Fotostrecke

Untergang der UdSSR: Wie das KGB die Sowjetunion überlebte

Foto: ALEXANDER ZEMLIANICHENKO/ AP

Untergang der UdSSR Wie das KGB die Sowjetunion überlebte

Geheimdienst in Bedrängnis: Als die Sowjetunion zerfiel, wurde die KGB-Zentrale von Demonstranten belagert, der Chef verhaftet und die Statue des Gründers gestürzt. Mit einem schlauen Schachzug gelang es den Funktionären dennoch, den Kern ihrer Mannschaft ins neue System zu retten.

Auf einmal hatten auch hartgesottene Geheimdienstoffiziere Angst. Als die einstige Supermacht Sowjetunion ab 1990 immer mehr ins Taumeln geriet, wuchs bei vielen Mitarbeitern in den holzgetäfelten Arbeitszimmern der Moskauer Geheimdienstzentrale Lubjanka eine quälende Ungewissheit: Was würde aus ihnen werden, wenn das sowjetische Imperium tatsächlich zusammenbrach?

Die KGB-Bediensteten, bislang Rückgrat des Staates, hatten sich jahrzehntelang als "Schwert und Schild der Partei" verstanden. Sie nannten sich "Tschekisten", nach der "Tscheka", der 1917 gegründeten bolschewistischen Geheimpolizei des legendären Felix Dserschinski. Jetzt, im Frühjahr 1991, war ihre Zukunft ungewisser denn je, denn die Sowjetunion zeigte immer tiefere Risse.

In der Hauptstadt Moskau waren zwei Machtzentren entstanden: Im Kreml saß Michail Gorbatschow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Sein Gegenüber war Boris Jelzin, im Mai 1990 zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets der größten sowjetischen Teilrepublik gewählt, der Russischen Föderation. Jelzins Sitz war das "Weiße Haus", das jetzige Regierungsgebäude an der Moskwa.

Sicherheitsdienst in großer Not

Noch lag der Oberbefehl über Armee und Geheimdienst KGB in den Händen Gorbatschows. Doch dessen Macht erodierte angesichts zunehmenden Warenmangels und hilfloser Amtsträger. Jelzin hingegen erstarkte durch die Sympathien, die ihm Massen der russischen Bevölkerung entgegenbrachten. Zwar war auch er jahrzehntelang Parteifunktionär gewesen. Doch legte er sich mit dem Parteiapparat an. Und konvertierte - wenn auch erst im Alter von Sechzig - auf einmal vom Kommunisten zum Demokraten.

Es waren also schwierige Zeiten für die 480.000 Mann der sowjetischen Staatssicherheit, den Geheimdienst KGB, denn auch in dessen Reihen war die Kommunistische Partei diskreditiert - wegen ihrer oft inkompetenten Funktionäre.

Als Jelzin zum Präsidenten des russischen Kernlandes der Sowjetunion gewählt war und neue Parteien entstanden, erkannten viele KGBler, dass die Tage der Kommunistischen Partei an der Macht gezählt waren. In dieser deprimierenden Lage entschieden führende KGB-Strategen, den Wandel in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Ein folgenschweres Abkommen

Ihre Idee war so einfach wie effektiv: Jelzins Russische Föderation, vorerst ein Staat im Staate Sowjetunion, sollte einen eigenen Sicherheitsdienst bekommen - zusammengesetzt aus bewährten KGB-Mannen. Denn aus der Sicht des Geheimdiensts galt es zu verhindern, dass die "demokratische Straße" (wie die gegen die Kommunistische Partei gerichtete Protestbewegung in KGB-Kreisen abfällig genannt wurde) Jelzin einen eigenen Sicherheitsdienst anbot. Das schlimmste Szenario für die alten Kader: ein neuer Geheimdienst, aufgebaut mit westlichen Beratern.

Der "ostdeutsche Weg" einer Auflösung der Staatssicherheit galt aber nicht nur dem KGB, sondern auch Gorbatschow und Jelzin als ein Abenteuer, auf das man sich keineswegs einlassen wollte. So unterzeichneten Gorbatschow, Jelzin und KGB-Chef Wladimir Krjutschkow am 5. Mai 1991 eine folgenschwere Vereinbarung, die Russland bis heute prägt: Die Russische Föderation erhielt ihre eigene Staatssicherheit aus KGB-Mitarbeitern. Dieser Dienst unterstand nicht mehr dem sowjetischen KGB, sondern Jelzin.

Fotostrecke

Sieger Jelzin und ein dilettantischer Putsch

Foto: ALEXANDER ZEMLIANICHENKO/ AP

Über diesen Weg der Staatssicherheit in die postsowjetische Zeit berichtet einer der zentralen Akteure, Generalleutnant Andrej Prschesdomski, in seinem in Moskau erschienenen Buch "Hinter den Kulissen des Putsches". Damals war Prschesdomski ein 40-jähriger Major und Berater des Chefs des russischen KGB, das Jelzin unterstellt war. Heute hat er als Berater des Direktors des Inlandsgeheimdienstes FSB eine ganz ähnliche Position.

Rettung der alten KGB-Kader

Prschesdomski schreibt in seinem Buch, Jelzins Kampf gegen die Parteibürokratie habe damals vielen "progressiven Tschekisten" imponiert. Die Enthüllungen über die Bluttaten des Stalinschen Regimes hätten sogar etliche Geheimdienst-Kader erschüttert.

Im Dienste Jelzins übten sich Tschekisten fortan in Schwüren auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das klang oft wenig glaubhaft. Zumindest aber hatten die alten KGB-Funktionäre erkannt, dass mit Bespitzelung der Bevölkerung und Verhaftungen Andersdenkender kein moderner Staat zu stabilisieren war.

Im Sommer 1991 geschah - ziemlich unspektakulär und weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit - ein Transfer geheimdienstlicher Macht vom alten an das neue Machtzentrum. Alle KGB-Verwaltungen auf dem Gebiet der Russischen Föderation wurden nun Jelzins Geheimdienst unterstellt. Der sowjetische Zentralstaat war damit machtpolitisch kastriert. Doch der Kern des Geheimdienst-Apparats hatte sich in die Zukunft gerettet.

Am Rande eines Bürgerkrieges

Und schon bald hatten die zu Stützen der Jelzinschen Herrschaft gewendeten Tschekisten ihre erste harte Prüfung zu bestehen. Am 19. August putschte eine Clique nostalgischer Staatsfunktionäre gegen Gorbatschow, der damals zum Urlaub auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim weilte. Zu den Putschisten, die sofort ein Notstandskomitee formierten, gehörte auch der sowjetische KGB-Chef Krjutschkow.

Doch Krjutschkows Weisungen an das KGB, die Verschwörer zu unterstützen, liefen ins Leere. Denn das russische KGB verschickte ein Telegramm an alle Dienststellen, das dem Notstandskomitee einen "verfassungsfeindlichen Umsturz" vorwarf. Der Jelzin unterstellte Dienst wies alle KGB-Mitarbeiter an, den Umsturz nicht zu unterstützen.

Das Land befand sich am Rande eines Bürgerkrieges. Die Putschisten ließen Hunderte Panzer nach Moskau rollen. Als Demonstranten versuchten, einige der Panzer in der Innenstadt zu stoppen, starben drei junge Männer. Prschesdomski erlebte die blutigen Zusammenstöße am Moskauer Gartenring als Augenzeuge. Was er sah, empfand er als "schändlich und erniedrigend für die Würde seines Landes".

Geschickte Agitation

Außer Wut und Empörung konnten die Panzer nichts bewirken. Das eben noch allmächtige KGB war wie gelähmt. Der Putsch brach nach drei Tagen zusammen; das dilettantische Unternehmen beschleunigte die Machtübergabe von Gorbatschow an Jelzin nur noch. Im Dezember sollte sich die Sowjetunion schließlich auflösen.

Tausende Demonstranten belagerten Ende August 1991 die KGB-Zentrale und demontierten die Granitstatue des Geheimdienstgründers Dserschinski. Auch KGB-Chef Krjutschkow geriet kurzzeitig in Haft. Doch vom Abteilungsleiter abwärts überlebte der Kern des KGB diese unruhige Zeit machtpolitisch. Denn die Genossen hatten eigene Leute unter die Demonstranten geschleust und agierten geschickt "wie ein Puffer" (Prschesdomski). So konnten sie verhindern, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen von Anhängern und Gegnern der Putschisten kam: Die eigenen Leute wollten nicht auf die eigenen Leute schießen.

Die Reste des sowjetischen KGB wurden rasch umgebaut und der Dienst in den folgenden Jahren mehrmals umbenannt, aber nie aufgelöst. Das "Kontor", wie es im Jargon seiner Mitarbeiter heißt, rettete sich auch durch Konzessionen an Bürgerrechtler.

Prschesdomski gewährte etwa Jelena Bonner, Witwe des Friedensnobelpreisträgers und Bürgerrechtlers Andrej Sacharow, Einsicht in die Akten. Er sprach mit ihr über ihren Vater, der unter Stalin vom Geheimdienst ermordet worden war. Dabei begann der bedächtige Offizier zu verstehen, dass Menschen, die vom Geheimdienst terrorisiert worden waren oder Angehörige verloren hatten, "gelinde gesagt kein freundliches Verhältnis" mehr zur Arbeit der Staatssicherheit haben konnten.

Offenheit, aber lieber nur kurz

Vielleicht blieb auch deshalb die Archiveinsicht von Bonner nur eine Episode. Viele, wenn auch nicht alle Dokumente aus dunkler Vergangenheit des Dienstes, standen bald wieder unter Verschluss. In einem "Ozean unvorhersehbarer Ereignisse", wie Prschesdomski das Krisenjahr 1991 umschrieb, sehnten sich die KGB-Kameraden nach einem verlässlichen Kapitän.

Der sollte schon bald das Ruder des Staatsschiffs von Jelzin übernehmen. Acht Jahre nach der Auflösung des Sowjetstaats wurde mit Wladimir Putin ein ehemaliger Oberst des KGB Präsident der Russischen Föderation. Putin hatte die Zerschlagung der DDR-Stasi als KGB-Offizier in Dresden miterlebt und als erniedrigend empfunden.

So zelebriert Putins Russland jährlich am 20. Dezember höchst feierlich den Gründungstag der sowjetischen Staatssicherheit - Grußwort des Präsidenten an die alten Kameraden inklusive.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren