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Die Erfindung des Massentourismus: Und jetzt alle: Reisen!

Foto: Thomas Cook Archive

Die Erfindung des Massentourismus Und jetzt alle: Reisen!

Es begann mit Gemeinschaftsausflügen mit der Eisenbahn und mündete in einem der größten Touristikunternehmen der Welt: 1841 erfand der Brite Thomas Cook den Massentourismus. Und zwar eher zufällig - denn eigentlich hatte er nur dem Alkohol den Kampf angesagt.

Es ist eine fidele Truppe, die sich am Montag, dem 5. Juli 1841, von der Campbell Street Station auf den Weg macht. Alkohol ist auf der Bahnreise von Leicester ins nahe Loughborough jedoch streng verboten. Denn sowohl der Organisator des Ausflugs als auch seine mehr als 500 Mitreisenden sind kämpferische Abstinenzler. Statt Gin sorgen also Stullen, Tee und eine Blaskapelle für Stimmung.

Für je einen Schilling hat der Baptistenprediger Thomas Cook die Tickets für die Fahrt in den offenen Wagen der Midland Counties Railway verkauft. Auf Reklamezetteln hat er für seine Landpartie geworben: Es geht zu einer Demonstration gegen den Alkohol. "Das Ereignis sorgte für große Begeisterung", notiert die Zeitung "Derbyshire Times and Chesterfield Herald". Die Kurzreise wird als die Geburtsstunde des Massentourismus in die Geschichtsbücher eingehen.

"Cook hat die vorhandenen Möglichkeiten extrem clever genutzt", urteilt Rüdiger Hachtmann vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Das neue Transportmittel Eisenbahn sei ideal gewesen, um das Bedürfnis nach Mobilität in der britischen Gesellschaft zu einem Massenphänomen zu machen. Die Zeit war reif für organisierte Ausflüge großen Stils: "Wenn Cook es nicht getan hätte, dann ein anderer."

Schon einige Jahre nach dem ersten Ausflug karrt Cook seine Gäste auf den europäischen Kontinent, nach Nordamerika und nach Ägypten. Doch der Firmengründer tritt zunächst nicht als Tourismuspionier auf, sondern als Mann mit einer Mission: Der Enkelsohn eines Pastors, von der Mutter als Einzelkind aufgezogen, hat sein Leben dem Kampf gegen den Alkohol verschrieben. Als Gärtnerjunge und Tischlerlehrling mit alkoholkranken Chefs hat Cook die zerstörerische Kraft des Fusels bereits in seiner Jugend kennengelernt.

Weite Teile der unteren gesellschaftlichen Schichten im britischen Königreich sind damals berauschenden Getränken verfallen. Gigantische Mengen an Gin überfluten das Land; niedrige Steuern und zahllose Kneipen helfen dabei. Die sogenannte Gin-Epidemie hat ihren Höhepunkt zwar schon im 18. Jahrhundert erreicht. Aber noch immer treiben Armut und Elend die Massen in die Schankhäuser.

Das beschreibt beispielsweise Charles Dickens in seiner Erzählung "Gin-Shops" aus den "Sketches by Boz" - die mit einer üblen Prügelei endet. Der Karikaturist George Cruikshank wiederum zeigt in seiner Bilderfolge "The Bottle", wie der Alkohol sogar bürgerlichen Familien zusetzt.

Die sogenannte Temperanzbewegung versucht, dieser Verrohung der Sitten entgegenzutreten, und Thomas Cook stellt sich mit voller Kraft in den Dienst der guten Sache. Er zieht als Missionar über Land, druckt und verlegt Pamphlete und Zeitschriften, gibt gar in zwei "Temperance Hotels" reisenden Abstinenzlern Quartier.

Ins Reisegeschäft gerät Cook nach dem Loughborough-Trip eher nebenbei. Nach weiteren Ausflügen für Anti-Alkohol-Aktivisten und Sonntagsschulen veranstaltet der umtriebige Organisator im Jahr 1845 seine ersten eigenen Fahrten, mit dem Zug nach Liverpool.

Doch die Geschäfte gehen nur mühsam. Schon 1846 muss Cook Bankrott anmelden - allerdings kommt er schnell wieder auf die Beine. Nach und nach nimmt er sich ambitioniertere Projekte vor. Cook unternimmt regelmäßige Schottland-Touren und beschert später der Weltausstellung in London einen stetigen Besucherstrom; insgesamt 165.000 Gäste lotst er per Bahn in den Hyde Park. Zu Vorzugspreisen, versteht sich.

Klettern in den Alpen, Bildungsexkursionen zu den Stätten der klassischen Antike - lange Zeit war Reisen nur etwas für Britanniens Aristokraten. Cooks Gäste stammen dagegen aus der Mittelschicht. Sie erleben minutiös geplante Fahrten durch ihr Heimatland. Der Reiseunternehmer verhandelt mit den Eisenbahngesellschaften und schließt Verträge mit Hoteliers. Die Kunden erhalten eine detaillierte Reisedokumentation - der Drucker und Verleger Cook kennt sich mit dem Verfassen von Texten aus.

Ab 1855 nimmt Cook auch das europäische Festland ins Programm: Paris, Straßburg, Brüssel, Köln, das Rheintal. Sein System macht Reisen unkompliziert, später auch in Amerika und Ägypten - Unterkünfte sind gebucht, Mahlzeiten bezahlt. Viele Innovationen werden Cook zugeschrieben: Coupons, die gegen Hotelübernachtungen oder Restaurantbesuche eingetauscht werden können, Reiseschecks ("circular notes"), die in der Fremde den Stress mit dem Währungstausch wegfallen lassen.

Doch ist Cook wirklich der Schöpfer des Massentourismus? "Es ist eine großartige Geschichte, aber sie stimmt nicht", sagt John Walton. Der britische Historiker forscht an der Universität des Baskenlandes in Vitoria-Gasteiz. Er sagt: "Cook hat nur kopiert, was andere gemacht haben." Ausflüge mit der Eisenbahn habe es schon vorher gegeben, das Konzept der Pauschalreise ebenfalls.

Nur kennt keiner mehr Cooks damalige Konkurrenten wie Joseph Crisp oder Henry Gaze. Das liegt auch daran, dass Cook, der Selfmademan aus einfachsten Verhältnissen, nach seinem Tod gezielt hochstilisiert wurde - unter tüchtiger Mithilfe der von ihm gegründeten Firma. Die Archive des Unternehmens im britischen Peterborough existieren bis heute. Anhand der dort lagernden Dokumente lässt sich auch der weitere Aufstieg Cooks verfolgen - und sein tristes Ende.

Im April 1865 expandiert er nach London. Im Haus No. 98 Fleet Street eröffnet das Unternehmen eine Filiale. Einige Jahre später bezieht die Firma ein repräsentatives Büro am nahen Ludgate Circus. Statthalter in der Hauptstadt wird Sohn John Mason Cook. Nach und nach verschiebt sich die Machtbalance im Familienunternehmen: vom ländlichen Leicester ins boomende London, vom idealistischen Patriarchen zum geschäftstüchtigen Filius.

"Thomas Cook and Son" steht mittlerweile auf dem Firmenschild. Da erfüllt sich der Senior im Alter von 63 Jahren noch einmal einen langgehegten Traum: Im Jahr 1872 lotst er als Cheforganisator eine kleine Reisegruppe einmal um die Erde. Der neunköpfige Trupp legt in 222 Tagen mehr als 40.000 Kilometer zurück: mit dem Dampfer über den Atlantik, per Kutsche durch Amerika, nach Japan, China und schließlich durch den neueröffneten Suez-Kanal wieder nach Hause auf die Insel.

Unter John Mason Cooks Leitung vergrößert sich das Unternehmen. Doch immer häufiger kommt es zum Streit zwischen Vater und Sohn; 1879 drängt der Junior den verbitterten Alten schließlich aus der Firma. Thomas Cook zieht mit einer monatlichen Pension zurück in die heimische Provinz von Leicestershire. John Mason Cook erweitert ins Ausland, verkauft Millionen von Tickets, befördert Post in Ägypten, schippert britische Truppen in die Welt.

Der Cook-Konzern hat nicht mehr viel mit dem idealistisch gestarteten Betrieb zu tun. Langsam erblindet Thomas Cook in seinem ländlichen Exil, wo er am 18. Juli 1892 nach einem Schlaganfall stirbt. "Er verdankte seinen Erfolg im Leben allein seinem unbezwingbaren Mut und seiner Energie auch unter den widrigsten Bedingungen", schreibt die "Derbyshire Times and Chesterfield Herald" in ihrem Nachruf.

Der Sohn überlebt seinen Vater nur um sieben Jahre. John Mason Cooks Söhne verkaufen das Familienunternehmen schließlich 1928 an die Betreiber des Orient-Express. 87 Jahre nach der historischen Tour nach Loughborough verliert das Cook-Imperium seine Eigenständigkeit.

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