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Das Ende von Take That: Heulkrämpfe vor dem Hotel

Foto: Holger_Hollemann/ picture-alliance / dpa

Take That Der letzte Kreisch

Tränen, Schreikrämpfe und Liebesschwüre: Allerlei Boygroups versetzten Teenies in den Neunzigern mit mehrstimmigem Gesang und perfekten Tanzschritten in Hysterie. Doch eine war größer als alle anderen - Take That. Kai Kolwitz erinnert sich an den letzten Auftritt der Band 1996 in Deutschland.

Es ist eng. Laut. Warm. Und irgendwie feucht. Immer wieder hebt das Kreischen an: ein tausendstimmiges "Iiiiiieeeehhhh...", ohrenbetäubend schrill und in einer Frequenz, die sich vom Gehörgang direkt ins Zentrum des Hirns bohrt. Die Zahl der Mädchen, die sich in der Halle des Düsseldorfer Flughafens drängeln, muss in die Tausende gehen.

Transparente haben sie dabei und sie singen. "Babe" und "Back for Good" und "Relight my Fire". Ein Kamerateam von RTL hat einen Gepäckwagen requiriert, um bessere Fahrten durch die Menge drehen zu können. Das Sicherheitspersonal findet das nicht komisch. Aber ändern kann es nichts daran.

Es ist nicht irgendeine Band, auf die die Menge wartet, an diesem Freitag im Vorfrühling. Es sind fünf Jungen, die die pubertierenden Mädchen so sehr in ihren Bann ziehen wie vorher fast nur noch die Beatles oder die Stones. Und es ist die letzte Chance, sie in Deutschland zu sehen. Take That sollen hier ankommen.

Rosi und Reni im Hype

Im März 1996 befindet sich die Gruppe auf Abschiedstournee: Robbie Williams ist schon ein gutes halbes Jahr nicht mehr dabei, wegen Drogenproblemen, wie es heißt. Der Rest hat Anfang des Jahres das Ende verkündet, nach vier atemlosen Jahren, in denen ein Superlativ den anderen gejagt hatte. Bei den Fans hat die Nachricht für eine Kollektivpanik gesorgt. Sorgentelefone mussten eingerichtet werden, einige der Mädchen sind dem Selbstmord nahe.

Am drauffolgenden Abend sollen Take That bei "Wetten Dass!?" auftreten, zum letzten Mal in Deutschland. Und wir sind am Flughafen, weil wir für einen kleinen Radiosender unseren Teil von dem Chaos mitnehmen wollen. Bei uns sind Rosi und Reni Kieffer. Mutter Rosi ist um die 40, sie hat sich von ihrer Tochter mit in den Hype hineinziehen lassen, gemeinsam sind die beiden der Band durch ganz Europa gefolgt und haben ein Buch darüber geschrieben.

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Das Ende von Take That: Heulkrämpfe vor dem Hotel

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Rosi hat das die Rolle einer Art "Mutter der Take That"-Fans eingebracht. Am Flughafen erscheinen die beiden mit zwei großen Säcken, die offenkundig aus Bettlaken zusammengenäht sind. Sie sind voller Briefe und Geschenke der Mädchen an die Band und die beiden haben versprochen, sie den Mitgliedern persönlich zu überreichen. Nur müssten die sich dazu endlich blicken lassen. Und das tun sie nicht.

Teenie-Stars - für jede einen

Take That sind ein Phänomen. Dabei hat es von Managern zusammengestellte Gruppen schon in den Fünfzigern und Sechzigern gegeben. Üblicherweise werden die Typen dabei so sortiert, dass sich jeder Fan sein Exemplar heraussuchen kann. Es gibt den netten Jungen von nebenan, den Clown, den Sportler, das Modell "wild und gefährlich" - und offiziell wird in der Regel verkündet, man habe sich einfach auf dem Spielplatz um die Ecke kennengelernt. Freundinnen? Nein, dafür bleibt keine Zeit. Aber die Mädchen in Deutschland...

Auch Take That sagen so etwas in Interviews. Aber trotzdem ragen sie aus der Masse der anderen heraus. Denn Manager Nigel Martin Smith hat den damals 19-jährigen Gary Barlow in die Band geholt. Der Musiker schreibt schon seit Jahren seine eigenen Songs, gemeinsam mit Mark Owen hatte er schon vorher das Pop-Duo "The Cutest Rush" gebildet. Auch für Take That kümmert sich Barlow um die Musik. Deshalb darf er dabei sein, obwohl er für einen Teenie-Star eigentlich zu moppelig ist und auch das Tanzen nicht zu seinen allergrößten Stärken gehört.

Diesen Part erledigen dafür die Ex-Breakdancer Jason Orange und Howard Donald in Perfektion. Den größten Wurf landet Smith allerdings mit einer Zeitungsanzeige. Auf die meldet sich nämlich ein gewisser Robbie Williams, knopfäugiger Clown, Rampensau und Extremcharismatiker. Dass der heutige Megastar bei Take That eigentlich gar nicht so viele Solopassagen hatte, fällt im Nachhinein kaum noch auf. Als Identifikationsfigur ist er für die Fans mindestens so wichtig wie die vier anderen zusammen.

Enttäuschung: Die Scorpions

In Düsseldorf hat sich das Chaos inzwischen vor das Hilton verlagert, in dem die Band für die Show absteigen wird. Das Fan-Proletariat steht vor dem Eingang und friert und wartet und singt, Bodyguards lassen niemand in die Lobby. Wer es besser getroffen hat, der hat in ein Zimmer in dem Hotel investiert: Überall hängen Mädchen aus dem Fenster, winken und pushen die Menge auf der Straße noch zusätzlich. Gelegentlich führt der Hype zu bizarren Szenen: Etwa in dem Moment, als zwei schwarze Chrysler-Vans mit verdunkelten Scheiben vor dem Hilton vorfahren. Hunderte Mädchen stürmen auf die Promi-Gefährte zu. Allerdings steigen aus denen die Scorpions, die ebenfalls für die Sendung gebucht sind. Hunderte Mädchen drehen sich um und gehen wieder weg - der belämmerte Gesichtsausdruck der Altrocker ist ein Vermögen wert.

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Immerhin, dem Selbstmord ist hier niemand nahe. Eigentlich ist die Stimmung näher bei Guildo Horn als bei ernsthaftem Drama und die Mädchen präsentieren sich erstaunlich selbstreflektiert: "Natürlich ist das bescheuert, was wir hier machen", ist ein kichernd vorgetragene Standardstatement, das allerdings unterbrochen wird, sobald eine Kamera oder ein Mikrophon in Sichtweite kommt. Denn dann muss wieder gesungen und gekreischt werden.

Mit Heike Makatsch ins Hotel

Am Eingang machen derweil wüste Gerüchte die Runde: Ein Wagen des Take-That-Trosses habe vor der Halle ein Mädchen überfahren, das Opfer werde wohl ein Bein verlieren. Gleichzeitig lässt eine extrem nervöse Heike Makatsch auf dem Weg zu ihrem Interview die Geschenke fallen, die ihr Fans für die Band mitgegeben haben. Für uns ist das der Weg in die Halle: Galant heben wir einige der Päckchen auf - und schneller als wir gucken können, sind wir zusammen mit der Viva-Frau an den Aufpassern vorbei.

Ein paar Minuten später allerdings auch wieder draußen: Drinnen ist es noch enger und stickiger und wenn irgendjemand von Take That sich blicken lassen würde, dann hätte er vermutlich binnen Sekunden keine Kleider mehr am Leib. Eine Weile bleiben wir noch vor dem Hilton, dann wird klar, dass Band auch hier schon wieder irgendwie weggeschleust worden ist. Also machen wir noch einen letzten Take für den Sender zuhause - und uns dann langsam auf den Heimweg. Take That haben wir nicht gesehen.

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