Fotostrecke

Wolf Biermann: Der Staatsfeind, die Ausbürgerung, der Aufruhr

Foto: Klaus Mehner/ullstein bild

Ost-Berliner Widerstandsnest "Der Biermann ist doch unser schlimmstes Gift"

In der DDR durfte Wolf Biermann weder Platten veröffentlichen noch auftreten. In seiner Ost-Berliner Wohnung in der Chausseestraße 131 netzwerkte die Opposition - bis zu Biermanns Ausbürgerung 1976.

Eine Adresse als Titel einer Langspielplatte? Warum nicht, wenn diese Wohnung als Tonstudio herhalten muss, weil der Staat dem Sänger die Arbeit in einem Profi-Aufnahmestudio verwehrt. Wolf Biermann lebte, komponierte, musizierte und empfing seine Gäste in seiner Vierzimmerwohnung in Berlin-Mitte.

Hier nahm Biermann 1968 sein zweites Album mit dem Titel "Chausseestraße 131" auf - teils bei geöffnetem Fenster. Zwischen den Liedern sind auf der Erstpressung Straßengeräusche zu hören: Trabi-Zweitaktmotoren, das Quietschen der Straßenbahn, Hundegebell, Kindergeschrei. Ein von seiner Mutter aus West-Berlin eingeschmuggeltes Sennheiser-Kondensatormikrofon und ein Grundig-Tonbandgerät mussten reichen. "Der Titel", so Biermann, "sollte sagen: Dieser Biermann ist zwar im Osten verboten - deshalb erscheint seine Platte ja auch ohne DDR-Genehmigung im Westen -, aber er spielt kein Versteck, er hat Name und Adresse in Berlin, für Freund und Feind leicht zu finden."

Wolf Biermann, Schlüsselfigur der DDR-Opposition, 1936 in Hamburg als Sohn von Kommunisten geboren, war 1953 als 16-Jähriger in die DDR übergesiedelt. Er verweigerte der Stasi die Zusammenarbeit, lernte den Komponisten Hanns Eisler kennen, arbeitete als Regieassistent beim Berliner Ensemble, studierte Philosophie und Mathematik. Nach ersten eigenen Texten bekam er schnell Auftrittsverbot.

Fotostrecke

Wolf Biermann: Der Staatsfeind, die Ausbürgerung, der Aufruhr

Foto: Klaus Mehner/ullstein bild

Das Plattencover im Westen zeigt ihn und die Wohnung wie ein Stillleben: zwei schwere, abgewetzte Ledersessel - in einem Biermann, im anderen seine Gitarre - und ein braunes Ledersofa. Alles vom Sperrmüll. Etliche Gemälde an der Wand und Bücher im Regal. Ein Selbstporträt, Fotos von Che Guevara und Einstein, der die Zunge rausstreckt, Instrumente, eine antike Schreibmaschine, ein schwarzer Zimmermannshut, wie ihn Manfred Krug im Film "Spur der Steine" trägt. Der Schick der intellektuellen Ostboheme, rebellischer Edelkommunisten, Kinder alter KPD-Kämpfer. Eine berlintypische Bürgerwohnung mit Parkett und doppelten Flügeltüren.

Nina Hagen, Stieftochter eines Staatsfeindes

Biermann schuf seine Lieder nicht allein und einsam. Der Physiker Gerd Poppe erinnert sich gut, "wie Biermann in seiner Küche oder im Wohnzimmer am Harmonium saß oder an der Gitarre zupfte und ein neues Lied vortrug. Dann fragte er uns Zuhörer, wie wir es fänden. So ergab sich oft eine lebhafte politische Diskussion."

Generationen von DDR-Bürgern taten Verbotenes: Biermann-Texte per Hand abschreiben und im ganzen Land Blatt für Blatt mit aller Vorsicht verbreiten. Seine Lieder von Tonband zu Tonband zu Tonband kopieren, was beim Abspielen immer mehr rauschte, doch schließlich ein widerständiges politisches Grundrauschen erzeugte, das bis zum Untergang der DDR immer stärker wurde.

Wolf Biermann hatte seit 1965 eine Ziehtochter. Catharina Hagen, zehn Jahre alt, schon als Kind Nina gerufen, spielte als Tochter der Schauspielerin Eva-Maria Hagen noch mit den Bonzenkindern der Männer aus dem SED-Politbüro. Ihre Mutter hatte Biermann bei einem Konzert in Halle kennen- und lieben gelernt, im September 1965, als in West-Berlin gerade die Waldbühne beim Rolling-Stones-Konzert zu Bruch ging. Die neue Musik- und Jugendkultur forderte die politischen Systeme heraus, in Ost- wie in Westdeutschland.

Im Dezember 1965 bekam Biermann Auftrittsverbot, als die SED auch zahlreiche Filme und Bücher verbot. Honecker hatte sich gegen Walter Ulbricht in Stellung gebracht und sah die DDR in Gefahr - durch Künstler und Literaten. Der spätere Kulturminister Klaus Höpcke schrieb im "Neuen Deutschland": Biermann "bellt" und "faselt". Und: "Wer politisch pervers ist, darf es auch im sexuellen sein (...) Unsere Grenzsoldaten dienen dem Frieden. Wem aber dient Biermann mit solchem Machwerk?"

Reaktionen auf Ausbürgerung unterschätzt

Nina Hagen wuchs auf als Stieftochter eines Staatsfeindes und erlebte, wie sich über die Jahre in der Chausseestraße 131 illustre Besucher die Klinke in die Hand gaben: von Fritz Teufel, Rainer Langhans und Rudi Dutschke bis zu Udo Lindenberg und Heinrich Böll. Biermanns Wohnung war Treffpunkt, er stellte Verbindungen her und schaffte Netzwerke.

"Am 15.11.1974 beging Wolf Biermann seinen 38. Geburtstag", hieß es in einer Stasi-Information. "Wie in jedem Jahr fand eine Zusammenkunft seiner Freunde in seiner Wohnung statt, an der eine Anzahl Personen verschiedener Berufe, sozialer Schichten und Altersgruppen teilnahmen." Unter den "politisch-negativen" Geburtstagsgästen waren Stefan Heym mit seiner Frau Inge, Robert und Katja Havemann, Klaus Schlesinger, Bettina Wegner, Jurek Becker, Günter Kunert, Eberhard Esche, Eva-Maria Hagen.

Anzeige
Michael Sontheimer, Peter Wensierski

Berlin - Stadt der Revolte

Verlag: Ch. Links Verlag
Seitenzahl: 448
Für 25,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

30.03.2023 10.59 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Der Raum, in dem sich Biermann bewegen konnte, schrumpfte zusehends. In der DDR durfte er nicht auftreten und weder in die Länder des Ostblocks noch in den Westen reisen. Doch immer wieder passierte auch Seltsames: Weil die Stasi ihn im Veranstaltungsplan der St.-Nikolai-Kirche in Prenzlau im September 1976 mit dem Kantor gleichen Nachnamens verwechselte, konnte er nach elf Jahren erstmals wieder in der DDR auftreten. Er stand sechs Stunden auf der Bühne, kritisierte das "Abhauen", die Republikflucht.

Es war Biermanns letztes Konzert in der DDR. Heute weiß man durch die Stasi-Akten: Seit 1973 entwickelte der Geheimdienst einen Plan. Biermann erzählte Rudi Dutschke schon im Mai 1974 in der Chausseestraße 131 vom "schweinischen Angebot", ein SED-Staatssekretär habe ihm nahelegt, die DDR zu verlassen und in den Westen zu gehen.

Die 40 Jahre DDR kann man getrost in zwei Kapitel aufteilen: eine Zeit vor, eine nach der "Biermann-Ausbürgerung". Denn der bösartige Akt der Staatsführung, Biermann nach einem Auftritt in Köln am 16. November 1976 nicht mehr in die DDR heimkehren zu lassen, sollte sie vor dem unbequemen Liedermacher schützen. Doch bewirkt hat die Ausbürgerung - schon von den Nazis gegen missliebige Künstler praktiziert - genau das Gegenteil.

Trotziges, verstoßenes Kind der DDR

Die SED unterschätzte die Reaktionen der Künstler und Kulturschaffenden. Erst solidarisierten sie sich mit ihm zu einer Proteststärke in einem bis dahin ungekannten Maß. Und dann, weil sich nichts änderte, verließen viele von ihnen nach und nach die DDR - oder mussten gehen. Die "Biermann-Ausbürgerung" markiert einen neuen Aufbruch.

Der Mann mit dem schwarzen Schnauzer, der schwarzen Lederjacke, der Gitarre und den vielen Freunden wurde zum trotzigen, verstoßenen Kind der DDR. Die Funktionäre des "real existierenden Sozialismus" hatten ihn und "die große Sache des wahren Sozialismus" für jedermann ersichtlich verraten.

Wolf Biermann: Der Störenfried

DER SPIEGEL

Wolf Biermann stand mit seiner Ausbürgerung für Rebellion und Kritik an den Verhältnissen in der DDR. Ein stärkeres Symbol als Gegensatz zu ihresgleichen konnten Erich Honecker als Staats- und Erich Mielke als Geheimdienstchef kaum erschaffen. Biermann sprach Linke beiderseits der Grenze an, kritisierte er doch in seinen Liedern und Gedichten den Kapitalismus ebenso scharfzüngig wie den in seinen Augen missratenen und korrumpierten Sozialismus.

1971 hatte Biermann in einem West-Interview gesagt: "Positiv an der DDR ist, dass es einen Sinn hat, sie zu kritisieren. In der DDR ist der erste wichtige Schritt zum Sozialismus getan. Um den zweiten Schritt der Revolution geht der Streit auch in unserem Land. Dieser zweite Schritt bedeutet politisch die Umwandlung der Diktatur einer Elite in die vielberufene Diktatur des Proletariats. Positiv an dem Land, in dem ich lebe, ist ansonsten, dass ich in ihm lebe." In der SED hingegen, so erzählten ihm Besucher, hieß es unter Parteigenossen: "Der Biermann ist doch unser schlimmstes Gift."

Treffpunkt des "politischen Untergrunds"

Obwohl so ziemlich alle Besucher gefilmt und registriert wurden, war Biermanns Wohnung in der Chausseestraße eine Art Pilgerstätte, aus der ab und zu der "Beat-Club" im Westfernsehen verwackelte Filmaufnahmen sendete. Wer im Osten als Jugendlicher Biermann-Lieder auf der Gitarre nachspielte oder daheim vor anderen laufen ließ, wurde schnell als "feindlich-negative" Person des "politischen Untergrunds" eingestuft und nicht selten bestraft. Gern fragte die Stasi bei Verhören, was man denn so von Biermanns Liedern halte.

Sie zu haben, dafür riskierte man in der Szene schon was. Damit konnte man auch Eindruck machen. Erst später wurde Biermann von anderen Gruppen und Musikern im Osten abgelöst. Rock und Punk übertönten in den Achtzigern in beiden Teilen Deutschlands die politischen Liedermacher.

Ein anderer Sound, musikalisch wie politisch. Die nächste Generation mochte sich auch nicht mehr den Hoffnungen auf bessere Zeiten für einen deutschen Sozialismus anschließen. Natürlich passte Biermanns "Du, lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit ..." irgendwie immer, ob zur großen Bonner Friedensdemo 1983 oder zur Endphase der DDR. Doch in den Achtzigern machten junge Rebellen in Ost-Berlin, Leipzig und anderswo lieber etwas Eigenes.

Die Chausseestraße 131 war bis 1976 ein wichtiger Treffpunkt oppositioneller Intellektueller und Studenten. Was für eine Ironie der Geschichte, dass 1990 just der PDS-Pressesprecher und spätere Kulturchef des "Neuen Deutschland", Hanno Harnisch, die leerstehende frühere Biermann-Wohnung mieten konnte.

Harnisch war ab 1971 Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi  und berichtete ab 1976 als IM "Egon" über Freunde und Bekannte aus der Kulturszene der DDR, nicht zuletzt über jene mit Kontakten zu Biermann. Zum Einzug sagte Harnisch, ein schlechtes Gewissen habe er dabei nicht. Der Versuch Biermanns, die Wohnung mithilfe des alten Mietvertrages zurückzubekommen, sei eine "armselige, billige Nummer", eine "richtig große biermannsche Unverschämtheit!"

Inzwischen wurde das Haus teilweise renoviert, Wohnungen wurden neu vermietet. Harnisch wohnt dort noch immer.


Dieser Text ist ein gekürztes Kapitel aus dem Buch von Michael Sontheimer und Peter Wensierski: "Berlin - Stadt der Revolte".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren