Fotostrecke

DDR-Kopien: Ketwurst, Lipsi, Club-Cola

Trendkopierer DDR Vom Westen lernen heißt grillen lernen

Aerobic wurde zu Popgymnastik, Hotdogs hießen Ketwurst: Die DDR zeigte wenig Scheu beim Nachahmen von West-Trends. Staatschef Walter Ulbricht gefiel das gar nicht. Doch seine Bürger wollten Jeans, Fast Food und Rock'n'Roll. einestages zeigt heiß begehrte West-Produkte - und ihre Ost-Kopien.

Walter Ulbricht war irgendwann nur noch genervt: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?", ärgerte sich der Staatsratsvorsitzende der DDR 1965 während einer Sitzung des SED-Zentralkomitees. "Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je - und wie das alles heißt - sollte man doch schlussmachen."

Der Anlass für Ulbrichts Litanei: Zwei Jahre zuvor hatten die Beatles mit ihrer Single "She Loves You" den internationalen Durchbruch geschafft. Kurz darauf schwappte die Beat-Welle auch über die innerdeutsche Grenze. Das "Yeah, Yeah, Yeah" im Refrain des Songs wurde für Ulbricht offenbar zum Sinnbild für diese Bewegung. Und auch wenn sich die sozialistische Regierung gerne aufgeklärt und fortschrittlich präsentierte - die DDR der fünfziger und sechziger Jahre war mindestens so spießig und kleinbürgerlich wie der Westen.

Nicht nur deshalb waren der Führung in Ost-Berlin Jazz, Rock'n'Roll und Beatmusik immer suspekt. Auch aus ideologischen Gründen wollte die DDR-Regierung den Einfluss des Westens auf Kultur und Gesellschaft in ihrem Land möglichst klein halten. Die Losung "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" sollte schließlich auch für Kunst und Konsum gelten.

"Den Lipsi hat nur das Politbüro getanzt"

Wenn die Menschen in der DDR sich also schon für Musik aus Amerika und dem "nichtsozialistischen" Ausland begeisterten, wollte die Staatsführung wenigstens den Takt vorgeben - mit dem Lipsi. Nachdem in den Fünfzigern Rock'n'Roll und Twist auch ihren Weg in den Osten Deutschlands gefunden hatten, und 1958 Elvis Presley als US-Soldat ausgerechnet in der Bundesrepublik stationiert worden war, sah sich die SED zum Handeln gezwungen. Im Auftrag der Partei entwickelten Musiker und Tanzlehrer ein paar eigene peppige Schritte.

Der 1959 vorgestellte Lipsi - benannt nach lipsiens, der lateinischen Bezeichnung für Leipziger - stand aber von Anfang an unter keinem guten Stern. Schon der Ort seiner Uraufführung, die brandenburgische Industriestadt Lauchhammer, klang nach Provinz und konnte mit London oder Liverpool einfach nicht mithalten.

Auch der Tanz selbst blieb bieder: Obwohl im damals angesagten 6/4-Takt geschrieben, war er eben doch ein konventioneller Paartanz, der lediglich wie eine etwas schwungvollere Variante des Althergebrachten wirkte. Dabei hatte die DDR in der Hoffnung, zumindest auf dem Tanzparkett das angestrebte "Weltniveau" zu erreichen, den Lipsi sogar zum weltweiten Patent angemeldet. Doch Lothar Bisky, langjähriger Parteichef von PDS und Linke, bilanzierte Jahrzehnte später: "Den Lipsi hat wahrscheinlich nur das Politbüro getanzt."

Fotostrecke

DDR-Kopien: Ketwurst, Lipsi, Club-Cola

Auch auf die kulinarischen Gelüste der DDR-Bürger hatte der Westen Einfluss. Über das Westfernsehen erfuhren sie von Hamburgern, Hotdogs und anderen Spezialitäten aus der amerikanischen Fast-Food-Küche. 1971 eröffnete der erste McDonald's in der Bundesrepublik, ein Jahrzehnt später kam die Ost-Variante des Hamburgers in die Imbissbuden der DDR: die Grilletta. Die Schweinefleischbulette mit Tomatenketchup im Brötchen wurde zunächst hauptsächlich in Ost-Berlin und Leipzig verkauft, später eroberte sie auch den Rest des Landes.

"Versorgungslösung Ketwurst"

Manche DDR-Bürger kamen auch bei Urlaubsreisen nach Ungarn auf den Geschmack des Westens. Mitarbeiter des Berliner Rationalisierungs- und Forschungszentrums Gaststätten brachten von dort die Idee für einen ostdeutschen Hotdog mit. Eine Bockwurst wurde in Ketchup getunkt und dann in ein längliches Brötchen gesteckt - fertig war der Snack, der natürlich keinen englischen Namen tragen durfte. Also entstand aus den Zutaten Ketchup und Wurst der Kunstbegriff Ketwurst.

Auf der "Messe der Meister von morgen" erhielten die Erfinder "für das Exponat Versorgungslösung Ketwurst", wie ihre Neuschöpfung im realsozialistischen Bürokratendeutsch genannt wurde, eine Urkunde. Besonders in der Hauptstadt entwickelte sich der DDR-Hotdog zu einem echten Renner. Und die Ketwurst hat auch den Mauerfall überstanden, in einigen Imbissen wird sie heute noch angeboten.

Andere Trends verschwanden in beiden deutschen Staaten genauso schnell wie sie gekommen waren. Als Jane Fonda Anfang der achtziger Jahre Aerobic populär machte, zwängten sich auch die Deutschen rasch in neonfarbene Gymnastikbodys. Sogar das Fernsehen trug dem Rechnung: 1983 startete das ZDF die Aerobic-Show "Enorm in Form", zwei Jahre später ließ das DDR-Fernsehen die Sendung "Medizin nach Noten" wieder aufleben. Nur hieß das, was die Vorturner dort zeigten, offiziell nicht Aerobic sondern Popgymnastik. Auch wenn der Osten mit Billigung der Staatsführung den Sporttrend aus dem Westen aufgriff - zumindest bei der Bezeichnung musste sich die DDR auch hier abgrenzen. Doch noch vor der Wende war in beiden deutschen Staaten der große Aerobic-Boom auch schon wieder vorbei.

Andere Ost-Kopien verschwanden bald nach dem Fall der Mauer aus den Regalen. Manches überlebte in abgewandelter Form, wie die Club-Cola, die mit ihrer neuen Rezeptur zwar nichts mehr mit dem DDR-Getränk zu tun hat, aber bei einigen Ostalgikern immer noch gut ankommt.

Manches konnte aber auch locker mit seinem West-Vorbild mithalten. So hat sich etwa der "Polizeiruf 110" nach der Wende in der Fernsehlandschaft nicht nur etabliert, die Serie ist sogar expandiert: Längst ermitteln "Polizeiruf"-Kommissare in ganz Deutschland - und sind manchem Krimi-Fan lieber als das "Original".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren