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Erstmals veröffentlichte Telefonmitschnitte: Wie die Stasi DDR-Bürger belauschte

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Erstmals veröffentlichte Telefonmitschnitte Die geheimen Lausch-Protokolle der Stasi

Systematisch hörte die Stasi Telefongespräche ab, bislang waren die Aufzeichnungen unter Verschluss. DDR-Oppositionelle haben nun Forschern ermöglicht, Zehntausende von Stasi-Abschriften ihrer privaten Telefonate auszuwerten. Hier sind Beispiele nachzulesen und zu hören.

Abgehörte Telefonate gehören zu den brisantesten Hinterlassenschaften in den Akten der DDR-Staatssicherheit. Anders als bei Spitzelberichten endete die Möglichkeit der Einsichtnahme für Forscher und Journalisten bislang bei protokollierten Telefongesprächen. Selbst Betroffene bekamen selten Einblick, weil sie dazu die Erlaubnis des jeweiligen Gesprächspartners benötigten - die schwer zu beschaffen ist, wenn man nicht weiß, welche Gespräche in den Akten dokumentiert sind.

Noch schwieriger wurde der Zugang nach einem Einspruch von Altkanzler Helmut Kohl, der vor zehn Jahren die Einsicht in seine rechtswidrig zusammengetragenen Stasi-Akten, darunter Telefonate im O-Ton, weitgehend juristisch untersagen ließ. Die von ihm damals erstrittene "Stärkung der Persönlichkeitsrechte" bedeutete, dass dieser Blick hinter die Kulissen westdeutscher Politik versperrt bleiben sollte.

Ilko-Sascha Kowalczuk und Arno Polzin, zwei Forscher aus der Stasi-Unterlagen-Behörde, haben lange daran gearbeitet, zumindest einen Teil der abgehörten Telefonate der Öffentlichkeit zugänglich zu machen - solche, die einen Blick hinter die Kulissen der DDR-Opposition ermöglichen.

Von mehr als 250 Belauschten erhielten sie die Erlaubnis, Zehntausende Dokumente und Stasi-Abschriften privater Telefonate auszuwerten. Etwa das folgende Gespräch zwischen dem Ost-Berliner Oppositionellen Werner Fischer und seiner Mutter Erna, SED-Mitglied und Leiterin einer Kinderwochenkrippe in Potsdam, das die Stasi am 30. Oktober 1988 aufgezeichnet hatte.

Werner Fischer: Mutti, hier ist der Werner.

Erna Fischer: Na, du

Werner Fischer: Was denn? Hast du dir Sorgen gemacht?

Erna Fischer: Na, Frage...

Werner Fischer: Ich habe doch gesagt, sollst du nicht machen. Es ist immer alles in Ordnung.

Erna Fischer: Mensch, wann wirst du mal vernünftig?

Werner Fischer: Das ist doch wohl die falsche Adresse, was?

Erna Fischer: Wieso?

Werner Fischer: Was heißt, ob ich vernünftig werde? Das sag mal deinen Genossen.

Erna Fischer: Entschuldige Werner, ich verstehe dich bald nicht mehr.

Werner Fischer: Nein? Dann hat es auch gar keinen Sinn, wenn ich dir das versuche zu erklären, glaube ich.

Erna Fischer: Na, weißt du, du musst doch mal an dein eigenes Leben denken, du musst doch mal was draus machen können.

Werner Fischer: Sag mal! Weshalb sprichst du denn so? Weißt du überhaupt, was gewesen ist? Nein!

Erna Fischer: Na ja, ich weiß bloß, dass du wieder "aufgehoben" warst.

Werner Fischer: Weißt du auch, warum?

Erna Fischer: Nein!

Werner Fischer: Na, wegen nichts. Wegen nichts. Auf der Straße weggefangen, weil sie meinten, weil sie mich abends nicht zu einer Veranstaltung lassen wollten, zu der ich im Übrigen gar nicht hinwollte. In irgendeiner Kirche war eine Veranstaltung, und sicherheitshalber haben sie mich vorher weggekascht. Das sind deine Genossen!

Erna Fischer: Du kannst das doch nicht verallgemeinern.

Werner Fischer: Dann sag doch nicht zu mir, wann werd ich mal erwachsen! Das musst du dann deiner Regierung und deiner Scheißpartei sagen, wirklich.

Erna Fischer: Werner... weißt du!

Werner Fischer: Ich habe es nicht nötig, mir so etwas anzuhören. Diese Arschlöcher greifen mich auf der Straße weg, wie einen Schwerverbrecher, lassen mich da acht Stunden bei der Staatssicherheit sitzen, wegen nichts, wegen absolut nichts! Dieses Recht nehmen die Schweine sich einfach heraus. Da sag doch nicht, wann wirst du mal erwachsen? Soll ich vor denen knien oder was?

Erna Fischer: Na ja, aber du musst doch den richtigen Weg gehen können.

Werner Fischer: Na, welchen Weg! In diesem Land stinkt es bis zum Himmel, welchen Weg willst du da gehen?

Nach acht Jahren entstand so in einem 1060 Seiten dicken Forschungsbericht* von Kowalczuk und Polzin erstmals auch eine umfassende Analyse von Telefonüberwachung durch einen Geheimdienst.

Forscher Kowalczuk über die Lauschangriffe der Stasi

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Im Zentrum stehen Gespräche der Ost-Berliner Opposition mit ihren Unterstützern und Freunden in West-Berlin, der Bundesrepublik und Osteuropa. Zwar war auch in der DDR offiziell festgeschrieben, dass das Postgeheimnis geschützt ist und Telefone nur nach strengen Vorgaben abgehört werden dürfen. Doch in der Praxis waren die Lauschaktionen nur in Ausnahmefällen durch eine Staatsanwaltschaft angeordnet worden.

Stasimitarbeiter waren gegen Ende der Achtzigerjahre in der Lage, im Schichtdienst bis zu 4000 Telefonleitungen gleichzeitig abzuhören. Die "Verschriftlichung" und Auswertung der Klang-Collagen aus knackenden Leitungen und Telefongeräuschen erforderte enorme Mitarbeiterkapazitäten.

Allein in Ost-Berlin unterhielt die für die Telefonüberwachung zuständige MfS-Abteilung 26 mehr als 20 Abhörstudios. 436 Personen waren dort beschäftigt, teils in abgeschirmten bunkerähnlichen Kammern, teils in wohnzimmerähnlichen Räumen mit Blümchentapete. Der Arbeitsalltag war penibel festgelegt, sogar die Zeiten für die "Reinigung der Tonköpfe durch den Spätdienst" waren streng geregelt.

Während das Telefonnetz in den neuen Bundesländern heute zu den modernsten der Welt zählt, war das der DDR eher marode. Der Westen Deutschlands hatte um 1980 eine flächendeckende Versorgung mit Telefonanschlüssen erreicht. In der DDR hingegen blieb das Netz bis zuletzt analog, etwa auf dem Stand der Bundesrepublik von 1962. Drei Viertel der DDR-Vermittlungstechnik war 1989 älter als 30 Jahre, ein Fünftel stammte noch aus der Zeit der Weimarer Republik. Vor den 39.919 öffentlichen Fernsprechern bildeten sich immer wieder Warteschlangen. Telefonanschlüsse in Wohnungen gab es vornehmlich für SED-Funktionäre und MfS-Mitarbeiter, Ärzte und Polizisten.

Einige Oppositionelle wie Ulrike Poppe bekamen allerdings "überraschend schnell" einen Anschluss gestellt, während die Normalbevölkerung meist jahrelang warten musste.

Abhören war aber nur eine Möglichkeit der Bespitzelung. Denn gleichzeitig wurden von den vielen im Land verteilten Dienststellen der Abteilung M, zuständig für die Postkontrolle, täglich (!) bis zu 90.000 Briefe gelesen und kontrolliert. Aber auch das war "alles nur Ergänzung zur Hauptinformationsquelle der Stasi", sagt Kowalczuk - den 189.000 inoffiziellen Mitarbeitern.

Ulrike Poppe über Telefonieren in der DDR

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Ein besonderes Interesse hatten die Stasi-Lauscher an Ost-West-Telefonaten von Oppositionellen. Wie etwa zwischen der in Ost-Berlin lebenden Malerin Bärbel Bohley und Roland Jahn, dem 1983 zwangsausgebürgerten Mitbegründer der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena, abgehört unter anderem am 17. Januar 1988.

Bärbel Bohley: Ja?

Roland Jahn: Ja, Roland.

Bohley: Tag Roland!

Jahn: Wollt nur mal hör'n, wie es dir geht.

Bohley: Ja ja, turbulent wie immer.

Jahn: Ja ja, du weißt auch nichts weiter, außer das, was Ralf [Hirsch] weiß, mehr nicht?

Bohley: Ja, ich weiß jetzt gar nicht so ganz genau, was Ralf weiß, aber inzwischen hat sich herausgestellt, dass 90 Prozent aller aus der Staatsrechtsgruppe weg sind.

Jahn: Festgenommen?

Bohley: Ja, und dann eben noch ein paar andere. Und bis jetzt sind sie noch alle weg. Also, ich weiß jetzt nur von einem Mädchen, die wieder draußen ist.

Jahn: Ach, weißt du noch welche namentlich, die drinne sind?

Bohley: Na, warte mal, eigentlich, wo hab ich denn den Zettel hingetan

Durch das Mithören der Ost-West-Telefonate wollte die Stasi nachweisen, dass die Opposition vom Westen aus gesteuert sei. "Dieser Nachweis gelang ihr trotz immensen Aufwandes nicht", entnahm Kowalczuk den Akten, "weil es eine solche Lenkung nicht gab." Es bestanden lediglich mehr oder weniger intensive Kontakte unter alten Freunden, wie etwa den aus Jena hinausgeworfenen Bürgerrechtlern.

Zu den Ergebnissen der Forschungsarbeit gehört auch die Erkenntnis, dass das Telefon in der DDR von den Nutzern kaum als ein privates Kommunikationsmittel verstanden wurde. "Wir glauben", sagt Polzin, "dass die meisten Menschen das Telefon als öffentliche Einrichtung ansahen, weil fast alle, egal wie sie zum System standen, davon ausgingen, dass die Telefone überwacht würden." Diese Annahme bestimmte das Telefonverhalten im ganzen Land. "Hier zeigt sich nebenbei, dass eine Geheimpolizei vor allem als omnipräsent in den Augen der Betroffenen gelten muss, um ihren Zweck zu erfüllen. Tatsächlich muss sie dazu gar nicht omnipräsent sein. Das war auch die Stasi nicht."

Wolf Biermann: Ach Mensch, mach mir nicht den Mund wässrig.

Bärbel Bohley: Doch wir möchten...

Wolf Biermann: Ich möchte so, so gerne bei euch sein und und und singen oder Handstand machen, das ist mir egal. Auf jeden Fall bei euch sein.

Bärbel Bohley: Na, das weiß ich...

Wolf Biermann: Klar Mensch. Dann bring ich meine, meine schöne alte Weisgerbergitarre aus Markneukirchen mit, auf der ich ja immer noch spiele...

Bärbel Bohley: Ja.

Wolf Biermann: Na ja.

Bärbel Bohley: Am 4., Wolf!

Wolf Biermann: Am 4.? Was, jetzt am 4. (November)?

Bärbel Bohley: Um zehn. Lade ich dich jetzt hiermit ein...

Wolf Biermann: Oh, ihr Verrückten, ihr wunderbar Verrückten. Ich, ich will das gerne, natürlich!

Bärbel Bohley: Also, du musst kommen!

Wolf Biermann: (lacht)

Bärbel Bohley: Es ist auch Zeit zum Leben, vielleicht langsam.

Wolf Biermann: Ach Mensch, du. Man kann's überhaupt nicht glauben, dass man darüber nachdenken darf...

Telefongespräch zwischen Bärbel Bohley und Liedermacher Wolf Biermann am 24. Oktober 1989

Mitarbeit: Nicola Kuhrt

*Fasse Dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Bd. 41, 2014, 1060 Seiten Vandenhoeck & Ruprecht

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