
Foto-Ikone in Berlin Wie Jeffrey Harper zum Gesicht des Checkpoint Charlie wurde


Jeffrey Harper, 52, kam 1989 als Tubaspieler in der 298. Army Band nach West-Berlin. Er erlebte mit dem Mauerfall Weltgeschichte - und wurde selbst ein Teil davon, als sein übergroßes Porträt am Checkpoint Charlie aufgestellt wurde. Später studierte Harper unter anderem Informatik und Wirtschaft, brach eine Promotion ab und ging in den Ruhestand. Er lebt heute mit seiner Familie in Mittleren Westen der USA und fährt leidenschaftlich gern Motorrad.
einestages: Herr Harper, ein überlebensgroßes Foto von Ihnen prangt seit mehr als zwei Jahrzehnten auf einer Schautafel am bekanntesten früheren Berliner Grenzübergang. Wie wird man zum Gesicht vom Checkpoint Charlie?
Harper: Ich war ab 1989 für die US-Armee in Deutschland stationiert. Als die Berliner US-Brigade Ende 1994 langsam aufgelöst wurde, führte man Interviews und schoss Fotos, um die letzten Monate amerikanischer Militärpräsenz in Berlin zu dokumentieren. Von uns waren noch ungefähr 20 Mann übrig, alle wurden fotografiert.
einestages: Wie fiel die Wahl auf Sie?
Harper: Wer auch immer für die Gestaltung dieses Mahnmals verantwortlich war, muss das Bild gesehen und schlicht gesagt haben: "Das hier, das wird das Gesicht."
einestages: Die Bilder machte der Berliner Fotograf Frank Thiel und installierte zwei Fotos in Leuchtkästen am Checkpoint Charlie - seitdem blickt ein sowjetischer Soldat Richtung Westen, Sie als US-Soldat schauen gen Osten. Was empfinden Sie dabei heute?
Harper: Drei Dinge. Erstens ist dieser ganze Kitsch am Checkpoint bedauernswert. Meiner Ansicht nach sollte es am Ort der einstigen Konfrontation zwischen amerikanischen und russischen Panzern eine angemessenere Repräsentation der Vergangenheit geben. Zweitens empfinde ich Demut angesichts der Zufälle, die dazu führten, dass mein Bild dort hängt. Drittens bin ich stolz darauf, in diesem Ausmaß Teil der Geschichte geworden zu sein. Ich mag mir kaum vorstellen, in wie vielen Fotoalben ich verewigt sein muss!
einestages : Sie selbst haben Ihr riesiges Porträt erstmals 1999 bei einem Berlin-Besuch gesehen. Wie verlief diese Begegnung mit sich selbst?
Harper: Ein Freund führte mich zum Checkpoint Charlie. Als wir um die Ecke bogen, ließ ich prompt meinen Kaffeebecher fallen. Warum war ausgerechnet ich dort zu sehen? Wofür? Ich wusste es damals noch weniger als heute. Mein Freund und ich standen da und unterhielten uns, als sich eine Dame zu ihm umdrehte und ihn fragte, ob er wisse, wer der Mann auf dem Foto sei. Er zeigte auf mich und sagte: "Ja, er." Daraufhin brachen wir alle in Gelächter aus.
einestages: Haben Sie Angst, dass Ihr Foto etwas Falsches vermittelt?
Harper: Ich bin entweder gut oder böse, je nachdem, wer mein Bild betrachtet. Diese Tatsache hat nichts mit mir zu tun, sondern nur mit meinem Foto.
einestages: Hätten Sie sich auch fotografieren lassen, wenn Sie vorher vom Trubel um das Bild gewusst hätten?
Harper: Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Der Berliner Senat wollte mich beispielsweise 2015 einfliegen. Das wäre nicht passiert, wenn ich nur ein beliebiger Soldat wäre. Im momentanen militärischen Klima ist es aber nicht gut, so bekannt zu sein. Besonders weil viele Leute wissen, wer ich bin und was ich mache.
einestages: Was man dem Foto nicht ansieht: Sie sind kein typischer Soldat, sondern Musiker. Ihre Leidenschaft war die Tuba. Wie landet jemand wie Sie bei der Armee?
Harper: Anfangs hatte ich geplant, als Musiker an die Universität Michigan zu gehen. Nach meinem Schulabschluss waren meine finanziellen Mittel allerdings beschränkt. Ich erfuhr, dass die Armee Leute einstellte. Sie war der größte Arbeitgeber für Tubaspieler in den USA. Anfangs dachte ich, ich würde eintreten, drei Jahre Geld sparen - und die Armee danach wieder verlassen.
einestages: Sie blieben also hängen...
Harper: Ich wurde gefragt, ob ich nicht bleiben möchte. Als ich mich daraufhin erkundigte, wohin man mich schicken würde, lautete die Antwort: Japan oder Berlin. Die Wahl fiel mir nicht schwer. Rückblickend eine wunderbare Entscheidung.
einestages: Wie sah Ihr Arbeitsalltag in Berlin aus?
Harper: Normalerweise begannen wir morgens um sechs oder halb sieben mit zwei Stunden Sport. Nach einer Mahlzeit ging es an die Arbeit, in meinem Fall bedeutete das Proben. Wir probten größtenteils für Zeremonien, übten jedoch auch Lieder aus der ganzen Welt als Vorbereitung für Staatsempfänge. Das war das Tagesgeschäft. Wir hatten aber auch viele Auftritte in ganz West-Berlin, ab und an fuhren wir auch nach Westdeutschland. Wir spielten etwa für Eberhard Diepgen und Helmut Kohl.
einestages: Was war Ihre Lieblingsmusik?
Harper: In meiner Berliner Zeit war ich ein großer Depeche-Mode-Fan. Ich war damals bei einem ihrer Konzerte in der Volksbühne.
einestages: Sie waren auch in Berlin, als die Mauer fiel. Welche Erinnerungen haben Sie an den 9. November 1989?
Harper: Es war surreal. Als junger US-Soldat war ich dem internationalen politischen Geschehen bis dahin kaum ausgesetzt. Ich war seit knapp zwei Monaten in Berlin, als ich am 9. November von einem Computerseminar zu meiner Einheit zurückkam und von einem Soldaten hörte, im Zentrum passiere etwas. Natürlich wurden wir neugierig und nahmen die U-Bahn Richtung Mitte. Wir versuchten, einen Blick über die Mauer zu erhaschen. Es folgte ein Crashkurs in ost- und westdeutscher Politik.
einestages: Wie kann man sich den vorstellen?
Harper: Auch ich stand in zwei Nächten mit einem Hammer an der Mauer, um Souvenirs zu ergattern. Danach gingen wir ein paar Kurze trinken, Slivovitz. Es wurde ein sehr lehrreiches Wochenende.
einestages: Schon 1994, fünf Jahre nach dem Mauerfall, zogen die US-Truppen aus Berlin ab. Sie kamen dennoch häufig wieder.
Harper: In Berlin war ich zuletzt Ende 2004, in Deutschland 2005, allerdings nur auf dem Leipziger Flughafen. Selbst dort habe ich im Souvenirshop Postkarten mit meinem Gesicht gefunden.
einestages: Von sich selbst verfolgt zu werden, das muss ein seltsames Gefühl sein.
Harper: Absolut. Es war allerdings noch ein milder Schock verglichen mit dem Tag, als ich erstmals das überlebensgroße Foto von mir erblickt hatte.
einestages: Der Mann auf dem Foto ist zeitlos jung. Sie sind inzwischen 52 und im Ruhestand. Macht Ihnen in zunehmendem Alter etwas Angst?
Harper: Wie jeder Mensch finde ich Einsamkeit einen schwierigen Gedanken; die Vorstellung, im Leben allein zu sein. Ich glaube, das fühlte ich, als ich das erste Mal zurück in Berlin mein Foto erblickte. Inmitten all dieser Menschen, die das Bild sahen, war ich allein.
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Der Posterboy vom Checkpoint: 1994 zogen sich die US-Einheiten aus Berlin zurück. Um das zu dokumentieren, wurden die letzten verbliebenen Soldaten interviewt und fotografiert. Einer von ihnen wurde später das Gesicht vom Checkpoint Charlie: Sein metergroßes Porträt hängt dort bis heute auf einer riesigen Tafel. Millionen Berlin-Touristen kennen dieses Foto.
Jeffrey Harper heißt der Mann vom Checkpoint - und er sah nach seiner Armeezeit kaum wie ein Klischee-Soldat aus. Das war er im Grunde auch nie: Als Tubaspieler kam Harper 1989 in der 298. Army Band nach West-Berlin und blieb bis zum Abzug 1994. Später studierte er Informatik und Wirtschaft, brach eine geplante Promotion aber ab. Als er zum ersten Mal 1999 bei einem Berlin-Besuch das riesige Porträt von sich selbst sah, war er stolz und geschockt zugleich: "Ich mag mir kaum vorstellen, in wie vielen Fotoalben ich verewigt sein muss."
Unbekannt: Am Checkpoint Charlie ist auch das riesige Porträt eines sowjetischen Soldaten zu sehen, das Pendant zu Jeffrey Harper. Doch wer dieser Soldat ist und woher er stammt, ist bis heute in der Öffentlichkeit unbekannt. Auch Jeffrey Harper hat mehrfach versucht, ihn ausfindig zu machen - erfolglos.
Training außerhalb von Berlin: Jeffrey Harper (ganz rechts) beim Übungseinsatz der US-Brigade in der Pfalz, 1991. Hauptsächlich war er aber mit dem Üben für die Militärkapelle beschäftigt: "Wir probten größtenteils für Zeremonien, übten jedoch auch Lieder aus der ganzen Welt als Vorbereitung für Staatsempfänge", erinnert er sich. Auch vor bekannten bundesdeutschen Politikern trat er auf: "Wir spielten etwa für Eberhard Diepgen und Helmut Kohl."
Weitgereist: Mehr als 20 Jahre diente Harper bei den US-Streitkräften. Dabei wollte der Tuba-Spieler ursprünglich nur kurz sein Einkommen aufbessern, weil es ihm schwer fiel, seinen Unterhalt als Musiker zu bestreiten: "Anfangs dachte ich, ich würde eintreten, drei Jahre Geld sparen - und die Armee danach wieder verlassen."
Außer in Deutschland war Jeffrey Harper im Laufe seiner Armee-Zeit auch in Kuwait, Irak und in Afghanistan stationiert. Dort diente er von 2009 bis 2010. Das Foto zeigt ihn mit einem Offizier der afghanischen Armee in Kabul.
Zeit für sich: Heute ist der 52-jährige Harper in Frührente und geht seinen Hobbys nach: Wandern, Holzschnitzen und Motorradfahren - am liebsten auf seiner maßangefertigten Harley Davidson. Außerdem...
...segelt Harper sehr gern, wie hier im Jahr 2014 in der Chesapeake Bay vor der US-Ostküste.
Umstritten: Die großen Fotos von Harper und vom russischen Soldaten installierte 1998 der Berliner Fotograf Frank Thiel. Lange schon gibt es ein Tauziehen um die Neugestaltung des Areals rund um den einst wichtigsten Grenzübergang im geteilten Berlin. Der Checkpoint Charlie zählt zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt und steht seit 2018 unter Denkmalschutz.
Geschäft mit der Geschichte: Heute ist der ehemalige Grenzübergang vor allem eine beliebte Touristenattraktion. Souvenirhändler verkaufen hier auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch echte oder angeblich echte Stücke davon. Harper selbst stört "dieser ganze Kitsch". Er wünscht sich an einem Ort, an dem sich einst Panzer gegenüberstanden, eine tiefere Darstellung der Vergangenheit.
Turm mit Aussicht: Ab dem Mauerbau 1961 zählte der Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße zu den markantesten Punkten der Stadt und lockte immer wieder auch Prominenz an, hier 1988 den Schauspieler Sylvester Stallone.
Am Scheideweg: Der Checkpoint Charlie im Jahr 1945. Kurz nach Kriegsende wurde Berlin von den Siegermächten Frankreich, Russland, Großbritannien und USA in vier Sektoren aufgeteilt. Die Frage nach dem Status Berlins sorgt in den folgenden Jahren wiederholt für politische und militärische Spannungen.
Kalter Krieg in Berlin: Nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 heizte sich die Lage in Berlin zunehmend auf. Dieses Foto zeigt einen Einsatztrupp der US-Militärpolizei, der Ende Oktober '61 das Geschehen nahe dem Grenzübergang Friedrichstraße beobachtet.
Treffen politischer Prominenz: Der Berliner Bürgermeister Richard von Weizsäcker, US-Präsident Ronald Reagan und Bundeskanzler Helmut Schmidt am 11. Juni 1982 am Checkpoint Charlie
Nadelöhr: Neben dem Grenzübergang Helmstedt in Niedersachsen (Checkpoint Alpha) und dem Kontrollpunkt Dreilinden-Drewitz (Checkpoint Bravo) war der Checkpoint Charlie, hier in den Sechzigerjahren, an der Berliner Friedrichstraße einer von drei alliierten Kontrollpunkte, die von den USA genutzt wurden.
Maueropfer Peter Fechter: Über die Jahrzehnte gab es am Checkpoint Charlie mehrfach Fluchtversuche aus der DDR. Auf diesem Bild wird Peter Fechter, ein erst 18-jähriger Maurer aus Ost-Berlin, am 17. August 1962 von DDR-Grenzsoldaten abtransportiert. Bei einem missglückten Fluchtversuch war er von mehreren Kugeln getroffen worden und hatte trotz seiner Hilfeschreie noch 50 Minuten im Todesstreifen nahe dem Checkpoint Charlie gelegen, bevor er geborgen wurde. Peter Fechter verblutete. Sein Fall erregte weltweite Empörung.
Wieder vereint: Mit dem Mauerfall am 9. November 1989 wurden alle Fluchtversuche obsolet. Der Checkpoint Charlie, lange Sinnbild der Trennung, wurde zum Schauplatz von rührenden innerdeutschen Szenen.
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