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Hamburger Star-Club: "Es waren Kumpels, keine Stars"

Foto: Günter Zint

Star-Club-Fotograf Günter Zint "Die Beatles waren laut und lustig"

Im berühmten Hamburger Star-Club gingen vor genau 50 Jahren für immer die Lichter aus. Günter Zint war der Hausfotograf. Hier erinnert er sich an Pop-Legenden wie John Lennon und Jimi Hendrix.

Günter Zint, 79, kann von sich sagen: "Ich habe vielleicht 80.000 Fotos im Star-Club gemacht, allein über tausend von John Lennon." Heute hütet der Fotograf solche und andere Schätze gut 500 Meter vom einstigen Standort des in den Sechzigerjahren wichtigsten westdeutschen Musikklubs entfernt im Sankt-Pauli-Museum. Diesem droht jetzt wegen einer Mieterhöhung die Schließung Ende März 2020.

Der Gründer des Star-Clubs war Manfred Weißleder, Jahrgang 1928. Er hatte mit Sex-Läden auf St. Pauli Geld gemacht, mochte die neue Musik aus England und den USA und mietete das traditionsreiche Stern-Kino in der Großen Freiheit 39. Dort eröffnete er am 13. April 1962 den Star-Club.

"Die Not hat ein Ende", hieß es auf Plakaten. "Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei. Am 13. April eröffnet der Star-Club die Rock'n'Twist-Parade." Das war eine ambitionierte Ansage. Weißleder träumte davon, den "berühmtesten Club der Welt" zu eröffnen, wie er Musikern sagte. Zur Eröffnung spielten die Beatles. Als 1200 drin waren, wurde niemand mehr reingelassen.

Günter Zint: Ich fand die Bands alle klasse und habe die Beatles gar nicht als so herausragend empfunden. Die Beatles waren laut und lustig wie alle Bands. Mit 30-Watt-Vox-Verstärkern - das hat heute jeder Ghetto-Blaster - haben die den ganzen Saal beschallt. Aber manchmal war das Publikum lauter als die Musik. Hinter der Bühne leuchtete eine Silhouette von New York, gemalt von dem auf dem Kiez legendären Kulissenmaler Erwin Ross. Eines Tages kam Manfred Weißleder auf mich zu und sagte: Du kannst doch Fotos machen, ich brauche für die Schaukästen auf der Straße unbedingt Fotos. So wurde ich Hausfotograf des Star-Clubs. Ich fotografierte die Bands, meine Frau saß an der Kasse und verkaufte nebenbei auch meine Fotos. Unser Werbespruch: "Auch du kannst deine Stars zu Hause haben." Als Weißleder, das Schlitzohr, mitbekam, dass ich mit den Fotos Geld verdiente, hat er mir 60 Mark im Monat Miete für die Nutzung der Schaukästen abgenommen.

Weißleder war der Vater des Star-Clubs. Er hatte die Idee, er hatte das Geld, er hat die ganz großen Stars wie Ray Charles gebucht und nach Hamburg geholt.

Zint: Er sah eher wie ein Beamter aus dem Finanzamt aus, war ein guter Verwalter. Mit seinem Puff namens "Rote Katze" und mit Restaurants hat er viel Geld auf dem Kiez verdient und so den Star-Club finanziert, der ein Verlustgeschäft war. Die Musik, das war Weißleders Leidenschaft, sein Leben.

Am Anfang war es reiner Rock'n'Roll: Bill Haley spielte vom 24. September bis 7. Oktover 1962 im Star-Club. Der Eintritt kostete zwei Mark, Weißleder zahlte drauf. Es folgte Little Richard im Herbst '62. Und es kamen Chuck Berry, Ray Charles, die Everly Brothers, Gene Vincent, Chubby Checker, Bo Diddley, Jerry Lee Lewis. Das Pantheon des Rock'n'Roll.

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Hamburger Star-Club: "Es waren Kumpels, keine Stars"

Foto: Günter Zint

Auch die Beatles waren damals Rock'n'Roller. Sie trugen schwarze Lederhosen und Lederjacken, hatten geölte Elvis-Tollen und spielten im ersten Jahr des Star-Clubs an 79 Tagen dort. Zwei bis drei Sets von einer Stunde pro Nacht. Sie sollen ordentlich Preludin genommen haben, um mit dem Aufputschmittel ihre Schichten durchzustehen. Immerhin bekamen sie stolze 500 Mark pro Kopf und Woche. Und schon 600 Mark, als sie vom 1. bis 14. November 1962 wieder auftraten.

Zint: Der Star-Club war ein ehemaliger Kinosaal, relativ duster. Die Bühne war 1,30 Meter hoch und knapp 4 Meter tief, der Saal gute 4 Meter hoch. Vor der Bühne war die Tanzfläche, dahinter Tische, über allem eine Empore. Rechts an der Musikerbar saßen die Musiker und die Mädels, die Musiker abschleppen wollten. In der Ecke vorne links die Gammler, Linken, Fantasten und Exis, wie wir uns selbst nannten. Die waren von den Kellnern nicht wohl gelitten, weil sie wenig Umsatz machten. Das Bier kostete 1,50 Mark, zu viel für uns. Offiziell passten 600 Leute rein, aber bei den großen Konzerten waren es bis zu 1200. Das war natürlich nicht ganz legal. Aber im Star-Club war vieles nicht legal, und um 22 Uhr kam immer der Jugendschutz.

einestages: Wie war die Atmosphäre im Klub?

Zint: Die Musiker waren locker und lustig und haben eine Show gemacht. Die VIPs haben sich verkleidet und einen der Gruppe an ein Kreuz gehängt, um sich ein bisschen über die christliche Religion lustig zu machen. Doch als John Lennon nur mit Unterhose und Stiefeln bekleidet, eine Klo-Brille um den Hals, auf die Bühne ging, war das Weißleder zu viel. Er zitierte die Jungs aus Liverpool in sein Büro und sagte: "Der Vertrag mit euch ist beendet." Aber die Barfrau Betty, die ein Verhältnis mit John hatte, weinte so bitterlich, dass er es sich wieder anders überlegte.

einestages: Wer ging in den Star-Club?

Zint: Es waren junge Leute, die es zu Hause nicht ausgehalten haben. Ich fand einfach die Atmosphäre klasse, es sei denn, es ging eine Schlägerei mit den Kellnern los. Es gab die "Exis", abgeleitet von "Existenzialisten", zu denen ich mich zählte und die abschätzig "Gammler" genannt wurden; die Mods achteten sehr auf Kleidung, und es gab die Teds. Schließlich noch Rocker. Zwischen den Gruppen gab es wenig Berührung. Die Rocker machten manchmal Stress, dann gab es was aufs Maul. Und die Zuhälter mochten den Laden überhaupt nicht, weil die Musiker ihre Frauen verrückt machten.

einestages: Hatte der Laden etwas Politisches?

Zint: Wir haben den Star-Club geliebt, weil unsere Eltern ihn gehasst haben. Das schon. Die Musik war ganz neu und revolutionär: Rock'n'Roll, Blues, Rhythm & Blues, dann Beat und Underground. Wenn mir allerdings damals jemand gesagt hätte, dass 60 Jahre später ein großer Hype losgehen und ich mit den Fotos aus dem Star-Club so viel Geld verdienen würde, hätte ich gesagt, du spinnst. Damals, als wir mit den Musikern bei Grete und Alfons saßen, waren das Kumpels. Es waren keine Stars. Sie wurden erst später Stars.

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Kibermanis, Tania

Wilde Zeiten: Hamburg-Fotografien von Günter Zint 1965–1989

Verlag: Junius Verlag
Seitenzahl: 256
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28.05.2023 19.40 Uhr

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einestages: Der größte spätere Star im Star-Club war wohl John Lennon.

Zint: John Lennon ist vor niemandem zu Kreuze gekrochen, das mochte ich an ihm. Er hat Journalisten beleidigt, wenn es nötig war. Auf einer Pressekonferenz machte er ein Gesicht, als würde er denken, was sind das wieder für Idioten im Saal. Er begann Fragen zu beantworten, die nicht gestellt wurden. "Nein, ich trage keine langen Unterhosen; nein, ich mag keine Erbsensuppe." Als ein empörter Journalist sagte, er solle nicht so einen Blödsinn reden, antwortete Lennon: Stellen Sie eine kluge Frage, dann bekommen Sie auch eine gute Antwort. John Lennon war im Star-Club einer der lustigen, lauten Musiker und ganz schön frech. Er war der Kopf der Beatles und am meisten an Politik interessiert. Paul McCartney war ein artiger, netter Bengel, den man gern als Schwiegersohn haben wollte. George Harrison war auch nicht ohne, aber ist damit nicht so durchgekommen.

einestages: Unter den Musikern, die Sie fotografiert haben, war wohl ebenso berühmt ein Amerikaner namens Jimi Hendrix.

Zint: Ich kriege noch heute Gänsehaut, wenn ich an die vier Konzerte denke, die Jimi Hendrix im Star-Club gegeben hat. Zwei Jahre vor Woodstock hat er schon im Star-Club die US-Hymne zersägt. Wenn er anfing mit seinen Rückkopplungen und die Gitarre in seinen Verstärker mit Boxen rammte, drohte dieser Marshall-Turm nach hinten umzukippen. Sein Manager Chas Chandler rannte dann auf die Bühne und hielt die Anlage fest. Hendrix konnte richtig gut auf dem Rücken spielen. Oder mit den Zähnen. Wahnsinn. Das war nicht nur Show, das gehörte zu seiner Musik. Seinen Sound auf der Gitarre hat niemand mehr so hingekriegt.

Ich hatte von seiner Plattenfirma Metronome den Auftrag bekommen, das Cover für "Hey Joe" zu fotografieren. Wir machten Fotos in einem Garten an der Alster, danach kamen Hendrix, Noel Redding und Mitch Mitchell zu mir ins Studio. Hendrix sah die Stereoanlage und ein Sofa. In seinem Hotel hatte er eine Abmahnung bekommen, wegen zu lauten Musikhörens, also sagte er: "I don't go back to this shit hotel, I stay here." Und schon hatte ich fürs Wochenende einen Untermieter. Colette, die Freundin eines Geschäftspartners, war bei den Fotosessions dabei. Er nannte sie immer Cutlet, bis ich sagte: "She is called Colette, cutlet is something to eat." Er sagte: "I would love to eat her." Sie legte sich auf den Tisch, so entstand dieses alberne Foto von ihr, wie Jimi und seine Band an ihr mit Messer und Gabel rumschnippeln.

einestages: Wie wurde der Star-Club in Hamburg aufgenommen?

Zint: Von den Bürgern ganz schlecht. Es gab ständig Razzien. Wer noch nicht 21 war, wurde erst mal mitgenommen. Als eine Bekannte unter 21 einräumte, dass sie einen Freund hatte, wurde sie zwangsweise im Heidberg-Krankenhaus auf Geschlechtskrankheiten untersucht. So war die Zeit damals. Die Behörden haben den Star-Club von vorn bis hinten bekämpft und wollten ihn schließen. Das Finanzamt forderte von Weißleder 400.000 Mark Vergnügungsteuer nach. Er trickste dann und übertrug die Konzession an Strohleute, an einen Elektriker und eine Küchenhilfe. Das Establishment und die Politiker haben überhaupt nicht verstanden, dass im Star-Club Musikgeschichte geschrieben wird.

Nach Rock'n'Roll, Blues und Beat kam der Underground. Die Haare wurden länger, die Drogen härter. Aus New York kamen Vanilla Fudge, aus London The Cream mit Gitarrist Eric Clapton. Die Pretty Things spielten im Star-Club, Eric Burdon, The Small Faces, Taste, Nice. Das letzte Konzert gaben Hardin & York am Silvesterabend 1969. Nach nicht einmal acht Jahren war Schluss.

Zint: Ende der Sechzigerjahre schossen die Gagen in die Höhe. Vier Bands einzufliegen, die Hotelkosten, das ging nicht mehr. Und dann kamen die Discos. Im Top Ten wurde nur noch von der Platte gespielt. Der Tod des Star-Clubs waren die Diskotheken.

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