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DDR-Werbung: Realsozialistisches Werbeland

Foto: JAN BAUER/ AP

DDR-Werbung Wolpryla, das wollige Wunder

Autowerbung in einem Land, in dem man auf den Trabant jahrelang warten muss? Eigentlich absurd. Doch Reklame hatte in der DDR oft ganz andere Aufgaben zu erfüllen, als den Absatz zu steigern.

Wie heikel der Umgang mit den Verbrauchergefühlen eines DDR-Bürgers sein konnte, zeigt die Sache mit der fleckgeschützten Tischdecke. Ein Hersteller machte für seine ausgefeilte Tischwäsche TV-Reklame, und prompt hätten "sich Bürgerinnen beschwert, weil die Decke in bestimmten Landwarenhäusern nicht da war", konstatierte in den Siebzigerjahren ein Verantwortlicher beim Ministerium für Handel und Versorgung.

Werbung in einem Land, in dem es nicht überall Tischdecken oder Jeansjacken gab, man auf einen Trabant ein gutes Jahrzehnt wartete und Südfrüchte Mangelware waren? Absurd, oder? Ein genauer Blick zeigt jedoch, dass es trotz der angespannten Versorgungslage Werbefeldzüge, zündende Parolen und selbstbewusste Slogans gab, um die volkseigenen Produkte ins rechte Licht zu rücken. Weil Konkurrenz unter den Herstellern fehlte, war Reklame in der DDR eher eine Variante der Propaganda.

Inspiriert war sie auch von der westlichen Fernsehwerbung, die außer im "Tal der Ahnungslosen" – Teile Sachsens und das Gebiet um Greifswald – flächendeckend empfangen werden konnte. Man wollte mithalten, zumindest ästhetisch. Oft geriet das Unterfangen zum schläfrigen Abklatsch des westlichen Reklamerummels. Oft fehlte auch die im Westen übliche Werbefröhlichkeit. So sollte etwa der sozialistische Mann seinen Tag "sicher und selbstbewusst" beginnen, dabei helfe mit "herber, männlicher Note" das Rasierwasser "Pohli" aus dem VEB Dresden Kosmetik – "Das erquickende Finale der Rasur".

Weißkohl für die Volksgesundheit

Manches Inserat kam im vergleichsweise rüden Kommandoton daher ("Spar Rente") oder mit wenig einfallsreichen Vokabeln ("Männer mögen's frisch und duftig"). Es wurde geworben für den Rasenmäher Trolli, AKA-Electric-Trockenhauben oder die Unterleibs-Lotion Yvette-Intim ("Wohlbefinden und Sicherheit für den ganzen Tag"). Manchmal reimten die Kunden auch zurück. Über die aus dem VEB Elite stammenden Fahrräder hieß es etwa: "Diamant ist weltbekannt, wird im Ausland Schrott genannt."

Bisweilen konzipierten die Werber, die in der DDR Gebrauchsgrafiker hießen, auch mit besonderer Zielgruppenansprache. Für die HO-Spezialgaststätten "Goldbroiler" fabulierten sie eine Kampagne in der Kinderzeitschrift "Frösi" ("Fröhlich sein und Singen"), um für kross gebratene Broiler zu werben. Dafür herhalten mussten Wilhelm Buschs Figuren Max und Moritz: "Goldbroiler-Hühnchen! Beste Sorte! Des Mopsens wert? – Ganz ohne Worte! Doch warum mopsen! Laß Dir raten: Goldbroiler ist ein leckrer Braten, den neuerdings ein jedermann, bald überall erwerben kann!"

Überhaupt hatte man ein Faible, für Nahrungsmittel zu trommeln. Als das Land mal auf einem Haufen Zucker saß, bediente sich die staatliche Öffentlichkeitsbearbeitung des Slogans: "Zucker sparen? Grundverkehrt! Der Körper braucht ihn. Zucker nährt!" Die Volksgesundheit musste der Planwirtschaft weichen. Auch der Mangel an Fleisch wurde indirekt thematisiert, indem besser verfügbare Alternativen gepriesen wurden: "Jedermann auf jedem Tisch – mehrmals in der Woche Fisch!" Auch für andere gut erhältliche Produkte sollte der Absatz angekurbelt werden. So wurde für Eier ebenso geworben ("Nimm ein Ei mehr!") wie für heimisches Obst ("Apfelmus schmeckt immer gut!") oder Gemüse ("Weißkohl ist ja sooo gesund!").

Aber auch für Dinge, die kaum zu haben waren, wurde Reklame gemacht. Der in Zwickau hergestellte Trabant (26 PS, 100 km/h Spitze) kam als "wendig, schnell, ausdauernd und robust" zu Werbefilm-Ehren. Das Auto mit Duroplast-Aufbau wurde zunehmend auch als zentrales Requisit in Spielfilmen eingesetzt und stand so für das Lebensgefühl der Sechzigerjahre. Für den volkseigenen Luftverpester Wartburg wurde nur im Ausland geworben, meist auf Messen und Ausstellungen. Oft kam dabei die Eisenacher Burg ins Bild – so sollte die 1955 an den Start gegangene Automarke vom Ruhm des Automobilwerks Eisenach profitieren.

Sozialistensuppe

Es gab auch eine Kampagne für das VEB-Minol-"Schnelltanken". Ein ausgefeiltes System? Nein, beim "Schnelltanken" wurde schlicht nur für runde Summen betankt, die Wartezeit auf die Rückgabe von Wechselgeld entfiel. Grund genug für die DDR-Werber, eine Kampagne daraus zu stricken.

Während die westdeutschen Kollegen sich einiges einfallen lassen mussten, um im anschwellenden Chor der Verkaufsgesänge noch gehört zu werden, dominierte im Osten die sorgfältig inszenierte Langeweile. Neben gedruckter Reklame liefen auch Bildschirmbotschaften. Zu Beginn gab es nur eine Sendung pro Woche, später täglich außer sonntags, dann eine Weile zweimal die Woche: Die "Tausend Tele-Tips" strahlte das DDR-Fernsehen entweder nach dem Adlershofer "Sandmännchen" oder nach der TV-"Information für Lehrer" aus. Langbeinige Mannequins und gewellte Blondinen warben für Auslegeware mit den Namen Wirteka, Kovral und Ranova oder für atmungsaktive Nachtwäsche. Damit die Zuschauer durchhielten, kamen ab 1969 kurze Zeichentrickfilme zwischen den Spots hinzu.

Um auch das Straßenbild westlich-modern erscheinen zu lassen, setzte man früh im Osten auf Leuchtreklame. Vor allem in Leipzig zuckte seit den Fünfzigern Neonwerbung von den Dächern. Eine eigenes eingerichtete "Kommission für Leuchtwerbung", in der sogar die Volkspolizei saß, sollte die Messestadt attraktiver erstrahlen lassen. Eine aufwendige Giebelwandreklame hängt bis heute. Sie zeigt die "Leipziger Löffelfamilie": Mutter, Vater und zwei Kinder sitzen am Tisch und löffeln Suppe – bis 1990 sollte das Motiv Produkte des VEB Feinkost anpreisen. 194 Meter Neonglas wurden von der PGH Neontechnik und Anlagenbau verbaut, 12 Meter lang und 7 Meter hoch ist die Suppenwerbung in der Südvorstadt. Heute kann das Kulturdenkmal per Telefonspende zum Leuchten gebracht werden.

Der legendäre Spruch "Plaste und Elaste aus Schkopau", einst meterhoch sichtbar an der Autobahn bei Dessau, hat es bis ins Deutsche Historische Museum in Berlin geschafft. Die Leuchtreklame musste nach der Wiedervereinigung abgebaut werden, weil Werbung auf Bundesautobahnen verboten ist.

Alles in einer Hand

Private Agenturen für Reklame gab es in der DDR nicht. Ein Staatsunternehmen, die Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft, kurz Dewag genannt, hatte das Monopol. Die SED war Kapitaleigner des Agenturgiganten. Der parteieigene Betrieb kümmerte sich auch um politische Agitation und Propaganda. Mehr als 5000 Mitarbeiter texteten, filmten und zeichneten in den besten Zeiten des Unternehmens für die Dewag – häufig mit Mini-Budgets. Der Reklamemonopolist war auch Herrscher über die Orte, wo man Anzeigen schalten konnte. Jede Litfaßsäule gehörte genauso in das Reich der Firma wie das Geschäft mit Anzeigen in den Tageszeitungen. Leser gaben ihre Annonce nicht bei der Zeitung auf, sie mussten sich an die Dewag wenden. Egal, ob Reklame im Sportstadion oder bei der Reichsbahn, ebenso Fahnenstickereien, ein eigener "Verlag für Agitations- und Anschauungsmittel" (auch vierfarbige Honecker-Porträts gehörten zum Sortiment) oder Plakatdruckereien – alles war in der Hand der Dewag.

Ihr langjähriger Chef, Ulrich Osche, war nicht etwa Werber, sondern machte in jungen Jahren Reklame für die Weltrevolution. Der gelernte Chemigraf schloss sich 1930 der KPD an, trat in den Widerstand gegen den Nationalsozialismus ein. 1943 kam er ins KZ Buchenwald, wurde dort im April 1945 befreit und trat ein Jahr später in die SED ein. Unter seiner Ägide kämpften die staatlichen Öffentlichkeitsbearbeiter auch gegen den Klassenfeind. Frauentag, Parteitag, 1. Mai, Republikgeburtstag oder der Wahlsonntag – Anlässe gab es viele für Osches Leute, Parteibeschlüsse zu erklären und die Menschen zum Sozialismus zu erziehen.

Die ideologische Gängelung der Werbebranche hatten die Filmemacher im Blick, als 1976 in Erfurt der Kinofilm "Nelken in Aspik" Premiere feierte. Die Komödie mit Armin Mueller-Stahl nahm die DDR-Reklamemacher aufs Korn – ein Grenzgang in der sozialistischen Republik. Im Mittelpunkt stand ein völlig untalentierter Werbezeichner, der jede Fortbildung besuchte, aber kaum mehr konnte, als herumzuschwafeln, etwa von "der Rolle der Bedeutung" – und er stieg auf zum obersten Werber der Republik. Ein westdeutscher Filmdienst nannte das Defa-Werk eine "satirische Komödie über kaderpolitische Fehlentwicklungen in der DDR". Die Zensoren ließen den Film auf die Leinwände und beanstandeten noch nicht mal Spottverse wie diesen hier: "Werbung für den Wartburg ist der reinste Hohn. Willst du einen kaufen, kriegt ihn erst dein Sohn." Nach kurzer Laufzeit verschwand "Nelken in Aspik" in den Archiven.

Deutschland, einig Werbeland

In der Ära Honecker klafften Anspruch und die VEB-Wirklichkeit schließlich so weit auseinander, dass der Ministerrat 1976 die Einstellung der Inlandswerbung verfügte. Damit endete auch die Sendung "Tausend Tele-Tips". Der 17 Jahre dauernde Feldversuch war zu Ende. Im "Wörterbuch der Ökonomie Sozialismus" von 1984 fehlt zwischen den Einträgen "Weltwirtschaft" und "Werkdirektor" jeder Eintrag zu Werbung.

Dass die untergegangene sozialistische Gesellschaft nach 1990 den wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit von Werbung liefern sollte, erscheint wie ein historischer Witz. Ein Forscherteam der University of California machte sich den Umstand zunutze, dass ein Teil der Ostbürger westliches Fernsehen sehen konnte und ein anderer Teil nicht.

Über die Menschen, die schon zu Ostzeiten mit Westwerbung lebten, fanden die Wissenschaftler heraus: Sie griffen nach der Wiedervereinigung häufiger zu den angepriesenen Produkten.

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