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Kosovo-Konflikt: "Ich habe so viel Hass und Wut erlebt"

Foto: Kai K.

Kosovo-Konflikt "Ich habe so viel Hass und Wut erlebt"

Die Friedensverhandlungen waren gescheitert, da entschied sich die Nato zum Äußersten: 1999 bombardierte sie Jugoslawien, wenige Wochen später marschierten Bodentruppen ein. Kai K. war damals als Soldat dabei. Zehn Jahre später kehrte er in den Kosovo zurück.

Verweste Leichen, Schüsse, Morde und Brandstiftungen: Es herrschte das schlichte Chaos - und mittendrin Feldwebel Kai K. aus dem schleswig-holsteinischen Seeth. Die Bilder, die er damals, 1999 beim Einmarsch der deutschen Bundeswehrsoldaten ins Kosovo zu sehen bekam, haben sich dem mittlerweile 34-jährigen Berufssoldaten tief ins Gedächtnis gebrannt.

Am 24. März 1999 entschloss sich die Nato nach den gescheiterten Friedensverhandlungen von Rambouillet zum Äußersten: einem militärischen Angriff auf die Armee Rest-Jugoslawiens, die im Namen des Belgrader Diktators Slobodan Milosevic die nicht-serbische Bevölkerung des Kosovo terrorisierte. Angesichts der Menschenrechtsverletzungen im Kosovo schlug die Allianz sogar ohne das an sich notwendige Uno-Mandat zu. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg bombardierten deutsche Kampfpiloten wieder fremdes Territorium, befand sich Deutschland faktisch im Krieg.

Im benachbarten Mazedonien warteten währenddessen die Nato-Bodentruppen, darunter auch Bundeswehreinheiten, auf ihren Einmarschbefehl. Mit "einem total flauen Gefühl im Magen" kam Kai K. Anfang Juni 1999 im mazedonischen Tetovo unweit der Grenze zum Kosovo an. Seit über zwei Monaten dauerten die Nato-Luftschläge bereits an, und für die Infanteristen gehörte eine Bodenoffensive mit Kampfauftrag zu den möglichen Einmarsch-Szenarien. Soweit sollte es aber nicht kommen: Nach dem Waffenstillstand von Kumanovo marschierte die deutsche Brigade mit Kai K. und rund 6500 weiteren Soldaten Mitte Juni nicht als Besatzer, sondern als Friedenstruppe ins Kosovo ein.

Plünderungen waren an der Tagesordnung

Die Luftangriffe der Nato hatten ihre Spuren hinterlassen, Zerstörung und Blindgänger überall. Doch bei dem damals 24-jährigen Feldwebel war die Angst da schon gewichen, dafür war schlicht kein Platz: "Ich war Teil des Ganzen und nicht länger Fernsehzuschauer", erinnert sich K., die Bilder von Hunderttausenden Flüchtlingen in Mazedonien seien "überwältigend" gewesen. Über den Einmarsch selbst dagegen kann der heutige Leutnant nur noch lachen, sagt er, "es gab so viel Verwirrung, Irrtümer und Fehlbewertungen". Am Ziel in Prizren angekommen "habe ich deutlich mehr graue Haare bekommen" - in einer alten Textilfabrik untergebracht, musste K. zunächst auf einem Feldbett sein Nachtlager mit Ratten teilen.

Aber zum Schlafen kam K. damals ohnehin kaum: 14 Stunden Dienst im Brigadestab, zwei Stunden Pause, sechs Stunden Streife und noch einmal zwei Stunden Schlaf - und selbst der wurde regelmäßig unterbrochen von Gewehrsalven. Auf den Patrouillengängen lauerten jede Menge Minen und Blindgänger, eine permanente, meist unsichtbare Gefahr. Und trotz der massiven Militärpräsenz der Nato geriet die Situation anfangs außer Kontrolle, wurde das Kosovo zum rechtsfreien Raum ohne Polizei, ohne Richter, ohne Gefängnisse. Nach dem Abzug der serbischen Armee plünderten, brandschatzten und mordeten nun die Albaner.

Kai. K. ging im serbischen Viertel Podkalaya oberhalb Prizrens auf Streife, und friedlich waren diese Rundgänge selten. Jede Nacht brannten weitere Häuser. "Die haben den Leuten die Kehle durchgeschnitten, alten Leuten, die keinem etwas getan haben - aus Rache für das, was andere ihnen angetan hatten." Diese Erinnerungen haben sich eingegraben, nicht nur bei dem deutschen Leutnant. "Ich habe damals so viel Hass und Wut erlebt, ich kann nicht glauben, dass das alles schon vergeben, vergessen und verziehen ist", sagt K. heute. Eine Rückkehr der vertriebenen Serben kann er sich auch für viele weitere Jahre nicht vorstellen.

Rund um die Uhr im Einsatz

Seit Ende Januar 2009 ist der in Husum stationierte Spezialpionier erneut mit der "Kosovo Force" (Kfor) in Prizren. Zehn Jahre nach seinem ersten Einmarsch steht er oberhalb der Stadt in einer Klosterruine am militärischen Beobachtungsposten "Auge". "Wir waren damals Tag und Nacht im Einsatz, um dieser Region wieder auf die Beine zu helfen", sagt er. "Ich will wissen, ob es sich gelohnt hat."

Eine Dekade nach dem Krieg wirkt die 170.000-Einwohner-Stadt geschäftig. Aufbruchstimmung ist zu spüren, zumindest bei der albanischen Bevölkerungsmehrheit. Links von der Sinan-Pascha-Moschee mit dem angeblich höchsten Minarett des Balkans verlaufen die schmalen Altstadtgassen mit den vielen kleinen Geschäften, in denen es mittlerweile wieder alles zu kaufen gibt. Gegenüber dem ehemaligen Hotel Theranda steht wie vielerorts eine kosovarische Verkehrspolizeistreife. Kfor-Fahrzeuge sieht man kaum noch, Panzer schon gar nicht. Im Jahr 2000 wurde die alte Stadtbrücke noch "Fuchsbrücke" genannt - wegen der drei Radpanzer Typ "Fuchs", die dort ständig wachten.

Direkt unterhalb von Kai. K. liegt an diesem Märztag 2009 das ehemalige serbische Viertel, durch das er einst bewaffnet Patrouille ging. Hier oben ist, anders als im Rest der Stadt, die Zeit stehengeblieben. Ausgebrannte Ruinen zeugen noch immer stumm vom Hass der zurückgekehrten Kosovo-Albaner und ihrer Rache an den Serben vor zehn Jahren. Den Krieg hatte die Nato damals innerhalb von gut drei Monaten gewonnen - doch die dann einsetzende Verfolgung und Vertreibung der noch verbliebenen Kosovo-Serben vermochten die ausländischen Soldaten nicht wirklich zu verhindern.

"Wir haben noch immer Angst

"Wer kein Blut an den Händen hat, darf gern zurückkommen", sagt Ramadan Haledjaha. Der 47-jährige Kosovo-Albaner sitzt bei einem türkischen Kaffee am Ufer der Bistrica. Auch heute leben Kosovo-Serben in der Stadt, und das "gehört so". Allerdings ist auch bei ihm die Furcht vor einer Rückkehr der serbischen Armee und der Sonderpolizei noch immer lebendig. Die Anwesenheit der Kfor-Soldaten, erst recht der Bundeswehr, ist ihm deshalb sehr wichtig: "Wir haben noch immer Angst vor den Serben."

Gern gesehen ist die Nato auch, weil ihre Soldaten ein echter Wirtschaftsfaktor sind im bettelarmen Kosovo, wo die Arbeitslosenquote rund 50 Prozent und das Pro-Kopf-Einkommen 1300 Euro pro Jahr beträgt. Die Frühjahrsunruhen im Jahr 2004 samt Totalblockade des deutschen Feldlagers, mutmaßen Beobachter, seien denn auch weniger auf den aufflammenden ethnischen Konflikt zurückzuführen - die Kosovo-Albaner hätten schlicht eine Verringerung des Kfor-Kontingentes verhindern wollen.

Das würde manchen Unternehmer schwer treffen. Die deutschen Militärfahrzeuge zum Beispiel werden seit jeher bei Visar Gashi gewaschen, wenige hundert Meter vom Feldlager Prizren entfernt. Der Unternehmer mit Firmen-Dependancen in Bulgarien, der Schweiz und Deutschland hat gut an der Bundeswehr verdient und ist sich sicher: Die Kfor bleibt. Die Amerikaner, so will Gashi wissen, hätten ihr Kfor-Feldlager "Bondsteel" für 99 Jahre gepachtet. Auch die Bundeswehr werde noch mindestens 50 Jahre bleiben.

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