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USA gegen Vietcong: Vietnamkrieg - die Macht der Bilder

Foto: Eddie Adams/ AP

Ein Bild und seine Geschichte Als der General einen Vietcong erschoss

Der Polizeichef von Saigon tötet einen Mann in Zivil per Kopfschuss. Dieses berühmte Kriegsfoto von vor genau 50 Jahren wurde zu einem Wendepunkt im Vietnamkrieg - es zeugt von der Macht der Bilder.
Von Christoph Sator und Jochen Leffers

Von der Szene in Saigon gibt es auch einen Film. Anfangs sieht alles nach irgendeinem Tag im Vietnamkrieg aus. Ein schmächtiger Mann in kurzer Hose und kariertem Hemd, barfuß, die Hände hinter dem Rücken in Handschellen, den Blick auf dem Boden. Behelmte Soldaten führen ihn durch die Straße. Von rechts kommt ein weiterer Mann ins Bild. Er wedelt mit einem Revolver, verschafft sich Platz, stellt sich neben den anderen, der ihn nicht ansieht.

Dann streckt er den rechten Arm aus und schießt ihm sofort in den Kopf.

Das ist der Moment, den der US-Fotograf Eddie Adams am 1. Februar 1968 festhielt. So entstand vor genau 50 Jahren eines der berühmtesten Bilder der Kriegsfotografie - wie ein Mann in Zivil von einem Militär beinahe beiläufig erschossen wird. Man kann auch sagen: hingerichtet. Es ist ein brutales Bild, man kriegt es kaum aus dem Kopf. Und es hat den Lauf des Krieges beeinflusst.

Der Mann im Karohemd hieß Nguyen Van Lem. Er war Mitte 30 und verheiratet, ein Guerilla der Vietcong, die unter Ho Tschi-minh gegen Südvietnam und somit auch gegen die USA kämpften. Beide Seiten hatten eine Feuerpause zu Vietnams Neujahrstag Tet vereinbart, zum 1. Februar. Aber allen Zusagen zum Trotz startete Ho Tschi-minh tags zuvor einen Angriff, die Tet-Offensive.

Mord an einem Mörder

Der Vietnamkrieg hatte bereits 1955 nach der Teilung des Landes begonnen. Die Vereinigten Staaten unterstützten Südvietnams Militär gegen den kommunistischen Norden und traten 1964 mit dem "Tonkin-Zwischenfall" auch offiziell in den Krieg ein. Vier Jahre später kämpften bereits 550.000 US-Soldaten in Vietnam, ohne entscheidende Erfolge zu erzielen. Die Truppen von Ho Tschi-minh wollten die Herrschaft über das ganze Vietnam und die Amerikaner vertreiben. Der Konflikt eskalierte dramatisch, die Tet-Offensive 1968 wendete das Blatt gegen die USA und führte sie in ein historisches Desaster.

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Vietnamkrieg: Als Amerika das Fürchten lernte

Foto: AP

Nach dem Bruch der Waffenruhe wurde auch in Saigon schwer gekämpft. Nguyen Van Lem war mittendrin, ein mutmaßlicher Mörder. Als Vietcong nannte er sich Bay Lop und soll, genau weiß man das bis heute nicht, einer Todesschwadron angehört haben, die es auf südvietnamesische Polizisten und ihre Familien abgesehen hatte. Angeblich war er am Morgen in der Nähe eines Massengrabes mit 34 Leichen verhaftet worden. Der australische Kameramann Neil Davis berichtete später, dass Lem auch Freunde von Saigons Polizeichef Nguyen Ngoc Loan ermordet habe, ebenso Patenkinder von ihm.

Loan war der Mann mit dem Revolver. Ein General von 37 Jahren, ehemaliger Pilot, Studienfreund von Südvietnams Ministerpräsident. Er behauptete später, Lem habe die Familie eines seiner Offiziere getötet. Das passt zur Darstellung des Australiers. Ob es stimmt, wird man wohl nie erfahren. Jedenfalls drückte der General aus seiner 38er-Smith&Wesson ohne jedes Zögern ab.

Der Fotograf: "Ich habe viele Menschen sterben sehen"

Die letzten Momente im Leben vom Lem verfolgte eine Handvoll Kriegsreporter. Manche sagen, dass Loan den Vietcong sonst nie erschossen hätte. Die Aufnahmen, die der Kameramann Vo Suu für den US-Fernsehsender NBC drehte, zeigen, wie Lem zusammenbricht, auf die Straße sinkt und dann Blut aus seinem Kopf sickert. Loan steckt die Pistole zurück ins Holster und dreht ab.

Viel größere Wirkung als die Fernsehbilder hatte jedoch das Foto von Eddie Adams. Es ragte unter all den entsetzlichen Vietnam-Bildern heraus. Der amerikanische Fotograf, seinerzeit 34, war für die Nachrichtenagentur AP im Einsatz, ein erfahrener Mann. Er nahm an, lediglich ein Verhör auf offener Straße zu fotografieren. "Damals war es üblich, dass man Gefangenen dabei die Pistole an die Schläfe hält", sagte Adams später. Er rechnete nicht damit, dass der General den Abzug drückt. Es kam anders.

Adams ging zurück ins AP-Büro und übergab die Filmrolle. "Ich sagte: Darauf ist jemand, der einen anderen tötet - und dann ging ich zum Mittagessen", erzählte er später. "So einfach war das. So war der Krieg. Ich habe viele Menschen sterben sehen. Ich hatte nichts damit zu tun, jeder hätte das Bild machen können. Nur passierte es gerade, als ich da war."

In den Tagen danach hatten das Foto alle großen US-Zeitungen und auch viele Blätter im Rest der Welt auf dem Titel. Man schaut auf den General, seinen Arm, die Pistole und dann auch ins Gesicht von Nguyen Van Lem, in der Sekunde, in der er sein Leben verliert. Das linke Auge ist offen.

Eines der 100 wichtigsten Fotos aller Zeiten

Das Foto ging um den Globus und trug dazu bei, dass die Stimmung in der US-Öffentlichkeit kippte. Bis dahin dachten viele, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die hochgerüstete Supermacht den Krieg in diesem fernen Land gewinnen und Nordvietnam zusammenbrechen würde.

Doch dann wurde sie in der Tet-Offensive überrumpelt. Die Amerikaner erfuhren nicht nur von den Morden der Vietcong, sondern erkannten zu ihrem Entsetzen nach und nach auch die Grausamkeiten ihrer eigenen Soldaten - etwa die massiven Bombardierungen, den Einsatz von Napalm und Agent Orange, das unfassbare Massaker von My Lai im März 1968, als etwa 500 Zivilisten niedergemetzelt wurden, darunter Säuglinge und Greise.

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USA gegen Vietcong: Vietnamkrieg - die Macht der Bilder

Foto: Eddie Adams/ AP

Die Proteste gegen den Vietnamkrieg gewannen in den USA und anderswo an Wucht. Viele Bürger waren nun überzeugt, dass dieser Krieg sinnlos und auch nicht zu gewinnen war, dass sie selbst, ihre Brüder, Söhne oder Enkel nicht im asiatischen Dschungel sterben durften. Es lag auch an der Macht der Bilder: Ein kleines Mädchen flieht vor Napalmbomben, verängstigte Vietnamesen, GIs mit wie versteinerten Gesichtern im entlaubten Dschungel - Aufnahmen wie diese hatten eine enorme Bedeutung für den Einstellungswandel.

Die Exekution eines gefesselten Vietcong aus nächster Nähe: Das Bild von Eddie Adams zeugte davon, wie die vermeintlichen Verteidiger von Freiheit und Demokratie selbst zum Terror griffen. Es wurde Pressefoto des Jahres. Adams bekam dafür den Pulitzer-Preis, Amerikas wichtigste Auszeichnung für Journalisten. Das Magazin "Time" nahm es auf die Liste der wichtigsten 100 Fotos aller Zeiten.

"Ich denke, Buddha verzeiht mir"

Trotzdem sagte Adams später immer wieder, dass er die Aufnahme bereue. Weil sie aus dem Kontext gerissen worden sei, nur eine "Halbwahrheit", so der Fotograf aus Pennsylvania, der sich nie vorgedrängelt hatte, um ausgerechnet als Kriegsjournalist bekannt zu werden. "Der General hat den Vietcong getötet. Und ich habe mit meiner Kamera den General umgebracht", schrieb er im Magazin "Time".

Manchmal stellte Adams auch die Frage: "Was hätten Sie getan, wenn Sie der General gewesen wären? Zu dieser Zeit und an diesem Ort? An diesem heißen Tag? Und Sie hätten diesen angeblichen Schurken gefangen, nachdem er ein, zwei oder drei amerikanische Soldaten abgeknallt hätte?" Die Frage beschäftigte ihn, bis er 2004 im Alter von 71 Jahren starb.

Loan wurde gleichfalls zur Berühmtheit. Der Kameramann von damals berichtete, wie er gleich nach der Erschießung zu den Reportern kam und sagte: "Diese Kerle bringen viele unserer Leute um. Ich denke, Buddha verzeiht mir." Auf Bildern, die etwas später entstanden, ist zu sehen, wie der Polizeichef Bier trinkt, raucht, lacht. Drei Monate danach wurde er schwer verwundet. Sein rechtes Bein musste amputiert werden.

Nach dem Abzug der US-Truppen aus Saigon 1975 floh General Loan mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten. Es gab Forderungen, ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, doch dazu kam es nie. Im US-Bundesstaat Virginia eröffnete er eine Pizzeria, die er aber wieder schließen musste: Als seine Vergangenheit bekannt wurde, machten viele Kunden einen Bogen um das Restaurant, er erhielt Drohungen. 1998 starb Loan mit 67 Jahren an Krebs.

In Saigon, das heute Ho-Chi-Minh-Stadt heißt, erinnert kaum etwas an die Szene von damals. Über die Straße, wo es passierte, die Ly Thai To im 10. Bezirk, rollen jetzt die Mopeds dicht an dicht. Irgendeine Form des Gedenkens gibt es hier nicht. Im Kriegsmuseum der Stadt hängt Adams' Foto ziemlich versteckt in einer Vitrine - nur eines von vielen, auf denen zu sehen ist, wie der Tod über das Land kam.

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