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Hochzeitsreise 1969: In guten wie in schlechten Tagen...

Foto: Wilfried Erdmann

Weltumseglung 1969 Hochzeitsreise extrem

Ohne Radar, Funkausbildung und Segelschein: Blauäugig starteten Wilfried Erdmann und seine Frau 1969 in die Flitterwochen - eine Weltumrundung im Segelboot. Auf ihrem Trip aßen sie Kokosnüsse direkt vom Baum, hatten ganze Inseln für sich allein - dann gerieten sie in einen mörderischen Orkan.

Was für eine Hochzeitsreise: Drei Jahre lang wollten meine Frau Astrid und ich um die Welt segeln. Wir waren 24 und 28 Jahre alt und vielleicht ein bisschen naiv. Unbekümmert kauften wir das Schiff. Um Schulungskurse in Erster Hilfe, für Funk- und Rettungsgerät oder Navigationselektronik kümmerten wir uns nicht. Ich hatte damals nicht einmal einen Segelschein. Wir waren jung und selbstbewusst. Die Fragen kamen erst kurz vor dem Beginn der Reise: Haben wir ausreichend Geld, um uns unterwegs zu finanzieren? Ist das Schiff seetüchtig genug? Und wie wird es mit der Zweisamkeit? Wird das der Himmel sein? Oder die Hölle?

Doch unser Verlangen nach Abenteuern, nach Ferne und Exotik war stärker als alle Bedenken. So malten wir noch den neuen Bootsnamen "Kathena 2" in Schattenschrift ans Heck und los ging es. Gerade frisch verheiratet, starteten wir unsere Fahrt am 2. August in Les Embiez an der Cote d'Azur. Immer westwärts sollte uns unsere Route einmal um den Globus bis nach Cuxhaven führen. 1011 Tage und 35.000 Seemeilen mit einem nur 8,90 Meter langen Segelboot.

Problemlos setzten wir die zwei Segel. Und als das Kielwasser eine ordentliche Spur zog, überboten wir uns mit knappen Sprüchen: "Wir sind unterwegs." - "Ja, nur wir beide." - "Tahiti, wir kommen." Wagnis und Vertrauen wurden belohnt. Alles funktionierte. Nur eine Selbststeueranlage fehlte. Leider Gottes. Das hieß, dass Tag und Nacht jemand an der Pinne sitzen und Kurs halten musste.

Im Zickzackkurs nach Barbados

Zudem hatten wir auf der ersten Etappe unserer großen Fahrt Gegenwind. So mussten wir unserem ersten Ziel, der spanischen Hafenstadt Jávea, im Zickzackkurs und mit Schräglagen von bis zu 30 Grad entgegensegeln. Nicht nur am ersten Tag, sondern die gesamten 400 Seemeilen jagte eine Wende die nächste. Gischt klatschte an Deck, Gischt landete auf unseren Rücken, Gischt überall. Als wir endlich im Hafen ankamen, waren wir mit einer feinen Schicht Salz überzogen - und fühlten uns wie Sieger. Dabei hatten wir gerade mal ein Prozent der Gesamtstrecke geschafft. Damals, vor 40 Jahren, beendeten wir den Tag mit Nacktbaden am Molenkopf. Es war das Schönste und Verruchteste, was Astrid sich vorstellen konnte. Es war zugleich ein Symbol: Das ungewöhnliche Abenteuer Weltumseglung hatte tatsächlich begonnen.

"Kathena 2" war ein sehr schlichtes Schiff, gemacht für kleine Urlaubsturns im Mittelmeer. Nichts an Bord deutete darauf hin, dass man auf ihm eine Weltreise unternehmen könnte. Es gab kein Radar, keine Antennen, keine Reservekanister an Deck. Zum Glück waren Astrids Ansprüche so einfach wie das Schiff. Einzig die Seekrankheit machte ihr zu schaffen. Sobald der Seegang etwas höher war, plagten sie Übelkeit und Müdigkeit. Mehrere Tage döste sie und fand es unerträglich, nichts zum Vorankommen beitragen zu können. Als wir dann Barbados erreichten, erholte sich Astrid schnell. Es war ein Paradies. Wir badeten im Meer, lagen unter Kokospalmen im Sand und kosteten das Nachtleben aus. Unser liebstes Getränk war Rum-Punsch.

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Foto: Wilfried Erdmann

Als nächstes erreichten wir eine berüchtigte Insel im Pazifik, die Kokosinsel. Sie galt unter Seefahrern als Schatzinsel und war völlig unbewohnt mit einer schönen Sandbucht, Wasserfällen und dichtem Dschungel. Es sollte dort einen sagenhaften Goldschatz geben. Doch obwohl wir uns in Panama extra einen Spaten gekauft hatten, fanden wir die Reichtümer nicht. Halb so schlimm - 30 anderen Expeditionen vor uns war es ebenso ergangen. Zudem hatten wir nicht allzu viel Energie in die Suche investiert. Uns faszinierten die Landschaft, das Wasser und die wild wachsenden Früchte.

Ehekrise auf einsamer Insel

Wieder auf See steuerten wir die Galapagos-Inseln an. In Wreck Bay, auf San Cristobal, gab es dann den ersten ernsthaften Krach zwischen uns. Es geschah auf einer einsamen, kleinen Insel. Astrid notierte später in ihrem Tagebuch: "Es war nicht wie sonst, ein kleiner Zwist und eine Stunde später vergessen. Ich kann nicht beschreiben, warum ich auf dem Inselchen so wirsch reagierte. Es ist dieses abgeschnittene Leben, so weit entfernt von meiner eingegrabenen Bürgerlichkeit." In Santa Fe, der nächsten Galapagos-Insel, war dann alles wieder in Butter. Rund 50 Seelöwen lagen dort am Strand, als wir ankerten. Pelikane in der Luft, Delfine um das Schiff herum, Leguane zum Anfassen und leckere Fische an der Angel. Die Tierwelt der Galapagos nahm uns monatelang gefangen.

Und es wurde sogar noch himmlischer. Mit den Marquesas-Inseln und Tahiti begann die klassische Südsee: Tropische Regengüsse, türkisfarbene Lagunen, Früchte im Überfluss, herzliche Insulaner mit Blüten im Haar. Astrid notierte: "Hier erlebte ich, was Wilfried mir beim Bootskauf versprochen hatte: Dicht am Ufer den Anker fallen lassen, achteraus ins knietiefe Wasser jumpen und die Heckleine an einer Kokospalme festmachen. Quelle vie!" Die Insel hieß Moorea und war der Traum eines jeden Ozeanseglers. Ich sprang gleich hinterher ins Wasser und stapfte zum Strand, ließ mich in den Sand fallen, breitete meine Arme aus und dachte nur: "Das sind die echten Tropen. Was für eine herrliche Bucht." So schön wie dort wurde es nie wieder, nicht im Pazifik und nicht im Indischen Ozean.

Ein gutes Jahr später lagen wir bereits vor Madagaskar in der Bucht von Diego Suarez vor Anker. Von Oktober bis in den Dezember 1971 genossen wir die Gastfreundschaft der Madagassen und der französischen Legionäre. Dann kam der letzte Teil der Reise: 121 Tage und 14 Stunden ununterbrochen auf See lagen vor uns. 9902 Seemeilen bis Plymouth in England. Wir umsegelten das berüchtigte Kap der Guten Hoffnung, die Südspitze Südafrikas, wegen des widrigen Windes in einem nicht enden wollenden Zick-Zack-Kurs. Als wir schließlich den Tafelberg von Kapstadt sichteten, waren wir gleichzeitig glücklich und geknickt. Zu gerne wären wir abgebogen, hinein in den Hafen. Aber wir hatten die Heimfahrt nonstop geplant und wollten die Weltumseglung anspruchsvoll beenden.

Es dauerte nicht lange, genau einen Monat, und das Kap der Guten Hoffnung bekam eine besondere Bedeutung für uns. Astrid war schwanger. Anfängliche Bedenken lösten sich bald auf. Das Baby im Bauch machte keine Probleme. Und später nach dem Ende der Weltumseglung sagte sie: "Ich habe das schönste Andenken von dieser Fahrt mitgebracht, das eine Frau sich wünschen kann."

Eine Monsterwelle hatte uns erwischt

Mit dem Passatwind ging es recht flott nordwärts. Der gefährlichste Zwischenfall dieser Nonstoptour gen England stand uns jedoch noch bevor. Die bei allen Seeleuten gefürchtete Biskaya sollte auch uns Überraschungen bereiten. Wir gerieten in ein heftiges Unwetter, an das Astrid sich auch Jahre später noch mit Schrecken erinnerte:

"Die 6 ist an sich meine Glückzahl, aber diesen 6. April werde ich wohl nie vergessen. Seit vielen Tagen Sturm, seit Stunden wohl Orkan. Die Wellen gingen hoch und schlimmer: sie bekamen Kanten. Wilfried war draußen im Cockpit, um 'Kathena' durch dieses Wetter per Hand zu steuern. Als es dunkel wurde, legte ich mich in die Vorschiffkoje quer zum Boot. Ich bekam Angst, so stark krängte unser Boot im Seegang, ohne Segel gesetzt zu haben. Und ich träumte von leckeren Sachen und dachte zugleich voll Sorge an das Baby in meinem Bauch.

Ganz plötzlich dann stand ich senkrecht auf der Bordwand, so weit über lag 'Kathena'. Ich hörte Wasser rauschen, sonst nichts. Die Petroleumlampe war erloschen. Eine Monsterwelle hatte uns erwischt, angehoben und platt auf die Seite geschmissen. Als das Boot sich wieder aufrichtete, kletterte ich ganz automatisch mittschiffs in die Kajüte. Blankes Entsetzen packte mich, ich stand bis über die Knie im Wasser. Alles schwamm. Die beiden großen Steuerbordfenster fehlten. Da waren nur zwei finstere, leere Löcher in der Dunkelheit.

"Ich ertrinke! Wilfried! Hilfe!"

Als ich das entdeckte, schrie ich ganz fürchterlich: 'Ich ertrinke! Wilfried! Hilfe!' Oben von Deck hörte ich das übliche Klopfzeichen von meinem Mann. Das sollte signalisieren, dass dort alles okay ist. Es konnte mich aber dieses Mal nicht beruhigen. Ich begann hemmungslos zu weinen. Die Luke nach draußen ging kurz auf. Gischt sprühte herein, während Wilfried sich hinunterhangelte. Er war erstaunt, als er Wasser spürte und keine Fensterscheiben mehr sah. Während er beruhigend auf mich einredete, griff er zu einer Zehnliterpütz und schöpfte das Wasser hinaus. Drei elendig lange Stunden dauerte es. Ich gab uns keine Überlebenschance, fing trotzdem an, alles aus dem Wasser zu fischen: Seekarten, Kleidung, Decken, Bücher, Briefe, Fotos, Scherben von Geschirr. Um die offenen Fensterhöhlen dichtzukriegen, zersägte Wilfried den Holzboden unseres Schlauchbootes."

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Wilfried Erdmann:
Tausend Tage Robinson

Das Abenteuer einer Weltumseglung.

Delius Klasing Verlag; 288 Seiten; 12,90 Euro.

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15 Tage nach dem Orkan ankerten wir in der Abenddämmerung in der Bucht von Plymouth. 121 Tage auf See, vom traumhaften Diego Suarez ins feucht-kühle England. Nie mehr in meinem Leben habe ich eine zugleich schönere und finsterere Etappe durchgemacht. Vier Monate auf einem 8,90-Meter-Boot - ein surreales Erlebnis.

Das endgültige Ziel, Cuxhaven, war dann nur noch ein kleiner Sprung in dieser großen Kette von 101 Inseln, Häfen und Buchten. Zumindest erscheint es mir in der Erinnerung so. Schließlich liegt all das schon so lange zurück.

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