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Susanne Schapowalow: "Durch Türen gehen, die nur für einen kurzen Moment offenstanden"

Foto: Susanne Schapowalow

Vergessene Fotografin Das Auge des Jazz

Für sie posierten die Stars: Hautnah lernte die Berliner Fotografin Susanne Schapowalow in den Nachkriegsjahren Jazzgrößen wie Nat King Cole oder Duke Ellington kennen. Auf Tournee mit dem legendären Quincy Jones landete sie im Gepäcknetz. Auf einestages erzählt sie, wie es dazu kam, und zeigt ihre besten Fotos.
Von Ralf Hanselle

Als der Rock'n'Roll noch Jazz hieß, da war die Welt geteilt in Schwarz und in Weiß. Susanne Schapowalow war bei den Schwarzen, den Bösen. 1922 in Berlin-Friedenau geboren, war die spätere Fotografin gezwungen, ihre Jugend mitten unter denen zu verbringen, die den Jazz nur abschätzig "Negermusik" nannten und Sounds unterteilten in Art und "Entartung". Als der Rock'n'Roll noch Jazz hieß, verbrachte Susanne Schapowalow viele Abende vor dem Radio. Manchmal legte sie ein Kissen darauf, um die Trommeln zu dämpfen oder die Trompeten zu zügeln. Denn um sie herum tobte ein Krieg: Ein Krieg um die Welt, ums Radio und um den Jazz.

"In dieser Zeit war der Jazz für mich eine Art Ausgleich", sagt die heute 87-Jährige. Damals hat sie das Radio abgesucht nach Bluenotes und nach Off-Beat-Klängen. "Ausgleich", sagt sie, als wäre Louis Armstrong nur der Name eines Schlagermusikers oder die Hot Five irgendeine konventionelle Marschkapelle gewesen. Dass das anders war, dass auf Scat und Potato Head Blues zuweilen Schulverweis und Gefängnis standen, das lässt die kleine Frau mit der gewinnenden Bescheidenheit schlicht und einfach weg. Susanne Schapowalow macht nicht viele Worte über ihre Backfischjahre im Schatten des ungeliebten Hakenkreuzes. Nur beiläufig redet sie über einen Nachbarn, den man im Verdacht hatte, er könne die Leidenschaft für amerikanische Radiosender nicht teilen. Einmal erwähnt sie auch den Vater. Mit der Hitlerei schien der auf Kriegsfuß gestanden zu sein.

Um so mehr redet sie, wenn es um ihre Jahre danach geht: Um die Hamburger Jazz-Clubs oder die Reisen zu Konzerten in Frankfurt. Um Duke Ellington und Chet Baker; um Nat King Cole und Ella Fitzgerald. Sie alle hat Susanne Schapowalow kennengelernt - später, als der Krieg aus war und der Groove endlich nach Deutschland kam. Es war die Zeit, in der Susanne Schapowalow Fotografin wurde - für Zeitschriften wie "Stern", "Kristall" oder DER SPIEGEL. Jazz, Architektur und Neue Musik, das waren damals ihre großen Themen. Und wieder war Susanne Schapowalow unter den Schwarzen. Doch diesmal war es freiwillig. Diesmal waren die Schwarzen die mit der schwarzen Haut und die mit der schwarzen Musik. Die, die im Krieg für das Richtige gekämpft hatten. Die, die nach der politischen Farbenlehre die Weißen waren.

Ganz nah bei den Helden

In Amerika aber blieben sie Schwarz. "To be young, gifted and black." Das blieb auch nach dem Krieg ihr großes Dilemma. 1969 hat es die Sängerin Nina Simone in diese berühmten Worte gekleidet. Auch sie hat Susanne Schapowalow einst fotografiert - einige Jahre vor diesem Hit bei einem Konzert im legendären Birdland-Club.

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Susanne Schapowalow: "Durch Türen gehen, die nur für einen kurzen Moment offenstanden"

Foto: Susanne Schapowalow

Eigentlich hatte sie sie fast alle vor der Kamera: die Helden des Swing und die des Cool-Jazz; die großen Orchester und die kleinen Combos. Die Qualität ihrer Porträts und ihrer Konzertfotografien hatte sich schnell herumgesprochen. Musiker aus den USA wie aus Europa posierten bereitwillig nach ihren Instruktionen und Vorgaben. Manchmal sind aus diesen Begegnungen Freundschaften geworden. Dass die einen dabei schwarz waren und die anderen weiß - eigentlich spielte das keine Rolle. "Unter Musikfreunden vergaß man die Farbe der Haut", erinnert sich die Jazz-Fotografin heute. Natürlich: die Nazis hatten versucht, Aversionen aufzubauen. Für sie war die schwarze Musik ein Gift gewesen. Erst allmählich geriet die Propaganda von einst in Vergessenheit. Letztlich aber hat immer die Neugier gesiegt. "Die Freude", sagt sie, "dass es hier wie dort keine Menschenfresser gab".

Neugier blieb eine Konstante in der Fotografie von Susanne Schapowalow. Neugier und etwas, was man in jenen Jahren wohl noch mit dem Wörtchen "Chuzpe" bezeichnet hätte. "Als Fotografin musste ich durch Türen gehen, die oft nur für einen kurzen Moment offenstanden." So geschah es auch Ende der fünfziger Jahre. In Paris stellte der legendäre Jazz-Trompeter Quincy Jones gerade ein namhaftes Orchester für ein neues Musical zusammen. Als Susanne Schapowalow davon hörte, fuhr sie kurz entschlossen an die Seine. Doch aus dem Musical wurde nichts. Als Quincy Jones sie stattdessen fragte, ob sie nicht mitkommen wolle auf eine vierwöchige Tournee durch Europa, musste die Fotografin nicht lange überlegen. Ohne Ticket fuhr sie mit.

Die Frau im Gepäcknetz

Diese Schwarzfahrt, die sie von Schweden bis nach Italien führen sollte, wäre fast zu einem teuren Abenteuer geworden. Während man zunächst blind darauf vertraute, dass man in großen Gruppen nicht sonderlich kontrolliert würde, sollte dieses Mal alles anders kommen: "Wir hatten einen Tipp bekommen", erzählt Susanne Schapowalow. "Irgendwo auf der Strecke sollte es einen besonders eifrigen Schaffner geben." Was also tun? Kurz entschlossen hievte die Band die kleine Frau ins Gepäcknetz. Man schob noch einen Koffer davor. Dann war von ihr nichts mehr zu sehen. Der Schaffner jedenfalls, er kam und merkte nichts. Quincy Jones brachte die Aktion einige der besten und intimsten Porträtaufnahmen, die je von ihm gemacht worden sind.

Dass all diese Jazz-Fotos heute nicht vergessen sind, verdankt die Fotografin einem Zufall. Vor einigen Monaten wurde ihr Enkel von ein paar Freunden gefragt, ob er nicht einige Fotos für die Ausstattung eines Berliner Design-Hotels aus dem Jazz Age beisteuern könne. Sofort fielen ihm die Bilder und Geschichten seiner Oma ein: die einmaligen Aufnahmen von Duke Ellington am Klavier, die Fotos von den aufgeblasenen Backen von Miles Davis oder die Erinnerungen an die akrobatischen Auftritten eines Lionel Hampton. Es brauchte nicht lange und die Hotelbetreiber waren überzeugt.

Jetzt sind Schapowalows Bilder nicht nur im Hotel, sondern sogar für kurze Zeit in der Berliner Galerie Camera Work zu sehen - einem Haus, in dem man normalerweise nur die ganz Großen der Fotografiegeschichte zeigt: Helmut Newton, Richard Avedon oder Elliott Erwitt. Susanne Schapowalow erfüllt das mit Stolz. Und doch: Die freundliche alte Dame bleibt bescheiden. "Ich glaube, mir sind damals ein paar ganz gute Fotos gelungen", sagt die heute in Hamburg lebende Fotografin lapidar. Dabei fällt ihr Blick auf ein Bild, welches Louis Armstrong mit breitem Grinsen sitzend auf einem rosafarbenen Stuhl zeigt. Ein Bild, das wie kaum ein zweites die Lebensfreude aus den Swinging Fifties transportiert.

Überheblichkeit ist Susanne Schapowalows Sache nicht. Neulich, da hat Quincy Jones ihr ein Buch mit einer Widmung geschickt: "You will always have an apartment in my heart." Susanne Schapowalow erwähnt diese Geschichte nur beiläufig. Ein Appartement ist eine feine Sache. Aber die Reise im Gepäcknetz damals im Zug, sie scheint der Fotografin bis heute noch weit mehr zu bedeuten.

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