Wannseekonferenz vor 80 Jahren Die Organisatoren des Völkermordes

In einer Berliner Villa besprachen Nazifunktionäre vor 80 Jahren den Massenmord an Millionen Juden. Wer waren diese Männer? Und wurde der Holocaust erst 1942 am Wannsee geplant? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Haus der Wannseekonferenz, heute eine Gedenkstätte: Hier besprachen Beamte des NS-Regimes die Mordpläne an Juden

Haus der Wannseekonferenz, heute eine Gedenkstätte: Hier besprachen Beamte des NS-Regimes die Mordpläne an Juden

Foto: epd / IMAGO

Wer lud zur Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 ein, und warum?

Zu der als Wannseekonferenz bekannten Tagung in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin lud Reinhard Heydrich ein und führte den Vorsitz. Er war Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) und stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Heydrich war im Juli 1941 vom »Reichsmarschall« Hermann Göring beauftragt worden, die organisatorischen Maßnahmen zur »Endlösung der Judenfrage« vorzubereiten. Anlass zur Einladung waren auch die Probleme, die bei den bereits 1941 stattgefundenen Massentötungen und Deportationen aufgetreten waren.

Konferenzteilnehmer waren 15 Vertreter der mittleren und höheren Leitungsebenen von Institutionen des NS-Regimes. Dabei ging es unter anderem um die bei den Nationalsozialisten umstrittenen Frage, wie mit den – nach ihrer rassistischen Definition – »Mischlingen« umzugehen sei. Ein weiteres zentrales Ziel der lediglich etwa anderthalbstündigen Konferenz war es laut Protokoll, die »Endlösung der europäischen Judenfrage« fortan »im gesamteuropäischen Rahmen« zu organisieren. Dabei ging es um die Zuständigkeiten, die Koordinierung der Deportationen und der Ermordung von Juden, den räumlichen und zeitlichen Ablauf.

Wer nahm an der Wannseekonferenz teil?

Zur Konferenz kamen neben Reinhard Heydrich diese 14 weiteren Funktionäre des nationalsozialistischen Regimes:

  • Adolf Eichmann, Leiter des Referats für »Juden- und Räumungsangelegenheiten« des RSHA; er führte Protokoll.

  • Otto Hofmann, Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS

  • Rudolf Lange, Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) in Lettland

  • Heinrich Müller, Leiter der Geheimen Staatspolizei (Gestapo)

  • Eberhard Schöngarth, Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement im besetzten Polen

  • Josef Bühler, Staatssekretär der Regierung des Generalgouvernements und Stellvertreter des Generalgouverneurs

  • Roland Freisler, Staatssekretär im Reichsjustizministerium

  • Gerhard Klopfer, Ministerialdirektor in der Parteikanzlei

  • Friedrich Wilhelm Kritzinger, Ministerialdirektor in der Reichskanzlei

  • Georg Leibbrandt, Leiter der Hauptabteilung Politik im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete

  • Alfred Meyer, Stellvertreter des Ministers im selben Ministerium

  • Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt

  • Erich Neumann, Staatssekretär in der Behörde für den Vierjahresplan

  • Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Reichsinnenministerium

Weshalb fand die Konferenz am Wannsee statt?

Dazu gibt es keine Dokumente. Historiker vermuten, dass die idyllische Lage der Villa am Rande der Stadt für eine entspannte und glanzvolle Atmosphäre sorgen sollte. Die Villa war zudem im Besitz der Stiftung »Nordhav«, einer Wohltätigkeitsorganisation des SD, und diente als Gästehaus. Dies sprach für die Verschwiegenheit des Hauspersonals, das die versammelten Täter mit Kaffee und Cognac bewirtete.

Warum waren Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler und andere hochrangige Nationalsozialisten nicht auf der Konferenz?

Aufgabe der Konferenzteilnehmer war es, einen Rahmen für die organisatorische Umsetzung der weiteren Verfolgung und Vernichtung der Juden zu schaffen. Dazu waren lediglich Behörden-Bürokraten notwendig, ohne Präsenz von Mitgliedern der obersten Führung des Naziregimes.

Wurde bei der Wannseekonferenz die Massenvernichtung der Juden beschlossen?

Nein, die Vernichtung der europäischen Juden wurde in der Wannseevilla nicht beschlossen – sie hatte zuvor bereits begonnen. Schon im Sommer und Herbst 1941 hatten die Nazis Juden in den besetzten Gebieten der Sowjetunion systematisch ermordet. Dennoch war die Wannseekonferenz, wie der Historiker Peter Longerich analysiert, eine »Weichenstellung«: Denn in ihrem Verlauf wurde »das Wann, Wie und das Wo der ›Endlösung‹ neu bestimmt«.

Im NS-Regime bestand von nun an Konsens, den Massenmord noch während des Krieges im gesamten von den Nazis kontrollierten Europa durchzuführen. In Betracht kamen laut Protokoll rund elf Millionen Juden; dazu hieß es:

»In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen.«

Die kaum verklausulierte Formulierung »entsprechend behandelt« im Protokoll als Schlüsseldokument bestätigt die Absicht der nationalsozialistischen Führung zum systematischen Völkermord.

Hat Hitler sich über die Wannseekonferenz geäußert?

Hitler hat die Ergebnisse der Konferenz einen Monat später öffentlich bilanziert, ohne die Wannseekonferenz selbst zu erwähnen. Er verkündete am 24. Februar 1942 in einer Erklärung zum 22. Jahrestag der Gründung der NSDAP: »Meine Prophezeiung wird ihre Erfüllung finden, dass durch diesen Krieg nicht die arische Menschheit vernichtet, sondern der Jude ausgerottet werden wird.«

Was waren die Folgen der Konferenz?

Nach der Konferenz beschleunigte das NS-Regime die Verfolgung und Vernichtung und weitete sie aus. Im »Großdeutschen Reich« gab es im Frühjahr 1942 zwei neue Deportationswellen. Außerdem begannen im März 1942 große Deportationen von Juden aus der Slowakei und Frankreich. Bald darauf wurden die Mordplaner auch in den Niederlanden und Belgien tätig.

Was wurde aus den Teilnehmern der Wannseekonferenz?

  • Adolf Eichmann lebte nach Kriegsende zunächst unter falschem Namen in der Lüneburger Heide und flüchtete dann über eine der »Rattenlinien« nach Südamerika. 1960 entführte der israelische Geheimdienst Mossad ihn aus Argentinien. Er wurde in Israel vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet.

  • Rudolf Lange nahm sich im Februar 1945 während der Kämpfe in Polen das Leben, um nicht in Gefangenschaft zu geraten.

  • Auch Alfred Meyer brachte sich gegen Kriegsende 1945 um.

  • Heinrich Müller starb höchstwahrscheinlich beim Fall Berlins Anfang Mai 1945.

  • Martin Luthers Leben endete wenige Tage nach der Kapitulation im Mai 1945 im Alter von 49 Jahren in sowjetischer Haft.

  • Otto Hofmann wurde 1948 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen von einem US-Militärgericht zu 25 Jahren Haft verurteilt. 1954 wurde er begnadigt und war als kaufmännischer Angestellter tätig. Er starb 1982.

  • Eberhard Schöngarth wurde von einem britischen Militärgericht 1946 wegen Mordes an einem gefangenen alliierten Piloten zum Tode verurteilt und hingerichtet.

  • Josef Bühler wurde 1948 in Polen zum Tode verurteilt und gehängt.

  • Georg Leibbrandt befand sich 1945 bis 1949 im von den Alliierten für NS-Funktionäre vorgesehenen »Automatischen Arrest«. Ein Verfahren gegen ihn wegen Mordes wurde 1950 eingestellt. Der des Russischen mächtige Leibbrandt war 1955 für Bundeskanzler Konrad Adenauer tätig als Berater bei der Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Danach leitete er das Büro der Salzgitter-AG in der Bundeshauptstadt Bonn, wo er 1982 starb.

  • Gerhard Klopfer wurde 1946 von den Amerikanern interniert, mehrfach verhört, aber nicht angeklagt und nach seiner Haftentlassung 1949 durch eine Hauptspruchkammer als »minderbelastet« eingestuft. Ein Ermittlungsverfahren wegen Teilnahme an der Wannseekonferenz wurde 1962 eingestellt.

  • Friedrich Wilhelm Kritzinger war der einzige Teilnehmer, der in Vernehmungen nach dem Krieg den verbrecherischen Charakter der Wannseekonferenz einräumte. Er wurde krankheitsbedingt aus amerikanischer Haft entlassen und starb 1947.

  • Erich Neumann wurde nach Kriegsende interniert,1948 entlassen und starb 1951.

  • Wilhelm Stuckart, zum Kriegsende auch Mitglied der letzten »Reichsregierung« unter Admiral Dönitz, wurde 1947 im Wilhelmstraßen-Prozess unter anderem wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« angeklagt. Das Gericht verurteilte ihn zu drei Jahren, zehn Monaten und 20 Tagen Haft. Ein Entnazifizierungsausschuss in Hannover stufte ihn 1950 als »Mitläufer« ein. Stuckart avancierte zum niedersächsischen Landesvorsitzenden der rechtsgerichteten Partei »Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten« und warb für das Ende der Entnazifizierung. Danach wurde er Mitglied der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP), die 1952 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Stuckart starb 1953.

DER SPIEGEL

Die Dokumentation »Die Konferenz – Wie der Holocaust organisiert wurde« läuft bei SPIEGEL Geschichte  und auf Abruf.

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