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Stolpersteine in der Berliner Wilhelmstraße »Das Außenministerium ist in der Pflicht«

Noch immer liegen Stolpersteine für mutmaßliche NS-Sympathisanten vor dem ehemaligen Sitz des Auswärtigen Amtes. Künstler Gunter Demnig fordert Aufarbeitung. Doch das Amt weist die Verantwortung von sich.
aus DER SPIEGEL 39/2022
Initiator: Künstler Gunter Demnig verlegt seit 2006 Stolpersteine für Opfer des NS-Regimes. Das Bild entstand vergangenen Sommer in Berlin-Köpenick.

Initiator: Künstler Gunter Demnig verlegt seit 2006 Stolpersteine für Opfer des NS-Regimes. Das Bild entstand vergangenen Sommer in Berlin-Köpenick.

Foto: Jean MW / Future Image / IMAGO

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Der Künstler und Initiator der Stolperstein-Initiative, Gunter Demnig, fordert vom Auswärtigen Amt die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Diplomaten, die trotz Sympathien für Adolf Hitler mit Gedenksteinen geehrt wurden.

»Das Außenministerium ist in der Pflicht, die Fälle zu untersuchen«, sagte Demnig, »es ist peinlich, dass das noch nicht passiert ist.« Ende Juli hatte der SPIEGEL berichtet , dass drei Stolpersteine für mutmaßliche Nazihelfer vor dem ehemaligen Amtssitz in Berlin liegen. »Wir haben uns auf die Angaben des Amtes verlassen, als wir die Steine vergangenen Herbst verlegt haben«, sagte Demnig. »Wenn sich der Verdacht erhärtet, reißen wir sie wieder heraus.«

Exportreferent der I.G. Farben

Fragwürdig sind nicht nur die drei Stolpersteine, sondern mindestens auch ein weiterer: Der Legationsrat Vollrath von Maltzan wurde wegen der jüdischen Abstammung seiner Mutter 1938 aus dem diplomatischen Dienst entlassen. In der Folge arbeitete Maltzan jedoch bei dem für die Ausbeutung von KZ-Häftlingen berüchtigten Chemiekonzern I.G. Farben. Von 1939 bis 1942 erhielt er erneut eine Beschäftigung im NS-Außenministerium, ehe er als Referent für Exportfragen zurück zur I.G. Farben wechselte.

Nach dem Krieg wurde Maltzan wieder in den Auswärtigen Dienst übernommen und 1955 bundesdeutscher Botschafter in Paris. In dieser Funktion intervenierte er 1956 im Auftrag Bonns beim Pariser Außenministerium gegen den französischen KZ-Dokumentarfilm »Nacht und Nebel« von Alain Resnais, der als Beitrag für die Filmfestspiele in Cannes nominiert worden war.

Maltzan begründete das damit, dass in Cannes »nur Filme gezeigt werden dürfen, die nationale Gefühle eines anderen Volkes nicht verletzen oder das friedliche Zusammenleben der Völker nicht beeinträchtigen«. Auf Drängen der französischen Regierung wurde der Dokumentarfilm über die deutschen Konzentrationslager, insbesondere Auschwitz, schließlich aus dem Wettbewerb genommen.

Imagefilm auf YouTube

Das Auswärtige Amt betont auf Anfrage, die Verlegung der Stolpersteine habe eine Gruppe von Mitarbeitern ehrenamtlich und »ohne Weisung« des Ministeriums organisiert. Damit weist die Behörde jede Verantwortung von sich.

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Als die insgesamt 56 Stolpersteine im November 2021 verlegt wurden, hielt indes ein Staatssekretär die offizielle Rede. Und auf dem offiziellen YouTube-Kanal des Auswärtigen Amtes ist ein kurzer Film zu sehen, der begleitend zur Verlegung der Stolpersteine produziert wurde. Darin sagt die damalige »Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes für Holocaust-Erinnerung«, Michaela Küchler: »Erinnern ist etwas, was wir nie zu viel tun können.«

Kontroversen um die Historikerkommission

Die insgesamt 56 Stolpersteine in der Berliner Wilhelmstraße, in der das Auswärtige Amt von 1870 bis 1945 seinen Dienstsitz hatte, sollen eigentlich an NS-Opfer unter den Diplomaten erinnern. Bei der Mehrheit der Fälle geht es indes nicht um Hinrichtung oder Deportation, sondern nur um die Versetzung in den Zwangsruhestand.

Deplatziert: Manche der Stolpersteine erinnern an mutmaßliche NS-Sympathisanten

Deplatziert: Manche der Stolpersteine erinnern an mutmaßliche NS-Sympathisanten

Foto:

Felix Zahn / photothek.net

Nach den langen Kontroversen um die Historikerkommission , die 2010 ihre Ergebnisse zur NS-Geschichte des Außenministeriums vorgelegt hatte, ist es umso erstaunlicher, dass bei der Verlegung der Stolpersteine offenbar gravierende Fehler unterlaufen sind.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, die Steine seien im November 2022 verlegt worden – tatsächlich aber fand die Verlegung vergangenen Herbst statt. Wir haben die Jahreszahl korrigiert.

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