
Amerikanische Vorstadtidylle Das Leben im Silicon Valley, 20 Jahre später


Beth Yarnelle Edwards (Jahrgang 1950) begann erst mit 41 Jahren zu fotografieren und bekam 1998 ihren Mastertitel in Fotografie an der San Jose State University. Schon im Studium lichtete sie ihre Nachbarn im Silicon Valley ab. Mittlerweile lebt und arbeitet sie in San Francisco.
Ein Foto aus dem Jahr 1997 zeigt Erin auf ihrem Bett liegend. Das Teenie-Mädchen nuckelt träge an einer Zuckerstange, auf dem Regalbrett unter dem Fenster stehen Trolle mit neonfarbenem Filzhaar, die Wände ihres Jugendzimmers sind vollgepflastert mit Aufklebern und Postern. 20 Jahre danach: Aus dem Mädchen ist eine Mutter von drei kleinen Kindern geworden, sie sitzt mit einem Säugling auf dem Schoß zwischen Spielzeug und Babybettchen.
Die in San Francisco ansässige Fotografin Beth Yarnelle Edwards hat Menschen in ihrem Zuhause in Vorstadtgebieten des Silicon Valley fotografiert - in den Neunziger- und den frühen Nullerjahren, dann abermals zwei Jahrzehnte später. 1997 begann sie, in der Gegend Familien zu porträtieren und an ihrer Fotoserie "Suburban Dreams" zu arbeiten, die später auch beim Kehrer Verlag erschienen ist. Außerdem zeigt sie in dem Bildband auch Menschen aus anderen amerikanischen und aus europäischen Vorstädten.
Sicher, ruhig, kinderfreundlich
In den Neunzigerjahren lebte Edwards selbst im Silicon Valley, fühlte sich dort gelangweilt und isoliert. Doch die meisten Leute aus ihrem Bekanntenkreis liebten die Umgebung - die Fotografin wollte herausfinden, warum. Sie fing an, ihre Nachbarn und Freunde abzulichten, schnell weitete sich das Projekt auch auf Unbekannte aus, die sie über Empfehlungen kennenlernte.
Edwards befragte die Leute ausgiebig zu ihrem Alltag und zum Leben in der Vorstadt. Die meisten erzählten ihr, dass sie schätzten, wie sicher, ruhig und kinderfreundlich es dort sei, sie liebten ihre großen Häuser und Hinterhöfe. Viele führten ein recht unbeschwertes Leben und hatten eigene Immobilien erworben, noch bevor die Preise in der Gegend um die Bucht von San Francisco rasant stiegen.
2016, viele Jahre später, lebte die Fotografin in San Francisco. Was wohl aus der Vorstadtidylle geworden ist, fragte sie sich und beschloss, einige der früher Porträtierten aus dem Silicon Valley wieder zu treffen.
Einige waren mittlerweile krank, sehr alt oder schon gestorben, manche wollten sich nicht mehr fotografieren lassen. Viele der Jüngeren waren in andere Städte gezogen, während die älteren Menschen in ihren ursprünglichen Häusern geblieben waren. Es war daher nicht leicht, geeignete Kandidaten für das Fotoprojekt zu finden.
Preisabfragezeitpunkt
19.04.2021 07.53 Uhr
Keine Gewähr
Aus finanzieller Sicht hatte sich das Leben der meisten kaum geändert: "Mit der Wirtschaft ist es sehr bergab gegangen, seit ich die Fotos gemacht habe", sagt die Fotografin SPIEGEL ONLINE. "Aber da die Immobilienwerte in der Bay Area seitdem sehr gestiegen sind und diese Menschen dort bereits Häuser besaßen, sind davon nur wenige betroffen. Sie hatten mehr Glück als andere."
Warten auf den passenden Moment
Viele der erneut Porträtierten konnten sich gut in das Lebensgefühl von damals hineinversetzen, erinnerten sich genau an die Situation 20 Jahre zuvor und bewerteten sie aus ihrer heutigen Perspektive. Die Bilder erzählen von den Menschen selbst und geben zugleich durch Kleidung, Frisuren, Möbel und Dekoration auch Auskunft über die Veränderungen in zwei Dekaden.
Die Fotos - damals wie 2016 - sind das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Edwards und den Familien. Statt die Menschen zu positionieren und das Bild zu arrangieren, ließ Edwards sie sich normal bewegen und handeln. Und wartete dann auf einen passenden Moment für einen Ausdruck oder eine Haltung: "Es konnte eine Weile dauern, bis die Menschen in ihren Bewegungen, ihren Gesten und ihrer Mimik natürlich wurden, aber ich ermutigte sie immer wieder dazu."
War der geeignete Augenblick gekommen, dann bat sie die Person, in der Haltung zu verharren: "Das führt zu einem leicht eingefrorenen Blick, den ich liebe", sagt die Fotografin. "Ich betrachte meine Bilder als Genrebilder, weil sie eher ein typisches Ereignis im Haus darstellen sollen als einen einzelnen Moment." In zehn Jahren will sie die Leute wieder besuchen - und einen erneuten Abgleich machen.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Zeitsprung: Was verändert sich bei Menschen binnen 20 Jahren? Die Fotografin Beth Yarnelle Edwards wollte wissen, wie sich speziell bei Familien aus den Vorstadtgebieten des Silicon Valley das Leben entwickelt hat. Als dieses Bild 2002 entstand, war Lisett 30 Jahre alt, Witwe und hatte zwei Kinder. - für das Fotoprojekt "Suburban Dreams".
Späte Erkenntnis: 2017 lebte Lisett noch immer im selben Haus, gemeinsam mit ihren zwei Kindern und zwei Hunden. Als Künstlerin arbeitet sie mit vielen unterschiedlichen Menschen zusammen: "Ich wünschte, ich hätte früher gewusst, dass ich in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen, und hätte mich früher weniger ängstlich gefühlt." Edwards zeigte den Porträtierten beide Fotos, viele konnten sich in das Lebensgefühl von damals hineinversetzen, erinnerten sich genau an die Situation viele Jahre zuvor.
Schwesternliebe: Die drei Schwestern Niki, Rita, und Lucia lebten im Jahr 2000 gemeinsam mit ihren Eltern in einem Haus, in das diese bereits 1975 gezogen waren. Jedes der Mädchen hatte dort ein eigenes Zimmer, doch in den ersten Jahren schliefen sie alle gemeinsam in einem. Die Schwestern verbrachten damals viel Zeit miteinander und redeten über all ihre Probleme.
Räumliche Trennung: Die drei Schwestern wohnen heute alle in der Bay Area, aber in verschiedenen Ecken. "Ich war es gewohnt, mit meinen Schwestern zusammen zu sein und jeden Tag zu reden, jetzt gibt es so viel, dass wir uns in unsere gemeinsame Zeit hineinquetschen müssen", sagt Niki.
Typisch Teenager: "Ich hatte ein durchschnittliches Leben damals", sagt Erin über das Foto von sich aus dem Jahr 1997. "Es drehte sich alles um Freunde und Schule." Die Trolle mit neonfarbenem Haar, die Spielkonsole und die Bilder an der Wand erzählen davon.
Vom gelangweilten Mädchen zur Vollzeitmutter: Nun dreht sich bei Erin alles um ihre drei Kinder - und ums Essen, denn das liebt die Familie. "Es gibt nicht wirklich etwas, was ich gern vorher gewusst hätte. Ich denke, es ist alles aus einem bestimmten Grund so geworden", sagte Erin im Jahr 2017.
Bagger und Star Wars: "1997 war mein Leben lustig und frei, ich lebte im Augenblick", sagt Kyle. Er wohnte damals mit seinen Eltern in Hillsborough.
Weltenbummler: Der Wohnort war 2016 noch derselbe, sein Leben aber viel strukturierter, so Kyle. "Ich habe mein Studium abgeschlossen und bin als IT-Ingenieur tätig, während ich versuche, mein Start-up, an dem ich seit etwas mehr als einem Jahr arbeite, zum Laufen zu bringen." Außerdem fotografiert er gern, bereist die Welt und will sich ein Grundstück kaufen.
Tägliche Routine: Das Jahr 2000 war eine hektische Zeit für die Familie. Der Vater John musste viele Stunden am Tag in einem Start-up in Silicon Valley arbeiten, die Mutter Marg war als Assistenzlehrerin tätig, ihre Tochter Rachel mit Sport und ihren Freunden beschäftigt.
Allein zu Hause: Mittlerweile wohnt das Paar nur noch zu zweit in ihrem Haus: "John zog sich aus dem Vollzeitmanagement zurück, und wir beide mussten uns mit einigen Krankheiten auseinandersetzen, die wir glücklich überstanden haben. Wir haben unser Haus erheblich umgebaut und verbessern es weiter."
Frischgebackene Eltern: Im Jahr 2002 schläft Danielle friedlich auf Vater James, während Antonette die beiden beobachtet. Das Paar hatte damals gerade das erste Kind bekommen und war frisch umgezogen: "Wir waren jung, haben hart gearbeitet und hatten Träume. Wir wollten unserer Tochter Danielle das bestmögliche Leben geben."
Familienglück: 15 Jahre später haben sie ein zweites Kind, Tochter Danielle besucht mittlerweile das College. Außerdem verlor Antonette ihre Mutter und James seinen Vater. "Die Zeit vergeht so schnell, dass man seine Kinder in jeder Lebensphase genießen muss. Man sollte auch mehr Zeit mit den Eltern verbringen, da man nie weiß, wie lange sie da sind", so Antonette 2017.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden