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Widerstand im NS-Regime: Mit Postkarten gegen die Todesmaschine

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Privatbesitz/ Reproduktion Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Widerstand im NS-Regime Mit Postkarten gegen die Todesmaschine

Auf Karten und Handzetteln riefen sie zum Sturz der Nazis auf. 1943 wurden Elise und Otto Hampel in Berlin hingerichtet. Ein Roman machte ihr Schicksal weltbekannt - und kommt nun als Neuverfilmung in die Kinos.

"Hitlers totaler Krieg ist dess Arbeiters Tod", schrieb Otto Hampel in steiler, unbeholfener Schrift auf eine Postkarte. Ein Satz, der ihn das Leben kosten konnte. Und doch war die kleine Karte mit der subversiven Botschaft nur eine von unzähligen, die Hampel gemeinsam mit seiner Frau Elise zwischen 1940 und 1942 heimlich in Berlin verteilte.

Eigentlich waren sie keine Menschen des geschriebenen Worts: Viele grobe Rechtschreib- und Grammatikfehler verrieten, dass die Eheleute nur wenige Jahre zur Schule gegangen waren. Dennoch griffen sie immer wieder zur Feder, um ihrer Empörung über das NS-Regime Luft zu verschaffen: "Im Sinne der Gerechtigkeit gibt es nur eins. Nieder mit dem schurkischen Hitler Regiem", steht auf einer anderen Karte, die in einer Wanderausstellung der Stiftung 20. Juli 1944 und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in vielen deutschen Schulen zu sehen war.

Längst sind die Hampels selbst zum Teil der Historie geworden, und zu Berühmtheiten: Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein" machte 1947 bekannt, wie das Ehepaar gegen Hitler gekämpft hatte - und am Ende Opfer einer Denunziation wurde.

Erst Unterstützer, dann Feinde Hitlers

Elise und Otto lebten im "Roten Wedding", nach dem Ersten Weltkrieg eine Hochburg der Kommunisten. Arbeiter aus den Fabriken von AEG, Osram oder Rotaprint wohnten hier dicht gedrängt in ärmlichen Mietskasernen. Otto Hampel war Maschineneinrichter im Siemens-Kabelwerk in Reinickendorf, seine Frau schlug sich als Haushaltshilfe durch.

Anders als viele ihrer Nachbarn standen sie politisch zunächst rechts. Otto war bis 1933 Mitglied im Frontsoldatenbund "Stahlhelm", einem paramilitärischen Verband der Deutschnationalen, der nach der Machtübernahme durch die Nazis der SA unterstellt wurde. Ein Jahr nach der Hochzeit trat Elise 1936 in die NS-Frauenschaft ein. In der NSDAP-Hierarchie brachte sie es bis zum Rang einer Zellenleiterin und hatte mehrere Wohnblocks zu beaufsichtigen.

Eine Familientragödie ließ das Paar dann jedoch zu erbitterten Gegnern Hitlers werden: Als Elises Bruder 1940 an der Westfront fiel, schlug ihre Verzweiflung rasch in Hass auf die Nazis um. Wie der Historiker Hans-Rainer Sandvoß in dem Buch "Widerstand in einem Arbeiterbezirk (Wedding)" schildert, hatte sich Elise Hampel zuvor auch über soziale Privilegien für andere Parteigenossen geärgert.

"Volksverräter" und "Raubmörder"

Mehr als 200 Postkarten und Handzettel verfasste und verbreitete das Ehepaar. Damit riefen die Hampels zu Widerstand und Sabotage auf. Sie protestierten gegen ein Regime, das ihrer Ansicht nach die Bevölkerung belog und die Schwachen ausbeutete, um sich selbst zu bereichern. "Mit falscher Propaganda und grosser Anstrengung hatt es Hitler mit seiner Bande fertig gebracht uns deutschen über die eigenen Verbrechen hinweg zu täuschen", schrieben sie. Oder: "Wir wollen keine kapitalistische Weltordnung wofür ein Hitler kämpft und unsere Väter und Söhne in den Tod schickt!"

Die Hampels beschimpften die Herrschenden als raffgierige "Bonzen" , "Volksverräter" und "Raubmörder", die Milliarden Reichsmark in die Aufrüstung steckten. Sie beschuldigten sie zudem, "deutsche Christen" in Konzentrationslagern hinrichten zu lassen. "Es ist unsere höchste Pflicht, der verbrecherischen Kriegs Maschinerie (...) ein Ende zu bereiten."

Die meisten Leute, die auf diese Untergrundschriften stießen, gaben sie offenbar nicht unter der Hand weiter. Die Angst vor Repressalien dürfte die meisten Finder dazu getrieben haben, zur Polizei zu gehen. Laut Sandvoß sind mehr als 190 Fundorte von Postkarten und Flugschriften in den Akten genau dokumentiert.

Eine Frau, die im September 1942 die Hampels bei einer Aktion beobachtete, denunzierte sie schließlich bei der Gestapo. Vermutlich waren sie bis dahin nicht aufgeflogen, weil sie allein agierten und keiner der von den Nazis beobachteten Organisationen angehörten.

"Die Angst umhüllte damals jeden Körper"

An die Verhaftung erinnerte sich eine damalige Nachbarin noch Jahrzehnte später. "Offiziell sprach niemand über den ganzen Vorfall", sagte die inzwischen verstorbene Dorit Quass 1984 dem Autor Manfred Kuhnke. "Es lag wie eine Lähmung auf allen, denn die Person Adolf Hitlers war unantastbar, und die geringste Kritik wurde geahndet. Die Angst umhüllte damals jeden Körper, sie herrschte selbst in den Familien."

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Widerstand gegen die Nazis: "Jetzt werde ich etwas tun" - die Geschwister Scholl

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Am 22. Januar 1943 wurde das Ehepaar Hampel wegen "Zersetzung der Wehrkraft" und "Vorbereitung zum Hochverrat" zum Tode verurteilt. Vor Gericht schoben sich Elise und Otto gegenseitig die Schuld zu. Diese verzweifelten Versuche, das eigene Leben zu retten, blieben vergeblich. Am 8. April starben beide unter dem Fallbeil in der berüchtigten Haftanstalt Berlin-Plötzensee.

Die Hampels waren nicht die Einzigen, die mit Untergrundschriften gegen das Hitler-Regime angehen wollten. Zu den bekanntesten Widerstandskämpfern gehörten Hans und Sophie Scholl, deren Gruppe "Weiße Rose" Tausende Flugblätter in München und anderen deutschen Städten in Umlauf brachte. Am 22. Februar 1943 wurden die Geschwister, erzogen zum Widerstand, und ihr Helfer Christoph Probst vom "Volksgerichtshofs"-Präsidenten Roland Freisler zum Tode verurteilt und kurz darauf hingerichtet. Im Laufe des Jahres folgten weitere Hinrichtungen von Mitgliedern der "Weißen Rose".

1943 starb in Plötzensee auch die 19-jährige Liane Berkowitz, die im Auftrag der kommunistischen Bewegung "Rote Kapelle" Zettel in Berlin-Charlottenburg verteilt hatte. 1942 war im selben Gefängnis bereits der Berliner Hanno Günther ermordet worden; er hatte nach dem deutschen Sieg über Frankreich pazifistische Flugblätter mit Sabotageaufrufen verteilt.

"Der Elefant fühlt sich von der Maus bedroht"

Weltbekannt wurde das Schicksal der Hampels erst vier Jahre nach ihrer Hinrichtung - durch Hans Falladas Buch "Jeder stirbt für sich allein". Der Roman basiert auf ihrer Geschichte, auch wenn seine Protagonisten Anna und Otto Quangel heißen und viele Details allein der Fantasie des Autors entsprungen sind. In einem Essay beschrieb Fallada, was ihn an der Geschichte faszinierte: "Diese beiden Eheleute Quangel, zwei bedeutungslose Einzelwesen im Norden Berlins, nehmen (...) den Kampf auf gegen die ungeheure Maschinerie des Nazistaates, und das Groteske geschieht: Der Elefant fühlt sich von der Maus bedroht".

Von den Widerstandskämpfern hatte Fallada aus einer Gestapo-Akte erfahren, die ihm der spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher zuspielte. Seinen Roman schrieb der schwer kranke Autor 1946 in nur knapp vier Wochen, die Veröffentlichung erlebte er nicht mehr. In 30 Sprachen übersetzt, wurde das Buch zum internationalen Bestseller.

X-Verleih

Seit Anfang der Sechzigerjahre wurde der Roman mehrmals verfilmt, unter anderem mit Hildegard Knef. Am 17. November 2016 kommt eine neue Fassung in die Kinos, das Ehepaar wird verkörpert von der britischen Oscar-Preisträgerin Emma Thompson und dem irischen Schauspieler Brendan Gleeson.

Regisseur Vincent Pérez, der deutsche Vorfahren hat, sieht sich durch den Film mit seiner eigenen Familiengeschichte konfrontiert: "Ich hatte drei Onkel, einer von ihnen wurde in Russland an der Front getötet. Ein Großonkel, der in der Psychiatrie eines Krankenhauses untergebracht war, wurde in einem Prototyp der Gaskammern vergast."

Produzent Paul Trijbits ist besonders beeindruckt von einer Szene, in der Quangel über die Postkarten spricht: "Sie sind wie Sandkörner, die wir in die Maschine füttern. Ein Korn hält die Maschine nicht an. Aber wenn man immer mehr hineintut, dann wird es mit der Zeit Auswirkungen auf die Maschine haben", zitiert er Otto Hampel. Letztlich zeige der Film, dass die Feder mächtiger sei als das Schwert.

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