
Tierschutz in Deutschland Hitler wurde Vegetarier, ich nicht
Mit elf Jahren hörte ich in den Heimabenden des Deutschen Jungvolks, dass der "Führer" Vegetarier sei. Auch wenn er uns auf allen Gebieten Vorbild sein sollte - dies veranlasste mich nicht zur Nachahmung. Obwohl ich mich selbst seit jeher als Tierschützer betrachte und fühle, esse ich von Kindesbeinen an auch gern Fleisch. Nur hin und wieder hatte ich Aversionen gegenüber dem Verspeisen bestimmter Tierarten.
So hatte meine kindliche Freude über das Osterfest ihre Schattenseiten: Für den alljährlichen Festbraten wurden Ziegenlämmer geschlachtet. Eigentlich musste ich als Kind alles, was auf den Tisch kam, essen. Das Ziegenlammfleisch schmeckte mir aber gar nicht, weil ich während des Essens immerfort an die quirligen und lebensfrohen Zicklein dachte, mit denen ich kurz zuvor noch gespielt hatte.
Schockiert war ich auch, wenn ich beim Kaninchenschlachten zusah oder mithelfen musste. Oft verging mir der Appetit, vor allem, wenn es Tiere waren, die ich selbst aufgezogen und gepflegt hatte. Mein Opa hielt die Kaninchen an den Hinterbeinen fest und betäubte sie mit einem gezielten Schlag auf den Hinterkopf. Er machte das sehr gekonnt, bei Nachbarn sah ich aber, dass die Tiere durch falsche Handhabung manchmal regelrecht zu Tode gequält wurden.
Nie wieder Lammfleisch
Die Betäubungsmethode beschäftigte mich sehr und ich erinnere mich an die Worte meines Opas: "Im Mittelalter, als es noch keine Narkosemittel gab, wurden die Menschen durch Schläge auf den Kopf bewusstlos gemacht, damit sie schmerzhafte Operationen nicht spürten. Darum müssen die Kaninchen sofort abgestochen werden, damit sie durch den Blutverlust schnell tot sind."
All diese Erlebnisse veranlassten mich 1953, als Student der Veterinärmedizin, eine kleine bebilderte Broschüre über das artgerechte Kaninchenschlachten zu schreiben. Die Chefköchin vom Hotel Astoria in Leipzig ergänzte die Publikation mit einigen Kochrezepten für Kaninchenfleisch.
Als Erwachsener entschied ich selbst über meinen Speiseplan, ich aß zum Beispiel, eingedenk der Kindheitserinnerungen, kein Ziegenlammfleisch mehr. Beim weihnachtlichen Gänsebraten hatte ich übrigens nie Gewissensbisse, denn zu diesen Tieren hatte ich keine innere Bindung.
"Du sollst nicht töten"
Beim Schlachten hatte ich oft die Angst in den Augen der Tiere gesehen - bestimmt spürten sie, dass etwas Schlimmes mit ihnen geschah. Ich fand es grausam, wenn den Hühnern der Kopf abgehackt wurde und das Blut auf Körner spritzte, die von anderen Hühnern aufgepickt wurden. Meine kindliche Frage, ob das mit Kannibalismus zu vergleichen sei, wurde mit dem lapidaren Hinweis abgetan, Hühner seien dumm, sie dächten nur ans Fressen. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt.
Erst in späteren Jahren erfuhr ich, dass es im "Dritten Reich" ein recht gutes Tierschutzgesetz gegeben hatte, ein Antagonismus zu den bekannten Grausamkeiten, die gegenüber nicht arischen (besonders Juden) und behinderten Menschen zugelassen wurden. Von dem Begriff Tierschutz und den Verordnungen dazu wussten die Menschen in der Landwirtschaft, wo auch ich aufwuchs, wenig, denn ich erinnere mich nicht, während meiner Kindheit je etwas darüber gehört zu haben.
Als etwa Achtjähriger fragte ich meinen Großvater, der viel in der Bibel las: "Warum gilt eigentlich das göttliche Gebot 'Du sollst nicht töten' nicht gegenüber Tieren?" Ich erhielt trotz vieler Erklärungen nur eine unkonkrete Antwort. Er sprach über Opfertiere in verschiedenen Religionen, Bräuche, die im Christentum abgelehnt würden und meinte, wenn es um Nahrungsbeschaffung gehe, müssten andere Maßstäbe angelegt werden.
Zwei-Klassen-Tierschutz
Den Begriff Tierschutz hörte ich erstmals Ende der vierziger Jahre in der DDR-Oberschule, und zwar im Musikunterricht. Unser Musiklehrer erzählte uns, dass der Komponist Richard Wagner ein Tierschützer gewesen sei, der gegen die im Kaiserreich fast uneingeschränkt erlaubten Tierversuche und gegen Tierquälerei Front gemacht hatte, was mich sehr beeindruckte.
Einige Bestimmungen des in Nazi-Deutschland wegweisenden Tierschutzgesetzes blieben auch in den Anfangsjahren der DDR und in der Bundesrepublik rechtsverbindlich. Ein eigenes Tierschutzgesetz gab es in der DDR jedoch nicht, staatliche Vorgaben musste aus verschiedenen Gesetzen, ab 1962 vor allem aus einem recht fortschrittlichen Veterinärgesetz abgeleitet werden.
Für mich gehörte Tierschutz zum Alltag, als Kind hatte ich immer wieder Sätze zu hören bekommen wie: "Unsere Haustiere müssen gut gehalten und gepflegt und dürfen nicht gequält werden. Sie ernähren uns, schützen uns und machen uns Freude. Ich erfuhr aber auch, dass es in der DDR zwei Klassen von Haustieren gab.
Heimliche Taubenvergiftungsaktionen
Der vorrangige Schutz galt der ersten Klasse, den Nutztieren. Diese sollten so gehalten werden, dass möglichst schnell viel Fleisch produziert werden konnte, denn mit billigen Fleisch- und Wurstwaren wollte man eine Überlegenheit gegenüber dem Westen demonstrieren. Ihr höchster Tierschutzstatus schützte die Nutztiere deshalb nicht vor Massentierhaltung, Rinder beispielsweise nicht vor der Unterbringung in ungeeigneten Offenställen, Sauen nicht vor dem qualvollen Anbinden, Schweinen und Geflügel nicht vor der Käfighaltung. Die zweite Klasse bildeten die Haus- und Heimtiere - Hunde, Katzen und alle anderen, die keinen wirtschaftlichen Nutzen brachten und infolgedessen einen geringeren Schutzstatus genossen.
Ein Drittel der Zeit meines Berufslebens arbeitete ich als leitender Tierarzt in Schlachthöfen der DDR. Nicht vergessen kann ich bis heute, dass es mir immer schwerfiel, den angelieferten Tieren in die Augen zu schauen. Wenn ich auf dem Viehhof die ängstlichen Blicke der Rinder und Schweine sah, entschuldigte ich mich still und heimlich bei ihnen, dass ich ihre Schlachtung nicht abwenden konnte und versprach, mich für ihre schmerzarme Tötung einzusetzen.
Nicht verhindern konnte ich, selbst als leitender Tierarzt, die staatlich legitimierte Vergiftung von Tauben. Solche Aktionen wurden immer mal wieder durchgeführt, wenn die Vögel in den Städten überhand nahmen - meist heimlich, verborgen vor den Blicken der Bevölkerung und unerwähnt in der unfreien Presse.
Gewinnsucht dominiert
Inzwischen bin ich achtzig Jahre alt und habe die unterschiedlichen Sichtweisen zum Tierschutz erlebt - im "Dritten Reich", in der DDR und nach der Wende in der Bundesrepublik. Wenn heute enttäuschte Menschen zu mir sagen: "Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere", erwidere ich ihnen: "Ich kenne die Tiere und weiß, wir lieben sie häufig in sehr egoistischer Weise. Sie müssen sich vor uns fürchten, denn wir praktizieren unsere Überlegenheit." Im Umgang mit Tieren wurde mir bewusst, dass kein Gesetz und keine Aufklärungsmaßnahme soviel Einfluss auf das Verhalten der Menschen besitzen wie Weltanschauungen, Traditionen und Gewinnstreben.
Selbst in der Bundesrepublik werden überdimensionale Tieranlagen geplant, wenn auch erfreulicherweise häufig nach erfolgreichen Bürgerprotesten nicht realisiert. In der DDR hatte es keine Tierschutzvereine gegeben, teilweise waren deren Aufgaben von staatlich gelenkten Tierschutzkommissionen übernommen wurden.
1991 wurde ich selbst Vorsitzender eines neu gegründeten Tierschutzvereins in Erfurt. Die Erfahrungen, die ich seit meiner Kindheit gesammelt hatte, konnte ich nun einbringen. In vielen Fällen gelang es dem Verein, artgerechte Tierhaltung durchzusetzen, Tierquälereien aufzudecken oder auch, die Vermehrung frei lebenden Katzen in der Stadt zu steuern. Für mich war das ein besonderes Anliegen, denn als Kind hatte ich zu oft miterlebt, wie überzählige neugeborene Katzen getötet wurden.