In sieben Schritten
Wie eine fliegende Kuh Viagra salonfähig machte
Im Zickzack durch die Weltgeschichte: Jeden Monat begibt sich Danny Kringiel auf eine absurde Zeitreise - und entdeckt, dass irgendwie alles mit allem zu tun hat. Selbst Paarhufer mit Potenzmitteln.
In sieben Schritten: Wie eine fliegende Kuh Viagra salonfähig machte
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Zum Autor
Foto: Jeannette Corbeau
Danny Kringiel (Jahrgang 1977) fand 2010 zu einestages - nach Umwegen über Lehrerausbildung und Computerspiel-Doktorarbeit. Liebt seinen Bass, findet Kühe grundsympathisch und hat bis zu seinem 26. Lebensjahr täglich zwei Liter Vollmilch getrunken. Medizinisch bahnbrechende Erfindungen blieben leider aus.
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Kringiel, Danny
Wie Hitler das Skateboard erfand: In sieben Schritten durch die Weltgeschichte
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1. Schritt: Die verleiht Flüüügel!
Am 18. Februar 1930 tat die Milchkuh Nellie Jay, besser bekannt als Elm Farm Ollie, etwas für ihre Art äußerst Ungewöhnliches: Sie flog. Und zwar über 115 Kilometer weit.
Dabei ging das Guernsey-Rind bei seiner Reise von Bismarck, Missouri nach St. Louis in einem dreimotorigen Flugzeug jedoch nicht nur als erste fliegende Kuh in die Geschichtsbücher ein, sie hatte eine Rolle als Botschafterin zu erfüllen: Zum einen für den Lufttransport von Rindern, indem sie unter Beweis stellte, dass der Flug ihrer Gesundheit nicht schadete. Und natürlich für die vitalisierende Wirkung des wahrscheinlich ältesten Energy-Drinks der Welt: Milch. Beides tat sie so erfolgreich, dass sie dafür später sogar in Liedern besungen werden sollte .
Während ihres Jungfernflugs wurde "Elm Farm Ollie", die bekannt dafür war, außergewöhnlich viel Milch zu geben, gemolken. Noch in der Luft füllte man auch die von ihr produzierten 22 Liter Milch in Kartons und warf diese an kleinen Fallschirmen über den Besuchern der International Air Exposition in St. Louis ab, auf dass diese sich an dem gesunden Getränk laben konnten.
Einer der Gäste, die in den Genuss dieser Flugmilch kamen, war...
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2. Schritt: Milchbubi mit stählernen Nerven
...der Starpilot Charles Lindbergh. Der ehemalige Postflieger, der 1927 mit seinem 5800-Kilometer-Rekordflug in 33,5 Stunden von New York nach Paris weltberühmt geworden war, trat ebenfalls auf der Flugschau der International Air Exposition auf. Die Welt kannte ihn zu diesem Zeitpunkt bereits als furchtlosen Teufelskerl - doch bald würde Lindbergh noch ganz andere Qualitäten beweisen.
Als wäre er das Vorbild für den Slogan "Milch macht müde Männer munter" gewesen, strotzte der Abenteurer nach dem Genuss der Milch von der fliegenden Rekordkuh nicht nur vor Mut und Energie, sondern wurde offenbar auch zu geistigen Höhenflügen angeregt.
Denn nur wenig später machte Lindbergh eine bahnbrechende Erfindung, die man so nicht von ihm erwartet hätte, und zwar...
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3. Schritt: Ersatzteil für den Menschenmotor
...begann er ab 1931, am Rockefeller Institute in New York mit dem französischen Chirurgen und Nobelpreisgewinner Alexis Carrel (im Bild) die künstliche Blutversorgung von Organen außerhalb des Körpers zu erforschen. Obwohl er kein Mediziner war, konnte Lindbergh hierbei von seinem technischen Wissen über Motoren profitieren - und entwickelte eine künstliche Herzpumpe, die sogenannte Model-T-Pumpe. Ihren Namen verdankte die Pumpe wahrscheinlich dem "Model T"-Ford von Lindberghs Vater, an dem der junge Charles seit seiner Kindheit herumgeschraubt und viel über Motoren gelernt hatte.
Als die beiden Forscher ihre Entwicklung 1935 im "Journal of Experimental Medicine" vorstellten, horchte die Fachwelt auf. Tatsächlich sollte die Erfindung ein Meilenstein in der Entwicklung der modernen Herzchirurgie werden. Drei Jahre später stellten Carrel und Lindbergh in ihrem Buch "The Culture of Organs" sogar die Idee eines vollständig künstlichen Herzens vor - ein Konzept, das seiner Zeit Jahrzehnte voraus war.
Lindberghs Kunstherz führte zur Entwicklung der ersten Herz-Lungen-Maschine, die noch heute bei Operationen außerhalb des Körpers die Funktion von Herz und Lunge übernimmt und den Körper weiter mit Blut und Sauerstoff versorgt. Eine Erfindung, die...
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4. Schritt: Herz verschenkt
...am 3. Dezember 1967 in Kapstadt die erste Herztransplantation der Welt ermöglichte: In einer fünfstündigen Operation wurde dem aus Litauen stammenden Louis Washkansky am Groote-Schuur-Krankenhaus das Herz der 25-jährigen Denise Darvall eingepflanzt, die kurz zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Der schwer herzkranke Washkansky hatte mit 54 Jahren bereits drei Herzattacken erlitten.
Die Operation verlief erfolgreich - allerdings wurde Washkanskys Immunsystem danach durch Medikamente, die eine Abstoßung des implantierten Herzens verhinderten, massiv geschwächt. Nach nur 18 Tagen erlag er einer Lungenentzündung.
Dennoch war die Operation eine internationale Mediensensation: Rund um die Welt berichteten Zeitungen, Radio- und Fernsehsender bis ins kleinste Detail über den Eingriff, die Klinik und das Leben Washkanskys. Vor allem aber machte die Transplantation...
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5. Schritt: Party-Papst aus dem OP
...den Arzt zum Popstar, der die Operation geleitet hatte: Der südafrikanische Chirurg Christiaan Barnard. Er wurde Teil des Jetsets, feierte wilde Partys im berühmten New Yorker Club Studio 54 und im Pariser Crazy Horse. US-Präsident Lyndon B. Johnson, der Schah von Persien, der philippinische Diktator Ferdinand Marcos und Papst Paul VI. luden ihn zur Audienz.
Der plötzliche Ruhm veränderte den einst unauffälligen Sohn eines Pastors und einer Kirchenorganistin völlig: Barnard genoss das Leben im Rampenlicht in vollen Zügen und umgab sich mit Stars wie Grace Kelly (hier links neben ihm), Peter Sellers und Sophia Loren. Ganz besonders jedoch veränderte sich durch Barnards Berühmtheit sein...
Foto: ASSOCIATED PRESS
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6. Schritt: Nackt im Nerz
...Verhältnis zum anderen Geschlecht. War er gerade noch ein unbekannter Arzt mit schlaksiger Statur und markantem Kinn gewesen, flogen ihm nun die Herzen weiblicher Fans zu: Bis zu 200 Liebesbriefe pro Tag bekam Barnard auf der Höhe seines Ruhms - und ging damit ins Guinness-Buch der Rekorde ein. Lange konnte er den Versuchungen des Popstarlebens nicht widerstehen.
So begann er trotz seiner langjährigen Ehe mit der Krankenschwester Aletta Louw eine Affäre mit dem Sexsymbol der Fünfziger- und Sechzigerjahre schlechthin - Gina Lollobrigida. In seiner Autobiografie "The Second Life" beschrieb Barnard die italienische Schauspielerin 1993 als "außergewöhnlich lebhafte und sexuell hemmungslose Frau" und schwelgte in pikanten Details ihrer Affäre. So habe Lollobrigida ihn etwa einmal nach einem Liebestreffen zu seinem Hotel zurückgefahren und sei dabei unter ihrem Nerzmantel splitterfasernackt gewesen.
Der Chirurg erlebte seinen zweiten Frühling - und zeigte sich sexuell zunehmend unersättlich. Als Lollobrigida einmal eine Angestellte zu ihm schickte, um ihn zum Stelldichein abzuholen, ging Barnard stattdessen direkt mit der Gesandten ins Bett. Das sei "nur höflich" gewesen, schrieb er später in seiner Biografie - es habe sich schließlich quasi um ein "Trinkgeld" für ihre Dienste gehandelt. Es folgten zahllose weitere Affären mit anderen Gespielinnen.
Barnard wurde immer besessener vom Sex. Schließlich nutzte er seine Bekanntheit, um als prominenter Botschafter für...
Foto: Walter Attenni/ AP
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7. Schritt: Blaues Wunder gegen Herzinfarkt
...das Potenzmittel Viagra in Aktion zu treten. Barnards Begeisterung für das Medikament hatte offenbar schon kurz nach dessen Markteinführung 1998 begonnen: So reichte seine Frau, das ehemalige Fotomodell Karen Barnard, 1999 Scheidung ein - mit der Begründung, in seinem Kulturbeutel Viagra-Tabletten gefunden zu haben, obwohl sie schon lange keinen Sex mehr miteinander hätten.
Der Begeisterung ihres Ex-Gatten für das Mittel tat das keinen Abbruch: "Regelmäßiger Sex ist die schönste, gesündeste und angenehmste Art, den Kreislauf in Schwung zu bringen und das Herz gesund zu halten", empfahl er etwa 2000 in seinem Buch "50 Wege zu einem gesunden Herzen" - das gleich ein ganzes Kapitel mit dem programmatischen Titel "Nimm Viagra" enthielt.
Auch in Interviews pries der Arzt den heilsamen Nutzen der blauen Erektionspillen - so sagte er etwa 2000 in einem Interview der "Deutschen Apotheker Zeitung": "Impotenz ist eine Krankheit, die riesigen Stress macht. Und Stress ist nicht gut fürs Herz. Also - warum nichts einnehmen gegen diesen Stressauslöser? Ist doch kein Problem!"
Als Christiaan Barnard am 2. September 2001 während eines Urlaubs auf Zypern verstarb, war tatsächlich keine Herzattacke Schuld - sondern ein asthmatischer Anfall.
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