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Geheimes Geschäft zwischen AP und den Nazis: "Ein dreckiger Deal"

Geheimer Fotodeal zwischen Nazis und Amerikanern "Hitler war regelrecht bildersüchtig"

Mitten im Zweiten Weltkrieg kooperierte die US-Nachrichtenagentur AP heimlich mit den Nazis. Man tauschte Tausende von Fotos aus - ein schmutziger Deal, sagt der Stuttgarter Historiker Norman Domeier.

Anfang 1942 ereigneten sich in Berlin seltsame Dinge. Die deutschen Mitarbeiter von Associated Press (AP) traten geschlossen der Waffen-SS bei, unterstellten sich dem NS-Außenministerium - und blieben dennoch heimlich AP-Mitarbeiter. Mitten im Krieg, in den die zögerlichen USA erst 1941 nach dem Angriff auf Pearl Harbor eingetreten waren, arbeiteten der NS-Staat und die führende US-Nachrichten- und Bildagentur verdeckt zusammen: Tausende Fotos aus Deutschland gelangten über neutrale Länder in die USA - und umgekehrt AP-Bilder nach Berlin, wo sie zur Hetzpropaganda verwendet wurden.

Norman Domeier

Norman Domeier

Aufgedeckt hat das der Stuttgarter Historiker Norman Domeier, 37. Er sichtete bereits im Februar ein zentrales Dokument: einen 40-seitigen Brief von Willy Erwin Brandt, Geschäftsführer des "Büro Laux", in dem die deutschen AP-Männer arbeiteten. Darin beschrieb Brandt ausführlich die Kooperation. Dass die AP schon in den Dreißigerjahren kaum Berührungsängste zu den Nazis hatte, enthüllte die Historikerin Harriet Scharnberg 2016  . AP hat nun reagiert und kürzlich einen Report über die Zusammenarbeit ins Netz gestellt  .

einestages: Herr Domeier, die AP und die Nationalsozialisten haben Tausende von Fotos ausgetauscht. Welche Wucht entfalteten die Bilder aus Deutschland, die auf diesem Weg an die US-Presse verkauft wurden?

Domeier: Manches mag auf den ersten Blick harmlos wirken, aber die Fotos waren alle handverlesene Propagandabilder - wie auch umgekehrt die AP-Bilder aus den USA, die im NS-Staat gedruckt wurden. Es gab im Krieg keine zufälligen Bilder. Sie transportieren gezielt Botschaften. Hitler etwa entschied stets persönlich, welche Aufnahmen von ihm an die internationale Presse gingen.

einestages: Was waren das beispielsweise für Aufnahmen?

Domeier: Das berühmteste Foto zeigt Hitler unmittelbar nach dem Anschlag vom 20. Juli 1944. Er trifft Mussolini, wegen seiner Verletzung kann Hitler ihm nur die linke Hand reichen. Das Bild, umgehend über das neutrale Stockholm an die AP-Zentrale in New York geschickt, sollte der Welt so schnell wie möglich zeigen: "Seht her, der Führer lebt! Vergesst jede Unterstützung für die Aufrührer. Und denkt nicht, dass der Krieg vorbei ist." Ähnlich propagandistisch ist die Aussage von Fotos, die Wehrmachtsoffiziere zeigen, wie sie Kinder im Umgang mit Maschinengewehren trainieren.

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Geheimes Geschäft zwischen AP und den Nazis: "Ein dreckiger Deal"

einestages: Kürzlich hat die AP einen Report ins Netz gestellt und arbeitet auf 163 Seiten ihre Zusammenarbeit mit den Nazis wissenschaftlich auf. Ist das nicht vorbildlich?

Domeier: Generell schon. Allerdings muss man bedenken, dass die AP ihr Monopol bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte zäh verteidigt. Sie lassen nur eigene Mitarbeiter in ihr Archiv, keine unabhängigen Historiker. Die erhalten nur ausgewähltes Material. Ausgeblendet wird vor allem die Zeit nach 1945, etwa die Weiterbeschäftigung von deutschen AP-Mitarbeitern, die allesamt in der Waffen-SS waren. Die Geschichtswissenschaft wird sich damit nicht zufriedengeben.

einestages: Kommt die interne Aufarbeitung nicht ein wenig plötzlich - und spät?

Domeier: Ja, die AP hätte ihre Geschichte viel eher aufarbeiten können. Die große Erzählung ging immer so: Unsere nachfolgenden Generationen an Reportern haben nichts von einer Zusammenarbeit mit den Nazis gewusst. Doch das stimmt so nicht.

einestages: Woher wissen Sie das?

Domeier: In der Hauszeitschrift, der "AP World", gab es nach 1945 immer wieder Berichte von ehemaligen AP-Fotografen aus der NS-Zeit, auch über den geheimen Austausch der Fotos mit dem "Büro Laux". Zudem haben die deutschen AP-Mitarbeiter bis vor kurzem noch gelebt. Der Deal mit den Nazis war ein offenes Geheimnis innerhalb der bis heute bestehenden "AP Family". Mehr als 70 Jahre hat die AP es nach dem Motto gehütet: "Don't ask, don't tell."

einestages: Sie haben dieses Geheimnis im Februar dieses Jahres nach einem Dokumentenfund gelüftet. Was dachten Sie bei den Entdeckungen im Nachlass von Louis Lochner, des früheren Leiters des Berliner AP-Büros?

Domeier: Ich war völlig perplex und habe erst nach einem Tag realisiert, was das bedeutet. Ein so professioneller Austausch von Fotos zwischen Kriegsgegnern, während blutige Schlachten geschlagen wurden und der Holocaust stattfand, war sehr überraschend. Niemand kannte bis dahin dieses "Büro Laux", das sich ab 1942 das deutsche AP-Büro einverleibte. Es war eine richtige Geheimagentur, von SS und Auswärtigem Amt eingerichtet, und sie verfolgte im NS-Staat kriegstreiberische Zwecke, abgesegnet von Hitler selbst.

einestages: Wie genau arbeiteten Nazis und AP zusammen?

Domeier: Es ist eigentlich ganz einfach: Das deutsche AP-Büro in Berlin ist nie geschlossen worden, auch nicht nach Kriegseintritt der USA im Dezember 1941, als die amerikanischen Diplomaten und Journalisten, darunter auch der Berliner AP-Chef Lochner, für einige Monate interniert und dann ausgetauscht wurden. Das deutsche AP-Büro ging einfach im "Büro Laux" auf, denn den Deal fädelte Helmut Laux ein, der Leibfotograf von Außenminister Ribbentrop. Willy Erwin Brandt leitete das Büro. Wie er traten alle männlichen deutschen AP-Mitarbeiter der Waffen-SS bei. Für sie war die Situation sehr angenehm: Sie erhielten, in Reichsmark, weiterhin ihr altes, stattliches AP-Gehalt, nun aber vom Auswärtigen Amt. Und sie durften in Berlin bleiben und wurden nicht an der Ostfront verheizt.

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Foto: LOC/Kronos Media/SPIEGEL TV

einestages: Wie gelangten die Fotos mitten im Krieg nach Deutschland - und umgekehrt von dort in die USA?

Domeier: Per Kurier im Diplomatengepäck über das neutrale Lissabon, ab 1944 auch über Stockholm. Man muss dabei betonen: Dies war wahrscheinlich der einzige tägliche, direkte Kommunikationskanal zwischen den Amerikanern und den Nazis. Noch wissen wir nichts Genaues, die Akten aus den National Archives in Washington müssen erst freigegeben werden. Aber womöglich wurden über diesen Kanal nicht nur Fotos, sondern auch Dokumente und andere Informationen ausgetauscht. Brandt jedenfalls sichtete jeden Tag die AP-Fotos, wählte aus, schickte sie dann mehrfach vervielfältigt weiter. Und dieser Verteiler war ziemlich spektakulär.

einestages: Inwiefern?

Domeier: Hitler ließ sich die AP-Bilder jeden Tag von seinem Sonderbotschafter Walter Hewel persönlich vorlegen, auch das war bisher unbekannt. Er war regelrecht bildersüchtig. Daneben gingen die Fotos an den inneren Kern der NS-Führung: Da war Ribbentrop und das Auswärtige Amt, Himmler und die SS, das Forschungsamt der Luftwaffe, also Göring, und natürlich Goebbels und sein Propagandaministerium sowie vier bis jetzt noch nicht identifizierte Spitzenstellen der Wehrmacht.

einestages: Warum waren Fotos aus den USA für den NS-Staat so interessant?

Domeier: Für die führenden Nazis befriedigten sie zunächst einmal das Bedürfnis, einen Blick in die neuesten Aktivitäten ihrer Gegenspieler zu werfen: Was hat Roosevelt in den letzten Tagen gemacht, mit wem hat sich Churchill getroffen? Darüberhinaus wurden die AP-Fotos propagandistisch und auch antisemitisch ausgeschlachtet. Die Deutschen veränderten die ursprünglichen Bildbeschreibungen massiv und stellten die Fotos in einen feindlichen Kontext. Die "Berliner Illustrierte" zeigte Hunderte schöner Hochglanzfotos von AP, etwa von rauschenden Festen in New York. So wetterte sie gegen die vermeintliche Dekadenz der USA und machte den New Yorker Bürgermeister LaGuardia zum "typisch amerikanischen Juden".

einestages: Der Krieg selbst spielte keine Rolle?

Domeier: Doch. Ein Foto etwa von einer V2-Rakete, die im Stadtzentrum von London niederging, wurde triumphierend gedruckt: Seht her, wie großartig unsere Vergeltungswaffen funktionieren! Bisher wissen wir, dass die Deutschen zudem mindestens ein Foto retuschierten. Vermutlich waren es viel mehr.

einestages: Was wurde auf dem Bild verändert?

Domeier: Die britische Flagge verschwand auf einer Aufnahme nach der Landung der Alliierten in Nordafrika 1942. Darauf wehte dann allein noch das US-Sternenbanner, um zu suggerieren: Die USA wollen nur ihr Dollar-Weltreich errichten, und ihre Verbündeten, die Franzosen und Briten, gehen leer aus.

einestages: Die AP rechtfertigt sich, sie habe die Herkunft der Fotos gekennzeichnet und etwa darauf verwiesen, dass sie aus dem "neutralen Lissabon" kämen. Zudem hatte die US-Zensurbehörde diese Zusammenarbeit abgesegnet.

Domeier: Das ist nicht ganz ehrlich. Es war ein schmutziger Deal. Natürlich hätte jeder Amerikaner ahnen können, dass Bilder von Hitler im Krieg nicht von unabhängigen US-Fotografen stammen können. Das Anrüchige ist aus meiner Sicht: Die AP hat ihre direkte Absprache mit den Nazis systematisch verschleiert. Wäre das damals bekannt geworden, hätte es einen Riesenskandal gegeben. Zumal der stellvertretende US-Chefzensor Byron Price ein früherer AP-Mann war. Misst man die AP an ihren eigenen hohen Standards von heute wie von damals - dann war ihr Handeln intransparent und moralisch verwerflich.

einestages: Ging die AP als einzige Nachrichtenagentur einen solchen Deal ein?

Domeier: Das ist nicht geklärt. Auch andere Agenturen haben Fotos verbreitet, die sie laut Bildbeschreibung aus Lissabon und Stockholm bekamen. Ich vermute, dass es eine Absprache mit der AP gab, die ihnen ein Teil der Fotos zur Verfügung stellte, um sie ruhigzustellen. Sonst hätten sie sich beschwert, dass der große Konkurrent AP ständig über exklusive Aufnahmen aus dem Herrschaftsgebiet der Nationalsozialisten verfügte.

einestages: Ist dieses Kapitel mit der AP-Veröffentlichung nun abgeschlossen?

Domeier: Mit ihrem Report möchte die Agentur einen klaren Schlussstrich nach 1945 ziehen und die Sache offenbar am liebsten als Weltkriegs-Abenteuergeschichte verkaufen. Sie verschweigt dabei, dass die Zusammenarbeit mit den Nazis für die deutschen AP-Mitarbeiter keine Konsequenzen hatte.

einestages: Das heißt?

Domeier: Die deutschen AP-Mitarbeiter, immerhin einige Jahre im geheimen "Büro Laux" und in der Waffen-SS tätig, wurden nach 1945 bald wieder von AP beschäftigt. Willy Erwin Brandt, Leiter des "Büro Laux", wurde ab 1949 Vertriebsmanager der AP in Deutschland - auch dank eines Empfehlungsschreibens seines ehemaligen Chefs Lochner. Brandt ging 1978 in den Ruhestand, erhielt glänzende Nachrufe von AP und starb erst 2003.

einestages: Sonst passierte nichts?

Domeier: Es gab, dies wurde immerhin durch den AP-Report bekannt, nach 1945 eine bisher unbekannte Untersuchungsaktion der US-Geheimdienste im besetzten Deutschland. Sie hieß "Operation Pouch". Helmut Laux wurde verhaftet und mehrfach verhört, in seinem Haus wurden Akten beschlagnahmt. Die ermittelnden Agenten kamen zu dem Schluss, dass ein Verfahren gegen AP wegen des erfüllten Straftatbestandes "Handel mit dem Kriegsfeind" eingeleitet werden müsste. Nur wussten sie nichts von der geheimen Genehmigung des Deals zwischen AP und den Nazis durch die US-Regierung. Die Untersuchungsakte wurde geschlossen.

einestages: Warum verschweigt der AP-Report die Geschichte nach 1945?

Domeier: Ich glaube, weil AP dieser Punkt am unangenehmsten ist. Das wird ihnen in den USA und besonders in Israel große Probleme bereiten. Und natürlich stellt sich nun jeder die Frage: Wie geht die AP eigentlich heute mit autoritären Regimes oder Terrorgruppen um, welche Deals sind dort vielleicht geschlossen worden?

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