
Treffen mit Kurt Cobain "Er war melancholisch, besorgt, irgendwie nicht da"



Ich saß in einem Café in Ljubljana, als die Plattenfirma mir die Nachricht überbrachte: Kurt ging es nicht gut, er hatte Magenprobleme und konnte nicht zum Interview kommen. Es war Ende Februar 1994, ich war in die slowenische Hauptstadt geflogen, um mit Kurt Cobain ein Interview zu führen und später am Abend Nirvana bei ihrem Konzert zu filmen.
Seine Heroinsucht war damals schon ein offenes Geheimnis und ich war mir sicher, dass das der wahre Grund für seine Absage war. Wahrscheinlich war es ein Mix aus beidem: Cobain hatte schwere Magenprobleme, die die Ärzte nicht behandeln konnten. In einem Interview hatte er erzählt, er sei süchtig nach Heroin geworden - weil er damit die Schmerzen bekämpfte.
Kurt Cobains Interviewersatz sollte Krist Novoselic sein, der Bassist der Band. Die Frau von der Plattenfirma sagte, er würde in zehn Minuten da sein. Ich beschloss, meine Enttäuschung irgendwie zu verbergen. Ich hatte Nirvana schon einmal zum Interview getroffen, das dann genau eine Minute gedauert hatte. Und jetzt war der Termin mit Kurt geplatzt, auf den ich so sehr gehofft hatte. Die zweite Chance.
Nirvanas vorletzter Live-Auftritt
Krist war dann sehr nett, bescheiden - und ja: ziemlich groß. Er hatte den Morgen mit seiner Familie verbracht, die aus dem Balkan stammte und gerade ebenfalls in der Stadt war wegen des Konzerts. Neben mir wirkte er wie ein Turm, als wir durch die Kopfsteinpflastergassen der Altstadt liefen. Er erzählte mir, dass es Kurt gut ging und dass er sich nicht von dem Konzert am Abend ablenken lassen wollte, das im kleinen Hala Tivoli stattfinden sollte.
Am Abend wirkte Kurt auf der Bühne dann gelangweilt, beinahe herablassend. Aber vielleicht war er auch nur so wie immer. Es war diese fast nihilistische Einstellung, die typisch für den Punk gewesen war und im Speziellen für seine großen Vorbilder, die Sex Pistols. Er war wie die Verkörperung aller Teenagerkomplexe. Das Konzert war trotzdem denkwürdig, weil Krist mir vorher erklärt hatte, dass sie an diesem Abend seine Eltern beeindrucken wollten.
Was ich an diesem Abend noch nicht wissen konnte: Es sollte Nirvanas vorletzter Live-Auftritt werden. Und für mich war es die letzte Chance gewesen, noch mal ein Interview mit Kurt Cobain zu bekommen - nach diesem einen Mal backstage bei den MTV Video Music Awards in Los Angeles. Jene eine Minute.
Pikierte PR-Leute und lachende Superstars
Zwischen 1990 und 1994 flog ich jeden Frühling in die Staaten, um von der Show zu berichten. MTV Europe übertrug und spielte zwischendurch immer wieder Kurzinterviews ein, die ich führte. Mein Job war es, in unserem abgetrennten Bereich des Pressezeltes zu stehen und die Künstler unmittelbar nach deren Auftritt zu befragen.
Ich war der Zweite in der Nahrungskette - nur MTV America's neuer Moderator Kurt Loder war vor mir dran. Danach drehten sich die Stars um und hatten unser Mikro vor der Nase. Im Anschluss kam der Rest der Weltpresse zu seinem Recht. Kein Interview durfte länger als eine Minute dauern. Die Gespräche waren natürlich nicht sehr herausfordernd, aber es machte Spaß - und es ergaben sich oft genug ziemlich komische Situationen.
Im Backstage-Bereich bildeten sich regelmäßig Schlangen von Superstars. Es konnte vorkommen, dass ich gerade mit Mick Jagger sprach und im Augenwinkel sehen konnte, dass die Red Hot Chili Peppers schon auf ihre Minute warteten. Immer wenn ein Interview vorbei war, drehte ich mich um und schrie "der Nächste!". Die meisten Künstler lachten über diese "Respektlosigkeit", ihre Plattenfirmen und PR-Menschen guckten aber angewidert. Dabei mangelte es mir überhaupt nicht an Respekt gegenüber den Künstlern - es war die Form dieser Schnell-schnell-Absperrungsbänder-Gespräche, die mich nervte.
Eine Minute als Symbol
Die Award-Shows gingen drei Stunden, und die Schlange der Stars hinter der Bühne schien immer unendlich lang zu sein. An jenem Abend 1992 hatte ich eine Minute verbracht mit Aerosmith und Jagger, Sharon Stone und RuPaul, Annie Lennox und Whitney Houston. Ich hatte mit den großen Siegern der Nacht gesprochen, Van Halen und den Red Hot Chili Peppers - und den neuen Helden Nirvana. Sie hatten zwei Video Music Awards gewonnen und "Lithium" auf der Bühne gespielt. Schlagzeuger Dave Grohl redete, Krist schaute von ganz oben herab und Kurt Cobain murmelte nur ein "Danke".
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An diesem Abend dachte ich, das wäre Attitüde. Dass er cool wirken wollte. Aber im Rückblick erscheint es mir so, dass er schon damals verloren war. Seine Augen wirkten glasig und er selbst melancholisch, besorgt, irgendwie nicht da. Die Zerbrechlichkeit seiner Erscheinung ließ ihn gleichwohl noch spannender wirken. Aber um ehrlich zu sein: Für mich war das damals alles wesentlicher Teil des Rock-Star-Image - und das Interview, wie die meisten Ein-Minüter, enttäuschend. Nur mit einem entscheidenden Unterschied: Mit dem Großteil der anderen Künstler würde es weitere Interviewtermine geben.
Mit Kurt Cobain nicht, denn in Ljubljana zerbrach zwei Jahre später der Traum von einem zweiten Gespräch. Knapp einen Monat später, am 8. April 1994, fand man Cobain tot im Gewächshaus über der Garage seines Hauses in Seattle. Er hatte sich selbst erschossen und drei Tage dort gelegen, bis man ihn entdeckte. Und obwohl ich ihn nur einmal getroffen hatte, wurde diese eine Minute doch zum Symbol: Eine Minute war lang genug gewesen, um sein unglaubliches Talent zu erkennen. Aber doch viel zu kurz, um herauszufinden, was er uns noch alles hätte geben können.
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Punk-Attitüde: "Kurt wirkte auf der Bühne gelangweilt, beinahe herablassend", erinnert sich der enttäuschte MTV-Moderator Steve Blame an jenen Konzertabend, als ihn Cobain versetzt hatte. "Aber vielleicht war er auch nur so wie immer."
Cobain bei der "MTV Unplugged"-Session im November 1993 in New York
Verpasste Chance: Steve Blame sollte im Frühjahr 1994 in Slowenien die Gelegenheit bekommen, Kurt Cobain zu interviewen. Doch dann sagte der Grunge-Star in letzter Minute ab. Er habe Magenschmerzen, erklärte die Plattenfirma. Ein weiterer Termin ergab sich nicht - Cobain starb im April des Jahres.
Unvergessen: Ende der Achtzigerjahre gründete Kurt Cobain mit Bassist Krist Novoselic und Schlagzeuger Dave Grohl, rechts, die Band Nirvana. Mit dem Song "Smells Like Teen Spirit" gelang dem Trio 1991 der Durchbruch. Grohl wurde später mit den Foo Fighters auch als Sänger erfolgreich
Bittere Medizin: Kurt Cobain versuchte sein chronisches Magenleiden mit Heroin zu behandeln - und wurde süchtig nach der Droge. Am 5. April 1994 erschoss sich der Nirvana-Frontmann im Gewächshaus über der Garage seiner Wohnung in Seattle. Erst drei Tage später fand man seine Leiche, mit einer dreifachen Überdosis im Blut. Cobain war nur 27 Jahre alt geworden.
One Minute with Kurt: "Die Zerbrechlichkeit seiner Erscheinung ließ ihn noch spannender wirken", sagt Steve Blame über Cobains Auftritt bei den MTV Video Music Awards 1992 in Los Angeles. Nach dem Konzert bekam der MTV-Moderator eine Minute mit Nirvana und Cobain.
Erfolgsplatte: 1991 veröffentlichten Nirvana ihr zweites Album "Nevermind" - es verkaufte sich mehr als 30 Millionen Mal. Es gilt als eines der wichtigsten Alben der Musikgeschichte. Das Baby auf dem Cover ist Spencer Elden, Sohn des Cover-Fotografen. Elden beklagte sich später, dass sein Penis auf dem Bild zu sehen sei: "Es ist gruselig, wie viele Menschen mich nackt gesehen haben. Ich fühle mich wie der größte Pornostar der Welt."
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