
Transsexuellen-Ikone Romy Haag "Ich wollte nie ein Freak sein, ich wollte Respekt"
- • Treffen mit David Bowie: "Ziggy Stardust veränderte mein Leben"
- • Iran 1971: Als der Schah zur größten Party auf Erden lud
Männer sind schon merkwürdige Geschöpfe: Der eine, ein großer französischer Chansonnier von kleinem Wuchs, bucht Romy Haag in den Sechzigerjahren für eine Liebesnacht. Er blättert 10.000 Francs hin - und legt im entscheidenden Moment seine eigene Musik auf, um in Fahrt zu kommen.
Der andere, ein britischer Superstar, ruft 1976 mitten in der Nacht seine Plattenfirma an. Er besteht darauf, dass man augenblicklich seine Schallplatten in Romy Haags Wohnung bringt, weil sie nur Supertramp und Queen im Schrank stehen hat. Sein Name: David Bowie. Einer, über den Romy eigentlich kein Wort verlieren möchte. Es dann aber doch kurz tut.
"Eitel wie alle. Ein Mann eben", sagt Deutschlands wohl bekannteste Transsexuelle, lacht in sonorer Bariton-Lage und nippt am Aperol Spritz, der in der gleichen Farbe leuchtet wie ihr Haar. Romy Haag - Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin, Sich-Immer-Wieder-Neu-Erfinderin - hat zum Interview ins Berliner Café Grosz gebeten: ein nobler Belle-Époque-Laden direkt am Ku'damm, gleich neben Versace und Cartier. Der perfekte Ort für Diven vom Schlage der 69-jährigen, perfekt gestylten Diseuse, die auch im Schatten des Innenhofs ihre große Sonnenbrille nicht absetzt.
Und doch sieht man, wie sich ihre Augen verengen, sobald sie auf ihre Romanze mit Bowie in den Siebzigerjahren angesprochen wird. "Für mich war die Beziehung ein Segen und Fluch, danach interessierte sich niemand mehr für mich", sagt Haag mit rauchiger Stimme und sanftem niederländischen Akzent.
Geschlagen, ausgelacht, missbraucht
Aus Talkshows sei sie ausgeladen worden, weil sie nicht über den "Starman" sprechen wollte. Als Bowie 2016 starb, hätten Hunderte von Journalisten sie sprechen wollen - kaum einer fragte nach Haag persönlich. Dabei verlief ihr Leben, ihr Streben nach Freiheit und Anerkennung, doch mindestens genauso dramatisch.
Edouard Frans Verbaarsschott, 1948 in Scheveningen geboren, stellte früh fest, im falschen Körper zu stecken. Der Vater schlug den hübschen, schüchternen Eduard und schleifte ihn auf den Fußballplatz, um einen Mann aus ihm zu machen. Vergebens: Der Junge fühlte sich als Mädchen, ausgelacht von Mitschülern, missbraucht von einem katholischen Priester ebenso wie von einer Nachbarin - ausgerechnet jener Frau, der sich das Kind in seiner Not anvertraut hatte.
"Wenn die Wunden längst verheilt sind, tun die Narben weh, du brauchst ein ganzes Leben, um die Kindheit zu verstehen", lautet der Refrain aus Romy Haags vielleicht schönstem Lied "Meine blaue Gitarre".
"Meine blaue Gitarre", live 2013:
Mit zwölf brannte Edouard erstmals durch, Richtung Paris, um die legendäre Coccinelle zu sehen, eine transsexuelle französische Entertainerin. Edouard legte die alte Identität ab, ließ sich Hormone spritzen und erfand sich neu: als Schönheitstänzerin Romy Haag. Wunderschön, verrucht, männlich nur noch zwischen den Beinen - eine geschlechtsangleichende Operation ließ Romy Haag erst mit Mitte 30 vornehmen.
Ein Beutel Edelsteine als Liebeslohn
Die niederländische Exotin verdrehte in den Sechzigern halb Paris den Kopf. Als Star der Nachtclubs "Alcazar" und "Carousel" bezauberte sie Prinzen und Schauspieler, modelte für Dior, doubelte Claudia Cardinale. Und beglückte am Rande einer Gruppensex-Party den Schah von Persien - der habe sie, wie Haag in ihrer Autobiografie schreibt, mit einem Samtbeutel voller Edelsteine entlohnt.
Die Nachtklub-Schönheit, allseits bewundert, ständig auf der Hut: In Frankreich war es damals verboten, als Frau auf die Straße zu gehen, wenn man, rein juristisch, ein Mann war. Und da Transsexuelle kein USA-Visum bekamen, musste die Entertainerin erst mit dem Botschaftsmitarbeiter schlafen.
"Ich wollte nie ein Freak sein, ich wollte Respekt" - nach diesem Motto führte Romy Haag ihr Leben. Ein "Walk on the Wild Side", bei dem sich Party an Demütigung, Glamour an Gosse reihte.
Grace Jones wirft mit Aschenbechern
Als Romy Haag 1974 aus dem Showbiz-Mekka New York nach West-Berlin zog, traute sie ihren Augen nicht:
"Hier war nichts los, kein einziger Nachtklub, wo Transsexuelle ordentlich arbeiten konnten, nur Striptease- und Animierläden. Also eröffnete ich selbst einen, mit 7000 Mark Startkapital. Wir lackierten alles schwarz, hängten einen roten Samtvorhang vor eine Art Bühne in der Ecke auf, fertig. Im Eingang war jemand als Papst verkleidet, mit einem Telefonbuch als Bibel und einer Klobürste, mit der er die Zuschauer segnete. Und ich stieg mit einer Spiegelkorsage aus einer Mülltonne und sang den 'Alabama Song': 'Show us the way to the next whiskey bar'. Die Zuhälter, die drauf und dran waren, den Laden zu zerlegen, habe ich eigenhändig rausgeworfen."
Die erste Woche war das "Chez Romy Haag" in Berlin-Schöneberg leer - dann strömten die Menschen in das kleine Etablissement, um das Gesamtkunstwerk Romy Haag zu bestaunen. Studenten und Stricher feierten dort ebenso wie die Stars der Neuen Deutschen Welle.
Ein Taxi fährt zum Romy Haag
Flasche Sekt hundertfünfzig Mark
fürn Westdeutschen, der sein Geld versäuft
Mal sehn, was im Dschungel läuft
Ideal: "Berlin", 1980
Es kamen auch die Stones, Tina Turner und Lou Reed, den keiner erkannte. Grace Jones, die mit Aschenbechern um sich warf, statt ihren Schampus zu bezahlen. Und David Bowie verliebte sich in die schrille Showbiz-Göttin. "Er und ich, wir waren Freunde und Rivalen", erzählte Udo Lindenberg 2016, "es ging um Romy Haag, die damals schönste Frau Berlins, das fanden wir beide."
Die Diseuse steckt sich eine neue Zigarette an. "Da bedurfte es keiner großen Worte", sagt sie. "Wir sahen uns an und wussten: Zwischen uns herrscht eine Seelenverwandtschaft." Tag für Tag habe Bowie in ihrer Show gesessen, ihr beim Auftakeln zugeschaut, viel abgeguckt. Etwa, wie sich Haag in ihrer Performance "My life" genüsslich-verstörend die Schminke aus dem Gesicht wischte. Bowie übernahm die Geste in seinem Video zu "Boys keep swinging".
Wegen seines Drogenkonsums habe er wie ein Chemiebaukasten gerochen, schreibt Haag in der Autobiografie. Ihretwegen habe Bowies Ehefrau Angela die Scheidung eingereicht, sein Management getobt wegen der "Bowie liebt einen Kerl"-Schlagzeilen. Als David Bowie 1978 Berlin verließ, endete auch seine Beziehung zu Haag.
Was blieb, war ihr Impuls, eine eigene Musikerkarriere zu starten: "Er hat mir den Mut gegeben, selbst zu singen." Und das tut Romy Haag bis heute. Sie interpretiert Brecht und Bowie, Hildegard Knef und Michael Jackson, sie besingt in eigenen Songs die Liebe, die keine Kompromisse kennt.
2010 feierte Haag ihr Bühnenjubiläum, 50 Jahre Auftritte. "Endlich", seufzt die Legende des wilden West-Berlin, "bin ich das, was ich schon als Kind sein wollte: eine alte Diseuse." Eine, die in der Öffentlichkeit nur noch wenig in Erscheinung tritt. Suchten Politiker in der Vergangenheit regelmäßig ihre Nähe, um die eigene Toleranz zu demonstrieren, ist es in den vergangenen Jahren still um die queere Ikone geworden. Keine Skandale, kaum Interviews, kaum Talkshow-Auftritte.
Nickname Maria Zuckerberg
"Mein Schatz, ich bin zu unbequem", sagt die in der Aids-Hilfe engagierte Künstlerin und winkt müde ab. Haag verabscheut vieles von dem, was die Jetzt-Zeit ausmacht, etwa das Privatfernsehen mit seinem demütigenden "Transi-hier-Transi-da-Unsinn". Und ebenso das Modewort "Transgender": weil der Begriff ihrer Meinung nach alle - Intersexuelle, Transsexuelle, Drag Queens, Transvestiten - in einen Topf wirft, statt zu differenzieren.
Gegängelt und kontrolliert fühlt Haag sich von den sozialen Netzwerken. 2015 verdonnerte Facebook sie dazu, ihre private Seite unter ihrem Geburtsnamen Verbaarsschott zu führen. Worauf sie sich als Nickname "Maria Zuckerberg" sicherte.
"Noch nie fühlte ich mich so wenig akzeptiert wie heute. Wir leben in einer Zeit der wachsenden Unfreiheit. Leute, geht auf die Straße, wehrt Euch!", sagt die Trägerin des "European Tolerance Award". Und plädiert entschieden für mehr Fantasie - auch im Umgang mit ihrer Person.
Früher verkörperte Haag meist sündige Halbweltcharaktere, die irgendwann im Laufe des Films abgemurkst werden. Jetzt wäre sie mal reif für einen Rollenwechsel, sagt Romy Haag und kichert: "Lasst mich doch mal eine alte Hausfrau spielen."
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Glitzergirl: Romy Haag fühlte sich schon als Kind zum Showbusiness hingezogen, half beim Zirkus aus, trat als Clown auf, spielte in einer Theatergruppe. Als Teenager ging Haag nach Paris und sorgte als Schönheitstänzerin für Furore. Ihren Erfolg, hatte sie auch ihrer Ähnlichkeit mit der Ehefrau des schwerreichen Bankers Edmond Adolphe de Rothschild zu verdanken. "Wir sahen aus wie Zwillinge." Auf Partys sei sie aufgetreten als Madame de Rothschild: "Ich war der Höhepunkt des Abends", erzählt Haag im einestages-Gespräch.
Ausgezeichnet: Romy Haag im Jahr 1996 auf der Bühne im Berliner Wintergarten. 1997 erhielt die Diseuse auf der Berlinale für ihr filmisches Lebenswerk den "Teddy Award", den wichtigsten schwul-lesbischen Filmpreis. Und 2013 wurde die unter anderem in der Aids-Hilfe aktive Romy Haag mit dem "European Tolerance Award" verliehen - die einstige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt würdigte sie als "Kultfigur, die offen und schonungslos mit Klischees aufräumt".
"Letztlich dreht sich alles um Freiheit", sagt Romy Haag im Interview. Etwa die Freiheit, öffentlich die Hüllen fallen zu lassen (Foto von 1973). Ihren Nachtklub "Chez Romy Haag" in Schöneberg betrieb die Künstlerin zwischen 1974 und 1983 - heute befindet sich dort auf zwei Etagen die Schwulendisco "Connection".
Happy Birthday! Seinen 30. Geburtstag feierte David Bowie mit Iggy Pop und Romy Haag - das Foto zeigt den Popkünstler 1977 in seinem Stammcafé "Anderes Ufer" (heute: "Neues Ufer") in Berlin-Schöneberg. "Für mich war die Beziehung ein Segen und Fluch, danach interessierte sich niemand mehr für mich", so Haag im Interview.
"Eitel wie alle. Ein Mann eben", sagt Romy Haag über David Bowie, der entsetzt war, dass die Künstlerin keine Platten von ihm im Regal hatte. Haag und Bowie waren liiert, als der britische Superstar in den Siebzigerjahren in Berlin lebte. "Wir sahen uns an und wussten: Zwischen uns herrscht eine Seelenverwandtschaft. Da bedurfte es keiner großen Worte", so die Diseuse. Das Foto zeigt die beiden 1976 im Pariser Nachtklub "Alcazar", wo Haags Karriere in den Sechzigerjahren begann.
Trennungsgrund: David Bowie und Romy Haag im Jahr 1977. Die Romanze der beiden führte dazu, dass sich Bowies Ehefrau Angela scheiden ließ. Auch das Management des Popstars war nicht erfreut über die Beziehung Bowies mit der transsexuellen Künstlerin. 1978 verließ der Musiker Berlin - die Beziehung endete.
"Ich hasse Religionen": Plattencover von "Balladen für Huren und Engel" (erschienen 2001). Romy Haag, heute eine entschiedene Religionsgegnerin, war als Kind fasziniert von den Ritualen der katholischen Kirche, wie sie in ihrer Autobiografie schreibt. Um den kränkelnden Goldfischen ihres Vaters neues Leben einzuhauchen, setzte sie die Tiere ins Weihwasserbecken der Kirche. Doch der Priester erwischte das Kind - und missbrauchte es sexuell.
"Das Wort 'Transgender' ist eine Katastrophe": Sagt Romy Haag im einestages-Interview. Der Begriff gefährde insofern die sexuelle Vielfalt, als alle - Intersexuelle, Transsexuelle, Drag Queens, Transvestiten etc. - in einen Topf geworfen würden. Das Foto zeigt Haag (Zweite von links) mit Gloria Viagra (links), Désirée Nick (Zweite von rechts) und Sheila Wolf (rechts) am Rande von Nicks Show "Retro Muschi" in Berlin (Foto von 2014).
Wer hat die Haare schöner? Romy Haag und Nina Hagen beim Red-Hair-Contest im Jahr 1987. Eigentlich sei sie eher schüchtern, sagt Haag im Interview über sich. "Doch geschminkt fühle ich mich selbstsicherer, robuster, traue ich mich, Dinge zu sagen, die ich sonst so nie sagen würde."
"Gepflegt und fast ein bisschen bourgeois": So erlebte Romy Haag laut ihrer Autobiografie den Rolling-Stones-Star Mick Jagger. In den Siebzigerjahren gaben sich die internationalen Stars in Haags Nachtklub "Chez Romy Haag" die Klinke in die Hand: Die Stones kamen ebenso wie Freddie Mercury, Grace Jones, Tina Turner, Bryan Ferry oder Lou Reed.
Romy und der Panikrocker: Udo Lindenberg (hier in den Siebzigern mit Romy Haag) schrieb einst Text und Musik ihrer 1977 erschienen ersten Single "Liege-Samba". Und begehrte die schöne Transsexuelle zeitgleich mit Bowie, wie er SPIEGEL ONLINE erzählte. Im einestages-Interview lobt Haag Lindenbergs Talent: "Es gibt keine Stimme, die näher an den Leuten dran ist als seine."
Stößchen! Romy Haag 2016 in Berlin. Dass die Entertainerin im kommenden Jahr 70 wird, ist ihr nicht anzusehen. Dennoch sagt sie: "Altwerden ist scheiße und basta." Vor dem Tod indes hat Haag keine Angst - und bittet per Autobiografie um eine Party an ihrem Grab.
Im Schloss Bellevue: Romy Haag im Gespräch mit Regisseur Robert von Ackeren (Mitte) und Bundespräsident Walter Scheel (Foto von 1978). In ihrer Autobiografie beschreibt Haag, wie sie auf dem Empfang zunächst gemieden wurde - dann kam der Bundespräsident und begrüßte sie herzlich. Seither, erzählt Haag im Interview, lassen sich Politiker gern mit ihr fotografieren, um öffentlichkeitswirksam die eigene Toleranz zu untermauern.
"Göttin der geistigen Verdienste": So lautet der Name, der Revueprinzessin Romy Haag (hier 1999 im Berliner Tränenpalast mit ihrer Show "Cabaret Berlin") bei ihrer buddhistischen Taufe zuteil wurde. Ihr Name "Romy" hat übrigens nichts mit Romy Schneider zu tun, sondern leitet sich aus ihrem Spitznamen "Ronny" ab - so wurde die Künstlerin als Kind von ihrer Großmutter genannt. Und "Haag" bezieht sich auf die Herkunft der Künstlerin: Sie wurde am 1. Januar 1948 in Scheveningen, einem heutigen Stadtteil Den Haags, geboren.
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