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Wimbledon 1991: Aufschlag Becker, Vorteil Stich

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Wimbledon-Sensation Game, Set and Match Becker... nein, Stich

Er fluchte und jammerte, die Deutschen litten mit: 1991 verlor Boris Becker das Wimbledon-Finale gegen Michael Stich. Der Triumph eines Außenseiters - und andere große Duelle der Sportgeschichte.

Es sind nur vier dahingemurmelte Worte, aufgenommen von den Außenmikrofonen in Wimbledon. Sie umreißen das ganze Drama an diesem heißen Julitag: "Ich mag nicht mehr", hören Millionen Deutsche am Fernseher Boris Becker fluchen, leise und verzweifelt.

Boris Becker, dieser temperamentvolle und scheinbar unverwüstliche Kämpfer, "mag nicht mehr". Und das im Finale seines Lieblingsturniers! Auf dem Centre Court von Wimbledon, seinem "Wohnzimmer", seiner Wohlfühloase, Ort seiner größten Triumphe: Hier hatte Becker 1985 das wichtigste Tennisturnier der Welt gewonnen, als erster Deutscher und jüngster Spieler, mit 17 Jahren. Hier war er zum Weltstar aufgestiegen und hatte daheim einen einzigartigen Tennisboom ausgelöst.

Ausgerechnet hier erlebte Becker seine größte Demütigung. Durch einen Landsmann, der auch abseits des Platzes nicht gerade sein Freund wurde: Michael Stich.

Heißes Herz gegen kühlen Kopf

Erst ein Turnier hatte der Elmshorner zuvor gewonnen und anders als der fast gleichaltrige Becker zunächst sein Abitur gemacht, bevor er als Spätstarter Tennisprofi wurde. Stich galt mit seinen lehrbuchmäßigen Schlägen als sehr talentiert, aber zu nervenschwach und verkopft. Kein Kämpfertyp wie Boris. Wie sollte dieser sensible Schlaks der Urgewalt der Bumm-Bumm-Aufschläge trotzen? Vor Turnierbeginn lag die Quote für einen Wimbledon-Sieg Stichs in den Wettbüros bei 1:80.

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Die Rollen waren klar verteilt, als die beiden Deutschen am 7. Juli 1991 um 14 Uhr den Rasen von Wimbledon betraten. Becker hatte in den drei Jahren zuvor dort jeweils im Finale gestanden und das Turnier insgesamt dreimal gewonnen. Sein Sieg schien reine Formsache, auch wenn Stich in einem dramatischen Halbfinale ungewohnt nervenstark den Weltranglistenersten und Titelverteidiger Stefan Edberg besiegt hatte.

Oft fiebern Menschen mit dem Außenseiter mit. Dieses Duell sahen die meisten Deutschen anders: Becker hatte längst ihr Herz erobert, seine Ausbrüche auf dem Platz und seine ungelenken Presseauftritte machten ihn nur noch volksnäher. Sport war bei ihm ein emotionales Spektakel. Dagegen wirkte der bescheidene und stets kontrollierte Stich mit seinen glasklar, gern auch auf Englisch vorgetragenen Spielanalysen wie ein verschlossener Intellektueller. Becker gegen Stich, das war auch: Gefühl gegen Verstand, heißes Herz gegen kühlen Kopf. Becker wurde geliebt, Stich respektiert.

So litten viele Deutsche mit dem taumelnden Favoriten, den Außenseiter Stich streckenweise regelrecht vorführte. Noch in der Kabine hatte er mit seinem Coach Mark Lewis eine Partie Schach gespielt. Nun scheuchte er Becker mit großer Präzision über den Platz, als wäre es nur ein Trainingspartner. Der König von Wimbledon, noch war er nicht schachmatt, aber in höchster Gefahr.

"Ich spiele mir einen Mist zusammen"

Von Beginn an lief es schlecht für Becker. Gleich sein erstes Aufschlagspiel verlor er, ein früher Schlüsselmoment. Stich sagte später: "Danach war meine Nervosität sofort weg." Und Becker: "Ich war von Anfang an nicht im Match. Ich habe alles versucht, aber ich hatte keine Energie." Er habe gespürt, dass er das Finale verlieren würde, wenn Stich "keine großen Fehler" unterliefen.

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Sport: Rivalen und Angstgegner - große Duelle der Sportgeschichte

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Stich schlug indes konstant gut auf, setzte Becker ständig unter Druck, gewann den ersten Satz. Als er im zweiten Durchgang mit einem Break hinten lag, nahm er Becker kühl wieder den Aufschlag ab und gewann den Satz im Tiebreak mit 7:6.

Becker kämpfte auch gegen sich selbst. "Ich spiele mir einen Mist zusammen", schimpfte er hörbar für Millionen und unter den Augen von Prinzessin Diana. Und, zunehmend resigniert: "Mein schlechtestes Match spiele ich im Wimbledon-Finale."

Dann verlor er auch den spektakulärsten Ballwechsel: Gewohnt reaktionsstark flog er mit einem der legendären Becker-Hechte dem Return seines Gegners hinterher, rappelte sich wieder hoch, rettete erneut reflexartig per Rückhand-Volley - doch Stich rückte vor ans Netz und machte den Punkt.

Immer im Schatten der Kampfmaschine

Plötzlich hatte der Außenseiter Matchball: Stich returnierte Beckers Aufschlag mit einer knallharten Vorhand, entschied den dritten Satz 6:4 und somit das Spiel. Mit einem spitzen Schrei schleuderte er den Schläger meterhoch in die Luft und sank ehrfürchtig auf dem Rasen nieder, den sein Gegner stets als "heilig" empfunden hatte. Selbst Schiedsrichter John Bryson konnte die Sensation nicht fassen und kürte gewohnheitsmäßig Becker zum Sieger: "Game, Set and Match Becker".

Das war bezeichnend für das Verhältnis der beiden. Selbst im Moment seines größten Erfolges blieb Stich irgendwie im Schatten Beckers, auch wenn der fair gratulierte und ihn noch auf dem Platz umarmte. Stich oder Becker, eine Glaubensfrage für deutsche Tennisfans: Der eine spielte technisch sauberer, der andere dank seines unbändigen Siegeswillen erfolgreicher. "Michael war der Stratege", sagte Becker einmal in der "FAZ", "ich die Kampfmaschine."

Boulevardblätter wie die "Bunte" schmähten Stich als "Kühlschrank aus Elmshorn". "Der will uns nicht, also wollen wir ihn auch nicht", erklärte einmal Becker-Entdecker und TV-Kommentator Günther Bosch. Selbst wenn Becker und Stich Doppel spielten, ob beim Davis-Cup oder bei Olympia 1992, wurden oft nur die Aktionen des einen bejubelt. Gönnerhaft sagte Becker 1993 dem SPIEGEL, er wünsche Stich wirklich, auch mal gefeiert zu werden: "Dann hat er ein bisschen Spaß, und ich hab mehr Ruhe." 

"Es stinkt mir mit Becker"

Beide klagten, die Rivalität sei medial aufgebauscht, gossen aber selbst Öl ins Feuer. Etwa Becker nach seinem Sieg über Stich bei der ATP-WM 1991: "Ich muss sagen, dass ich diesen Abend richtig genossen habe." Stichs Mund sei "von oben nach ganz unten" gegangen. Und Stich 1993 über Becker: "Es ist nicht so, dass wir uns nicht leiden können. Wir haben nur nicht viel gemeinsam." Kurz darauf, weit weniger diplomatisch: "Es stinkt mir mit Becker."

Da hatte Boris Becker gerade das deutsche Davis-Cup-Team verlassen, angeblich weil er den überbordenden Nationalismus nicht mehr ertragen konnte. Aber selbst seine größten Bewunderer nahmen an, dass er einfach nicht im selben Team wie Stich spielen wollte.

Erst nach ihrer Profikarriere verbesserte sich das Verhältnis; inzwischen scheuen die beiden auch keine gemeinsamen TV-Auftritte bei Quizsendungen mehr. Sportlich hat Becker das Duell mit 8:4 Siegen für sich entschieden. Und selbst für die Schmach von 1991 gab es eine Revanche, als er Stich zwei Jahre später im Fünfsatz-Krimi des Viertelfinales bezwang.

In diesem Spiel hörte das Publikum Becker nicht fluchen. "Er war heute mental sehr stark. Er hat nie ein Wort gesagt", sagte Stich danach anerkennend. Becker war 1993 in Wimbledon zurückhaltend wie sonst Stich. Und gewann so die Herrschaft in seinem Wohnzimmer zurück.

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