
NSDAP 1921: Hitlers erste Machtergreifung
Heinrich Hoffmann / Getty Images
Wie Hitler sich die NSDAP unterwarf »Niemals mehr ein Zurück«
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Das erste politische Opfer Adolf Hitlers ging am 25. Juli 1921 in München zur Polizei. Der Werkzeugschlosser Anton Drexler, 37, warnte die Beamten vor Hitler. Der wolle »die Parteiziele auf revolutionärem Wege, eventuell unter Anwendung von Terror, Gewalt und anderen Mitteln« erreichen.
Die Polizei rührte sich nicht: Wer war schon dieser Hitler?
Drexler war Vorsitzender und Mitgründer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die zuvor für gut ein Jahr Deutsche Arbeiterpartei (DAP) geheißen und der sich auch Hitler angeschlossen hatte. Drexler befürchtete im Juli 1921, Hitler werde die Führung an sich reißen. Und er täuschte sich nicht.
Die Macht in der kleinen Partei ergriff Hitler mit denselben Methoden, mit denen er sich rund ein Jahrzehnt später ganz Deutschland unterwarf: einer Mischung aus Demagogie und vagen Versprechungen, Drohungen und Intoleranz. Hitler duldete schon in den eigenen Reihen keinerlei Widerspruch.
Vereinsmeier am Biertisch
Das Markenzeichen der DAP war von Anfang an die Bereitschaft zum Betrug. Schon der ursprüngliche Parteiname war irreführend: Die DAP war keine Organisation der Arbeiterbewegung, sondern jener nationalistischen Organisationen, die nach der Revolution von 1918/19 getrieben waren vom Hass auf Linke. Unter den 190 DAP-Mitgliedern waren im Januar 1920 nur 2,5 Prozent ungelernte Arbeiter. Es dominierten Handwerker, Hochschulabsolventen, Beamte und Offiziere, zusammen mehr als 40 Prozent der Mitglieder.
Hitler war 1919 im Alter von 30 Jahren als Militärspäher zu der Truppe gestoßen, als Informant der Bayerischen Reichswehr. Die Heereseinheit, für die der Gefreite Hitler tätig war, beobachtete politische Gruppierungen der Landeshauptstadt. Zentrales Motiv dabei war die Sorge um ein Erstarken des »Marxismus«, wenige Monate nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik.
Am 12. September 1919 nahm Hitler an seiner ersten DAP-Versammlung teil. Im Wirtshaus Sterneckerbräu in der Nähe des Isartors hatten sich etwa 40 Anhänger versammelt. Hitler meldete sich energisch zu Wort, Drexler forderte ihn danach auf, der Partei beizutreten. Das geschah wenige Tage darauf in einem anderen Lokal, »im Zwielicht einer demolierten Gaslampe«, wie Hitler später in »Mein Kampf« schrieb.
In seinem Buch verdeutlichte er auch sein zynisches Verhältnis zu der Kleinpartei und höhnte, dort habe eine »Vereinsmeierei allerärgster Art und Weise« geherrscht. Doch gerade diese Schwäche zog Hitler an: Er erkannte, dass er diese betuliche Biertischrunde völlig umkrempeln konnte.
Drexler war seit Januar 1919 einer der beiden DAP-Vorsitzenden und ab 1920 alleiniger Parteichef. Im Ersten Weltkrieg war der Wehruntaugliche der extrem nationalistischen Deutschen Vaterlandspartei beigetreten. Der Antisemit Drexler lieferte Hitler Elemente seiner späteren Partei-Ideologie – vor allem eine Mischung aus Nationalismus und sozialistisch klingenden Versprechungen, um Arbeiter anzusprechen.
»Mei, hoat der a Goschn«
Drexler beeinflusste auch das 25-Punkte-Programm, das die inzwischen in NSDAP umbenannte Truppe im Februar 1920 verkündete. Sie forderte den »Zusammenschluss aller Deutschen« zu einem »Groß-Deutschland« inklusive Österreich. Sie versprach die »Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens«, die »Einziehung aller Kriegsgewinne«, eine »Gewinnbeteiligung an Großbetrieben«. Und sie propagierte die Losung »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«, die später unter dem NS-Regime in den Rand von Münzen geprägt wurde.
Die vielversprechenden sozialen Parolen gingen einher mit radikalem Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Die NSDAP versprach, »jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher zu verhindern«. Staatsbürger könne nur sein, wer »Volksgenosse« sei. Doch »Volksgenosse« könne nur sein, »wer deutschen Blutes ist«. Daher könne »kein Jude Volksgenosse sein«.

NSDAP 1921: Hitlers erste Machtergreifung
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Drexler war, wie er selbst einräumte, Hitler rhetorisch weit unterlegen. »Mei, hoat der a Goschn«, was hat der für ein Mundwerk, soll der Parteichef über Hitler gesagt haben. Auch für Organisation und Propaganda hatte Drexler kein Talent. Hitler beschrieb ihn in »Mein Kampf« als »schwächlich und unsicher«.
Noch unter Drexlers Vorsitz ging Hitler daran, aus dem Dämmerschoppen eine Truppe von Draufgängern zu machen. Er schleuste mehr und mehr Militärkameraden in die Partei und sorgte als »Werbeobmann« für ein aggressives Auftreten in der Öffentlichkeit.
Rote Fahnen sieht man besser
Hitler ließ Plakate in Rot drucken, um Aufmerksamkeit zu wecken und »die linke Seite zu reizen«. Im Sommer 1920 ließ er rote Parteifahnen anfertigen, in der Mitte mit weißem Kreis und schwarzem Hakenkreuz. Und er brach als Redner bei Versammlungen mit bürgerlichen Konventionen. Hitler sprach die Zuhörer nicht als »Damen und Herren« an, sondern als »Volksgenossen und Volksgenossinnen«.
In seinen Reden Anfang der Zwanzigerjahre kehrten in Variationen stets dieselben Motive wieder: Hitler wetterte gegen den »Schmachfrieden« von Versailles und das »internationale jüdische Börsenkapital«. Den Linksparteien warf er »Lüge und Betrug« vor und den Rechtsparteien »grenzenlose Unfähigkeit«.
Als Redner setzte er mehr auf Gefühle als auf Argumente. Seine Auftritte waren hochemotional, in den Veranstaltungen steigerte er sich »häufig in einen stundenlangen, regelrechten Redeexzess hinein«, so der Historiker und Hitler-Biograf Peter Longerich.
Sein Gefolgsmann Max Amann, im Ersten Weltkrieg zeitweise Hitlers Vorgesetzter und ab 1921 NSDAP-Funktionär, erinnerte sich nach 1945: »Der Mann schrie, er führte sich auf, ich habe nie so etwas gesehen.« Doch viele Zuhörer sahen in Hitlers Auftritten nicht Hysterie, sondern einen emotionalen Ausdruck ehrlichen Wollens. Hitlers Versammlungen besuchten vor allem Männer, die Münchner Polizei berichtete 1920 indes über etwa 20 bis 30 Prozent Frauen. Viele von ihnen schwärmten jahrzehntelang wie verliebt vom »Führer«.
Von Schlägertruppen beschützt
Der Zulauf wurde immer stärker. Allein von März 1920 bis Januar 1921 hielt die NSDAP 46 Großveranstaltungen mit insgesamt mehr als 60.000 Besuchern ab und mietete fortan auch Zirkuszelte statt nur Bierlokale.
Die erste Großkundgebung im Zirkus Krone veranstaltete Hitler vor 6000 Zuhörern am 3. Februar 1921 – zum Thema »Zukunft oder Untergang«. Dass bei Hitler die Zukunft auch den Untergang mit einschloss, ahnte damals wohl kaum einer seiner Zuhörer.
Die Mitgliederzahlen der Partei stiegen vor allem dank des Redners Hitler rasant. Zählte die Partei Ende 1919 erst 64 Mitglieder, waren es zwei Jahre später bereits 6000. Unverkennbar war das vor allem Hitlers Werk. »Dem Münchner Publikum«, so der britische Hitler-Biograf Ian Kershaw, »galt Hitler 1921 als Inbegriff der NSDAP.«
Hitler sorgte für einen, wie er selbst in »Mein Kampf« schrieb, »straff organisierten Saalschutz«, der Zwischenrufer unsanft nach draußen beförderte – die Keimzelle der späteren »Sturmabteilung« (SA) und der »Schutz-Staffel« (SS). Die Schlägertruppe firmierte ab November 1920 als »Turn- und Sportabteilung« der Partei.
»Diktatorische Machtbefugnis«
Doch Hitler reichte die Rolle als führender Agitator und Organisator nicht. Er wollte uneingeschränkt über die Partei bestimmen und forderte eine »diktatorische Machtbefugnis«. Das erreichte er Ende Juli 1921 durch Erpressung – die Drohung sich zurückzuziehen.
So wählte ihn die NSDAP am 29. Juli 1921 in einer Versammlung von 554 Parteimitgliedern im Münchner Hofbräuhaus zum Vorsitzenden. Bald darauf, im November 1921 bezeichnete ihn das NSDAP-Kampfblatt »Völkischer Beobachter« erstmals als »Führer der NSDAP«. Der Führerkult um Hitler begann.
Über die Münchner Anfänge der Partei schrieb Hitler 1924 in »Mein Kampf« rückblickend, ihn habe die »Sehnsucht nach einer neuen Bewegung« getrieben, bei der es »ein Zurück niemals mehr geben konnte«. Was er vorhabe, sei »keine vorübergehende Spielerei, sondern blutiger Ernst«.
Von der Wahl zum Parteichef bis zum Selbstmord im »Führerbunker« am 30. April 1945 waren es noch mehr als 23 Jahre. Doch die Weichen in den Wahnsinn, Hitler hatte sie bereits gestellt.