
Neue Farbaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg Filmschatz einer Hollywood-Ikone


Als die Alliierten in den Jahren 1944/45 von den Stränden der Normandie in das Herz von Hitlers Reich vorrückten, wurden sie von einem Kamerateam begleitet, das Filmaufnahmen für die US-Propaganda drehen sollte. Doch nicht alle Szenen, die damals auf farbigem Zelluloid festgehalten wurden, waren für die Öffentlichkeit bestimmt.
Nie aufgeführt landete das mehrstündige Material in der Library of Congress in Washington - wo der Filmschatz bis heute aufbewahrt wird. Mehr als 70 Jahre nach dem Dreh sind diese Aufnahmen nun zu sehen. Für die Dokumentation "Der Geist der Befreiung - Das Ende des Dritten Reichs" hat der deutsche Regisseur Konstantin von zur Mühlen die 16-mm-Farbaufnahmen in hochauflösendem HD digitalisiert. Der Film läuft am Montagabend, 8. Mai 2017, um 20.15 Uhr auf dem Pay-TV Sender SPIEGEL Geschichte, der über Sky zu empfangen ist.
Die für den Film ausgewählten Passagen wurden aufwendig stabilisiert, gereinigt und auf einzigartige Weise zusammengeschnitten. Die Sequenzen sind ausschließlich mit Berichten und Aussagen aus zeitgenössischen Wochenschauen, Dokumentationen und Interviews kombiniert, die von zur Mühlen bei monatelangen Recherchen entdeckte.
Die authentischen Aufnahmen, nun in ihrer ganzen originalen Brillanz zu sehen, zeigen das Durchhaltevermögen der alliierten Streitkräfte auf ihrem Weg durch Europa bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges - hautnah dokumentiert von den besten Kameramännern ihrer Zeit.
Denn der Mann, der das Filmteam anführte, zählt heute zu den Ikonen der US-Traumfabrik Hollywood: Regisseur, Produzent und Drehbuchautor George Stevens, bekannt geworden unter anderem mit Spielfilmen wie "Mein großer Freund Shane" (1953) und "Das Tagebuch der Anne Frank" (1959). Für "Giganten" mit Elizabeth Taylor, Rock Hudson und James Dean erhielt er 1957 den Oscar für die beste Regie.
Als Mitglied einer "Special Coverage Unit" hatte Stevens 1944 von Regielegende John Ford den Auftrag erhalten, den Vormarsch der Truppen auf dem von den Nazis besetzten Kontinent zu dokumentieren. Mit in seinem Team: die Schriftsteller William Saroyan und Irwin Shaw.
Wer genau die Farbsequenzen auf Kodachrome Sicherheitsfilm gedreht hat, die zwischen Juni 1944 und Juli 1945 entstanden, lässt sich heute nicht mehr klären. Da Stevens häufig im Bild zu sehen ist, wird wahrscheinlich einer aus seinem Team die meisten Szenen gedreht haben. Während John Ford mit seinen Leuten am 6. Juni 1944 an Omaha Beach landete, betrat George Stevens weiter östlich - an Juno Beach - französischen Boden.
Dort war der Widerstand geringer, und so entstanden kurz nach Beendigung der Kämpfe erste Aufnahmen von zerstörten Häusern und gefangenen deutschen Soldaten. Stevens galt als launischer Chef, der zu großem Gelächter und Wutausbrüchen neigte, aber immer darauf bedacht war, dass niemand von seinen Leuten in zu große Gefahr geriet.
Im Tross der sich langsam vorkämpfenden Amerikaner drehte Stevens' Team immer wieder beeindruckende Szenen hinter der Front. Erster Höhepunkt der filmischen Reise ist die Befreiung von Paris im August 1944. Der deutsche Stadtkommandant hatte eigentlich den Befehl, Paris bis zum letzten Mann zu verteidigen und dann die wichtigsten Bauwerke in die Luft zu sprengen. Doch seit einer Audienz beim "Führer" war General Dietrich von Choltitz sicher, dass er einem Wahnsinnigen die Treue hielt. So entschied er, kampflos zu kapitulieren und Paris vor der Zerstörung zu retten.
Ganz Hollywoodregisseur wusste George Stevens um die Bedeutung des historischen Moments, den er unbedingt festhalten wollte. Doch die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde fand im Bahnhof Montparnasse statt, wo es für Filmaufnahmen zu dunkel war. Um doch noch die ersehnten Bilder zu bekommen, ließ Stevens die Beteiligten die Zeremonie draußen wiederholen. Als Choltitz zögerte, soll der angetrunkene Regisseur ihn angeblafft haben: "C'est la guerre, General, so ist der Krieg!"
"Die unglaublichste Zeit meines Lebens"
Wie viele seiner Kollegen nahm sich auch George Stevens eine kurze Auszeit, um zu feiern und um wieder einmal in einem richtigen Bett zu schlafen. "Die zwei Wochen bis zur Befreiung von Paris", so schrieb er an seine Frau, "waren die unglaublichste Zeit meines Lebens."
Das Team reiste im Gefolge der amerikanischen Truppen weiter Richtung Nazideutschland, wo es unter anderem die Eroberung von Aachen und das erste Zusammentreffen von Amerikanern und Russen bei Torgau an der Elbe dokumentierte.
Kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau bei München drehte George Stevens mit seinem Kamerateam besonders verstörende Aufnahmen. Viele der überlebenden Häftlinge hatten einen langen Leidensweg hinter sich, waren unterernährt und krank. Stevens filmte auch einen Zug voller Leichen - offenbar ein Transport aus einem der Todeslager im Osten.
"Es war, als würden wir durch Dantes Visionen der Hölle wandern", schrieb er in einem Bericht. So schwer es ihm fiel, Stevens wollte die Zustände festhalten, damit später niemand behaupten konnte, die Berichte über Dachau seien alliierte Propaganda.
Unverzüglich begannen Amerikaner mit der Versorgung der Überlebenden. Doch der Schock des Gesehenen blieb haften. "Ich konnte mit niemandem darüber sprechen", erinnerte sich der Hollywoodregisseur später.
Auch diese Aufnahmen sind in den Dokumentarfilm "Der Geist der Befreiung" eingeflossen - ebenso wie viele Szenen aus der Hauptstadt Berlin, die Stevens Anfang Juli 1945 mit seinem Team besuchte. Danach kehrte er zu seiner Karriere in der Traumfabrik Hollywood zurück.
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Am 25. August 1944, kurz nach der Kapitulation der Deutschen in Paris, traf das Filmteam um Hollywoodregisseur George Stevens auf General Charles de Gaulle. Der Anführer der Freien Französischen Streitkräfte und des Französisches Komitees für die Nationale Befreiung bezog tags darauf das Kriegsministerium.
Befreiung: Ein amerikanischer Soldat mit Französinnen am 25. August 1944 in Paris. Auch Stevens nahm eine kurze Auszeit, um zu feiern. Es war "die unglaublichste Zeit meines Lebens", schrieb er seiner Frau.
Mit zwei Filmteams begleitete die amerikanische "Special Coverage Unit" am 6. Juni 1944 die Landung in der Normandie. Während Regielegende John Ford am Omaha Beach an Land ging, ...
... drehten George Stevens und sein Kamerateam die Landung am Juno Beach.
Mehrfach ist George Stevens selbst im Bild zu sehen - hier mit gefangenen Deutschen im Sommer 1944 in der Normandie.
Nicht nur große Regisseure, auch Schriftsteller berichteten von den Frontlinien der Normandie - wie Ernest Hemingway. Zu Stevens Kamerateam gehörten die Autoren William Saroyan und Irwin Shaw.
Dreharbeiten: Das Kamerateam reiste durch die Normandie und dokumentierte die Zerstörungen.
"East meets West": Stevens war auch dabei, als sich am 25. April 1945 US-Truppen und Soldaten der Roten Armee an der Elbe trafen.
Die erste Begegnung zwischen US-Truppen und Sowjetsoldaten auf deutschem Boden fand am 25. April 1945 statt. Sie diente unter anderem der Vorbereitung jenes Ereignisses, das als "Handschlag von Torgau" bekannt werden sollte - initiiert für Fotografen und die Weltöffentlichkeit einen Tag später unter dem Motto "East meets West".
Ende April 1945 befreiten alliierte Truppen das Konzentrationslager Dachau. Anfang Mai filmte Stevens dort ...
... überlebende Häftlinge, krank und unterernährt. Doch Stevens brachte von dort noch mehr schockierende Aufnahmen mit.
Zug voller Leichen: Ein Kameramann drehte im Konzentrationslager Dachau Opfer eines Transports aus einem Todeslager im Osten. "Es war, als würden wir durch Dantes Visionen der Hölle wandern", berichtete Stevens.
Konzentrationslager Dachau Anfang Mai 1945: Ein amerikanischer Soldat befragt gefangene Wachmänner, aufgenommen vom Team von George Stevens.
Überlebende Häftlinge während einer Gedenkfeier am 5. Mai 1945 im von alliierten Truppen befreiten Konzentrationslager Dachau.
Im Juli 1945 kam George Stevens mit seinem Filmteam nach Berlin ...
... und drehte unter anderem an der Ruine des Reichstags.
Juli '45 in Berlin: Auf der Ost-West-Achse, der heutigen Straße des 17. Juni, begegneten ihnen sowjetische Soldaten.
Trümmerbeseitigung: Das amerikanische Kamerateam beobachtete auch die Aufräumarbeiten deutscher Frauen an der Straße "Unter den Linden".
Bilder aus Deutschland: Die United States Army Air Forces schickte im Rahmen ihres Special Film Project 186 im März 1945 weitere Kamerateams nach Deutschland, um den Vorstoß der amerikanischen Truppen und das erwartete Kriegsende zu dokumentieren.
Das Leben geht weiter: Aus dem Airforce-Filmprojekt stammen weitere Szenen, die im Juli 1945 in Berlin gedreht worden waren.
Die Aufnahmen zeigen Menschen, die das Kriegsende in Berlin erlebt hatten und nun einer neuen Zeit entgegenblickten oder ...
... nach einer Bleibe in der in Trümmern liegenden Stadt suchten.
"K.Z. Dachau - Velden - Buchenwald, ich schäme mich, daß ich ein Deutscher bin." Aufgenommen im Mai 1945 an der Feldherrenhalle am Odeonsplatz in München.
Bevor George Stevens die US-Truppen in Hitlers Reich begleitete, hatte er sich bereits den Ruf eines ernstzunehmenden Regisseurs erworben. Spaß verstand er aber auch: "Fräulein in Nöten" (1937) mit Fred Astaire (l.).
"Die Frau, von der man spricht" mit Katharine Hepburn und Spencer Tracy von 1942 enthielt durchaus politische Spitzen. Das deutsche Kinopublikum erreichte der Film erst 1948.
Der Film "Ein Platz an der Sonne" mit Montgomery Clift und Elizabeth Taylor von 1951 war gleich neunmal für den Oscar nominiert und gewann ...
... sechs Preise. Einer davon ging an George Stevens für die beste Regie.
Den Western "Mein großer Freund Shane" lieferte Regisseur George Stevens 1953 ab.
Und noch ein Western folgte: Drei Jahre später feiert das Historienepos "Giganten" Premiere, für das Stevens erneut den Oscar für die beste Regie erhielt.
Es ist ein Stück mit Starbesetzung: Zu sehen sind darin Elizabeth Taylor, Rock Hudson und zum letzten Mal James Dean, der 1955 noch vor der Premiere von "Giganten" tödlich verunglückte.
Vorlage für "Giganten" war der gleichnamige Roman von Edna Ferber - hier zu sehen am Set zusammen mit George Stevens.
Ein Filmklassiker, in dem sich George Stevens noch einmal mit dem Nationalsozialismus beschäftigte: "Das Tagebuch der Anne Frank" von 1959.
Schließlich ganz großer Stoff: Der Monumentalfilm "Die größte Geschichte aller Zeiten" von 1965 mit Max von Sydow in der Hauptrolle erzählt das Leben Jesu.
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