
Zerstörungsaktion "Alberich": "Was bleibt, sind nur die Friedhöfe"
"Unternehmen Alberich" im Ersten Weltkrieg "Alles fliegt in die Luft"
Heiter sollte es zugehen. Doch Cornelius Breuninger empfand nur Trübsinn beim Offiziersempfang im französischen Croisilles. Der Ort lag im Sterben. "Schon ganze Viertel eingerissen, es brennt an allen Ecken und Enden", schrieb der deutsche Leutnant am 10. März 1917 in sein Tagebuch.
Wie Croisilles erging es allen Dörfern und Städtchen in der nordostfranzösischen Nachbarschaft. Binnen fünf Wochen verwüstete das deutsche Heer einen ganzen Landstrich im besetzten Frankreich. Schlösser und Kirchen, Schulen und Wohnhäuser, Brunnen und Bäume - alles fiel der Vernichtung anheim.

Unternehmen Alberich (zur Großansicht hier klicken)
Foto: Frieder RiedelEin Streifen von 150 Kilometer Länge und 45 Kilometer Breite verwandelte sich von einer Kulturlandschaft zum Ödland. "Alberich" lautete die Tarnbezeichnung für die Aktion, die am 9. Februar 1917 begann. "Wir sind diesmal mit größter Bewusstheit Hunnen und Barbaren", notierte Breuninger.
"Das Unternehmen Alberich ist ein Sündenfall in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts", erklärt Gerhard Hirschfeld, Mitherausgeber der "Enzyklopädie Erster Weltkrieg". "Plünderung und Zerstörung von Orten und Städten hat es in der Geschichte immer gegeben. Aber die Akribie und Effizienz, mit der 'Alberich' vorbereitet und durchgeführt wurde, war bis dahin einmalig."
Orgie der Vernichtung
Warum aber verwüsteten die Deutschen ein Gebiet, das sie von Juli bis November 1916 in der Somme-Schlacht unter bitteren Verlusten gegen Briten und Franzosen verteidigt hatten, und zogen sich dann zurück?
"Die deutsche Heeresleitung ging davon aus, dass ihre Gegner für das Frühjahr 1917 eine weitere Großoffensive planten", sagt der emeritierte Stuttgarter Professor Hirschfeld. Um diesen Angriff ins Leere laufen zu lassen und die Front zu begradigen, plante man ab Oktober 1916 im Rücken der Front eine gewaltige Verteidigungslinie: die "Siegfried-Stellung".
Auf rund 150 Kilometer Länge errichteten vor allem mehr als 26.000 Kriegsgefangene das wahrscheinlich größte Bauvorhaben des gesamten Weltkriegs. Verwendet wurden dafür 510.000 Tonnen Kies und Schotter, 110.000 Tonnen Zement, 20.000 Tonnen Rundeisen und 12.500 Tonnen Stacheldraht.

Zerstörungsaktion "Alberich": "Was bleibt, sind nur die Friedhöfe"
Neben den Kriegsgefangenen schufteten 9000 zwangsverpflichtete Belgier und Franzosen für das Bollwerk und wurden ebenfalls in Lagern untergebracht. Lebensmittel, Kleidung, Medizin - es fehlte an allem. "Willkür und Ausschreitungen seitens der Bewacher waren an der Tagesordnung", so Hirschfeld.
Zerstörung statt Kampf
Parallel zum Bau der "Siegfried-Stellung" organisierten die Deutschen die Verwüstung des zu räumenden Gebiets und benannten "Alberich" nach einer Sagengestalt der germanischen Mythologie. Der "Gegner muss ein völlig ausgesogenes Land vorfinden, in dem jede Bewegungsmöglichkeit auf das Äußerste erschwert ist", hatte General Erich Ludendorff im Namen der Dritten Obersten Heeresleitung im Oktober 1916 angeordnet.
Akribisch wurden die "Zerstörungsobjekte" benannt: Häuser, Kirchen, Schlösser, Fabriken, Betriebe, Straßen, Bahntrassen, Brunnen, Gewässer. Bei Probezerstörungen wurde ermittelt, wie sich Gebäude in kürzester Zeit vernichten ließen. Zugleich wurden mehr als 100.000 Menschen der noch verbliebenen Bevölkerung "abgeschoben".
Was dann mit der Heimat dieser Menschen geschah, beschrieb Schriftsteller Ernst Jünger in seinem Frühwerk "In Stahlgewittern", basierend auf seinem "Kriegstagebuch". Er selbst hatte als "Zerstörungsoffizier" gedient:
"Bis zur Siegfriedstellung war jedes Dorf ein Trümmerhaufen, jeder Baum gefällt, jede Straße unterminiert, jeder Brunnen verseucht, jeder Flusslauf abgedämmt, jeder Keller gesprengt oder durch versteckte Bomben gefährdet, jede Schiene abgeschraubt, jeder Telefondraht abgerollt, alles Brennbare verbrannt; kurz, wir verwandelten das Land, das den vordringenden Gegner erwartete, in eine Wüstenei."
Rund 200 Ortschaften sollten die Deutschen im Zuge von "Alberich" im Zeitraum vom 9. Februar bis 15. März 1917 vernichten - und sie lernten hinzu. Bapaume machten sie in nur 45 Minuten dem Erdboden gleich, legten nach einigen Sprengungen im Zentrum an über 400 Stellen Feuer.
Verbrannt, gesprengt, gerodet
"Der Gegner sollte keine Möglichkeit haben, sich aus dem Gebiet zu ernähren, die Infrastruktur zu nutzen oder sich der Bevölkerung zu bedienen", sagt Gerhard Hirschfeld. Darum wurden selbst Obstbäume gefällt sowie Wasserquellen unbrauchbar gemacht: Soldaten kippten Chemikalien in Brunnen oder warfen tote Tiere hinein. Allerdings zerstörten die Deutschen nicht alle Gebäude vollständig. "Bisweilen ließ man Häuser halb stehen und platzierte im Inneren Sprengfallen", so Hirschfeld.
Während der gesamten Zerstörungswelle rollten unablässig Züge ins Gebiet hinein und hinaus. Mit fast 40.000 Wagenladungen transportierten die Deutschen Zivilisten und noch verwendbares Material hinter die "Siegfried-Stellung"; sie beschlagnahmten Möbel, Metalle, Kleidung, Saatmaterial und Tierfutter.
Kritik am "Unternehmen Alberich" war kaum zu vernehmen. Kronprinz Rupprecht von Bayern, Befehlshaber der gleichnamigen Heeresgruppe, erhoffte in einem Tagebucheintrag, die Aktion möge an technischen Schwierigkeiten scheitern. Ebenso kritisierte Leutnant Cornelius Breuninger die Aktion:
"Häuser, Villen, Schlösser, Fabriken, Kirchen, alles fliegt in die Luft. Es ist ein grausiges Tun, was wir Deutschen nach Anordnung der Obersten Heeresleitung vollbringen. [... ] Armes Frankreich, wo sind deine blühenden Städte und Dörfer?"
Ein fotografisches Kriegstagebuch erstellte der ebenfalls aus Württemberg stammende Leutnant Armin Stäbler: auf der einen Seite idyllische Dörfer, auf der anderen ihre systematische Zerstörung.
Nach Abschluss von "Alberich" zogen sich die Deutschen vom 16. bis 19. März 1917 hinter die "Siegfried-Stellung" zurück. Vier Armeen mit 29 Divisionen - Ludendorff lobte den Abzug als "glänzende Leistung der Führer und Truppen".
Der ganzen Welt galten die Deutschen als Barbaren
Briten und Franzosen rückten in die aufgegebenen Landstriche nach. Seit Wochen hatten sie sich angesichts der vielen Bränden und Explosionen gefragt, was die Deutschen dort trieben. "Nachkriegsberichte schildern die ungeheure Verwunderung der Alliierten", erklärt Historiker Hirschfeld. "Niemand hatte es für möglich gehalten, ein Land derart zu zerstören."
Die Oberste Heeresleitung sah "Alberich" und den Rückzug auf die "Siegfried-Linie" als großen operativen Erfolg. Was sie allerdings außer Acht ließ: "An der Propaganda- und Medienfront des Ersten Weltkriegs war die Zerstörungsaktion ein Desaster", sagt Hirschfeld. So zeigten in Frankreich Ansichtskarten die vernichteten Orte und Landschaften. Der ganzen Welt, inklusive der neutralen Staaten, galten die Deutschen abermals als Barbaren, wie schon 1914 in Belgien.
Die Deutschen an der Somme: Krieg, Besatzung, Verbrannte Erde
Die ungeheure Gründlichkeit bei der Zerstörung sollte sich rächen. Im Frühjahr 1918 wollte General Ludendorff mit der letzten großen Offensive "Michael" eine Wendung erzwingen. Doch als die deutschen Truppen ins "Alberich"-Gebiet einrückten, litten sie selbst unter der Zerstörung der Infrastruktur.
Die Offensive scheiterte, am 11. November 1918 schloss das Deutsche Reich einen Waffenstillstand. Als die deutsche Delegation Mitte Januar 1919 nach Versailles zur Pariser Friedenskonferenz reiste, lenkten die Franzosen ihren Sonderzug um - nun ging es durch nordfranzösische Mondlandschaften. "Mitreisende Journalisten berichteten, dass deutschen Delegierten Tränen in den Augen standen", sagt Hirschfeld. Auch für die Zerstörungen durch "Alberich" stellten die Franzosen hohe Reparationsforderungen an das Deutsche Reich.
Nach dem Krieg kehrten ehemalige Bewohner in ihre Heimat zurück und suchten nach Habseligkeiten. Fast alles war für immer zerstört. Leutnant Cornelius Breuninger brachte es in seinem Tagebuch auf den Punkt: "Was bleibt, sind nur die Friedhöfe."
Zum Weiterlesen:
- Frieder Riedel: Das Gesicht des Krieges - Kriegsfototagebuch des Leutnants Armin Stäbler 1914-1918 . Numea Verlag, 168 Seiten; 13,80 Euro
- Frieder Riedel: Cornelius Breuninger, Kriegstagebuch 1914-1918 . Numea Verlag, 288 Seiten; 27,80 Euro