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Tod von Karl-Heinz Kurras: Täter ohne Reue

Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Kunstbibliothek, SMB / Bernard Larsson

Tod des Ohnesorg-Schützen Kurras Ein Schuss, viele Fragen

Mit der Tötung Benno Ohnesorgs befeuerte der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras die Revolte von 1968. Die wichtigsten Geheimnisse nahm der schillernde Stasi-Spion mit ins Grab.

Der alte Mann reagierte trotzig, störrisch, verhedderte sich in Widersprüchen: An Christi Himmelfahrt 2009 richteten sich zum zweiten Mal in seinem Leben die Scheinwerfer auf den 81-Jährigen. Tagelang wurde der unscheinbare, von roten Metallbalkonen gesäumte Plattenbau im Berliner Bezirk Spandau von Fernsehteams belagert, auf die Fragen der Journalisten gab Karl-Heinz Kurras ständig andere Antworten. "Ich war kein Stasi-Mitarbeiter", erzählte er der "B.Z.", dem Fernsehsender N24 gegenüber prahlte er: "Ich war ja nicht nur einfacher Mitarbeiter. Ich war auch noch Major."

Was war passiert? Recherchen der Historiker Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs hatten für eine Sensation gesorgt: Der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, war jahrelang als Stasi-Spion tätig gewesen. Die Enthüllung löste ein politisch-ideologisches Erdbeben aus, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" beschwor gar einen "Hysterikerstreit".

Der Mann, den die studentische Linke damals als Paradebeispiel des autoritären Deutschen gegeißelt hatte, als typischen Vertreter der repressiven Bundesrepublik, war in Wahrheit ein Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR. Der vermeintliche "Faschobulle" ein strammer Kommunist? Eine Katastrophe für viele Altlinke: Mit einem Schlag waren die Anhänger der Studentenbewegung von einst um eines ihrer prominentesten Feindbilder gebracht worden.

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Tod von Karl-Heinz Kurras: Täter ohne Reue

Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Kunstbibliothek, SMB / Bernard Larsson

Doch wer verbarg sich wirklich hinter dem Mann, der mit einem Schuss traurige Berühmtheit erlangte, als er den Studenten Benno Ohnesorg erschoss? Die Frage wird niemals abschließend zu beantworten sein: Karl-Heinz Kurras ist tot. Schon am 16. Dezember vergangenen Jahres starb der ehemalige Top-Spion in einem Spandauer Krankenhaus, am 15. Januar 2015 wurde er anonym bestattet. Und ließ die entscheidende Antwort auf eine der meistdiskutierten Fragen der Zeitgeschichte unbeantwortet zurück: Warum musste Benno Ohnesorg sterben?

Romanistik-Student und werdender Vater

Der Schuss fiel am 2. Juni 1967, einem Freitag, gegen 20.30 Uhr. Ohnesorg, 26 Jahre alt, Romanistik-Student und werdender Vater, demonstrierte wie viele Hundert andere Menschen gegen den Besuch des persischen Schahs. Mit Knüppeln trieben die Polizisten die Demonstranten an der Deutschen Oper in Berlin-Charlottenburg auseinander. Auf einem rund 100 Meter entfernten Innenhof schoss Kurras in Zivilkleidung dem unbewaffneten Ohnesorg aus kurzer Distanz von hinten in den Kopf.

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Die tödliche Kugel auf Ohnesorg sollte die Bundesrepublik für immer verändern: Die Studentenbewegung erhielt rasenden Zuwachs - und radikalisierte sich. Bis heute gilt der Schuss als Initialzündung für die Gründung der Terrorgruppe "Bewegung 2. Juni" und der RAF. Die Situation in Westdeutschland eskalierte - was der SED-Führung im Osten nur recht sein konnte.

Daraus jedoch zu schließen, dass Kurras im Auftrag der Stasi schoss, ist zweifelhaft, für die Hypothese vom "Auftragsmord" findet sich kein Aktenmaterial. Der in Westberlin beim Staatsschutz beschäftigte Spitzel, Stasi-Deckname "Otto Bohl", war viel zu wichtig, als dass er seine Tätigkeit durch eine so riskante Aktion aufs Spiel hätte setzen dürfen.

"Sehr verliebt in Waffen"

Auch sein Führungsoffizier Werner Eiserbeck stand vor einem Rätsel: "Es ist zur Zeit noch schwer zu verstehen, wie dieser GM (geheimer Mitarbeiter, Anm. d. Red.) eine solche Handlung, auch wenn im Affekt oder durch Fahrlässigkeit hervorgerufen, begehen konnte, da sie doch ein Verbrechen darstellt", hieß es in einem sechs Tage nach der Tat verfassten Bericht Eiserbecks.

Am 9. Juni 1967 entschied das Ministerium für Staatssicherheit: "Die Verbindung zum IM wird vorläufig abgebrochen." Der Osten ließ Kurras fallen wie eine heiße Kartoffel, wie die Studentenbewegung im Westen geißelten auch die DDR-Medien den Todesschützen als "Mörder" und Vertreter einer autoritär-faschistoiden Bundesrepublik.

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Auch wenn er nicht im direkten Auftrag handelte, so ist es möglich, dass sich Kurras eigenverantwortlich dazu entschloss, im Sinne der Staatssicherheit zu handeln - mit dem Ziel, die BRD zu destabilisieren. Dass er ein Waffennarr war, der zu Gewalt neigte, ist hinreichend bekannt: 1946 war Kurras von den sowjetischen Besatzungsbehörden wegen Waffenbesitzes inhaftiert worden, einen Großteil seines Agentenlohns gab er für Schusswaffen und Munition aus. Auch ein Stasi-Dossier vom 8. und 9. Juni 1967 beschreibt ihn als "sehr verliebt in Waffen" sowie geprägt von einem "übermäßigen Hang zum Uniformtragen".

"Wer mich angreift, wird vernichtet"

Den wahren Beweggrund für den Mord an Ohnesorg hat Kurras mit ins Grab genommen. Auch die Frage, warum seine Stasi-Tätigkeit erst 2009, also 42 Jahre nach dem tödlichen Schuss, enthüllt wurde, bleibt offen. Ganze 17 Aktenordner hinterließ Kurras' Agententätigkeit für die Staatssicherheit - unbeachtet dümpelten die brisanten Dokumente seit dem Ende der DDR in der Birthler-Behörde vor sich hin.

Immerhin ein Rätsel rund um das Mysterium des Karl-Heinz Kurras ist mittlerweile restlos geklärt: Die Frage, warum Kurras trotz erdrückender Beweislast nie für seine Tat verurteilt und in zwei Instanzen freigesprochen wurde. 2012 rollten Ermittler den Fall neu auf - und fanden Schockierendes heraus: Systematisch vertuschte die Berliner Polizei Indizien für den Mord an Ohnesorg. Als "Verschleierungsaktion, die heute unfassbar erscheint", beschrieb der SPIEGEL die Verschwörung der Polizei.

So behauptete etwa Einsatzleiter Helmut Starke, seinen Mitarbeiter Kurras am Tatort gar nicht gesehen zu haben. Ein Foto vom 2. Juni 1967 zeigt Starke im Blitzlichtgewitter der Fotografen, hinter ihm der sterbende Ohnesorg. Erst 2012 kam heraus, dass die Aufnahme beschnitten war: Auf dem Ursprungsfoto steht ganz links, am Bildrand - ein äußerlich seelenruhiger Karl-Heinz Kurras. Wichtige Zeugen blieben damals ungehört.

Reue zeigte der ehemalige Polizist und Stasi-Spion Kurras nach seiner Tat nicht. In einem Interview mit dem "Stern" sagte er noch 2007: "Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur einmal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So ist das zu sehen."

Kurras' Schüsse auf Ohnesorg - Hintergründe zum Thema
Foto: STR/ AP

Der Fall Kurras: Ein Schuss, der Deutschland veränderte

Es war der Zündfunke für die Radikalisierung: Am 2. Juni 1967 wurde Benno Ohnesorg vom Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Erst 2009 stellte sich heraus, dass Kurras jahrelang für die Stasi spitzelte, als "Otto Bohl".

Fall Kurras: Der Staatsschützer und der Stasi-Friseur

2012 ergaben Auswertungen von Protokollen überraschende Einblicke in das Leben der am Tod von Benno Ohnesorg Beteiligten. Ein Friseur lieferte erschreckende Informationen über einen rabiaten Vorgesetzten des Todesschützen Kurras.

Foto: DER SPIEGEL

Trickreicher DDR-Spion Kurras: Der Thriller seines Lebens  

Der Fall Karl-Heinz Kurras war ein deutsch-deutscher Agentenkrimi. Dreist und kaltblütig täuschte der Ohnesorg-Todesschütze als DDR-Spion seine eigenen Polizeikollegen: Sie suchten jahrelang ohne Erfolg nach der undichten Stelle, dabei waren sie ihm durchaus dicht auf der Spur.

Foto: Muri Eren

Stasi im Westen: Die ausgespitzelte Republik  

Als die Stasi-Aktivitäten Karl-Heinz Kurras' 2009 publik wurden, warf dies nicht nur neue Fragen zu den Motiven des Ohnesorg-Schützen auf. Die Entdeckung verdeutlichte zugleich das Ausmaß, in dem das Ministerium für Staatssicherheit bundesdeutsche Schlüsselpositionen mit seinen Leuten besetzte.

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