In sieben Schritten Wie Richard Wagner die patriotischsten Pommes der Welt schuf

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21.01.2021 18.08 Uhr
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1. Schritt: Einmal fliegender Holländer mit extra Käse!
Wie kein anderer steht der Name Wagner in der deutschen Kultur für ein Werk sinnlicher Intensität, das einen tief in uns verborgenen Hunger stillt, ein Œuvre ungestüm aufbrandender Empfindungen, die sich wie auf Sturmwogen tanzende Gischt in den düsteren Himmel auftürmen und sich ebenso plötzlich in zartschmelzender Harmonie zu einem delikaten Genuss zu vereinen vermögen, der nur einen Schluss zulässt: "Wirklich eine verdammt gute Tiefkühlpizza!"
Doch neben beliebter Schockfrost-Feinkost wie den Wagner Piccolinis (drei Käse), Wagner Steinofen Vegetaria (fünf knackige Grillgemüse) oder Wagner Big Pizza Boston (36 Weight-Watchers-Punkte) gab es ja noch: Richard Wagner. Geboren am 22. Mai 1813, gestorben am 13. Februar 1883 in Venedig, dazwischen Universalgenie, Antisemit und viel bestaunter Kotelettenträger.
Schon im zarten Alter von 13 Jahren begann er die Arbeit an seinem ersten Theaterstück, mit 16 komponierte er seine ersten Sonaten, vier Jahre später führte man seine erste Opernarie auf. Er arbeitete mit unermüdlichem Eifer: als Dramatiker, Dirigent, Kapellmeister und Theaterreformer, als Verfasser politischer Schriften - und wirrer antisemitischer Machwerke wie "Das Judenthum in der Musik." Bekannt wurde er auch als meisterhafter Schnorrer: Laut Thomas Mann war der Komponist ein "Pumpgenie", ständig auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Wagner schaffte es, selbst beim irren Bayernkönig Ludwig II. zu nassauern, bis das Volk auf die Barrikaden ging.
Trotz dieser unsympathischen Züge wurde der Komponist zur Legende. Opern wie "Tristan und Isolde", "Der fliegende Holländer" oder der "Ring des Nibelungen"-Zyklus machten ihn zu einer der Galionsfiguren der deutschen Kulturgeschichte. Und nicht nur der deutschen. Denn auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans sollte rund ein Jahrhundert nach Wagners Tod...
2. Schritt: Overlord of Kuschelrock
...ein junger US-amerikanischer Musiker namens Jim Steinman seine Leidenschaft für den deutschen Romantiker entdecken - und etwas ganz Neues aus dessen Werk erschaffen: den Wagner-Rock.
Steinman, der sich selbst bescheiden "The Lord of Excess" nennt, hatte schon früh ein Faible dafür, Kunst und Popkultur zusammenzubringen. Bereits als College-Student hatte er 1968 eine Musical-Adaption von Bertolt Brechts Theaterstück "Mann ist Mann" komponiert. Der zentrale Wendepunkt seiner Karriere kam vier Jahre später: Zusammen mit seinem Freund Barry Keating schuf Steinman 1972 eine Musical-Version der Oper "Das Rheingold" aus Wagners "Ring des Nibelungen"-Zyklus. Er hatte seine Begeisterung für den deutschen Komponisten entdeckt - und die sollte ihn nie mehr loslassen.
Seine zweite Liebe galt einer Musikrevolution, die während der Siebzigerjahre in England von Bands wie Judas Priest, Deep Purple und Led Zeppelin entfacht worden war und nun über den Atlantik in die USA stürmte: Heavy Metal. In dieser Musik entdeckte er die gleiche Leidenschaft, die ihn an Wagner faszinierte. Steinmans Haare wurden länger, seine Garderobe schwärzer, die Gitarren in seinen Stücken verzerrter.
Die Verschmelzung seiner beiden Passionen gelang ihm schließlich, als er dem jungen Sänger Marvin Lee Aday begegnete. Mit ihm brachte er 1977 eine Platte heraus, die sich bis heute unter den meistverkauften Alben der Musikgeschichte hält: "Bat Out of Hell." Darauf vermischten sie pompöse Orchesterklänge mit kreischenden Gitarren, Orgeln und Chöre mit Schlagzeug-Fills. Und über allem schwebte mit stets dramatischem Vibrato Adays Gesang. Es wurde für beide der große Durchbruch: Die "Los Angeles Times" ernannte Jim Steinman zum "Richard Wagner des Rock". Und für Aday begann unter dem Künstlernamen Meat Loaf eine Weltkarriere. Er feierte Chart-Erfolge mit Songs wie "You Took the Words Right Out of My Mouth" oder...
3. Schritt: Märchenschloss? Räkelerregend!
...später mit seinem Hit "I'd Do Anything for Love (But I Won't Do That)", der 1993 auf dem Album "Bat Out of Hell II: Back into Hell" erschien. In 28 Ländern stieg die Single an die Spitze der Charts und brachte Meat Loaf einen Grammy. Im Text des Zwölf-Minuten-Schmachtfetzen-Duetts beschwört ein Mann seine Angebetete, dass er nur edelste Gefühle für sie hege und sich keine Fehltritte erlauben werde. Während sie ihre Ängste besingt, wie sich ihre Liebe entwickeln wird.
Das Musikvideo hingegen erzählt eine andere Geschichte: In einer bonbonbunten "Die Schöne und das Biest"-Variation zeigt es Meat Loaf als entstellten Schlossherrn, der im Wald eine Frau sieht und flieht, um sein Äußeres zu verbergen. Doch sie folgt ihm bis in sein Heim, wo er sich vor ihr versteckt. Sie räkelt sie sich erst einmal aufreizend in einer Badewanne, um sich anschließend aufreizend auf seinem Bett zu räkeln, bis sie schließlich ihre unsterbliche Liebe zu ihm erkennt - als sie sich gerade aufreizend auf einem schwebenden Diwan räkelt. Aus unerfindlichem Grund verfolgt beide daraufhin die Polizei. Dann küsst sie ihn - und plötzlich sind seine Makel verschwunden. Schließlich fahren sie auf dem Motorrad in den Sonnenuntergang, dessen augenbetäubend orangerote Glut wohl nur durch einen übernächtigten Regisseur zu erklären ist, der kurz vor Deadline mit der Nase auf dem Farbsättigungsregler des Bildmischers eingeschlafen sein muss. Der Name dieses jungen, damals noch unbekannten Regisseurs: Michael Bay.
Bevor Bay später als Hollywoods bestbezahlter Pyromane mit Trash-Feuerwerken wie "Transformers" (2007) Millionen machte, verdiente er sich 1993 erst seine Sporen. Das Meat-Loaf-Musikvideo half dabei entscheidend - es wurde sein bekanntester Videoclip. Durch Bays Musikvideo-Arbeit wurde Produzent Jerry Bruckheimer auf ihn aufmerksam und verhalf Bay...
4. Schritt: Giftgas-Hummel greift an
...zum Sprung vom Musikvideo- zum Kinoregisseur. Bruckheimer engagierte Bay zunächst 1994 als Regisseur für "Bad Boys". In der Buddy-Actionkomödie verkörperten Will Smith und Martin Lawrence zwei Polizisten in Miami, die dem Verschwinden von 100 Millionen Dollar konfiszierten Drogengeldern nachgehen. Es wurde Bays erster Blockbuster: Der Film spielte bei einem Budget von rund 19 Millionen Dollar mehr als 140 Millionen an den Kinokassen ein. Mit einem Schlag war Michael Bay aufgestiegen in die erste Riege von Hollywoodregisseuren, denen man Multi-Millionen-Dollar-Projekte anvertraut. So betrug das Budget für seinen nächsten Film, ebenfalls produziert von Bruckheimer, bereits rund 75 Millionen Dollar. Und weniger bescheiden sollten die Budgets für Bays weitere Karriere kaum mehr werden.
Dieser zweite Film "The Rock - Fels der Entscheidung" handelt vom frustrierten US-General Hummel (Ed Harris), der versucht, mit einem angedrohten Giftgasangriff auf San Francisco von der Regierung millionenhohe Entschädigungsgelder für die Familien verstorbener Marines zu erpressen. Ein FBI-Chemiewaffenexperte (Nicolas Cage) und ein ehemaliger Ausbrecherkönig (Sean Connery) werden ausgesandt, die von Hummel und seinen Männern besetzte Gefängnisinsel Alcatraz zu infiltrieren. Ein für Hollywood nicht außergewöhnlich origineller Stoff - doch das Besondere an der Filmgeschichte war, dass sie im Nachhinein...
5. Schritt: Trauben des Todes
...zum Vorbild für einen Polit-Skandal werden sollte - und zugleich zum Grund für sein Auffliegen. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 steuerten die USA, Großbritannien und die sogenannte "Koalition der Willigen" auf einen Krieg gegen Irak zu. Das führte zu Verwerfungen in der Uno, deren Charta einen Angriffskrieg ihrer Mitgliedsstaaten untersagt. Als Begründung für die unbedingte Notwendigkeit dieses Krieges brachten die USA und Großbritannien vermeintliche Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak vor und für drohende Angriffe damit. Man berief sich auf einen angeblich bestens informierten irakischen Geheimkontakt aus den obersten Rängen von Saddam Husseins Regime. Er lieferte genaue Schilderungen irakischer Massenvernichtungswaffen, insbesondere chemischer Kampfstoffe.
Ein MI6-Offizier war angesichts eines Details der Schilderungen irakischer Giftgasbehälter stutzig geworden: Sie seien ihm, so zitierte ihn 2016 der britische "Observer", "bemerkenswert ähnlich zu denen der fiktiven Chemiewaffen im Film 'The Rock'" vorgekommen. Dem irakischen Geheiminformanten zufolge ließ Saddam Hussein die Kampfstoffe in durchsichtigen Glasröhren aufbewahren. Diese zerbrechlichen Behältnisse mochten zwar, beim Filmdreh zu "The Rock" mit grün eingefärbter Flüssigkeit gefüllt, unheimlich gefährlich ausgesehen haben - in der Realität aber würde aus naheliegenden Gründen wohl niemand auf die Idee kommen, Giftgas ausgerechnet in fragilen, traubenförmigen Glasgefäßen zu lagern.
Trotz solcher Einwände gab der britische Außenminister Jack Straw im Jahr 2002 den Auftrag, bestehende Gutachten zur militärischen Bedrohung durch Irak dahingehend zu verändern, dass dem Land allerhöchste Kriegsgefährlichkeit attestiert werde. Und so gelang es der "Koalition der Willigen" unter Verbiegung der Tatsachen und Berufung auf eine offensichtlich von Michael Bays Film inspirierte Quelle, den...
6. Schritt: Blut und Öl
...als Präventivkrieg deklarierten Irakkrieg anzuzetteln. Am 20. März 2003 begannen Streitkräfte der USA und des Vereinigten Königreichs mit der Bombardierung von Bagdad. Sie hatten die Operation, de facto eine Invasion in ein Land mit reichen Erdölvorkommen und wichtiger geostrategischer Lage, vor den Vereinten Nationen dank ihres Sonderstatus als Vetomächte durchsetzen können. Der offiziell nur von März bis Mai 2003 andauernde Krieg führte in den Zusammenbruch staatlicher Ordnung, der 2014 das Erstarken der Terrororganisation "Islamischer Staat" möglich machen sollte.
Erst Jahre nach Kriegsbeginn deckten Untersuchungskomitees en détail auf, wie fehlerhaft die ursprünglich behaupteten Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak gewesen waren. Es stellte sich heraus, dass der damalige britische Außenminister Jack Straw seine Mitarbeiter sogar ausdrücklich angewiesen hatte, Berichte über die Kriegsgefährlichkeit Iraks zu frisieren, damit der Eindruck einer "außerordentlichen Bedrohung" durch das Land entstehe.
Der völkerrechtswidrige Irakkrieg hatte verheerende Folgen: Schätzungen sprechen von 650.000 bis zu 1,2 Millionen toten irakischen Zivilisten infolge des Krieges. Im Bagdader Abu-Ghuraib-Gefängnis folterten und demütigten CIA-Mitarbeiter auf entsetzliche Weise ihre Gefangenen. Der im Irak eingesetzte US-Söldnerdienst Blackwater richtete anscheinend willkürlich Zivilisten hin und veranstaltete regelrechte Treibjagden auf Iraker. Derartige Menschenrechtsverletzungen und "Kollateralschäden" riefen in vielen Ländern Widerstand gegen den Irakkrieg hervor. So auch...
7. Schritt: Freiheitsmampf
...in Frankreich. Das Land stellte sich im Rat der Vereinten Nationen schon früh gegen den Irakkrieg und forderte statt Kampfhandlungen die Fortführung von Inspektionen, die das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen prüfen sollten. Die Uno-Staaten spalteten sich in Kriegsgegner einerseits, die US-treue "Koalition der Willigen" andererseits.
Stolze US-Amerikaner waren über die Opposition Frankreichs zum Angriff auf den Irak entsetzt. Und das führte zu ziemlich bizarren kulinarischen Verwerfungen - über Pommes frites. Rein statistisch vertilgt jeder Amerikaner im Jahr durchschnittlich rund 14 Kilogramm Fritten, dort als "French Fries" bekannt. Obwohl sie angeblich gar nicht in Frankreich, sondern in Belgien erfunden wurden. Etwa ein Drittel der jährlichen Kartoffelernte der USA wird zu vorgefertigten Tiefkühlpommes verarbeitet. In kaum einem anderen Land erfreuen sich die goldgelben Kartoffelstangen vergleichbarer Beliebtheit. Genauer: erfreuten. Bis zum Beginn des Irakkriegs.
"French Fries" drohten nun, US-Kriegsbefürwortern vor Patriotismus im Hals stecken zu bleiben. Und so ergriffen die republikanischen Abgeordneten Walter B. Jones und Bob Ney, der sich über den "sogenannten Alliierten Frankreich" empörte, die Initiative und bewahrten die Nationallehre vor allzu pazifistischem Fast Food: Sie benannten die "French Fries" um - in "Freedom Fries" Zunächst wurde die neue Frittennomenklatur nur in drei Kantinen des US-Kongresses umgesetzt, doch bald schlossen sich weitere Restaurants landesweit der Idee an. Erst 2006 wurde die Sprachneuregelung offiziell wieder abgeschafft - als Bob Ney der Korruption für schuldig befunden und zu 30 Monaten Haft verurteilt wurde.
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