Römer-Rennen mit Motorrädern Ben Hur auf Speed

In Australien ist manches anders, aber warum rasten hier römische Streitwagen um die Wette, gezogen von Motorrädern statt Pferden? Ein Bild von 1936 und seine Geschichte - und die hat viel mit Deutschland zu tun.
1936 in Sydney: Rennen der "römischen" Streitwagen

1936 in Sydney: Rennen der "römischen" Streitwagen

Foto: NAC

Ein antiker schwarzer Streitwagen in voller Fahrt, knapp dahinter ein Konkurrent ganz in Weiß, beide Fahrer im Römerkostüm: Rivalen der Rennbahn, wie einst bei "Ben Hur". Statt von einem Pferdegespann werden diese Wagen jedoch von Motorrädern gezogen - auf denen niemand sitzt.

Die Szene könnte aus einem frühen Science-Fiction-Film stammen oder einem Vorläufer der apokalyptischen "Mad Max"-Streifen. In sozialen Medien wurde das Bild schon für einen Scherz gehalten. Ist es aber nicht.

Die Aufnahme ist gut 80 Jahre alt und stammt, wie "Mad Max", aus Australien. Dieses Rennen hat tatsächlich stattgefunden, 1936 vor rund 50.000 Zuschauern auf dem Sydney Showground. Es war so spektakulär, dass man sogar am anderen Ende der Welt darüber berichtete, in Europa. Das verrät der lange Weg, den dieses Foto zurückgelegt hat.

Fotostrecke

Augenblick mal!: Wagenrennen wie die alten Römer

Foto: Underwood Archives/ Getty Images

Für den 29. Februar 1936 hatte die Polizei von New South Wales zu einer Veranstaltung eingeladen, mit Paraden, Wettkämpfen, Reitvorführungen und Polizeihunden, die durch brennende Reifen sprangen. Der "Police Carnival" von Sydney galt als eine der besten Polizei-Schauen im ganzen Commonwealth - und diesmal wollten die Australier ihr Mutterland übertrumpfen.

Schon elf Jahre zuvor hatten englische Medien über eine "neue Sportart in Form von Wagenrennen" berichtet. Am Londoner Crystal Palace rasten ab 1925 Motorradfahrer um die Wette und zogen hinter ihren Maschinen einachsige, badewannenähnliche Anhänger. Darin stand, besser: kauerte, ein Passagier. Er hatte in Teamarbeit mit dem Fahrer die schwierige Aufgabe, das Gewicht so auszubalancieren, dass der Wagen nicht aus der Kurve flog.

Wagenlenker im Römerkostüm

Wer genau auf diese halsbrecherische Idee kam, ist umstritten. Das US-Magazin "Popular Mechanics" berichtete bereits im September 1922 von der außergewöhnlichen Ausfahrt eines Motorradklubs - mit Weinfässern, die schräg in zwei Teile geschnitten und mit Autorädern versehen zu Streitwagen umgebaut worden waren. "Um die Wirkung zu verstärken, trugen die 'Wagenlenker' Kostüme, die an alte römische Zeiten erinnerten", schrieb das Blatt.

Die Idee gewann an Popularität, sicher auch, weil Anfang 1926 der monumentale Stummfilm "Ben Hur" in die Kinos kam - mit dem mörderischen Wagenrennen zwischen dem jüdischen Prinzen Judah Ben Hur und seinem früheren Freund Messala, einem römischen Offizier.

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Die Handlung spielt zu Beginn des 1. Jahrhunderts nach Christus, die Streitwagen wurden von Pferden gezogen. Hinter den Kulissen aber hatte die Motorisierung längst begonnen: Fotos von den Dreharbeiten zeigen, dass die Wagen für bestimmte Einstellungen mit Seilen an einem Auto befestigt waren (siehe Fotostrecke).

Die Australier wollten all das überbieten. Ihre Streitwagen sollten allein von zwei gekoppelten Stahlrössern gezogen werden, gesteuert von den Fahrern hinten im Wagen - mit Zügeln, die mit der Lenkung verbunden waren, sowie Pedalen für Gas und Bremse. So sollten die Gefährte ein Tempo von rund 80 Stundenkilometern erreichen.

Australiens Boulevardzeitung "The Sun" wusste vorab zu berichten, es gebe "einen einzigen anderen Ort auf der Welt, an dem diese Streitwagen benutzt wurden" - nämlich in Stettin, damals deutsch, heute polnisch. Denn deutsche und englischsprachige Medien hatten im Mai 1934 ein Foto von einem Rennen in Stettin veröffentlicht, bei dem die Streitwagen jeweils von einem Gespann zweier unbemannter BMW vom Typ R 11 gezogen wurden.

"Gymkhana" auf BMW-Maschinen

Deutschland war Anfang der Dreißigerjahre der weltweit größte Motorradhersteller und -exporteur und das Land mit der höchsten Motorraddichte. Artistik-Vorführungen auf dem Motorrad waren ebenso beliebt wie Geschicklichkeitswettbewerbe, auch "Gymkhana" genannt.

Häufig waren sie Teil von "Tagen der offenen Tür" bei Polizei und Militär, wie Benjamin Voß, Sprecher der BMW Group Classic, erklärt. Das Unternehmen stattete damals auch Behörden mit seinen Maschinen aus.

Filmaufnahmen von 1934 zeigen Münchner Polizisten bei Geschicklichkeitsfahrten und Turnübungen auf BMW-Motorrädern. Die Vorführungen dienten dazu, Rekruten anzuwerben, sagt Voß. Über "Römerwagen" findet sich im Firmenarchiv allerdings nichts - "das waren dann private Umbauten".

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Einem klaren Werbezweck folgte wohl auch das Rennen im Mai 1934 in Stettin. Anlass war das "erste Pommern-Turnier" des "Reichsverbandes für Zucht und Prüfung deutschen Warmbluts". Die NS-Reichsregierung unterstützte die Veranstaltung, gekrönt mit einem großen Aufmarsch der SA- und SS-Reiterei. Für die Pferdezüchter sollte sich die Nähe zum Regime auszahlen - mit dem Ausbau der Reichswehr.

Eine der Schaunummern im Turnierprogramm: das "Römische Wagenrennen mit Motorrädern - eine Vorführung der Kraftrad-Schützenkompanie". Noch im selben Jahr wurden die Kradschützen zu einer eigenen Truppengattung, erste Verbände aufgestellt.

Ein Bild geht um die Welt

Das Streitwagen-Spektakel ließ sich sogar noch ausbauen: Im August 1938 lief ein "Römisches Wagenrennen" mit nunmehr "vier aneinandergekoppelten schweren Motorrädern" beim Motorsportfest in einer Potsdamer Kaserne, wie Fotos einer deutschen Bildagentur unter dem Titel "Soldaten als Motorrad-Akrobaten" zeigen. Bald darauf war die Zeit solcher Feste vorbei: Als Teil der 5. Panzerdivision nahmen die Potsdamer Kradschützen im September 1939 am Polenfeldzug teil und stießen bis Krakau vor.

Etwa zur gleichen Zeit musste in Krakau der größte polnische Presseverlag schließen; die bis dahin europaweit erhältliche Tageszeitung "Ilustrowany Kuryer Codzienny" erschien am 26. Oktober 1939 zum letzten Mal. Verleger Marian Dabrowski verließ das Land und kehrte nie zurück.

In Polen zurück blieb das Bildarchiv seiner Zeitung, überstand den Krieg und ruhte für Jahrzehnte im polnischen Staatsarchiv. Vor einigen Jahren begann die Digitalisierung und förderte eine Aufnahme vom 29. Februar 1936 in Sydney zutage: "Sportwettbewerb beim New South Wales Polizeitag - Rennen der 'römischen' Streitwagen" hatte jemand auf der Rückseite geschrieben.

Wer der Fotograf war, ist nicht bekannt. "Wahrscheinlich wurde das Foto seinerzeit von einer ausländischen Agentur eingekauft", vermutet Joanna Aderek-Wisniewska vom polnischen National Digital-Archiv NAC.

Über soziale Netzwerke fand das Bild nach rund 80 Jahren zurück ans andere Ende der Erde - und ließ die Australier und den Rest der Welt noch einmal über dieses ungewöhnliche Wagenrennen staunen (hier im Video ).

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