
Margaret Bourke-White: "Als Frau in der Welt des Mannes"
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Erste US-Kriegsberichterstatterin Frau unter Feuer
Der General stand mitten im Rot - er kämpfte mit einer riesigen Woge Fallschirmseide. "Glauben Sie, dass sich das für ein Kleid eignet?" Fragend schaute er den eben hinzugetretenen Oberstleutnant an. Dieser empfahl, daraus schöne Sofakissen anfertigen zu lassen, und während er seine Vorstellungen beschrieb, schnitt der General lange Bahnen von dem Stoff. "Nehmen Sie sich, so viel Sie wollen", sagte er dann zum Oberstleutnant, "ist das Zeug nicht hübsch? Anscheinend haben die Deutschen doch ziemlich gute Stoffe."
Der General war der Befehlshaber der amerikanischen Truppen George Patton. Der Oberstleutnant war eine Frau: Margaret Bourke-White, Kriegsberichterstatterin. Am Abend des 24. März 1945, als Patton im Flur des Hauptquartiers der Dritten US-Armee in Luxemburg stand und mit der Seide rang, lernten sie sich kennen und verstanden sich gut. Bourke-White legte Wert auf schöne Stoffe.
Eigens für sie war im späten Frühjahr 1942 die erste weibliche Kriegsberichterstatter-Uniform entworfen worden. Als erste Frau war Margaret Bourke-White als Fotografin in den Dienst der US-Luftwaffe getreten. Es sollte nicht der einzige Moment sein, in dem sich die New Yorkerin als Fotopionierin hervortat. Bourke-Whites Lebensstationen, das zeigt jetzt eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, glichen einer unermüdlichen Bilderjagd über die spektakulärsten Schauplätze der Weltgeschichte. Ihren Erfolg verdankte sie einem besonderen Talent: In einer extrem männerdominierten Welt spielte Bourke-White als Fotografin ihre Vorteile als Frau voll aus. Und verschaffte sich damit eine Sonderolle, in der sie sich selbst zu einer Ikone zu stilisieren verstand.
Mit pupurfarbenem Einstelltuch
"Ich wollte stets die Erste sein", bekannte die Frau, die zeitlebens nicht vergessen konnte, dass sie beim Schulball so ziemlich die Letzte war, die zum Tanzen aufgefordert wurde - noch dazu aus Mitleid von einem Mädchen. Nach einer gescheiterten Ehe, dem Besuch eines Fotokurses und dem überraschend erfolgreichen Absatz von Landschaftsaufnahmen hatte die Studentin der Naturwissenschaften eine Entscheidung getroffen: Sie gab die Biologie auf und bewarb sich als Architekturfotografin.
Purpurfarbenes Kleid, purpurfarbener Hut, purpurfarbene Handschuhe und ein purpurfarbenes Fotografentuch - so machte sich die junge Frau in ihrem grünen Chevrolet-Coupé Ende der zwanziger Jahre auf den Weg zu ihren Kunden: Banken und Wirtschaftsblätter, für die sie Stahlwerke und Raffinerien, Docks und Eisenbahnen fotografierte.
Die Kunden waren hochzufrieden. Und als auch das junge, aber schon renommierte "Time"-Magazin auf sie aufmerksam wurde, schien ihre Karriere kaum mehr zu stoppen: Mit Auftragsarbeiten verdient die junge Frau bald so gut, dass sie es sich selbst während der schweren Wirtschaftskrise leisten konnte, mit ihrem Haustier, einem Alligator, ein Apartment in der 61. Etage des New Yorker Chrysler Buildings zu bewohnen. "Ich fühle mich, als stünde mir die ganze Welt offen und ich hielte alle Schlüssel in der Hand, schrieb sie ihrer Mutter.
Und die Welt stand ihr tatsächlich offen: Anfang der dreißiger Jahre führte der Beruf sie dorthin, wohin es bis dahin kein anderer ausländischer Fotograf geschafft hatte - in die Sowjetunion. Stalin hatte begonnen, das rückständige Agrarland innerhalb kürzester Zeit ins Industriezeitalter zu katapultieren, und dazu amerikanische Ingenieure und Architekten angeheuert. Berufsfotografen hingegen war es nicht erlaubt, die Grenzen des kommunistischen Reiches zu überschreiten - mit Ausnahme von Bourke-White.
"Sensationellste Erstmeldung"
Ideologisch war die Amerikanerin unverdächtig. "Niemand kann weniger über das politische Russland gewusst haben als ich - oder sich weniger dafür interessiert haben", bekannte sie freimütig. Was sie antrieb, war allein ihre "Begeisterung für die Maschine" - wenngleich auch eine völlig untechnische: "Bauern, die man vom Pflug weggeholt und an Stanzmaschinen gestellt hat", so etwas faszinierte sie. Der technische Fortschritt, neben dem der Mensch klein und unbedeutend wurde. Ihre ästhetischen Fotos gigantischer Industriebauten in den USA zeigten genau das - sie waren ihre Eintrittskarte in Stalins Reich.

Margaret Bourke-White: "Als Frau in der Welt des Mannes"
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Ihre "sensationellste Erstmeldung" stand ihr da erst noch bevor: 1941 reiste sie ein weiteres Mal durch die Sowjetunion - und wurde dabei vom Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Russland überrascht. Statt das Land schnellstmöglich zu verlassen, postierte sie sich auf dem Dach der US-Botschaft in Moskau: Als Brandbomben fielen, die Scheinwerfer der Luftabwehr den Himmel erleuchteten und an verschiedenen Stellen der Stadt Flammen aufzuckten, drückte sie auf den Auslöser.
Tage später ließ sie sich in roten Schuhen und mit einer roten Schleife im Haar - "ich wusste, dass Russen Rot lieben" - zum Kreml chauffieren. Ihrem Ersuchen, Stalin fotografieren zu dürfen, war entsprochen worden. Ein Missgeschick, bei dem der 37-Jährigen sämtliche Blitzlichtbirnchen aus der Tasche kullerten, half ihr, dem ansonsten steinern wirkenden pockennarbigen Gesicht Stalins für einen Augenblick ein leichtes Lächeln abzuringen. Das Foto war für viele Jahre das einzige offizielle Porträt Stalins.
"Gesellschaftsanzug in hübschem Grau"
Als die USA im Dezember 1941 in den Krieg eintraten, war die Dame mit der Vorliebe für farblich abgestimmte Kleidung längst ein Medienstar. Bourke-Whites Fotoreportagen kannte man unter anderem aus dem 1936 gegründete "Life"-Magazin. Schon dessen erstes Titelbild, der Staudammbau am Fort Peck Lake, samt dazugehöriger Geschichte stammte von ihr. Im zivilen Leben hatte sich die Fotografin unter ihren männlichen Kollegen längst behauptet, als "Life" 1942 mit dem Pentagon ein Abkommen traf: Bourke-White trat in die amerikanische Luftwaffe ein. Das passende Outfit bekam sie natürlich auch: Bluse und Hose in "Militär-Grün" und für besondere Gelegenheiten einen "Gesellschaftsanzug in hübschem Grau".
Auch sonst konnte sie sich über ihre Behandlung nicht beklagen: "Mir wurde alles zugestanden, was ich verlangte. Als "Frau in der Welt des Mannes" zu leben, so resümierte die Fotografin später, "ist - meiner Erfahrung nach - ein absoluter Vorteil.
Eines allerdings blieb ihr verwehrt: einen echten Angriff mitzufliegen. Während es anfangs allen Pressevertretern untersagt war, wurden die Bestimmungen später gelockert: Ihre männlichen Kollegen durften - sie nicht. Frustriert "flehte und betete" sie, doch wenigstens bei der bevorstehenden Invasion an der Nordküste Afrikas dabei sein zu dürfen. Sie durfte - allerdings nicht an Bord eines Bombers sondern eines Truppentransporters auf dem Wasser.
Sicherer war das nicht: Das Schiff wurde torpediert. Nachdem die Fotografin rudernd in einem Rettungsboot und unter Verlust fast ihrer gesamten Ausrüstung in Algier ankam, waren ihre Vorgesetzten milde gestimmt: Sie durfte nun doch einen Angriff begleiten.
"Bourke-White Goes Bombing"
Der Pilot, in dessen Maschine Margaret Bourke-White am 22. Januar 1943 stieg, sollte erst drei Jahre später weltweite Bekanntheit erlangen - als der Mann, der die Atombombe über Hiroshima abwarf. Major Paul Tibbets steuerte die Führungsmaschine bei einem Bombenangriff auf den Flugplatz El Aouina bei Tunis, dem wichtigsten Luftstützpunkt für die deutschen Truppentransporte aus Sizilien. Bourke-White fühlte sich dabei uneingeschränkt als Teil der Truppe: "Unser Angriff war von ausschlaggebender Bedeutung im Luftkrieg", schrieb sie später, "er vertrieb die deutsche Luftwaffe aus Nordafrika.
"Life" brachte einen großen Bericht über das Flugabenteuer ihrer Fotografin, überschrieben mit der Titelzeile: "Life's Bourke-White goes Bombing" und dazu ein Foto von ihr in Fliegerkombi. "Ich war sehr geschmeichelt, als dieses Bild (...) so populär wie ein Pin-up-Foto wurde", gestand sie.
Ab Frühjahr 1945 begleitete sie die Dritte Armee unter General Patton auf ihrem Weg über den Rhein. Sie fotografierte champagnertrinkende GIs im Kölner Dom, schlief in der Villa Hügel im Bett von Alfried Krupp, während der Rüstungsindustrielle selbst in die Räume seiner Dienerschaft verbannt wurde, und ließ aus Hitlers Arbeitszimmer in München einen Bronzeakt mitgehen. Und sie war dabei, als Pattons Armee das Konzentrationslager Buchenwald befreite.
Der Krieg endete, Bourke-Whites Ehrgeiz nicht. Aus ihrer Autobiografie, die 1963, acht Jahre vor ihrem Tod, erschien, erfuhren die Leser, dass sie "Life" um einen "Auftrag auf dem Mond gebeten und eine Zusage erhalten" hatte, "sobald es eine 'Reisemöglichkeit' dorthin gäbe".
Sie meinte es ernst. Sie sah sich längst nicht mehr nur als Fotografin. Elf Bücher hatte sie geschrieben und der Welt eine Menge mitzuteilen. Bezüglich ihrer Memoiren äußerte sie zur Verwunderung ihrer Verleger einen besonderen Wunsch: Das Buch sollte keines ihrer Fotos enthalten, sondern fast ein reines Textbuch werden. Illustriert ausschließlich mit Aufnahmen, die die Fotografin selbst zeigten, ihren Glamour, ihre Tapferkeit, ihren Wagemut.
Zum Weiterlesen:
Margaret Bourke-White: "Moments of History". Verlag La Fabrica, 2013, 192 Seiten.
Margaret Bourke-White: "Licht und Schatten. Mein Leben und meine Bilder". Droemer Knaur, München/Zürich 1964, 350 Seiten.
Margaret Bourke-White: "Deutschland, April 1945". Schirmer/Mosel, Köln 1979, 183 Seiten.