassen zu haben, denn hohe Bäume wucherten darauf, so dass es aus der Ferne fast aussah wie eine Insel.

Sowa ahnte nicht, dass die Skizze ziemlich genau den Ort zeigte, der 20 Jahre später seine Heimat werden sollte. Nie hätte er vorhersehen können, dass er um die halbe Welt ziehen würde, um seine eigene Karibikinsel zu bauen - ein grünes Paradies, erbaut auf schwimmendem Abfall.

Argwöhnische Hippie-Nachbarn

Zunächst jedoch nahm sein Leben eine gar nicht paradiesische Wendung: Als er seinen Job bei Alno aufgab, um sich ganz der Malerei zu widmen, gab es zu Hause immer mehr Streit. Die Ehe zerbrach, und seine Frau zog mit den Kindern zurück nach England. Sowa stürzte in eine Lebenskrise. Er begab sich auf Sinnsuche quer durch alle Religionen. Er trat den Mormonen bei, ließ sich als Zeuge Jehovas taufen, diskutierte mit Anhängern der Erweckungsbewegung. "Eine zeitlang", erinnert sich Sowa, "habe ich ein richtiges Religions-Hopping betrieben". Doch in keiner fand er das, was er suchte.

Er begann, durch Europa zu reisen. Als Straßenmusikant sang er jahrelang in den Fußgängerzonen Deutschlands, Englands, Italiens und Portugals und spielte dazu Gitarre oder malte auf der Straße Portraits. Dann reiste er durch die USA, bis er 1996 in Mexiko landete. Es war die Geschichte dieses Landes, die ihn an sein Ufo erinnerte: "Die aztekischen Bauern um das heutige Mexiko-Stadt herum bauten früher 'Chinampas', schwimmende Inseln aus Schilf, auf denen sie Äcker anlegten und sogar Hütten bauten." Noch heute sind die letzten dieser schwimmenden Gärten eine Touristenattraktion. Sowa kam ins Grübeln: Was, wenn er sich selbst eine solche Insel baute, so wie das Ufo auf dem Bild? Fester Boden unter den Füßen, der doch nirgendwo verankert wäre - es schien perfekt für einen Nomaden wie ihn.

In Zipolite, einer kleinen Hippiegemeinde an der Westküste, bekannt für ihren FKK-Strand und ihren Marihuanakonsum, machte er sich an die Arbeit. Weil er kein Geld hatte, überlegte er, wie er die Insel aus Müll bauen konnte - und kam auf ein ungewöhnliches Konstruktionsprinzip: Er bündelte leere Plastikflaschen in Obstnetze und band sie an die Unterseite einer drei Meter breiten Pappmascheeschale. Darauf errichtete er dann nach und nach mit Ästen eine kleine, igluförmige Hütte.

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Foto: Richart Sowa

Nach vier Monaten musste Sowa feststellen, dass die Nachbarn selbst im liberalen Zipolite argwöhnisch auf sein Experiment reagierten: "Einige Dorfbewohner störte es. Sie dachten, das würde nie funktionieren, für sie war es nur schwimmender Müll. Also riefen sie die Polizei." Die stoppte seine Bauarbeiten. Desillusioniert packte Sowa am 4. Oktober 1997 seine Sachen und verließ das Dorf. Es stellte sich als Glücksfall heraus: Drei Tage später zog Hurrikan "Pauline" über den Ort und machte die Siedlung dem Erdboden gleich.

Zerbrochene Träume

Aber der Zimmermann gab nicht auf: "Ich wusste einfach, dass ich das Richtige tue!" An der Ostküste, in Puerto Aventuras, einer neu entstehenden kleinen Siedlung an einem Kanalsystem, startete er einen zweiten Versuch. Wieder verwendete er Flaschensäcke, über die er dieses Mal aber Bambus und Sperrholzplatten legte. Auf die Platten schüttete er Sand, auf manchen pflanzte er kleine Mangroven. Deren Wurzeln wuchsen durch die Paletten hindurch und um die Flaschensäcke herum, so dass die ganze Insel bald unter Wasser von einem dichten Wurzelgeflecht zusammengehalten wurde. Spiralförmig baute er seine Insel zu den Rändern immer weiter - bis sie groß genug war, um eine Hütte aus Palmwedeln darauf zu errichten.

Dieses Mal hatte er sich von den Stadtplanern der Siedlung zuvor eine Genehmigung geholt: "Sie erlaubten es, aber sie sagten von Anfang an: 'Wenn Leute am Ufer Grundstücke kaufen und es sie eines Tages stören sollte, dass du da bist, dann musst du weg!" Doch niemanden schien es zu stören: Vier Jahre lang schleppte der braungebrannte Zimmermann Flaschensack für Flaschensack an, baute neue Ausleger an und verwandelte das Eiland mit Bäumen, Blumen und Gemüsegärten in ein grünes Paradies mit drei Sandstränden. Seine Hütte war inzwischen zu einem zweistöckigen Haus mit Dachterasse, Aussichtsturm, selbstkompostierender Toilette und einem Solarbackofen in Form eines riesigen Parabolspiegels angewachsen. Umweltschutz war Sowa ein wichtiges Anliegen.

"Spiral Island", wie er die Insel nannte, wurde immer bekannter. Touristen kamen, um sie zu besichtigen oder um Sowa zur Hand zu gehen. Sogar TV-Sender berichteten. Doch nicht jeder war so begeistert: "Inzwischen hatten Leute am Ufer Häuser gebaut, und sie fingen an, sich über mich zu beschweren. Ihre Grundstücke waren sehr teuer - und ich lebte einfach auf der Insel, ohne Miete. Das schmeckte ihnen nicht". Seine Nachbarn beklagten, er habe nicht die nötigen behördlichen Papiere, um dort zu leben. "Sie drohten", so Sowa, "die Insel aus dem Wasser zu holen und auf die Müllkippe zu werfen." Sowa musste vor Gericht. Am Ende zog er seine Insel zur Mündung des Kanals hinaus, wo sie fern aller Nachbarn vor der Küste vertäut wurde. "Es war eine schlimme Zeit", erinnert er sich, "ich hatte zwei Jahre lang echt 'bad vibes'."

Am 17. Juli 2005 wurde eine Warnung ausgegeben: Hurrikan "Emily", der in der Karibik schwere Verwüstungen angerichtet hatte, zog direkt auf die Puerto Aventuras zu. Sowa war inzwischen bereit, alles aufzugeben - sogar sich selbst: "Ich wollte auf der Insel bleiben. Aber ein Freund redete auf mich ein: 'Ich fahr nach Süden - komm mit!' Also packte ich meinen Hund Bonga und stieg mit ein." Eine Entscheidung, die ihm wahrscheinlich das Leben rettete. Als Sowa am nächsten Morgen zurückkam, bot sich ihm ein Bild des Grauens: Der Hurrikan hatte seine Insel an die Küste geschmettert. Die Holzbalken, Bretter und Platten, aus denen er sie über Jahre erbaut hatte, lagen zersplittert über den Strand verteilt. Genau wie die rund 250.000 Flaschen, auf denen sein Lebenstraum geschwommen war.

Airconditioning mit Wellenkraft

"Ein Teil von mir war am Boden zerstört", erinnert sich Sowa, "ein Teil war erleichtert. Es war wie Yin und Yang." Der Streit mit den Nachbarn hatte so an ihm genagt, dass er zuletzt bereits überlegt hatte, wieder als Musikant herumzureisen.

Doch dann kam unerwartete Rettung: Oscar Constandse, Leiter eines lokalen Ökologischen Parks, war so begeistert von der Vision einer selbstversorgenden Umwelt-Insel aus recyceltem Müll, dass er Sowa 20.000 Dollar für eine neue Insel gab. Weitere umweltinteressierte Investoren stießen dazu, und bald hielt Sowa 40.000 Dollar Startkapital in den Händen. Nun konnte er sogar Handwerker bezahlen, die ihm halfen, ein neues Eiland zu bauen. Mit ihrer Hilfe schaffte er es, von 2007 bis heute in einer in einer Lagune der Insel Isla de Mujeres eine Insel zu bauen, die die alte sogar noch übertraf: "Joysxee Island".

Regelmäßig führt Sowa heute Besuchergruppen gegen eine kleine Spende über seine Insel, meist sind sie "wie weggeblasen", so Sowa. Sein Stolz ist berechtigt: Wer "Joysxee" mit seinen meterhohen Mangroven, Palmen, dem Gemüsegarten, dem dreigeschossigen Hauptbau mit Gästezimmer, Massagepavillon und schwimmendem Doppelbett sieht, kann kaum glauben, dass all dies aus Müll gebaut wurde. Aus Muscheln machte Sowa Wasserhähne, eine Dusche und Lichtschalter. Strom für die Lampen, die Stereoanlage und seinen Laptop bezieht er zu großen Teilen aus einer eigenen Solaranlage, Süßwasser sammelt er in Regenbassins. Sogar eine Wellenkraft-Klimaanlage plant er - für die muss "Joysxee" allerdings erst aus der Lagune in die Bucht hinausgezogen werden, dort ist mehr Seegang.

Noch steht dem einiges im Wege: "Ich muss mehr Flaschen sammeln, aber mein Wagen ist kaputt." Jetzt, in der Regenzeit, machen die Niederschläge die Insel schwerer und drücken den Boden stellenweise unter Wasser. Trotzdem bleibt er zuversichtlich: "Die Bäume wachsen schnell, und wenn ich das Auto zum Laufen kriege, kann ich leicht 100 Beutel pro Tag unter die Insel bekommen." Vielleicht, so hofft er, schaffe er es noch dieses Jahr, irgendwie die 1000 Dollar zusammenzukriegen, um "Joysxee" in der Bucht verankern zu lassen - pünktlich zum Ende des Maya-Kalenders am 21. Dezember. Sowa seufzt: "Das wäre wirklich, wirklich kosmisch."

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Die deutsche Autorin Tanja Samed traf sich mit Richart Sowa auf seiner Recycling-Insel in Mexiko, um über ihn und sein Projekt zu sprechen. In "Spiralogische Gespräche mit dem Mann von der Flascheninsel" schildert sie Sowas Inspirationsquellen, seine spirituelle Reise zu sich selbst - und verrät, wie der visionäre Bastler mit seiner Insel globale Erwärmung, Wasserverschmutzung und andere Umweltprobleme bekämpfen will.

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