Vom Berghotel ins Casino
Von Portland aus, der Stadt am Atlantik, führt die Straße 302 nach Westen, in die White Mountains hinauf. Gut zwei Stunden dauert die landschaftlich reizvolle Tour über 95 Meilen, dann ist man angekommen.
In einem Ort, der praktisch nur aus einem riesigen Hotelkasten besteht. Protzig steht das »Mount Washington« in dieser ruhigen Berglandschaft. Ein Hotelgigant, wie ihn die Amerikaner lieben. Golf, Angeln, Schwimmen im Sommer, Ski fahren im Winter. Das Standardzimmer für rund 250 Dollar.
Das Hotel, der Ort - es sind keine gewöhnlichen Touristenziele, sondern zeitgeschicht-liche Denkmäler, für viele ein Mythos. Willkommen in Bretton Woods.
Hier war es, wo im Sommer 1944 die globale Geld- und Währungsordnung für die ersten Jahrzehnte nach dem Weltkrieg ausgehandelt wurde. Lord John Maynard Keynes, der führende Ökonom jener Zeit und englische Verhandlungsführer, hatte den Anstoß geliefert, die Konferenz in das abgelegene Berghotel zu legen. »Laden Sie um Himmels willen nicht nach Washington ein. Das wäre sehr unfreundlich«, schrieb Keynes an Harry Dexter White, den Staatssekretär im amerikanischen Finanzministerium. Keynes war damals schon schwer herzkrank und scheute das feuchtheiße Sommerklima der US-Hauptstadt.
So zog der Tross nach Bretton Woods und sorgte dafür, dass ein Ortsname zum Symbol für eine Ära wurde. Einer mit historisch einmaliger Wohlstandsmehrung, mit einer Gesellschaft nahezu ohne Arbeitslosigkeit, mit stabilen Wechselkursen, mit einer erfolgreichen Kooperation aller westlichen Nationen. Wann immer in den Krisenjahren 2008 und 2009 über eine neue Ordnung für die Weltwirtschaft geredet wurde - stets war und ist die Rede von einem »neuen Bretton Woods«.
Das Abkommen, das im »Gold Room« des »Mount Washington« am 22. Juli 1944 paraphiert wurde, sah für das Weltwährungssystem feste Wechselkurse vor, die um ein Prozent nach oben und unten schwanken durften. Wenn diese Austauschverhältnisse ("Paritäten") nicht mehr die tatsächliche Stärke der Währungen zueinander widerspiegelten, sollten die Notenbanken und Regierungen neue Wechselkurse festlegen.
In der Praxis bedeutete dies, dass die Notenbanken sich verpflichteten, zu garantierten Preisen ausländische Valuta anzukaufen, beziehungsweise die heimische Währung zu verkaufen - unabhängig von der angebotenen Menge. Der freie Markt war ausgeschaltet. Zumindest so lange, wie Regierungen und Notenbanken die Kurse nicht an die grundlegenden Kräfteverhältnisse anpassten.
Der US-Dollar wurde die Leitwährung des Systems, alle Devisentransaktionen richteten sich nach dem Austauschverhältnis der einzelnen Währungen zum Dollar. Und: Die Amerikaner verpflichteten sich, die Dollar-Reserven jedes Landes gegen Gold einzutauschen, zum festen Kurs von einer Unze Gold für 35 Dollar.
Gleichzeitig verabredeten die Teilnehmer in Bretton Woods die Gründung des Internationalen Währungsfonds. Der sollte das neue System überwachen und unterstützen. Und er sollte - mit Zahlungsmitteln seiner Mitglieder ausgestattet - jenen Ländern beistehen, deren Zahlungsbilanz in die Miesen gerutscht war.
Der Rahmen für die Ordnung der Weltwirtschaft nach dem Desaster der Weltwirtschaftskrise und den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs war geschaffen. Die Jahrzehnte, die folgen sollten, zeigten allerdings, dass auch ein anscheinend gut konstruiertes ökonomisches Gerüst nur für begrenzte Zeit tauglich sein kann.
Für die meisten Veränderungen und Reformen der vergangenen 65 Jahre gibt es einen gemeinsamen Nenner, und der heißt: mehr Markt, weniger Staat. Die Akteure auf den Geld- und Währungsmärkten konnten frohlocken. Sie erhielten über die Jahrzehnte hinweg immer mehr Freiheiten - bis schließlich dieser Prozess der Deregulierung überzogen wurde und in der großen Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 sein teures Ende fand.
Das System von Bretton Woods wies noch viele Charakteristika einer Zentralverwaltungswirtschaft auf. Staatliche Organe legten die Währungsparitäten fest, die Notenbanken garantierten diese hoheitlichen Preise für den Austausch von Währungen. Noch Jahre nach dem Abschluss des Vertrags kontrollierten viele Länder die grenzüberschreitenden Kapitalströme.
Das System brauchte Kontrollen, weil es sonst schon früh von der Spekulation aus den Angeln gehoben worden wäre. Konkret: Jeder Erwerb von Devisen, also ausländischem Geld, jeder Export von Kapital musste von Behörden genehmigt werden. Was den internationalen Handel und Investitionen im Ausland sehr schwerfällig machte.
Schnell stellte sich heraus, dass die vorgesehene Anpassung der Wechselkurse an eine veränderte Situation der Märkte - man sprach von »Stufenflexibilität« - eine Illusion war.
Die betroffenen Regierungen zögerten meist viel zu lange, bis sie neue Austauschverhältnisse festlegten, ihre Währungen also auf- oder abwerteten.
Bretton Woods litt darunter, dass es nicht elastisch genug war, um auf eine sich rasch verändernde und wachsende Weltwirtschaft zu reagieren. Je mehr die nationalen Volkswirtschaften zu einem einzigen großen Markt zusammenwuchsen, umso schwerer war es, die grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen zu kontrollieren.
»Rückblickend lässt sich sagen, dass es außerordentlich naiv war zu glauben, dieses System könne funktionieren«, schreibt der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Barry Eichengreen.
Die Volkswirtschaften der nichtkommunistischen Hemisphäre prosperierten, aber sie taten dies auf höchst unterschiedliche Weise. Die einen, vor allem die Deutschen, waren nach der Hyperinflation darauf fixiert, dass ihre Mark möglichst wenig an Wert verlor. Andere, in Europa beispielsweise die Italiener oder die Franzosen, nahmen ein gewisses Maß an Teuerung locker hin.
Die einen, wiederum die Deutschen, waren überaus erfolgreich auf ausländischen Märkten, exportierten mehr, als sie importierten, und legten sich beachtliche Devisenüberschüsse zu. Andere, so die Briten, kauften mehr Güter und Dienste im Ausland, als sie dorthin ausführten; ihre Zahlungsbilanz geriet immer tiefer ins Minus.
In dem Maße, wie sich die Wirtschaft und der Geldwert in den einzelnen Ländern unterschiedlich entwickelten, hätten sich die Preise (oder: Kurse) für die einzelnen Währungen verändern müssen. Doch dieser Mechanismus funktionierte nicht.
Symptomatisch war das Verhalten der Deutschen. Ende der Sechziger wäre eine Aufwertung der Mark zwingend gewesen. Doch die Unternehmerlobby stemmte sich mit aller Gewalt gegen das ökonomisch Gebotene. Eine Aufwertung hätte ihre Produkte im Ausland verteuert und womöglich zu weniger Exporten geführt.
So wurde die Währungspolitik, ein eher sperriges Sujet, zum Top-Thema im Wahlkampf 1969. Der Sozialdemokrat Karl Schiller, Wirtschaftsminister der damaligen Großen Koalition, focht für die Aufwertung. Franz Josef Strauß, sein Finanzminister-Kollege von der CSU, und die gesamte Union waren dagegen. Erst mit der Bildung der SPD-FDP-Koalition im Herbst 1969 wurde dann die Mark - zum zweiten Mal nach 1961 - aufgewertet, um 8,5 Prozent.
Noch eine weitere Fehlkonstruktion im System von Bretton Woods trat bald zutage: die dominante Position des Dollar, über den der Austausch aller Währungen lief.
Im Vietnam-Krieg warfen die Amerikaner ihre Gelddruckmaschinen an, um alle Auslandsrechnungen bezahlen zu können. Die Welt wurde mit Dollar regelrecht überschwemmt. Für Deutschland bedeutete das: Die Bundesbank musste Unmengen von Dollar ankaufen. Die wurden in Mark umgetauscht und erhöhten im Inland die Geldmenge. Man klagte über die »importierte Inflation«.
Diese Dollar-Flut machte schließlich Anfang der siebziger Jahre Bretton Woods den Garaus. Deutschlands Wirtschaftsminister Schiller legte den Hebel um. Im Mai 1971 gab er den Wechselkurs der Mark frei und löste damit, wie der damalige Spitzenbeamte und spätere Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl schreibt, »ein kleines internationales Erdbeben aus«.
Zwei Jahre später, nach einer nicht enden wollenden Abfolge von Krisentreffen, musste das System endgültig aufgegeben werden. Alle Länder gingen zum »Floaten« über. Die Kurse sollten sich fortan nach Angebot und Nachfrage bilden. Der freie Markt hatte gesiegt. Für die Welt der Währungen und des internationalen Handels begann ein neues Zeitalter.
Eine neue Ära war aber auch für jenen Teil der Geldwirtschaft angebrochen, der als verlängerter Arm der Notenbanken für die Geldversorgung in den einzelnen Nationalstaaten zuständig ist - für die kommerziell betriebenen Geschäftsbanken. Wie beim Austausch von Devisen hieß nun auch bei den übrigen Geschäften der Geldkaufleute der Trend: Deregulierung, Liberalisierung, weniger Staat und mehr Markt.
Banken wurden traditionell schon immer stärker durch staatliche Vorschriften kontrolliert als andere Bereiche der privaten Wirtschaft. Und das mit gutem Grund: Sie sorgen dafür, dass die produzierende Wirtschaft und die Verbraucher ausreichend mit Zahlungsmitteln versorgt werden. Wenn der Geldkreislauf gestört ist, leidet die gesamte Volkswirtschaft. Im Extremfall kollabiert sie, wie Ende 2008 allenthalben befürchtet wurde.
Deutschlands Banken beispielsweise mussten in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg ihre Soll- und Habenzinsen - also die Zinsen, die sie für Spareinlagen zahlten, und jene, die sie für Kredite kassierten - genehmigen lassen. In den USA, wo offiziell jeder Dollar mit Gold hinterlegt war, hatte die Regierung ihren Bürgern verboten, Goldmünzen zu sammeln. Amerikaner durften auch kein Gold im Ausland halten.
Amerikaner und Engländer, traditionell eher auf der wirtschaftsliberalen Seite, waren die Ersten, die solche Beschränkungen hinwegräumten. Sie hatten verstanden: Die zunehmende Globalisierung der Realwirtschaft bedeutete auch eine weltweit grenzenlose Geldwirtschaft. Da schien es wenig Sinn zu haben, diese Branche durch vielerlei Regeln einzuengen, die nur national, also sehr unzulänglich zu kontrollieren waren. Mit zu starken Restriktionen für die Banken, so die Philosophie, hätten sich die Volkswirtschaften Wachstumsverluste eingehandelt.
Die Deregulierung zog sich über viele Jahrzehnte hin. Es war ein evolutionärer Prozess, mit unterschiedlichem Tempo in den einzelnen Ländern. Bei den Währungen hingegen fand mit der Freigabe der Wechselkurse eine regelrechte Revolution statt, ein Big Bang.
Was mit der neuen Freiheit auf den Währungsmärkten geschah, war für viele Ökonomen lange unvorstellbar gewesen, selbst für ausgewiesene Marktwirtschaftler. So plädierte ein liberaler Wirtschaftswissenschaftler wie Herbert Giersch lange für feste Wechselkurse, erst Mitte der Sechziger änderte er seine Meinung.
Die Skepsis gründete vor allem in der Befürchtung, ein womöglich heftiges Schwanken der Paritäten würde den Unternehmen im Export die Preiskalkulation unmöglich machen und sich schädlich auf die Realwirtschaft auswirken.
Wer für frei schwankende Wechselkurse plädierte, gehörte unter den Wirtschaftswissenschaftlern zu den Außenseitern.
Das, was 1973 dann endgültig vollzogen wurde, war ja tatsächlich »ein Sprung ins Ungewisse«, wie Barry Eichengreen schreibt. Aber er musste gewagt werden. Es gab nach dem Scheitern von Bretton Woods keine Alternative. Längst wissen wir auch: Der Wechsel zu flexiblen Kursen war ökonomisch richtig. Das befürchtete Währungschaos blieb aus, die Wirtschaft gewöhnte sich an das Auf und Ab der Wechselkurse.
Einer, der schon früh, im Jahr 1950, für flexible Kurse eintrat, war der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, neben Keynes der wohl einflussreichste Ökonom des vorigen Jahrhunderts. Der ultraliberale Amerikaner setzte voll auf die Kräfte des Marktes. Nicht nur was die Währungen anbelangte, sondern auch und vor allem in der Geldpolitik der Notenbanken.
Friedman stellte sich gegen die lange Zeit gültige Lehre, dass die Zentralbank mit der Steuerung der Geldmenge für stabile Beschäftigung sorgen könne, wie Keynes gelehrt hatte. Er verlangte von den Notenbanken, auf konjunkturpolitische Manöver zu verzichten und die Geldmenge stabil zu halten, das sei die beste Beschäftigungspolitik. Sein »Monetarismus«, wie diese Lehre genannt wird, beherrschte Ende des zwanzigsten Jahrhunderts das ökonomische Denken und sorgte für zusätzlichen Schub Richtung Deregulierung.
Die europäischen Politiker blieben auch nach dem Scheitern von Bretton Woods skeptisch gegenüber dem Spiel der freien Kräfte. Und das vor allem aus einem Grund: Die Europäische Gemeinschaft der damals neun Länder vertrug sich nur schwer mit stark schwankenden Wechselkursen. Vor allem der gemeinsame Agrarmarkt, eine gigantische europäische Subventions- und Geldverteilungsmaschine, war in seiner damaligen Konstruktion nicht mit ständig wechselnden Paritäten denkbar.
So suchten die Europäer, als das Ende von Bretton Woods unvermeidbar war, eine europäische Alternative - und schufen sich eine eigene Nachfolgeregelung, quasi ein Mini-Bretton-Woods. Sie wollten die Schwankungen ihrer Währungen beschränken und führten daher Ober- und Untergrenzen ein, innerhalb deren sich die Kurse bewegen konnten. Verließen die Kurse die festgelegten Bandbreiten, mussten die Notenbanken einschreiten, also Währungen zu festen Preisen kaufen oder verkaufen.
Zunächst war dies die sogenannte Währungsschlange, später dann, vom deutschen Kanzler Helmut Schmidt und Frankreichs Präsident Valéry Giscard d'Estaing ins Leben gerufen, das Europäische Währungssystem (EWS). So wuchs Europa geldpolitisch zusammen.
Mit dem EWS war der Grundstein gelegt für ein wahrhaft historisches Großprojekt: eine gemeinsame Währung für das Europa der Brüsseler Gemeinschaft. Es waren vor allem die Franzosen, die auf eine einzige Gemeinschaftswährung drängten. Sie störten sich mächtig an der Führungsrolle, die inzwischen der D-Mark in Europa zugefallen war. Frankreichs Politiker wollten mehr Macht in der Geldpolitik, und das ging nur mit einer europäischen Notenbank und mit europäischem Geld.
Die Skepsis allerdings war groß gegenüber diesem historischen Projekt, unter den Fachleuten wie bei den währungspolitischen Laien. Das galt vor allem für Deutschland, wo die Mark das nationale Erfolgssymbol der Nachkriegsära geworden war.
Würde eine europäische Zentralbank den Geldwert ähnlich stabil halten wie es die deutschen Bundesbanker jahrzehntelang getan hatten?
Deutschlands Kanzler Helmut Kohl setzte sich über die zahlreichen Bedenkenträger, die auch im Direktorium der Bundesbank saßen, hinweg. Seit dem 1. Januar 2002 haben die Europäer, die Mitglieder der Währungsunion sind, ein gemeinsames Geld, den Euro; schon drei Jahre vor dem gemeinsamen Papiergeld waren das Buchgeld und damit die Wechselkurse endgültig festgelegt worden. Bereits 1998 hatte die Europäische Zentralbank ihre Arbeit aufgenommen.
Der Euro war und ist in der Geschichte des Geldes ein wagemutiges Großexperiment. Bislang scheint er die Kritiker und Skeptiker Lügen zu strafen. Er bietet den Unternehmen eine sichere Kalkulationsgrundlage für den gemeinsamen Markt. Für die Bürger entfällt das lästige Geldwechseln bei Reisen über die Grenzen.
Und, nicht zuletzt: Der Euro glänzt mit niedrigen Inflationsraten, niedrigeren jedenfalls, als die meisten europäischen Währungen lange Zeit aufwiesen. Er hat sich zudem als Stabilisator für den Kontinent bewährt: Ohne den Euro hätte Europa in der jüngsten großen Krise nicht nur einen Beinahe-Crash der Geschäftsbanken überstehen müssen, sondern auch noch unter heftigsten Währungsturbulenzen gelitten.
Nicht zuletzt hat der Euro die dominante Stellung des Dollar in Frage gestellt. Drei große Währungsblöcke beherrschen heute das Geschehen: Der Dollar, an den sich viele asiatische Währungen, darunter der chinesische Yuan, gehängt haben; der Euro, an dem sich auch Länder orientieren, die nicht Clubmitglieder sind; und der japanische Yen.
Keine dieser drei Währungen ist mit den anderen über feste Wechselkurse verbunden, bei allen bestimmen letztendlich die Märkte die Kurse. Es ist dies keineswegs ein perfektes System, die Währungen irritieren immer wieder mit starken Ausschlägen. Aber ein besseres wurde bislang nicht erfunden.
In erster Linie bestimmen heute ökonomische Fakten die Wechselkurse - Exporte/Importe, Zahlungsbilanzdefizite/-überschüsse, Zinshöhen oder Inflationsraten. Manche Regierungen versuchen allerdings auch, die Märkte auszutricksen. Beim Yen bestand jahrelang der Verdacht, dass die japanische Notenbank durch Käufe und Verkäufe den Markt zu manipulieren versucht. Noch mehr gilt das für den Yuan, dessen (viel zu niedriger) Wert von den Kommunisten in Peking festgelegt wird und der zu hohen Überschüssen der Chinesen im Handel mit den USA führt.
Nicht zuletzt sorgen aber auch Stimmungen oder Gerüchte dafür, dass eine Valuta im Wert steigt oder fällt - und womöglich ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißt. Ein wunderbares Betätigungsfeld für die Geldhändler rund um die Erde.
Nie zuvor jedenfalls hat die Spekulation solche Triumphe gefeiert wie in den vergangenen 10, 20 Jahren. Das gilt allerdings nicht nur für den Devisenhandel, sondern für die gesamte Palette der Finanzmärkte. Und für diese Entwicklung hat nicht allein und nicht mal entscheidend der globale Übergang zu freien Wechselkursen gesorgt. Sondern eine Politik, die in praktisch allen entwickelten Volkswirtschaften den privaten Akteuren an den Finanzmärkten immer mehr Freiheiten gewährte.
Etwa Mitte der Achtziger hatte ein Wettlauf der sogenannten Deregulierung eingesetzt. Jene Regierungen, die den bei ihnen ansässigen Geldinstituten die geringsten Auflagen machten, konnten darauf zählen, dass sich bei ihnen die meisten Geldhändler niederließen. London stieg mit dieser Standortstrategie zum globalen Finanzzentrum auf.
Der ökonomische Ultraliberalismus im Geiste Milton Friedmans hatte gesiegt - und er verwandelte die Welt in ein globales Casino.Die Schaltstellen übernahm eine neue Finanzelite, die »Masters of the Universe«, wie sie der US-Schriftsteller Tom Wolfe nannte. Sie betrieb und betreibt ihre Geschäfte im rechts- und kontrollfreien Raum über die Grenzen hinweg. Es sind Geschäfte, die sich zunehmend von der sogenannten Realwirtschaft abgekoppelt haben, längst nicht mehr mit dem Handel mit Gütern und dem Verkauf von Dienstleistungen verknüpft sind.
Doch die Freiheit setzt nicht nur Kräfte frei, sie hat ihren Preis: Das Finanzsystem wurde immer krisenanfälliger. Ein Crash jagte den nächsten:
* Ende der Achtziger kollabierten in der Savings & Loan-Krise in den USA reihenweise mittelständische Banken, sie mussten mit staatlicher Hilfe aufgefangen werden.
* Ende der Neunziger kam es zum milliardenschweren Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM, der das gesamte Bankensystem bedrohte; etwa zur gleichen Zeit standen nach Devisenspekulationen und übermäßiger Verschuldung von Banken einige asiatische Staaten am Abgrund.
* Anfang dieses Jahrzehnts brachen weltweit die Aktienmärkte ein; auf Pump finanzierte Gründungen von Internet-Unternehmen hatten zu einer riesigen Spekulationsblase geführt.
* Ende dieses Jahrzehnts dann die große Krise, die bedrohlichste seit der Weltwirtschaftskrise der Dreißiger. Ausgelöst vom schuldenfinanzierten Häuserboom in den USA, aber in Wahrheit ein Ergebnis globaler Maßlosigkeit. Allein der Derivate-Markt war von 142 Billionen Dollar im Jahr 2002 auf unfassbare 596 Billionen Dollar Ende 2007 angeschwollen.
Die »Entartungen auf den Finanzmärkten« (Ex-Kanzler Helmut Schmidt) hatten der Menschheit ein Debakel beschert, mit dem angesichts der Fortschritte in den Wirtschaftswissenschaften, im Risikomanagement von Banken und bei den Techniken der Währungshüter kaum noch einer gerechnet hatte.
Eine »systemische Krise« bedrohte die Welt, was heißt, dass die gesamte, in den Jahrzehnten nach dem Krieg gewachsene Finanzarchitektur vor dem Zusammenbruch stand. Rund um den Erdball mussten nun die Regierungen mit unfassbaren Beträgen an (gepumptem) Staatsgeld einspringen, um den finalen Crash des Bankensystems gerade noch abzuwenden; jene Regierungen, deren Auflagen und Kontrollen die Bankenwelt viele Jahre lang für hinderlich und unnötig erklärt hatte, mussten nun die hilflosen Banker heraushauen.
Hatte der Kapitalismus versagt, oder waren nur die Kontrollen ungenügend? Marktversagen oder Staatsversagen? Unzweifelhaft ist, dass der Prozess der Deregulierung, der schon unter dem Regime von Bretton Woods in den Fünfzigern eingesetzt hatte, in den vergangenen beiden Jahrzehnten gnadenlos überdehnt wurde.
Den Akteuren auf den Finanzmärkten waren immer mehr Freiheiten zugestanden worden, Kredite zu schöpfen, die Risiken über die ganze Welt zu verstreuen, nicht mehr kontrollierbar. Der marktwirtschaftliche Grundsatz, dass der Kaufmann für die Folgen seines Tuns haften muss, war für die Finanzwelt weitestgehend abgeschafft. Das konnte nicht gutgehen.
Doch trotz dieser Jahrhundertkrise; trotz der immensen Schulden, die nun zur Abwehr des finalen Crashs von den Staaten aufgenommen und von den Steuerbürgern zurückgezahlt werden: Die Jahrzehnte von Bretton Woods bis heute, bis zum Fast-Zusammenbruch eines zum globalen Casino verkommenen Finanzsystems, waren Jahrzehnte einer beispiellosen Wohlstandsmehrung. Nicht nur bei den Reichen, auch bei der breiten Bevölkerung; nicht nur in den entwickelten Industriestaaten, auch in vielen sogenannten Schwellenländern Asiens und Südamerikas.
Wenn die große Krise überwunden ist, wenn die Real- und die Kreditwirtschaft wieder einigermaßen ins Laufen kommen - dann stehen neue Probleme an: Die enormen Staatsschulden müssen abgetragen, das gewaltige Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz muss zurückgefahren werden.
Womöglich wird mit der Staatsverschuldung, in die sich nun viele Länder gestürzt haben, der Grundstein gelegt für die nächste große Krise. Durch die zunehmende weltweite Verflechtung der Wirtschaft steigt offenkundig das Risiko, dass die Menschheit von Crashs überrascht wird. Jene Ökonomen, die meinten, Depressionen könnten durch kluge Politik beherrschbar werden, unterlagen offenbar einem Irrtum.
Der kürzlich ausgeschiedene Vorstandschef des Software-Unternehmens SAP, Henning Kagermann, hat wohl leider recht, wenn er sagt: »Ich bin felsenfest der Meinung, dass wir bei komplexen Systemen mehr Instabilität haben. Die Krisen werden häufiger, sie werden unvorhersehbarer, und sie werden kräftiger werden.«
Dennoch: Es wäre schon sehr beruhigend, wenn nach den jüngsten Erfahrungen der angelsächsisch geprägte Raubtierkapitalismus gebändigt werden könnte; wenn die Geldwirtschaft wieder zum Diener der Realwirtschaft gemacht würde, statt die Güter und Dienste produzierenden Unternehmen zu beherrschen.
Sicher ist: Die Politiker werden die Banken und die Banker wieder enger an die Leine nehmen. Nach 60 Jahren ständiger Deregulierung geht es nun erst mal in die entgegengesetzte Richtung. Die Geldhäuser erhalten strengere Eigenkapitalvorschriften, sie werden konsequenter überwacht, womöglich grenzüberschreitend. Auf der Finanzkonferenz in London im März 2009 gab es immerhin schon eine grundsätzliche Übereinstimmung unter den führenden Industriestaaten und etlichen Schwellenländern, den Geld-Profis die Freiheiten zu beschneiden.
Der Härtetest jedoch, die detaillierte Ausarbeitung neuer Regeln, steht noch bevor. Wird es wirklich zu einer »neuen globalen Finanzarchitektur« kommen, wie Kanzlerin Angela Merkel fordert? Wird das globale Casino geschlossen - oder werden nur kosmetische Korrekturen vorgenommen? Wird es gelingen, »ein neues Bretton Woods« zu schaffen, wie manch einer hofft? Ein Finanzsystem, das wie das historische Vertragswerk bei allen unvermeidlichen Krisen ein Mindestmaß an Stabilität und Berechenbarkeit bietet?
Vielleicht wäre es gar nicht verkehrt, den Mythos von Bretton Woods zu nutzen und die führenden Staatsmänner nebst ihren Spitzenökonomen an diesem historischen Ort in den Weißen Bergen zu versammeln. Das »Mount Washington« jedenfalls ist bereit.
Patrick Corso, der Chef des Hotels, hat schon Ende vergangenen Jahres an den neugewählten Präsidenten Barack Obama geschrieben und sein Haus für eine neue große Konferenz angeboten.