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Der bekannteste Unbekannte: Immer im Hintergrund

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Superstatist Jesse Heiman Der weltberühmte Niemand

Er spielte in "Spider-Man", "Catch Me If You Can" und in "Transformers 2", doch keiner nahm ihn wahr: Jesse Heiman ist Statist - aber der eifrigste Hollywoods. Er trat in fast 140 Filmen und Serien auf. Berühmt wurde er jedoch erst durch einen Internet-Clip. einestages sprach mit ihm über große Träume, kleine Rollen und nackte Superstars.

Der junge Peter Parker wird im Film "Spider-Man" auf dem Schulflur von einem Schlägertypen angegriffen. Doch anstatt dass der schüchterne Außenseiter von seinem Kontrahenten verdroschen wird, packt er seinen Arm und schleudert ihn wie eine Spielzeugfigur davon. Die Schüler rings um ihn staunen - unter ihnen ein rotblonder, dicker Junge mit Nickelbrille.

Der Trickbetrüger Frank Abagnale Jr., gespielt von Leonardo DiCaprio, tritt in "Catch Me If You Can" vor seine neuen Mitschüler und mimt den Lehrer. Alle glauben ihm - auch ein unauffälliger, rotblonder, etwas dicklicher Junge in der zweiten Tischreihe.

Vince Vaughn und Will Ferrell sitzen in der Komödie in "Old School" in einer Highschool-Mensa und frönen ihrer Midlife-Crisis, umringt von jungen Menschen an den anderen Tischen. Ein Tisch weiter hinten: ein unauffälliger, rotblonder, dicker Junge mit einer auffälligen Nickelbrille.

Drei Hollywood-Filme, ein Statist: Der rotblonde Junge, der mittendrin ist, aber doch immer am Rand, heißt Jesse Heiman. Der 32-jährige Kalifornier arbeitet seit elf Jahren im Filmgeschäft und ist doch schon in über 100 Filmen und Serien aufgetreten. Ein Komparse neben den Superstars - der plötzlich selbst berühmt geworden ist. Ein YouTube-Film hat seine Auftritte im Hintergrund etlicher Serien und Kinofilme bekanntgemacht. einestages sprach mit Heiman über seinen ersten Job, 15-Stunden-Tage am Set, Schauspielgrößen mit heruntergelassenen Hosen und den Traum, irgendwann einmal selbst eine Hauptrolle zu spielen.

einestages: Herr Heiman, ist es eine Tatsache oder bloß ein Internet-Märchen, dass Sie in Ihrer kurzen Karriere schon in 140 Fernsehserien, Filmen, Werbeclips und Musikvideos aufgetreten sind?

Heiman: Die Zahl ist jedenfalls dicht dran. Es wird allmählich immer schwerer, bei den ganzen Filmen den Überblick zu behalten.

einestages: Wie sind Sie in dieser relativ kurzen Zeit an so viele Rollen gekommen?

Heiman: Das ist ja das Schöne an der Arbeit als Statist: Man arbeitet in kurzer Zeit an unglaublich vielen Projekten. Und ich habe mich einfach richtig reingehängt: Ich mache nie Urlaub und arbeite jede Woche des Jahres an mehreren Drehs - seit elf Jahren. Ich bin also wirklich immer verfügbar, wenn ein Interessent mich brauchen könnte. Da ist 140 gar keine so große Zahl.

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einestages: Und doch gelten Sie als meistbeschäftigter Statist der Welt.

Heiman: Ich sehe mich nicht wirklich als den "größten Statisten der Welt" oder Amerikas oder auch nur von Los Angeles. Aber ich weiß es wirklich zu schätzen, dass andere Menschen mich so bezeichnen. Ich schätze, wenn es einen Oscar für Statisten gäbe, hätte ich wohl schon eine ziemlich gute Chance.

einestages: Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?

Heiman: Ich glaube, ich habe einfach ein Gesicht, das die Regisseure gut brauchen können. Jedenfalls wird mir das immer wieder gesagt. Darum wurde ich oft bei Kameraeinstellungen mit vielen anderen Statisten in der Bildmitte aufgestellt. Ich sehe einfach immer noch aus wie ein Teenager - obwohl ich schon über 30 bin. Das hat definitiv geholfen.

einestages: Nach so vielen Filmen - gibt es da einen Dreh, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Heiman: Definitiv der Dreh von "Old School" mit Vince Vaughn und Will Ferrell. Vor allem die Szene, in der im Film die Bewerber einer Studentenverbindung ihre Genitalien an einen Ziegelstein binden und den Stein von einem Balkon fallen lassen mussten. Es war einfach wahnsinnig lustig, die ganzen Schauspieler in einer Reihe mit heruntergezogenen Hosen auf dem Balkon stehen zu sehen.

einestages: War Ihnen eigentlich immer schon klar, dass Sie einmal Schauspieler werden würden?

Heiman: Ja, im Grunde schon im Kindergarten. Eines Tages führte meine Kindergartengruppe ein kleines Theaterstück auf. Ich erinnere mich nicht mal mehr an den Titel des Stücks - aber ich erinnere mich, wie gut es sich anfühlte, auf der Bühne zu stehen. Seitdem habe ich immer davon geträumt, einmal in der Unterhaltungsindustrie zu arbeiten - ob als Schauspieler, Drehbuchautor oder als Regisseur. Also zog ich nach meinem College-Abschluss im Mai 2000 nach Los Angeles, um irgendwie in die Industrie reinzukommen. Und da fing ich dann erstmal an, als Statist zu arbeiten.

einestages: Der Job als Statist sollte ein Sprungbrett sein?

Heiman: Es war eigentlich nicht einmal wie ein Job für mich am Anfang - mehr wie ein Sommercamp. Es war Spaß. Und nebenbei konnte ich ein bisschen Geld damit verdienen und meine Eltern beruhigen: "Hey, macht euch keine Sorgen, ich habe eine Arbeit!" Ich konnte meine Rechnungen damit bezahlen - aber ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Karriere als Statist machen würde.

einestages: Erinnern Sie sich an Ihren allerersten Auftritt?

Heiman: Ende des Jahres 2000, als ich mich zum ersten Mal bei einer Casting-Agentur meldete, fragten die mich sofort: "Hättest Du heute Abend schon Zeit?" Ich sagte: "Na klar!" Und so bekam ich direkt noch an dem Abend meinen ersten Auftritt - in der Komödie "Rat Race - Der nackte Wahnsinn". Die Szene, in der ich mitspielte, war ein Rockkonzert, und ich stand im Publikum. Das war zwar nicht so spaßig, wie es sich anhört, aber ich konnte schon an diesem Abend eine Menge über die Industrie lernen und darüber, wie man den Job überlebt.

einestages: Nämlich wie?

Heiman: Die Arbeit als Statist sieht zwar leicht aus, aber sie kann sehr viel anstrengender sein, als man denkt. Je nachdem, was gedreht wird, muss man schon mal 15 Stunden oder länger auf einem Set stehen. Bei "Nicht noch ein Teenie-Film!" zum Beispiel fingen wir morgens um 5 Uhr mit dem Dreh an - und es ging bis zum nächsten Morgen um 1 Uhr. Da sollte man sich unbedingt was mitbringen, um die Zeit zwischen den Aufnahmen totzuschlagen, zum Beispiel Zeitschriften. Man versucht, mit den anderen Statisten ins Gespräch zu kommen, um irgendwie die Stimmung im grünen Bereich zu halten. Davon abgesehen kann aber eigentlich jeder den Job genauso gut wie ich machen, solange er rechtzeitig erscheint und sich auf dem Set professionell verhält.

einestages: Aber warum haben sich so viele Regisseure ausgerechnet für Sie entschieden?

Heiman: Sie schienen mich zu mögen - ich konnte in jedes beliebige Casting-Büro der Stadt gehen, und man erkannte mich sofort. Irgendwann erzählte mir dann eine meiner Agenturen, ich sei ihre Nummer eins für männliche Teenager-Statistenrollen. Aber mein wirklicher Durchbruch kam eigentlich erst im März 2011. Ein schwedischer Fan namens Wilhelm Hempel stellte einen Videozusammenschnitt von Statistenrollen von mir auf YouTube. Er zeigte Ausschnitte aus allen möglichen Filmen - "Catch Me If You Can" mit Tom Hanks und Leonardo DiCaprio, "Social Network" oder "Spider-Man".

einestages: Mitten in der Szene hatte er immer wieder einen kleinen Kopf im Hintergrund eingekreist.

Heiman: Richtig, meinen Kopf. Er schrieb dazu, angeblich sei ich in jedem Film und jeder Serie aufgetreten, die jemals gedreht wurden. Durch dieses Video wurde mein Name plötzlich vielen Leuten bekannt. Sie fingen an, mich in anderen Filmen und Serien zu suchen und im Internet von immer neuen Sichtungen zu berichten.

einestages: Haben Sie sich je bei Wilhelm Hempel bedankt?

Heiman: Nein. Ich habe ihn bis heute nicht getroffen. Das muss ich aber unbedingt nachholen.

einestages: Sie verdanken ihm Ihren Ruhm.

Heiman: Absolut. Die Reaktionen auf das Video waren unglaublich. Nach ein paar Wochen klingelte das Telefon, und am Hörer war jemand von der "Tonight Show" von Jay Leno. Er sagte, sie hätten mein Internetvideo gesehen, und fragte, ob ich Lust hätte, neben Jamie Foxx und K.D. Lang als Gaststar in der Show aufzutreten. Ich war total platt. Ich hatte immer davon geträumt, irgendwann mal in Lenos Show aufzutreten. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich von ihm für meine Statistenauftritte eingeladen werden würde. Und auch noch Geld dafür bekomme!



einestages: Woran arbeiten Sie gerade?

Heiman: Im Moment besuche ich eine Menge Comedy- und Improvisationskurse. Und ich mache sehr viele Sprachübungen, um meine Aussprache zu verbessern, zum Beispiel übe ich ständig Zungenbrecher, wie "Peter Piper picked a peck..." Das verbessert die Aussprache jedenfalls ungemein, kann ich jedem Schauspieler nur empfehlen.

einestages: 140 Auftritte als Statist - und keine einzige Hauptrolle. Reizt Sie das überhaupt nicht?

Heiman: Doch, natürlich. Aber es hat bisher einfach nicht geklappt.

einestages: Dann träumen wir doch mal ein bisschen. Was würde Ihnen gefallen?

Heiman: Toll wäre die Hauptrolle in einer romantischen Komödie. Ich würde gern einen Mann spielen, von dem man am Anfang des Films nie denkt, dass er das Mädchen kriegt. Und der es dann doch kriegt.

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