
Sportpalastrede: "Wollt ihr den totalen Krieg?" - "Jaaa!"
Sportpalast-Rede Wie Goebbels sein Publikum aufpeitschte - und verachtete
Am Nachmittag des 18. Februar 1943 stieg Joseph Goebbels in seinen kugelsicheren Mercedes und ließ sich zum Berliner Sportpalast chauffieren. Kurz vor 17 Uhr betrat der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda die Mehrzweckhalle im Stadtteil Schöneberg. Der schmächtige Mann, nur 1,65 Meter groß, trat mit energischem und angespanntem Gesicht ans Rednerpult und bot sein ganzes demagogisches Geschick auf.
Goebbels sprach eine Stunde und 48 Minuten, mal beschwörend, mal höhnisch, an vielen Stellen klang seine Stimme schrill und überschlug sich fast. Als er zum Schluss kam, stellte er dem Publikum zehn rhetorische Fragen. "Wollt ihr den totalen Krieg?", fragte er, die 15.000 sprangen auf von ihren Sitzen und schrien begeistert: "Ja!" Der Redner setzte nach: "Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?" Und wieder tobte der Saal - Szenen exzessiver Massenhysterie. Noch 20 Minuten blieb der Großdeutsche Rundfunk auf Sendung, um die Radiohörer an der euphorischen Stimmung teilhaben zu lassen.
Die Arena war bis auf den letzten Platz gefüllt, versammelt hatten sich fast das gesamte Kabinett, viele Reichs- und Gauleiter. Anwesend war zudem "ein von den Parteiorganisationen bestelltes Aufgebot", darunter "volkstümliche Intellektuelle und Schauspieler", deren "beifällige Reaktionen durch die Filmkameras über die Wochenschauen beeindrucken sollten", wie der damalige Rüstungsminister Albert Speer in seinen Erinnerungen berichtete. Die Rednertribüne war mit zwei Hakenkreuzfahnen geschmückt, an der Balustrade hing ein Spruchband: "Totaler Krieg - kürzester Krieg".
"Diese Stunden der Idiotie!"
Erst 16 Tage zuvor hatte die 6. Armee in Stalingrad nach wochenlanger Einkesselung kapituliert. Eine halbe Million Russen waren dort gestorben, ebenso 150.000 deutsche Soldaten, mehr als 100.000 kamen in sowjetische Gefangenschaft (die letzten Freigelassen kehrten erst 1955 und Anfang 1956 heim). Im Reich kamen selbst unter überzeugten Nazis Zweifel am "Endsieg" auf. Die "Geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS" berichteten am 4. Februar 1943: "Allgemein ist die Überzeugung vorhanden, dass Stalingrad einen Wendepunkt des Krieges bedeute und die labileren Volksgenossen sind geneigt, im Fall von Stalingrad den Anfang vom Ende zu sehen."
Um diesem Defätismus entgegenzuwirken, beschwor Goebbels den Fall von Stalingrad als "großen Alarmruf des Schicksals" und Symbol für den Heldenkampf gegen den "Ansturm der Steppe", jener "Grauen erregenden geschichtlichen Gefahr", die "alle bisherigen Gefahren des Abendlandes weit in den Schatten stellt". Hinter den vorstürmenden Sowjetdivisionen, rief er, "sehen wir schon die jüdischen Liquidationskommandos", und hinter diesen erhebe sich "der Terror, das Gespenst des Millionenhungers und einer vollkommenen europäischen Anarchie".
Fritz Hippler, Leiter der Filmabteilung im Goebbels-Ministerium, beschrieb nach dem Krieg die Rede so: "Goebbels hatte seine Kernsätze und Fragen so formuliert und rhetorisch so akzentuiert, dass in dieser historischen Situation und vor diesem Publikum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit spontane Akklamationen zu erwarten waren; dass sie an Hysterie grenzende Formen annahmen, war eine Überkompensation der heraufdämmernden Verzweiflungsstimmung."

Sportpalastrede: "Wollt ihr den totalen Krieg?" - "Jaaa!"
Nach der Kundgebung indes soll Goebbels zu seinen Begleitern gesagt haben: "Diese Stunden der Idiotie! Wenn ich den Leuten gesagt hätte, springt aus dem dritten Stock des Columbushauses, sie hätten es auch getan." Er verachtete demnach sein Publikum für die Hexenkesselstimmung, die er selbst erzeugte - so überlieferte es 1948 der Goebbels-Biograph Curt Riess, der mit Zeitzeugen gesprochen hatte.
Die Nazi-Propaganda ignorierte die Kapitulationsforderung der Alliierten
Im Nachhinein interpretierten manche Historiker die "Totaler Krieg"-Rede auch als Antwort auf das Kriegsziel der Alliierten, die "bedingungslose Kapitulation" der "Achsenmächte" Deutschland, Italien und Japan. US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill hatten es in Casablanca einige Wochen zuvor erklärt, am 24. Januar 1943.
Doch dieser Bezug ist abwegig: In der ganzen Rede erwähnte Goebbels die Forderung der Alliierten mit keinem Wort; vielmehr fixierte er seine Zuhörer vollkommen auf die Gefahr aus dem Osten.
Überhaupt hielt Goebbels die Casablanca-Formel nicht für propagandawirksam. Nicht einmal als Roosevelt am 12. Februar, also sechs Tage vor der Sportpalastrede, die Forderung nach "bedingungsloser Kapitulation" im Rundfunk wiederholte, ging die Nazi-Propaganda darauf ein: Diese Ansprache sei "inhaltlich nicht bedeutsam", befand das Goebbels-Ministerium und gab die Weisung aus, sie sei "in der deutschen Presse dementsprechend nur kurz zu behandeln".
Tatsächlich hatte die Sportpalastrede, neben der Ausgabe von Durchhalteparolen, eine andere Funktion: Der ehrgeizige Parteifunktionär Goebbels hoffte, im Nazireich zur Nummer zwei nach dem "Führer" aufzusteigen. Er wollte bei der Radikalisierung des Regimes die Führung an der "Heimatfront" übernehmen.
Für einen "totalen Krieg" hatte sich der Chefpropagandist schon seit gut einem Jahr eingesetzt, seit zum Jahreswechsel 1941/42 der brutale Vormarsch der Wehrmacht in der grimmigen Kälte des russischen Winters stecken geblieben war. Bei Hitler und den Führungszirkeln von Partei und Staat mahnte Goebbels 1942 angesichts der Entwicklung an der Ostfront unablässig eine "Radikalisierung unserer Kriegsführung" an. Wer nicht mit der Waffe an der Front kämpfe, habe in der Heimat für Rüstung und Lebensmittelversorgung zu arbeiten. Selbst der Anschein eines Lebensniveaus wie in Friedenszeiten müsse radikal unterbunden werden.
"Dem Volke den Ernst der Lage klarmachen"
Den Gedanken an eine massensuggestive Rede verfolgte Goebbels offenbar frühzeitig. Schon am 7. Dezember 1942, als die Katastrophe von Stalingrad noch bevorstand, notierte Goebbels: "Wir müssten eigentlich häufiger, als wir das bisher getan haben, in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen." Und fünf Tage darauf: "Man soll dem deutschen Volke ruhig auch einmal den Ernst der Lage klarmachen."
Am 5. Januar 1943 kündigte Goebbels seinen engsten Mitarbeitern einen Aktionsplan zur "Verwirklichung des totalen Krieges" an. Darin sollte der "umfassende Einsatz der arbeitsfähigen Männer und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung" geregelt werden. Das Ziel: innerhalb eines Vierteljahres mindestens eine halbe Million Soldaten zusätzlich an die Front zu schicken.
Goebbels wollte 10 bis 15 Prozent der "Unabkömmlich-Stellungen" von etwa 5,2 Millionen Wehrtüchtigen aufheben, die dadurch freiwerdenden Arbeitsplätze in einem "Umschichtungsprozess" mit im Reich verbliebenen arbeitsfähigen Menschen besetzen. Allein im Einzelhandel seien noch 2,2 Millionen Mitarbeiter häufig "nutzlos" beschäftigt, klagte er.
"Einen Hauptschlager gelandet"
Mitte Januar unterzeichnete Hitler zwar einen entsprechenden Führererlass, aber im Kabinett und bei den Gauleitungen stießen die Maßnahmen auf hinhaltenden Widerstand. Wie viele NSDAP-Funktionäre befürchtete auch Hitler negative Auswirkungen auf die ohnehin angespannte Stimmung in der Bevölkerung.
"Goebbels brütet über einem kühnen Plan", notierte Rudolf Semler, Pressereferent des Propagandaministers. "Er will versuchen, auf Hitler Druck auszuüben, indem er in einer Rede im Sportpalast radikale Forderungen aufstellt. Die Menge wird wild Beifall klatschen. Auf diese Weise mag es ihm gelingen, Hitler zu zwingen, den halben Maßnahmen ein Ende zu bereiten. Wenn man den Forderungen nicht entspräche, wäre die Regierung kompromittiert. Der Führer könnte sich das in diesem Zeitpunkt nicht leisten."
Hitler reagierte positiv auf die Rede, wenn man Goebbels' Aussagen Glauben schenken kann. Über ein Gespräch mit Hitler am 5. März 1943 hielt er fest: "Meine Maßnahmen bezüglich des totalen Krieges werden vom Führer vollauf gebilligt. Er lässt sich in diesem Zusammenhang auf das Schmeichelhafteste für mich über meine Sportpalast-Rede aus, die er als ein psychologisches und propagandistisches Meisterwerk bezeichnet. Er habe sie von Anfang bis zu Ende aufmerksam durchstudiert, auch das Auslandsecho gelesen, und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass wir hiermit einen Hauptschlager gelandet hätten. Er ist von der Wirkung geradezu begeistert."
Die Maßnahmen zum "totalen Krieg" wurden in den folgenden Monaten jedoch nur halbherzig weiterverfolgt, zumal sich die Kriegssituation vorübergehend besserte. Die Sportpalast-Rede half dem Regime, die Katastrophe von Stalingrad zu überspielen, und sie schuf, wie der Historiker Günter Moltmann resümierte, "zugleich die Voraussetzung für eine Weiterführung des Krieges bis zum bitteren Ende".