
Hotel Viru in Tallinn: KGB und Lackbikinis
Tallinn in den Achtzigern Saunapartys im Hotelpool
1972 bekam Tallinn seinen ersten Wolkenkratzer. Das Hotel Viru, mehr als 74 Meter hoch, thront seitdem in monumentaler Hässlichkeit über dem mittelalterlichen Zentrum der Hauptstadt Estlands. Zu Zeiten der Sowjetunion wussten nur wenige Einheimische, was sich hinter der nüchternen Fassade abspielte. Denn das Intourist-Hotel war damals für zahlungskräftige Touristen aus dem kapitalistischen Westen reserviert.
Dort verkehrten nicht nur Prominente wie der Schah von Persien, Hollywood-Diva Liz Taylor oder der Amerikaner Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betreten hatte. Der KGB, der im 23. Stock eine geheime Abhörzentrale eingerichtet hatte, interessierte sich auch für die weniger bekannten ausländischen Gäste, die mitunter dubiose Geschäfte abwickelten oder Sexabenteuer mit estnischen Prostituierten suchten.
Virtuelles Museum des Sowjet-Tourismus
Als der Schwede Tomas Alexandersson vor zehn Jahren von Stockholm nach Tallinn zog, versetzten ihn Gebäude wie das Hotel Viru in eine Vergangenheit zurück, die er selbst nicht miterlebt hatte. Neugierig fing er an, Antiquariate nach alten Reiseführern zu durchstöbern. Er stieß auf skurrile Bilder und Texte, mit denen er die Geschichte des Tourismus in Estland von 1935 bis zur Unabhängigkeit der Baltenrepublik 1991 rekonstruierte. Auf seiner Website "The Tallinn Collector" hat er ein virtuelles Museum geschaffen, das immer weiter wächst.

Hotel Viru in Tallinn: KGB und Lackbikinis
Auf diesen Fotos tanzen etwa spärlich bekleideten Frauen in schwarzen Lackbikinis und Schnürsandaletten, ganz wie ihre Kolleginnen in der legendären Pariser Nachtbar "Crazy Horse". Das Hotel Viru warb mit dem Foto einer Blondine, die zwischen zwei Saunagängen im Pool plantschte.
Nacktbilder aus der Sauna
"Ich fand es schrill, was Touristen in den Siebziger- oder Achtzigerjahren in Tallinn erleben wollten", meint Alexandersson. "In einem Reiseführer fand ich etwas besonders Lustiges - Nacktbilder von einer Saunaparty. Feiern konnten sie also auch damals!" Manche Besucher seiner Website berichteten ihm, dass sie Verwandte oder Freunde auf den Fotos aus dem Fundus des "Tallinn Collectors" erkannt hätten. "Das stimmte. Nur, diejenigen, die abgebildet waren, hatten keine Ahnung, dass sie in einem Reiseführer gelandet waren."
Immerhin war Estland mit seinen Badeorten an der Ostsee schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Fremdenverkehrsziel. Besucher aus anderen Teilen der Sowjetunion, der das Land 1940 einverleibt worden war, sahen Tallinn in der Nachkriegszeit als "Fenster zum Westen".
Der Charme der Schlaghosen
Stolz zeigen die Tourismusbroschüren Fotomodelle in Schlaghosen, die in den Siebzigern für Mode "made in Tallinn" warben. Touristen aus dem Westen, etwa aus dem benachbarten Finnland, nutzten eine Stippvisite in Estland gern zum günstigen Einkaufen.
Restaurants und Bars der Stadt präsentieren sich auf Fotos aus den Sechzigern oder Siebzigern im typisch nüchternen Innendesign der Zeit. Im Café des Fernsehturms von Tallinn genossen Gäste in den Achtzigerjahren einen Panoramablick über die Stadt, nachdem sie sich auf weißen Schalensesseln mit orangefarbenen Sitzpolstern niedergelassen hatten. In 170 Metern Höhe lockte eine Freiheit, von der man in vielen anderen Städten der Sowjetunion damals nur träumen konnten.