
Zweiter Weltkrieg: Ausländer rein!
Zweiter Weltkrieg Ausländer rein!
"Der Morgen fand uns bereits wieder im harten Kampf mit dem sich heftig wehrenden Gegner, der sich längs eines hohen Eisenbahndammes verbissen hatte. Viermal hatten wir angegriffen, viermal waren wir abgeschmiert worden. Der Kommandeur fluchte in allen Tonarten. Die Kompaniechefs waren verzweifelt. Die dringend angeforderte Artillerieunterstützung kam und kam nicht. Stattdessen kam ein ungarisches Husarenregiment. Wir lächelten. Was wollten die Magyaren hier? Schade um die schönen, eleganten Pferde! Plötzlich versteinerten wir. Die Kerle waren verrückt geworden! Schwadron um Schwadron rückte nach vorne, zu uns. Ein lautes Kommando. Wie der Blitz saßen die braungebrannten, schlanken Reiter im Sattel, ein großer Oberst mit glänzendem Goldkragen zog wahrhaftig seinen Säbel. Von der Flanke her bellten vier, fünf leichte Panzerspähwagen, und schon brauste über die weite Erde das ganze Regiment, blitzende Säbel glänzten in der Nachmittagssonne. So muß einmal Seydlitz angegriffen haben! Alle Vorsicht außer acht lassend sprangen wir aus unseren Löchern.
Es war alles wie eine grandiose Großaufnahme für einen Reiterfilm. Auf dem Bahndamm peitschten die ersten Salven, die merkwürdig dünn waren...Und dann sahen wir staunend und lachend, wie das sowjetische Regiment, das sich wütend und verbissen gegen den Ansturm unserer Kompanien gewehrt hatte, aufsprang und wie wahnsinnig nach rückwärts hetzte, von den jauchzenden Ungarn vor sich hergetrieben, deren blanke Klingen reiche, überreiche Ernte hielten. Dem Anblick der blitzenden Säbel waren die Nerven der russischen Muschiks einfach nicht gewachsen..."
Dieser Bericht eines deutschen Landsers aus dem Sommer 1941 beleuchtet ein weitgehend unbekanntes Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkriegs: Zu Beginn des "Unternehmens Barbarossa", des Überfalls auf die Sowjetunion am 21. Juni 1941, konnte die Wehrmacht rund 600 000 Mann verbündete Truppen gegen die UdSSR einsetzen. Später kamen noch zahlreiche ausländische Freiwillige und "Hilfswillige" hinzu. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs war auf deutscher Seite im Osten jeder dritte Uniformträger in Wirklichkeit: ein Ausländer.
Verurteilt, Vergessen, Verschwiegen
Hitlers Parole vom "Kampf gegen den Bolschewismus" fand zeitweilig in ganz Europa Widerhall - bei Konservativen, ehemaligen Sozialisten und überzeugten Faschisten ebenso wie bei Angehörigen osteuropäischer Völker, die nach der Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit von Stalins UdSSR strebten. Viele von ihnen kämpften nicht nur an der Front gegen die Rote Armee, sondern ließen sich auch in die Verbrechen der Wehrmacht und der Waffen-SS an der Zivilbevölkerung verstricken. Von Hitler wegen angeblichen Versagens geschmäht, von ihren Heimatländern wegen Verrats und Kollaboration abgeurteilt und vergessen, wurde ihr Einsatz nach 1945 von den Historikern im Kalten Krieg meist übersehen, in Ausschnitten behandelt oder ganz verschwiegen.
Was sagen uns die Zahlen ausländischer Helfer Hitlers an der Ostfront? Eindrucksvoll sind die Größenordnungen in jedem Falle: Schon in der ersten Phase des deutsch-sowjetischen Krieges machten die Verbündeten und die Freiwilligen aus allen Teilen Europas zusammen rund eine Million Mann aus - gegenüber drei Millionen deutscher Soldaten an der Ostfront. Während die durchschnittliche Stärke der Wehrmacht in den folgenden Jahren auf rund 2,5 Millionen sank, erhöhte sich die Zahl "fremdländischer" Soldaten unter deutschem Oberkommando um eine weitere Million Mann. Der Großteil davon waren ehemaligen Sowjetbürger. Von ihnen schlugen sich die meisten nicht auf die deutsche Seite, weil sie an den Nationalsozialismus glaubten, sondern weil sie hofften, das Stalin-Regime zu beseitigen, indem sie aktiv mitkämpften oder die Deutschen durch Hilfsdienste unterstützten. Mit der stetigen Frontverschiebung nach Westen im letzten Kriegsjahr gelang es den Deutschen noch einmal, hunderttausende Rekruten in den baltischen Staaten, in der Ukraine und in Ungarn zu mobilisieren - Ländern also, die die sich abzeichnende Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs fürchteten und die den Vormarsch nach Westen noch stoppen wollten. Im Baltikum sowie in der Westukraine setzten zahlreiche antisowjetische Kämpfer den Widerstand sogar bis Anfang der 1950er Jahre fort.
Bis Moskau nur dank Ausländern
Die schiere Größenordnung des antibolschewistischen Engagements europäischer Völker zwingt heute zu einer Neubewertung der militärischen Dimensionen. Zugespitzt lassen sich drei Thesen formulieren: Erstens: Ohne den Einbau der verbündeten Armeen, von Hitler eher lustlos und ohne große Erwartungen betrieben, hätte die Wehrmacht 1941 niemals bis vor die Tore Moskaus marschieren können. Durch den Einsatz der finnischen, ungarischen und rumänischen Wehrpflichtigen konnte die Ostfront nach Norden und Süden erheblich ausgedehnt und abgedeckt werden. Bei zweitausend Kilometer Frontlinie wurden 600 Kilometer von den Finnen gehalten, weitere 600 Kilometer von Ungarn und Rumänen. Auf diese Weise war Hitler in der Lage, die Masse seines Ostheeres im Zentrum gegen Moskau zu konzentrieren. Die Bindung der sowjetischen Hauptarmee in der Ukraine hauptsächlich durch die deutschen Verbündeten ermöglichte den Erfolg der damals größten Kesselschlacht der Weltgeschichte.
Zweitens: Ohne die Mobilisierung zusätzlicher Kräfte der Verbündeten hätte Hitler 1942 seine Sommeroffensive in Richtung Stalingrad und Kaukasus nicht durchführen können. Es waren Italiener, Ungarn und Rumänen die für ihn die weite Flanke an Wolga und Don sicherten. Den riskanten Vorstoß zu den Ölfeldern des Kaukasus unterstützten mehr als Hunderttausend einheimische Freiwillige, teils in eigenen bewaffneten Formationen.
Drittens: Spätestens seit der Katastrophe von Stalingrad konnte die Wehrmacht einen schnellen Zusammenbruch der Ostfront nur noch mit den nicht-deutschen Helfern verhindern. Ihre größte Bedeutung hatten diese bei der Sicherung des Hinterlandes und der Bekämpfung von Partisanen. So führten 1943 allein im Baltikum 107 "Schutzmannschafts"-Bataillone mit 60 000 Mann den Kampf gegen die Partisanen. Gleichwohl trugen Ausländer nach wie vor in Finnland und in der Ukraine auch in regulären Frontverbänden zur Stabilisierung der Ostfront bei. Wegen der Verkürzung der Front durch die Rückzüge 1943/44 fiel das Ausscheiden der großen Verbündeten Finnland, Italien und Rumänien nicht stärker ins Gewicht. Der Einsatz der ungarischen Armee, von den Deutschen zur Fortsetzung des Bündnisses gezwungen, machte es möglich, daß Hitler im Frühjahr 1945 seine letzte Offensive zumindest beginnen konnte. Auch im letzten Kriegsjahr hing die Mobilität der Wehrmacht nicht nur vom Treibstoff, sondern auch von fast einer Million Freiwilliger der osteuropäischen Völker ab.
Fremde an der Front, Fremde in der Produktion
Nicht übersehen werden sollte außerdem, dass der millionenfache Einsatz von "fremdländischen" Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in der Produktion im Hinterland der Ostfront die Wehrmacht seit 1942 überhaupt erst materiell in die Lage versetzte, den Abnutzungskrieg gegen eine überlegene feindliche Koalition noch weitere drei lange Jahre führen zu können.
Kämpften die Ausländer freiwillig oder aus Zwang für Hitler? Diese politisch-moralische Dimension läßt sich angesichts der vielfältigen Formen der ausländischen Beteiligung und der Veränderungen im Kriegsverlauf nicht immer klar definieren. Die wehrpflichtigen Soldaten der verbündeten Armeen mögen freudig oder nicht nach Osten marschiert sein - aus eigenem Antrieb kämpften dort wohl nur die wenigsten. Das lässt sich im Übrigen auch für die meisten deutschen Soldaten vermuten. Politische Motive kann man stärker bei "Legionären" aus Süd-, West- und Nordeuropa ausmachen. Aber nur ein Teil von ihnen gehörte zu den sogenannten "germanischen" Freiwilligen, die von der SS bevorzugt genommen wurden. Das Ausmaß anderer, unpolitischer Motive wie Abenteuerlust läßt sich schwer und wohl nur auf den Einzelfall bezogen ergründen.
Bei den osteuropäischen Völkern stand das Streben nach Unabhängigkeit vom russischen Imperium und auch die Erfahrung des Stalinismus im Vordergrund. Als Hinterland oder Frontgebiet waren sie im Ostkrieg unmittelbar betroffen, wurden von sowjetischen Partisanen drangsaliert und mußten die Rache Stalins fürchten. In Teilen Ostmitteleuropas entwickelten sich bürgerkriegsähnliche Situationen und zerfallende Kriegsgesellschaften, wo nur der Kampf ums Überleben zählte. Dennoch überdauerten sogar größere militärische Formationen, die den Kampf gegen das Sowjetsystem nach dem Rückzug der Deutschen bis weit in die Nachkriegszeit hinein fortsetzten.
Statt Freiheit neuer Terror
Der Antibolschewismus blieb zwar das stärkste Argument der Nazis. Mit ihrer Rassenideologie und einer rücksichtslosen Ausbeutungspolitik zerstörten sie aber ihr anfängliches Ansehen weitgehend - und damit die Chancen, die Menschen in Osteuropa für sich zu gewinnen. Auf diesem "Schlachtfeld der Diktatoren" schenkten sich beide Seiten nichts, was Härte und Brutalität der Auseinandersetzung betraf. Trotz pompöser Propagandaschlachten im "Rassenkampf" contra "Klassenkampf" lag weder Stalin noch Hitler daran, die Köpfe und Herzen der betroffenen Menschen zu gewinnen. Als in Osteuropa den angeblichen "Befreiern vom Bolschewismus" die "Befreier vom Faschismus" folgten, erhielten die Völker nicht ihre Freiheit, sondern wurden einmal mehr mit Terror, Mord und Deportationen überzogen und unterjocht.
Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller ist Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA) in Potsdam. Sein Buch "An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim 'Kreuzzug gegen den Bolschewismus' 1941-1945" ist im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen. Dieser Artikel gibt allein die Auffassung des Autors wieder. Er stellt keine Meinungsäußerung des MGFA dar.