
Liebesbräuche weltweit Ich bin so heiß auf deinen Achselschweiß

Bevor Liebe durch den Magen geht, steckt sie in der Achselhöhle. Von dort aus reist sie auf einem Apfelschnitz in den Mund des Gegenübers, die Speiseröhre runter, durch die Verdauungsorgane. Bis sie schließlich mitten im Herz landet.
So weit die Theorie. Wissenschaftlich bewiesen ist sie nicht, Stichproben aus Niederösterreich zeigen jedoch, dass durchaus etwas dran sein könnte: Dort war es einst Sitte, dass sich heiratsfähige Mädchen beim Tanzen ein Stück Apfel unter die Achsel klemmten und es danach dem Mann ihrer Wahl zum Verzehr überreichten. Eine Pheromonbombe, mit dem Botenstoff der Liebe. An Geruch und Geschmack des süß-salzigen Schmankerls sollte der Auserwählte erkennen, ob die Frau tatsächlich zu ihm passt.
Diese Tradition mag nach Foltermethode klingen. Aber vor ein paar Hundert Jahren war der Apfelschnitztanz ein Liebesbrauch. Dieser und 15 weitere aus aller Welt sind jetzt versammelt im neuen Buch "Für immer und jetzt - Wie man hier und anderswo die Liebe feiert".
Penis-Parade in Japan
Riechrituale haben es Autorin Michaela Vieser und Illustratorin Irmela Schautz besonders angetan. So widmen sie neben dem Achselapfel-Schwof ein Kapitel dem Hongi-Kuss: Maori in Neuseeland beschnuppern ihr Gegenüber, indem sie ihre Nasen und Stirnen aneinanderpressen. In einem viralen Video von einer neuseeländischen Hochzeit gingen etwa diese Hongi-Küsse am Ende eines traditionellen Haka-Tanzes um die Welt.
Schreien, tanzen, Zunge raus: Ein besonderer Tanz fürs Brautpaar
Doch nicht immer hat der Hongi mit Liebe zu tun: Auch Geschäftspartner, Nachbarn und sogar Feinde lernen sich durch den Nasenkuss besser kennen. "Du hongist deinen Feind, denn es ist besser, Augenkontakt mit ihm zu haben, an ihm zu schnuppern, so lernst du viel über ihn", zitiert die Buchautorin einen Maori.
Auffällig viele der im Buch beschriebenen Liebesbräuche stammen aus Asien. Etwa die Besuchsehe beim Volk der Mosuo in China, wo eine Frau den Mann ihrer Wahl nur nachts in ihrem "Blumenzimmer" empfängt. Tagsüber kehrt der Mann ins Haus seiner Familie zurück; einen gemeinsamen Haushalt würden sie nie gründen.
Leckereien aus der Achselhöhle
Oder das Penis-Festival Kanamara Matsuri, das einmal im Jahr im japanischen Kawasaki gefeiert wird und bei dem mit allerhand phallusförmigem Gedöns der Fruchtbarkeit gehuldigt wird. Männer wie Frauen ziehen mit Penis-Lollies, -Nasen und -Kerzen durch die Stadt - sie feiern eine ausgelassene Pimmelparade.
Noch skurriler als der Brauch selbst ist die Legende dahinter: Demnach kroch einst ein Dämon mit langen Zähnen in die Vagina einer Prostituierten, biss bei einem ihrer Freier zu und kastrierte diesen. Daraufhin ließ sich die Frau einen eisernen Penis anfertigen, an dem sich der Dämon die Zähne ausbiss. Seither wird beim Kanamara Matsuri ein riesiger pinker Penis durch Straßen getragen, begrapscht und gestreichelt - ein Liebesbrauch, der weltweit einmalig sein dürfte.
Michaela Vieser, Irmela Schautz:
Für immer und jetzt
Wie man hier und anderswo die Liebe feiert.
Antje Kunstmann; 208 Seiten; gebunden; 18,00 Euro.
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Anders der eingangs erwähnte Apfelschnitz-Schwitzetanz: Den gab es nicht nur in Österreich, sondern auch in Finnland, im Baltikum und im Wendland. Wahlweise stopften sich Frauen dort Kartoffeln, Brötchen oder Zwieback in die Achselhöhle, um sie dann schweißgetränkt dem potenziellen Partner zu überreichen.
Wer die Tradition bei der Zubereitung des Valentinstagsmenüs wieder aufleben lassen möchte, kann also der Fantasie freien Lauf lassen: Ob Bienenstich, Avocado oder Wraps - für den Liebsten alles haus-, Pardon, höhlengemacht.
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Hongi mich! Beim Hongi, dem traditionellen Gruß in Neuseeland, werden Nasen und Stirn aneinandergedrückt- und während einer ausatmet, atmet das Gegenüber ein. Dadurch stellen Mann und Frau fest, ob sie einander riechen können. Aber auch Geschäftspartner, Politiker und Nachbarn lernen sich durch den Nasenkuss näher kennen. Zur Entstehung des Hongi gibt es mehrere Erklärungen. Eine davon: Der Gast wird symbolisch als gestrandetes Boot betrachtet und mit dem festen Aneinanderdrücken von Nase und Stirn in Sicherheit gebracht. Es ist eines von etlichen schrägen Liebesritualen aus aller Welt.
Gut geschnuppert ist halb geliebt: Apfelschnitztanz in Niederösterreich - klingt nach Blechblasmusik, strammen Wadln und Mozartschuhen, die auf Holzfußböden klackern. Stimmt so weit, zum Liebesbrauch braucht's aber noch ein Detail: den Apfelschnitz. Den klemmte sich die Frau beim Tanzen unter die Achselhöhle, tränkte ihn so mit ihrem Schweiß und reichte ihn daraufhin dem Burschen ihrer Wahl zum Verzehr - auf dass dieser hinsichtlich Duft und Geschmack der Auserwählten auf Nummer sicher gehen konnte. Die Illustration ist aus dem Buch "Für immer und jetzt - Wie man hier und anderswo die Liebe feiert", in dem Michaela Vieser und Irmela Schautz Liebesbräuche versammeln.
Penisse, so weit das Auge reicht: Im japanischen Kawasaki wird alljährlich eine spezielle Party gefeiert - beim Kanamara Matsuri, dem Fest des Stahlpenis, steht der Phallus im Mittelpunkt, ob geschnitzt, als Maske oder in Eisform. Gefeiert wird die Fruchtbarkeit im Allgemeinen und die List einer Prostituierten im Speziellen: Sie soll einst mithilfe eines stählernen Penis einen Dämon vertrieben haben, der zuvor in ihre Vagina geschlüpft war, so jedenfalls die Legende dahinter. Sollte das Ihr Interesse geweckt haben: 2016 findet die Phallus-Fete am 3. April statt.
Sehnsucht, 364 Tage im Jahr: Bleiben wir noch in Japan - beim Sternenfest Tanabata wird die Sehnsucht der Sterne Orihime und Hikoboshi zelebriert, die knapp zwei Milliarden Lichtjahre voneinander getrennt brennen und sich nur einmal im Jahr treffen können. Das Fest wird jährlich am 7. Juli mit Volkstänzen gefeiert. Überall in den Straßen stehen Bambusbäume, behängt mit bunten Zetteln, auf die Japaner ihre Wünsche schreiben (hier eine Aufnahme vom Tanabata in Hiratsuka nahe Tokio, 2014).
Ich heirate eine Familie: In Thailand steigen Hochzeitspaare mitunter in den Sarg, um sich darin von Mönchen symbolisch beerdigen zu lassen. Danach feiern sie ihre gemeinsame Wiederauferstehung, wie hier in Bangkok am Valentinstag 2015. Dabei darf die Familie nicht fehlen: Es gehört in Thailand zum Hochzeitsbrauch, dass die ganze Familie das Paar ins Schlafgemach begleitet und sich vom ordnungsgemäßen Zustand des Ehebetts überzeugt. Den frisch Vermählten soll damit klar gemacht werden, dass die Heirat zweier Menschen auch die zweier Familiensysteme ist.
Der institutionalisierte One-Night-Stand: Bei den Mosuo im Südwesten Chinas gibt es kaum formelle Ehen. Die Regel ist die Besuchsbeziehung: Männer und Frauen bleiben in den Familien ihrer Mütter und besuchen einander nur, wenn es dunkel ist. Nach der nächtlichen Visite im Blumenzimmer der Frau geht der Mann morgens wieder nach Hause zur eigenen Familie. Die Fürsorge des Mannes richtet sich nicht auf die Kinder, die er gezeugt hat, sondern auf die Nachkommen seiner Schwestern und Cousinen, mit denen er in einem Haushalt zusammenlebt (im Bild Mosuo-Frauen in der Provinz Yunnan 2010).
Moderne Hofnarren: Die Radical Faeries (radikale Feen) zelebrieren die Freiheit des Andersseins. Sie lehnen die Nachahmung des heterosexuellen Lebensstils ab und lassen sich dabei von geschlechtslosen Schalken der Geschichte wie Hofnarren inspirieren. Es geht ihnen vor allem darum, die eigene Identität zu entdecken, nicht eine von anderen diktierte. Versammlungen der Faeries finden auf fast allen Kontinenten statt, wie hier bei einem Umzug am Londoner Trafalgar Square 2010.
Teamwork im Urwald: Sago, das Mark der Sagopalme, gilt in weiten Teilen Papua Neuguineas als Grundnahrungsmittel. Die Gewinnung ist mühselig. Darum ziehen bei den Bosmun, einem Volk in der Wildnis Papua-Neuguineas, Mann und Frau zusammen in die Sümpfe, um die Pflanzen zu ernten. Der Mann fällt die Palme, häckselt sie und kratzt sie aus. Die Frau wäscht die Häckselspäne in einem Bambusrohr, stampft sie immer wieder und durchschwemmt sie mit Wasser, wie hier auf einem Foto von 2007 zu sehen. Bei den Bosmun sind Mann und Frau erst dann ein Paar, wenn sie diese schwere Arbeit gemeinsam hinter sich gebracht haben.
Ran an den Speck: Was dort oben baumelt, ist Speck - und das Paar hinter den Trägern hat die beiden riesigen Schwarten gewonnen. Gemeinsam mit anderen Bewohnern des englischen Städtchens Dunmow zelebrieren sie den sogenannten Dunmow Flitch: Alle vier Jahre können sich Paare bewerben, die schwören, sich mindestens ein Jahr und einen Tag lang in jedem Moment geliebt zu haben. Angeblich stammt der Brauch aus dem 12. Jahrhundert, hier ein Foto von der Preisverleihung 1926.
Mach Löffelchen: Schmuck oder Schokolade als Liebesbeweis? In den ländlichen Gebieten von Wales war das vor einigen Jahrhunderten undenkbar. Die Menschen waren arm - also mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen: An langen Winterabenden schnitzten junge Männer Holzlöffel für die Frau ihrer Wahl. Das sollte von der Liebe und Fürsorge zeugen, die er ihr widmen würde, wenn sie ihn wählte. Noch heute gelten die Lovespoons als walisisches Nationalsymbol, hier einige Exemplare in einem Souvenirgeschäft in Cardiff.
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