
Stones-Fotos von Terry O'Neill: "Oh Gott, prähistorische Monster"
Musikfoto-Pionier Terry O'Neill "Ohne die Stones ist Mick Jagger nichts!"
Dieses Interview erschien erstmals im Mai 2016. Terry O'Neill starb im November 2019.

Terry O'Neill wurde 1938 in Romford/London geboren. Schon als junger Zeitungsfotograf in den frühen Sechzigerjahren hatte er die Beatles und die Rolling Stones vor der Kamera, später dann auch Queen Elizabeth II, Frank Sinatra, Elvis Presley, Steve McQueen, Elton John, David Bowie, Amy Winehouse - und Faye Dunaway, die er heiratete.
einestages: In den frühen Sechzigerjahren schossen Sie die allerersten Fotos der Rolling Stones. Fühlten Sie sich wie ein Dompteur im Rock'n'Roll-Zirkus?
O'Neill: Ich als Löwenbändiger? Mit den Stones konnte man prima auskommen. Am Anfang waren sie richtig brav, fast unschuldig, und entwickelten das Bad-Boy-Image erst mit der Zeit.
einestages: Wie kam Ihre Zusammenarbeit zustande?
O'Neill: Über die Beatles - die erste Band, die ich je fotografierte, quasi mein Aufwärmtraining für alles, was danach kam. Ich war Zeitungsfotograf in London, der jüngste der ganzen Fleet Street. 1963 bekam ich den Auftrag, diese Newcomer-Band aus Liverpool in den Abbey Road Studios abzulichten. Es waren die Beatles, die dort ihr Debütalbum "Please Please Me" aufnahmen. Als mein Foto am nächsten Tag im "Sunday Dispatch" erschien, rief Andrew Loog Oldham an, Manager der Rolling Stones. Er fragte, ob ich seine Jungs auch mal fotografieren könne.
einestages: Aufregende Zeiten...
O'Neill: Auf jeden Fall. Es war der Beginn der Bandfotografie, wie wir sie heute kennen - und ich war der Pionier. Zuvor gab es nur Sänger mit Begleitbands im Hintergrund. Der Sänger war der Star, nur er wurde fotografiert: Sinatra, Elvis, Bill Haley, Cliff Richard. Die Beatles und die Stones waren die ersten echten Bands. Vier, fünf Musiker auf einem Foto, das war ganz neu. Ich musste mir genau überlegen, wie ich sie in Szene setze.
einestages: Was unterschied die Beatles von den Stones?
O'Neill: Die "Fab Four" kamen mir wie eine Person vor. Alle vier tickten gleich, hatten den gleichen schrägen Humor, waren berechenbar. Ganz anders die Stones: Da hatte ich es mit fünf grundverschiedenen Individuen zu tun. Nicht immer einfach, aber spannend. Sie genossen die Aufmerksamkeit, fühlten sich wichtig, wie Stars - obwohl sie ja noch keine waren.
Fotos: Terry O'Neill - die Parade der Stars
einestages: Und Mick Jagger stand immer im Mittelpunkt?
O'Neill: Keineswegs. Mick hatte damals nichts zu melden. Brian Jones, bei der Bandgründung der Hauptinitiator, war der unumstrittene Boss. Er war ja manisch-depressiv, von total überdreht bis todtraurig. Brian konnte sehr nett und charmant sein, aber auch ruppig und unhöflich. Alles hörte auf sein Kommando. Geändert hat sich das erst 1969, nach Brians Trennung von der Band und seinem tragischem Tod. Erst dann traute sich Mick, das Heft in die Hand zu nehmen.
einestages: Erkannten Sie früh das Star-Potenzial der Gruppe?
O'Neill: Ich war mir da nicht sicher. Als ich meinem Chef die ersten Bandfotos zeigte, meinte er nur: Oh Gott, die sehen ja aus wie prähistorische Monster! Die Stones steckten nicht in adretten Anzügen und hatten wilde Frisuren, für damalige Verhältnisse zumindest. Der uniforme Look der Beatles war eine Marketingidee ihres Managers Brian Epstein. Andrew Oldham, der die Stones managte, ließ seine Jungs tragen, was sie wollten. Er mischte sich nicht ein.
einestages: Haben Sie mit den Stones wild gefeiert?
O'Neill: Ab und zu im "Adlib"-Club am Leicester Square. Die Beatles waren auch fast jeden Abend da, dazu die hübschesten Models der Stadt. Ich habe mich stets kurz nach Mitternacht verabschiedet, die Stones feierten weiter bis früh um fünf. Um die Zeit musste ich schon bald in die Redaktion. Von Drogenexzessen habe ich mich auch ferngehalten, weil ich fit sein musste für meinen Job.
einestages: Wie haben Sie die ersten Charterfolge erlebt?
O'Neill: Natürlich wurde das kräftig begossen. Aber ich erinnere mich auch gut, wie ich mit Mick, Keith, Brian, Bill und Charlie zusammensaß und sie überlegten, was sie wohl in zwei, drei Jahren arbeiten würden, wenn ihre Popkarriere zu Ende ist. Wir amüsierten uns über die Vorstellung, dass Mick noch mit 30 auf der Bühne rumhampeln und ich ihn dabei fotografieren würde.
Breaking Stones 1963-1965: Eine Band auf der Schwelle zum Weltruhm
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02.04.2023 08.54 Uhr
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einestages: Waren Sie auch zu Gast in ihrer legendären WG in Chelsea?
O'Neill: Ja, das war eher unerfreulich. Die Bude war total versifft, wie Junggesellen und Rockmusiker eben so hausen. Chaos in jeder Ecke. Das Viertel in Chelsea nennt sich World's End - so sah es auch aus. Mick, Keith und Charlie lebten dort zusammen. Ich ging meist nur hin, um den Jungs meine neuesten Fotoabzüge zu bringen, und sah zu, dass ich schnell wieder weg war.
einestages: In Ihrem Bildband "Breaking Stones 1963 - 1965" wird deutlich, wie nah Sie an der Band dran waren - zu Zeiten, als in Flugzeugen noch geraucht werden durfte...
O'Neill: Ja, ich fotografierte Charlie Watts paffend im Flieger. Oder Mick, wie er in der BBC-Garderobe die Haare gemacht bekommt. Heute sind solche Bilder fast unvorstellbar. Überall wuseln PR-Agenten rum und wollen alles unterbinden. Die Künstler sind ja selten das Problem. Es sind die Wichtigtuer außenrum, die ihr Gehalt irgendwie rechtfertigen müssen. Das nervt - und war auch einer der Gründe, warum ich das Fotografieren vor einigen Jahren aufgegeben habe.
einestages: Die Weltkarriere der Stones konnte keiner voraussehen.
O'Neill: Nein. Wir waren uns sicher, der Traum würde bald platzen. Das änderte sich Mitte der Sechzigerjahre, als ich meinen ersten Auftrag in den USA hatte, kurz vor der "British Invasion". 1964 war ich in Hollywood mit dem Tänzer und Schauspieler Fred Astaire zum Fototermin verabredet. Er löcherte mich mit Fragen zu all den neuen britischen Künstlern, den Beatles, Twiggy, Jean Shrimpton und eben den Stones. Da wurde mir klar: Wenn sich ein Weltstar wie Astaire brennend für die interessiert, dann muss an denen auch was dran sein.
einestages: Haben Sie heute noch Kontakt zu den Rolling Stones?
O'Neill: Bill Wyman treffe ich regelmäßig. Er hat gerade die Londoner Ausstellung "Exhibitionism" über die Bandgeschichte zusammengestellt. Leider geht es ihm nicht so gut, er hat Prostatakrebs. Charlie und Keith sehe ich auch noch, aber seltener.
einestages: Und Mick Jagger?
O'Neill: Kaum. Mick hat sich mit der Zeit extrem verändert. Er ist nur noch am Geld interessiert, an seinen Aktien und Beteiligungen. Er ist überambitioniert, will auf jedem Gebiet der Größte sein - aber floppt jedes Mal fürchterlich, ob als Solosänger oder Schauspieler. Ohne die Stones ist Mick nichts!
einestages: Beim historischen Kuba-Konzert waren Sie kürzlich nicht dabei?
O'Neill: Das habe ich im Fernsehen gesehen und mich an unsere Anfangstage erinnert. Wahnsinn! War ein langer, steiler Weg. Die neueren Stones-Songs gefallen mir nicht besonders. Ich mochte ihren frühen, stark vom Blues beeinflussten Sound lieber.
einestages: Haben Sie Ihre alten Kameras alle aufbewahrt?
O'Neill: Nein, ich bin kein Sammlertyp - und ich hasse Kameras.
einestages: Wie, Sie hassen Kameras?
O'Neill: Weil sie mir ständig im Weg sind. Meine Fotos entstehen im Kopf. Die Kamera ist für mich ein notwendiges Übel, um die Motive festzuhalten. Heute besitze ich nur noch eine kleine Leica für den Privatgebrauch. Meine Fotokarriere habe ich nach einem Shooting mit der großartigen Amy Winehouse beendet. Es gibt einfach keine interessanten Talente mehr.
einestages: Apropos Talente: Mit David Bowie haben Sie auch oft gearbeitet.
O'Neill: Und das sehr gern. Ich habe ihn gleich Ende der Sechzigerjahre kennengelernt, war viel mit ihm unterwegs und habe ihn in Amerika einmal mit Liz Taylor fotografiert. Ein sehr angenehmer, interessanter, kultivierter Zeitgenosse. Bowie hatte stets eine klare Vision, was er wollte, war dabei aber easy going. Ich war fasziniert von seinen Ideen und seiner Fantasie, auch wenn ich seine Stimme nicht mochte.
einestages: Ihr Porträt wurde Vorlage für das "Diamond Dogs"-Cover...
O'Neill: Das war 1974. Ich brachte eine Riesendogge mit ins Studio und fotografierte Bowie mit ihr. Ein Motiv zeigt ihn auf allen Vieren, wie ein Hund. Dieses Bild hat der belgische Künstler Guy Peellaert fürs Plattencover bearbeitet. Davids Tod hat mich schockiert. Als Hommage veröffentliche ich im September einen großen Bildband mit seinen besten Fotos.

Faye Dunaway am Pool
Foto: Terry ONeill / Iconic Imageseinestages: Wie kam es zum berühmten Motiv von Faye Dunaway samt Oscar am Pool?
O'Neill: Ich hatte 1977 den Auftrag, Faye für das US-Magazin "People" zur Oscar-Verleihung zu begleiten. Keiner konnte ahnen, dass sie gewinnen würde. Nach durchfeierter Nacht sind wir im Beverly Hills Hotel gelandet. Im Morgengrauen kam mir die Idee zum Pool-Foto: Der Oscar auf dem Tisch, überall verstreute Zeitungen, und sie sitzt da erschöpft und gedankenverloren, mit melancholischem Blick - als sei ihr noch gar nicht bewusst, wie drastisch sich ihr Leben nun verändern würde.
einestages: Später haben Sie Faye Dunaway geheiratet.
O'Neill: Wir waren sehr verliebt. Aber letztlich hat die Beziehung nicht funktioniert. Der Hollywood-Glamour, der eine Filmdiva umgibt, ging mir bald auf den Geist. Überall beobachtet und fotografiert zu werden, bedeutet totalen Verlust der Privatsphäre, unerträglich. Ich habe Hollywood dafür gehasst.
einestages: Und wie war es, Queen Elizabeth II. zu fotografieren?
O'Neill: Die größte Ehre! Es war das einzige Mal, dass ich vor einem Job nervös war. Ich stellte mir immer wieder vor, was alles schieflaufen könnte. Aber meine Nervosität war unbegründet. Die Queen ist eine bemerkenswerte Person, einfach großartig. Sie hat das Talent, dass man sich sofort wohl und sicher fühlt, sobald sie den Raum betritt. Ich habe sie dreimal fotografiert, in Windsor, Sandringham und im Buckingham Palace. Am schönsten war es, wenn sie ihre geliebten Corgis um sich hatte.
einestages: Mit welchen Künstler war die Zusammenarbeit am spannendsten?
O'Neill: Mit dem "Chairman of the Board" - Frank Sinatra. Ab 1967 durfte ich ihn 30 Jahre lang begleiten. Seine Frau Ava Gardner kannte ich aus Hollywood, sie hat uns vorgestellt. Eine unvergessliche Zeit. Sinatra war für mich der Größte, als Künstler und als Mensch. Wir haben den einen oder anderen Whisky miteinander getrunken, ich mochte seinen trockenen Humor. Aber ich habe mich nie bei ihm angebiedert. Professionelle Distanz zu wahren, war mir immer wichtig.