
Zensierte Plattencover: Nadeln statt Nackte
Zensierte Plattencover Bitte kein Sex in der Badewanne
Yoko Onos Brüste waren eine Zumutung, und ihre Schamhaare erst. Und Johns Penis! Überhaupt das ganze Ensemble: Nackter John, nackte Ono, nebeneinander, dazu auch noch ein Statement im besten Sound von 1968: "Wir haben uns zum Sonnenaufgang geliebt. Es war wunderschön." Schön mag es vielleicht gewesen sein, aber nicht jugendfrei. Da konnten die Hippies die neue Zeit der Freizügigkeit feiern wie sie wollten, so viel nackte Haut war den Sittenwächtern dann doch zu viel.
In England weigerte sich die Plattenfirma EMI, das erste gemeinsame Album des Promi-Paares zu vertreiben, in den USA stellte sich Capitol Records quer. Mehrere US-amerikanische Gerichte stimmten Capitol zu: Die Plattenläden mussten "Two Virgins" erst mal aus ihren Regalen räumen. Die Plattenfirmen erledigten dann das, wogegen sich Lennon und Ono gesträubt hatten: Sie packten die glamourösen Genitalien ein - in Packpapier. Fortan waren im Regal nur noch die Köpfe der beiden zu sehen.
Ob John Lennon, die Rolling Stones, Queen oder Bon Jovi, ob Top-Ten-Band oder Special-Interest-Formation, ob Sechziger, Achtziger oder aktuell - der kritische Blick von Richtern, Plattenbossen und Sittenwächtern erwischte viele Künstler. Gerade John Lennon hätte es deswegen eigentlich besser wissen müssen, hätte den Skandal kommen sehen können. Denn bereits 1965 zerriss sich die Öffentlichkeit das Maul über die Beatles-Platte "Yesterday and Today". Nicht, dass die vier Jungs dort schon Großes oder Kleines hätten raushängen lassen, nein, im Gegenteil, hochgeschlossen im Rollkragen gab sich das Quartett. Fleischig ging es trotzdem zu: Die Beatles trugen blutbeschmierte Metzgerkittel, von ihren Schultern hingen zerhackte Puppenteile, in Paul McCartneys Schoß lag ein zugehöriger Kopf, sehnig-knochige Schlachtabfälle bedeckten John Lennon. Und die Beatles lachten zum Massaker. Was zwar heute noch grotesk wirkt, allerdings kaum Skandalpotenzial hat, war im Jahr 1965 ein absolutes Tabu.
Ein blanker Busen reichte zum Skandal
Dabei konnte man sich als Band auf kaum etwas verlassen, die Gründe für eine Coverzensur durch die Plattenfirmen oder Behörden waren vielfältig und oftmals nur schwer nachvollziehbar. Sex, Gewalt und oftmals auch Banales wurde da als Bannkriterium bunt durcheinandergeworfen. Während zum Beispiel 1966 in Vietnam eine ganze Generation in Gewalt- und Drogenexzessen vor die Hunde ging, wurde daheim eine Kloschüssel "The Mamas and the Papas" zum Verhängnis. Das stille Örtchen musste weg! Zu provokant. Fortan versteckte sich das anstößige Örtchen hinter einer darübergedruckten Tracklist.

Zensierte Plattencover: Nadeln statt Nackte
Aus heutiger Sicht ebenfalls kaum für einen Schockmoment gut ist das 1984 erschienene TNT-Album "Knights of the New Thunder". Zwei vollbusige Comic-Blondinen mit Gruselfrisur und ungefähr so viel nackter Haut, wie heutzutage schon auf Titelblättern der "Apotheken Umschau" zu sehen ist, waren damals zu viel für die norwegische Öffentlichkeit. Die Platte erschien im neutralen Look, die Blondinen verschwanden.
"Amerika und Deutschland, das sind die Länder mit den strengsten Sittenwächtern", sagt Christian Kind, der in dem Hamburger Traditionsladen "Ingos Plattenkiste" CDs und Vinyl verkauft. "Doch während in den USA eher sexuelle Themen zensiert werden, wird in Deutschland vor allem Gewalt von der Plattenhülle verbannt", sagt er. Doch auch wenn diese Grundregel nach Jahrzehnten prinzipiell noch Bestand hat: Die Grenzen der Zumutbarkeit befinden sich heute ganz woanders als noch vor 30 Jahren. Während das Ufo-Album "Force it" 1975 für einen handfesten Skandal sorgte, lockt der Anblick des halbnackten Liebespaares in der Badewanne heute kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervor. Nackte Busen und blanke Hintern hängen heute formatfüllend an jeder größeren Häuserwand - auf einem Plattencover ernten sie höchstens noch ein unterdrücktes Gähnen.
Männer, Machos, Gewaltgeschichten
Der Anblick von Massakern an schwangeren Frauen und Eingeweidegemetzeln hingegen hat durchaus noch das Zeug zum öffentlichen Aufschrei. Die Death-Metal-Band Cannibal Corpse, ganz offensichtlich Fans von unappetitlichem Geschnetzelten, schießt ihre Cover dadurch mit schöner Regelmäßigkeit auf den Index. Doch deren Art der Covergestaltung gehöre einfach dazu, erklärt Plattenverkäufer Christof Jessen von Michelle Records. Denn bei Metal gehe es nun einmal um "Männer, Machos und Gewaltgeschichten".
Von ein paar notorischen Störenfrieden, die bei ihrer Plattengestaltung offensichtlich zündeln, um ihre Band so im Gerede zu halten, einmal abgesehen: Die meisten Coverskandale sind nach kurzer Zeit schon wieder Schnee von gestern. Mit einer Ausnahme: Ausgerechnet die Scorpions, die außer mit ihrem Wende-Hit "Wind of Change" und ihrer Wahlkampfunterstützung für Gerhard Schröder nie für eine Schlagzeile gut waren, sorgen mit einem Titelbild seit 32 Jahren für Kopfschütteln. Und das, obwohl es kein spritzendes Blut und keinen Sex zu sehen gibt. Nur ein sitzendes Mädchen, das in die Kamera schaut.
Und genau dieses Mädchen ist für die Schwiegersöhne-Band noch heute ein Riesenproblem. Denn das Album "Virgin Killer" der Scorpions zeigt das Mädchen, nicht mehr Kind, noch nicht Frau, nackt. In aufreizender Pose. Dort, wo eigentlich ihr Genital zu sehen wäre, scheint das Cover zu zerspringen und macht das pikante Detail unkenntlich. Selbst eingefleischte Fans bezeichnen das Titelbild noch heute als indiskutabel, pornografisch, als unerhörten Ausrutscher. In Internetforen diskutieren sie hitzig über die Grenzen künstlerischer Freiheit.
Das FBI ermittelt immer noch
In England und in den USA gab es einen Aufschrei, das Cover wurde sofort zensiert - zu Recht, so der Tenor in vielen Websites. Alle folgenden Auflagen des 1976 erstmals veröffentlichen Albums zeigen nur noch eine scheinbar geläuterte Band, deren Mimiken zwischen Erstaunen und schüchternem Lächeln schwanken. Doch noch im Mai dieses Jahres hatte das Cover ein Nachspiel: Das FBI ermittelt, weil das Titelbild von der "Jungfrauenmörder"-Platte nach wie vor im Internet kursiert.
Für die Plattenläden bedeutet eine Zensur durch die Bundesprüfstelle in Deutschland oder eine Selbstzensur der Plattenfirmen damals wie heute vor allem eines: Pakete packen. Die alten Vinylscheiben und CDs gehen zurück, die neuen mit verändertem Cover müssen einsortiert werden. Christian Kind sagt, er habe bei CDs allerdings auch schon per Hand die alten, zensierten Cover aus der Hülle genommen und durch neue ersetzt. Nur die öffentliche Aufregung, die verstehe er manchmal nicht. Das dürfte er mit so mancher Band teilen.