Alkoholfrei leben Kein Bier vor vier - und auch keins danach
Eine Weinschorle in der Sonne, ein Bier am Feierabend, und natürlich trinken wir an Silvester Sekt. Diese Aufzählung könnte man noch ewig verlängern. Denn Alkohol ist allgegenwärtig: auf Werbeplakaten, in Filmen, Kneipen oder unseren Kühlschränken. Gelegenheiten, um zu trinken finden wir jederzeit. Gründe, um damit aufzuhören, gibt es aber genauso viele. Bloß macht es kaum jemand.
Autorin Susanne Kaloff hat es ausprobiert, nicht weil sie musste, sondern weil sie es wollte. Einfach so, von einem Tag auf den anderen. Ein Jahr lang keinen Alkohol zu trinken, lautete eigentlich ihr Ziel - um ein Buch darüber zu schreiben. Doch was als Selbstversuch losging, verselbstständigte sich irgendwann, auch weil sie sich einfach besser fühlte: "Du brauchst kein externes Ladekabel mehr, du bist so 'High on your own Supply'! Für mich ist dieses Unabhängigsein von einem externen Mittel so unglaublich viel wert."

Susanne Kaloff, Autorin von "Nüchtern betrachtet war's betrunken nicht so berauschend"
Foto:Hanna Schumi
Früher war das anders: Beim Kartenspielen trank sie gern mal ein Glas Wein, hin und wieder zog sie mit Freunden durch die Kneipen, und beim Geschäftsessen gönnte sie sich auch mal ein Glas Crémant. "Lifestyle-Trinken", nennt es Kaloff, "so wie wir das alle tun."
Hat unsere Gesellschaft ein Alkoholproblem? Warum schauen wir lieber auf das Trinkverhalten der anderen als auf unser eigenes? Und wie genießt man eine Party, wenn alle um einen herum betrunkener werden, nur man selbst nicht? Auf diese und weitere Fragen antwortet Susanne Kaloff im Ideen-Podcast "Smarter leben".
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[00:00:02] Susanne Kaloff Regel Nummer 1: Kein Fass aufmachen, wenn man nicht mehr trinkt, weil die meisten Menschen wollen ja natürlich nicht hören, dass man jetzt irgendwie auf dem anderen Trip ist, während sie gerade an irgendwas nippen.
[00:00:14] Lenne Kaffka Ideen für ein besseres Leben haben wir alle, aber wie setzen wir sie im Alltag um? In diesem Podcast treffen wir jede Woche Menschen, die uns verraten, wie es klappen kann. Willkommen, zu Smarter Leben. Ich bin Lenne Kaffka und diesmal skype ich mit Susanne Kaloff.
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[00:00:58] Susanne Kaloff Hallo, ich bin Susanne Kaloff, Autorin aus Hamburg. Ich habe ein Buch geschrieben, darüber wie es ist ein Jahr lang keinen Alkohol zu trinken. Es war als Selbstversuch angelegt, aber es wurden dann dreieinhalb Jahre daraus.
[00:01:10] Lenne Kaffka Eine Weinschorle in der Sonne, ein Bier am Feierabend, und natürlich gibt's an Silvester Sekt. Diese Aufzählung könnte man noch ewig verlängern. Denn Gelegenheiten, um zu trinken, finden wir jederzeit. Gründe, um damit aufzuhören, gibt's aber genauso viele - bloß macht es kaum jemand. Susanne hat es irgendwann einfach mal ausprobiert und dann immer länger auf Alkohol verzichtet - bis vor ein paar Wochen.
[00:01:31] Lenne Kaffka Susanne, was ist vor dreieinhalb Jahren passiert, dass du auf einmal kein Alkohol mehr trinken wolltest?
[00:01:37] Susanne Kaloff Ich hatte keinen dramatischen Absturz, es war ein ganz unspektakulärer Abend mit Freundinnen im Restaurant, und als wir ein zweites Glas Wein bestellen wollten, habe ich so gedacht: Warum eigentlich? Ist doch ein super Abend, wir haben so schon Spaß. Ich fühle mich wohl. Warum trinkt man eigentlich weiter, wenn es doch nur ein Genussmittel ist, wie immer behauptet wird? Und dann habe ich kein zweites Glas getrunken und hab sehr im Stillen wirklich von einem auf den anderen Tag entschieden, dass ich jetzt ausprobieren möchte, ohne Alkohol eine Weile zu leben. So fing das an.
[00:02:15] Lenne Kaffka Du betonst gerne, dass du keine Alkoholikerin warst. Warum ist dir das so wichtig?
[00:02:20] Susanne Kaloff Es ist mir a) wichtig, weil ich keine war, weil ich einfach so gesehen werden möchte, wie ich bin. Das ist, glaube ich, ganz egomäßig normal. Und dann ist es mir aber auch wichtig, weil diese Abgrenzung dann nicht stattfindet, im Sinne von: "Sie hatte ein Problem, aber es hat ja mit mir nichts zu tun". Sondern mir war ja wichtig, genau aus so einem Lifestyle-Trinken-Ecke zu kommen, wie wir das alle tun, und es dann freiwillig zu lassen, weil ohne Notwendigkeit, macht man sich halt auch schon damit verdächtig, wenn man sagt: Ich trinke jetzt nicht mehr. Und dann kommt ganz schnell die Frage, wie viel hast du denn getrunken?
[00:02:54] Lenne Kaffka Richtig, du hast mal in einem Interview gesagt, jeder Moderator fragt das. Ich werde mich das jetzt auch anschließen: Wieviel hast du getrunken?
[00:02:59] Susanne Kaloff Könntest du das beantworten, wenn ich dich das frage, so in Milliliter oder in Phasen?
[00:03:05] Lenne Kaffka Nö, aber ich könnte schon sagen, wahrscheinlich trinke ich in jeder Woche irgendwann mal Alkohol.
[00:03:10] Susanne Kaloff Ja, jede Woche ich vielleicht nicht, weil ich Phasen hatte, dass ich auch mal ein paar Wochen oder Monate nichts getrunken habe. Aber so, wie wir alle trinken, immer sind irgendwelche Gelegenheiten. Es gibt Feste, oder es gibt abends ein Glas Wein, und dann telefoniert man lang mit einer Freundin oder geht essen, und dann wird es eine halbe Flasche. Mal gibt's zu viel Gin Tonic, weil man aus ist, und es gibt auch einen Absturz und einen Kater. Aber in einem ganz normalen Bereich - "normal" ist da auch schwierig bei einer Droge.
[00:03:39] Lenne Kaffka Aufgehört hast du, weil Alkohol nichts mehr für dich tut, so schreibst du es in deinem Buch. Was meinst du damit? Was hatte Alkohol denn früher für dich getan? Was hatte er dir gegeben?
[00:03:48] Susanne Kaloff Schon Leichtigkeit, unbeschwert sein und auch sehr diese Kontrolle loslassen. Es ist ja schon irgendwie wie ein Ventil. Wenn man ihn trinkt, dann wird vieles für den Moment natürlich leichter. Deswegen trinken wir ihn ja. Es ist ja nicht so, dass es nur um den Geschmack geht, sondern es geht sicher auch um die Wirkung. Er hat mir auch lustige Abende beschert und auch viel Blödsinn und natürlich auch viele Dinge erlebt man ja nur, also so verrückte Nächte, weil eben Alkohol dabei ist. Und ich finde das und fand das auch okay eine ganze Weile. Aber irgendwann dachte ich, jetzt möchte ich mich mal anders erfahren. So Selbstversuche mag ich eh sehr gerne. Die sind für mich so, wie für andere vielleicht Extremsportarten.
[00:04:32] Lenne Kaffka Aber du beschreibst auch negative Erlebnisse in deinem Buch. Dir sind ja auch peinliche Dinge durch Alkohol passiert. Die haben sicherlich auch da mitreingespielt, oder?
[00:04:40] Susanne Kaloff Ja, das klassische SMS-Schreiben an irgendwelche Typen, Ex-Freunde, weil man halt in dem Moment denkt: Das ist das goldrichtige. Das passiert aber auch schon nach einem Glas. Das geht einfach wahnsinnig schnell, dass diese Kontrolle wegfällt und auch, dass die Emotionen sehr verstärkt werden. Also, ich finde das heute ähnlich wie bei Musik oder Tanzen, da kann ich auch meine Emotionen sehr verstärken ohne Alkohol. Ja, es waren so paar Sachen, wo ich dann dachte, ich will überhaupt nicht so sein oder ausgehen und weiter ausgehen. Es gibt einen Abend, in meinem Buch, ich war mit zwei Freundinnen aus, und wir waren Essen, und es fing alles ganz normal an, und dann halt diese typische Satz: Gehen wir doch woanders hin? Immer noch dieses "woanders hin"! Und es passiert aber nichts Spektakuläres mehr, aber ich wollte, dass noch etwas Spektakuläres passiert. Ich wollte das hochjazzen, diesen ganzen Abend und die Gefühle und dann halt noch in eine Bar und noch ein Gin-Tonic. Und irgendwann waren wir halt im Mojo, und ich bin auf die Tanzfläche und sag: "Oh, tolles Lied", und es war ja auch alles witzig und bin halt umgeknickt mit meinem Absatz. Und es ist nichts Schlimmes passiert, außer dass ich mein Knie und meine Wange so ein bisschen blau hatte. Aber dieser Sturz hat mich so erschüttert, weil ich dachte, das kann nicht sein, dass du jetzt irgendwie hinfällst. Andere haben gesagt und auch Freundinnen haben gesagt: Hä, ist doch nicht schlimm, ist doch egal, irgendwie hat doch jeder mal! Weil diese Geschichten hat auch jeder. Jeder erzählt dir so Geschichten, was passiert ist alles und wie sie hingeflogen sind. Und vielleicht liegt es an meinem Alter, weil ich eben nicht mehr 20 bin, aber ich fand das so unwürdig. Genau, und das hat da sicher in mir gegärt so ein halbes Jahr vorher schon. Ja, dann hab ich das eben weggelassen.
[00:06:19] Lenne Kaffka Fast jeder, der häufiger trinkt, kennt solche Geschichten. Welche Reaktionen hast du denn bekommen, als du das deinen Freunden und Verwandten gesagt hast? Es wirkt ja so, als ob viele deiner Freunde auch gerne regelmäßig mal irgendwie ein Glas mehr trinken.
[00:06:31] Susanne Kaloff Ich habe das gar nicht gesagt am Anfang. Regel Nummer eins: Kein Fass aufmachen, wenn man nicht mehr trinkt, weil die meisten Menschen wollen ja natürlich nicht hören, dass man jetzt irgendwie auf einem anderen Trip ist, während sie gerade an irgendwas nippen. Und ich hab das gar nicht gesagt. Am Anfang war das so wie: "Na ja, sie detoxed halt wieder. Und sie ist ja Yogi, und so ist sie halt. Und jetzt hat sie ja wieder so ein Spleen".
[00:06:50] Lenne Kaffka Aber irgendwann wird es deinen Freunden aufgefallen sein, oder, dass du auf einmal nicht mehr mit in den nächsten Club ziehst und vielleicht auch nicht das dritte Glas Wein bestellest?
[00:06:59] Susanne Kaloff Ja, das stimmt.
[00:06:59] Lenne Kaffka Da kamen doch Reaktionen?
[00:07:00] Susanne Kaloff Ja, da kamen Reaktionen, also sehr unterschiedlich. Manche hatten einfach kein Problem, sie haben weiter getrunken und ich halt Wasser. Manche haben sich davon inspiriert gefühlt und haben auch gesagt: "Ich probier das auch mal aus" oder "Ich würde es gerne" und haben sich dann entschuldigt, wenn sie in meiner Anwesenheit etwas getrunken haben - was ich auch schwierig fand, weil ich irgendwann wie so eine Nanny, so ein Moralapostel daneben saß, ohne das zu wollen. Und dann gab es natürlich auch so Sprüche, also auch von Männern: "Aber sonst bist du schon nach allen sinnlichen Vergnügungen zugetan?" Jenseits von Saufen, meinte er wahrscheinlich, die sinnlichen Vergnügen. Ich weiß es nicht. Aber das sind ja Ausnahmen gewesen, und das hat mich am Anfang schon irritiert, weil ich ja selbst Zweifel hatte an dem Versuch, ob ich da Bock zu habe und warum ich mir das schon wieder mir so schwer mache und warum ich das überhaupt ausprobiere. Und so Sprüche fand ich dann in so einem Moment jetzt nicht so toll, aber die werden auch weniger, umso selbstgewisser ich wurde, umso sicherer ich wurde. Man strahlt ja dann etwas anderes aus, und dann kommt gar nicht mehr so etwas. Aber das dauert eine Weile.
[00:08:08] Lenne Kaffka Was hat dir denn geholfen, wenn du sagst, du hast gezweifelt bei dir zu bleiben und dann auch langfristig sicherer zu werden?
[00:08:15] Susanne Kaloff Der Effekt, den es hatte, nicht zu trinken, das ist eine unheimliche Klarheit und dieses "bei mir sein", wofür ich sonst viel Yoga oder meditieren muss, kam einfach so. Sodass ich gemerkt habe, den Alkohol wegzulassen, macht mich sehr ruhig, bringt mich näher zu mir ran. Ein bisschen war das so, weil ich oft das Gefühl hatte, ich bin so mit mir alleine, weil ich nicht mitmache. Zum Beispiel auf einer Weihnachtsfeier und da waren erst ein paar Monate vergangen und da war das ja noch relativ neu für mich, und ich fühlte mich schon wie unter so einer Glasglocke, weil ja alle in einem anderen Zustand auf einer anderen Frequenz sind. Aber dann heim zu kommen, genau so, wie ich losgegangen bin, im gleichen Zustand - du kannst nachts noch dein Bett beziehen oder ein Roman schreiben oder tolle Dinge tun - das war neu, und das hatte so etwas Wertvolles, dass ich das mehr zu schätzen wusste, als dazuzugehören. Aber es ist auch eine Form von Isolation.
[00:09:08] Lenne Kaffka Wie fühlst du dich denn mittlerweile auf Partys oder bei Geschäftsessen, bei denen es ja auch häufig Alkohol gibt?
[00:09:12] Susanne Kaloff Ja, genau, Geschäftsessen ganz häufig. Heute macht mir das nichts aus. Im Gegenteil: Es gibt Momente, wenn es besonders festlich ist, ein besonders schönes Hotel, auf so einer Presse-Reise oder einem Geschäftsessen oder auch privat und gerade so kultiviert ist, wenn es jetzt eben nicht so ein lauwarmer Prosecco ist in irgendeiner verstopften Galerie, den man einfach so bewusstlos annimmt, weil halt alle trinken - wenn es so was Schönes ist, dann denke ich schon: Warum trinkst du eigentlich nicht? Aber das ändert sich ja auch mit der Zeit. Das ist überhaupt nicht statisch. Heute bin ich ganz anders als vor dreieinhalb Jahren, was das angeht oder auch vor einem Jahr.
[00:09:50] Lenne Kaffka Aber wie bist du anfangs mit umgegangen, weil da es es dir ja sicherlich schwerer gefallen. Hast du dann auch mal Ausreden benutzt? Hast du welche Tricks genutzt, um Diskussionen zu vermeiden?
[00:09:59] Susanne Kaloff Ja, ganz am Anfang, da hab ich gedacht: "Okay, sieht ja eh keiner, ob du jetzt Wasser mit Zitrone im Glas hast oder ob es ein Gin-Tonic ist, interessiert doch auch niemanden". Hat ja auch niemanden interessiert. Also ich bin nicht rumgelaufen, hab gesagt: "Ich trink nix", sondern war froh, wenn wir nicht drüber gesprochen haben. Letztendlich ist auch wirklich jeder so mit sich beschäftigt - das meint man gar nicht - aber viele Leute bekommen das nicht unbedingt mit. Aber sonst hab ich gesagt: "Nö, ich trinke halt mal eine Weile nichts". Und eine Freundin hat dann auch ein bisschen gereizt mal zu mir auf irgend so einem Event gesagt: "Wie lange willst du das denn noch machen? Ich hole uns jetzt einen Champagner". Da habe ich gesagt: "Ja, weiß ich nicht, wie lange". Es gab ja zwar in meinem Kopf dieses Projekt, ich mache das ein Jahr. Aber ich habe relativ schnell gedacht, vielleicht will ich es nie wieder.
[00:10:41] Lenne Kaffka Aber diese Feiern - ich kenne das ja auch, wenn man meinen alkoholfreien Monat im Januar macht oder in der Fastenzeit, Frauen machen das mehrere Monate in der Schwangerschaft - da merkt man ja schon, dass solche Veranstaltungen einfach Zusammenkünfte oft sind, bei denen es primär um Alkohol geht, dass da auch was fehlt.
[00:10:58] Susanne Kaloff Total.
[00:10:59] Lenne Kaffka Das heißt, solche Veranstaltungen müssen für dich doch jetzt anders ablaufen. Oder kannst du sie genauso genießen wie vorher?
[00:11:04] Susanne Kaloff Nein, total, das sagst du genau richtig. Genau, das habe ich schon wieder vergessen, die sind für mich so normal. Ja, das ist ganz extrem so. Wenn das Bindeglied Alkohol wegfällt, spürst du und siehst du, und hörst du auch, dass nicht viel übrig bleibt in manchen Verbindungen - zum Beispiel auch Bekanntschaften, Freundschaften. Dass man sich getroffen hat, getrunken hat, und das war der Spaß. Das fällt weg. Es ist wie ein natürlicher Filter. Oder wohin zu gehen, wo es nur um das Trinken geht, aber nicht um das Essen, nicht um die Gespräche, nicht um was da noch an Kultur vielleicht drum rum ist. Das interessiert mich natürlich nicht mehr so. Und es ist auch manchmal einfach, dass so viel dummes Zeug geredet wird. Da kannst du nicht mehr mitmachen. Das ist einfach wirklich, du bist wie auf einem anderen Planeten. Das meinte ich mit der Isolation. Ich glaube, dieses allein fühlen, was ich jetzt vielleicht so ein bisschen traurig anhört, hat aber auch dazu geführt, dass ich mir selbst so nahe kam. Ich habe mich nie besser kennengelernt. Ich habe nie das Gefühl gehabt, besser für mich zu sorgen. Du passt ja auch wahnsinnig auf dich auf, weil du ja einfach hellwach bist die ganze Zeit. Dieser Bullshit- Detektor ist halt auch sehr wach, zu sehen: "Okay, die Leute finde ich doof, die reden dummes Zeug, jene halte ich gerade noch so aus, denen verzeihe ich das", oder aber: "Nein, ich gehe jetzt heim. Ich weiß eh jeden Satz, der nach Mitternacht gesagt wird - meine eigenen Sätze und die von den anderen".
[00:12:29] Lenne Kaffka Vor deinem Versuch hast du dich gefragt, ob du deine Freunde noch witzig und erträglich finden wirst. Wie lautet die Antwort? Hat sich dein Freundeskreis drastisch geändert?
[00:12:36] Susanne Kaloff Nein, hat er nicht. Es gibt ein paar sehr wenige Leute, mit denen ich vielleicht weniger zu tun habe. Aber es sind wirklich weniger. Meine richtigen Freundinnen sind noch meine Freundinnen. Das ist ja auch schön zu sehen, dass es eben etwas Tieferes gibt als jetzt einen Drink.
[00:12:53] Lenne Kaffka Ein Gedanke aus deinem Buch ist mir ziemlich hängengeblieben und das ist folgender. Du schreibst: "Ist es nicht interessant, dass einem erst ein Alkoholproblem diagnostiziert wird, wenn man sich entscheidet, mit dem Trinken aufzuhören?" Was sagt denn das, deiner Meinung, nach über unsere Gesellschaft aus?
[00:13:06] Susanne Kaloff Nichts Gutes. Das ist irgendwie so merkwürdig, wie verdächtig man sich macht, wenn man damit aufhört. Aber vorher stellt das ja niemand in Frage. Wir trinken alle und haben alle kein Problem. Aber wenn jemand aufhört, dann wird spekuliert, was die Gründe sein könnten. Wer ist denn so bescheuert und verzichtet freiwillig auf etwas, was das Leben, die Zustände erträglicher, leichter, witziger, wilder, schöner, geiler macht - was auch immer? Es wird ja so vielfältig Alkohol eingesetzt, um in einen anderen Zustand zu kommen, indem man gerade ist. Auch im ganz Kleinen, also das Feierabendbier. Es geht ja, um irgendwie loszulassen und zu entspannen. Und es hilft ja auch. Es hilft ja auch. Es ist ja nicht so, dass es nicht so wäre. Es sind ja keine Einzelfälle, wenn wir trinken. Wir tun es halt alle und das legitimiert es halt so. Wenn ich jetzt sagen würde, koksen mir jetzt mal eben kurz, nur ein Näschen am Wochenende, weil ein besonderer Anlass ist, würde das ja auch jeder schräg finden.
[00:14:07] Lenne Kaffka Was glaubst du, warum schauen wir lieber auf die anderen als auf unseren eigenen Alkoholkonsum? Weil es dann doch so verbreitet ist, weil wir vielleicht viel, viel mehr Leute von uns ein Alkoholproblem auch doch haben, als man es wahrhaben will?
[00:14:18] Susanne Kaloff Ja, ich glaube schon, dass es etwas mit Verdrängung zu tun hat, und das ist ja generell menschlich, dass man lieber über die anderen spottet oder die auseinander nimmt und filetiert, was sie für Probleme haben, anstatt über das eigene. Und das kannst du natürlich noch besser, wenn du sagst: "Okay, die hat ein Alkoholproblem, deswegen hat sie aufgehört". Deswegen betone ich es ja auch so gerne, dass ich keins hatte oder habe, weil ich es wichtig finde, dass ich nicht diese Person bin, die es tun musste, sondern ich bin genauso eine von den allen, die jetzt noch trinken.
[00:14:47] Lenne Kaffka Wer jetzt sagt, dass er aufhört zu trinken, gilt ja eigentlich auch immer als Spaßbremse. Bist du eine?
[00:14:53] Susanne Kaloff Ja, mit Sicherheit war ich das für manche und bin ich vielleicht auch noch. Ich kann es aber auch verstehen. Gar nicht, weil ich mich so verhalte. Also, ich muss das jetzt mal sagen: Ich kann alles nüchtern heutzutage, was ich ziemlich toll finde. Zum Beispiel dachte ich am Anfang: "Nee, so tanzen nüchtern, das finde ich doof". Aber das lernt man mit der Zeit - allerdings nur, wenn die Musik gut ist und nicht mehr zu "It's Raining Men" unbedingt. Man muss Unterschiede machen und es ist auch nicht ein Verbiegen. Dieses: "Aha, ich muss jetzt beweisen, ich trinke nichts und kann trotzdem super lustig sein und mitmachen und auf dem Tisch tanzen" muss ich nicht. Früher, als das noch gar nicht so Trend war und ich getrunken habe, hat die mittendrin aufgehört zu trinken, ein paar Jahre lang, auch nur so, weil sie es ausprobieren wollte. Und ich erinnere mich, dass ich das, so gern ich sie mochte, nicht so richtig gerne hatte, wenn sie dabei war, bei einem Abendessen oder so. Und wir waren alle schon lustig am feiern und sie war wie so eine Hellwache, wie so eine Anstandsdame halt. Und deswegen kann ich das durchaus verstehen, dass man mich vielleicht auch nicht immer dabei haben möchte.
[00:16:01] Lenne Kaffka Weil man sich dann so beobachtet fühlt als Person, die gerade das zweite Glas Wein trinkt.
[00:16:04] Susanne Kaloff Ja, heute mische ich mich drunter und kann das, wie gesagt, mitmachen. Aber es gibt einfach einen Zeitpunkt, an dem ich weiß: Jetzt reicht es. Und für die anderen reicht es dann eben nicht, die gehen dann aus, so wie ich damals im Mojo: Und noch eine Bar und noch eine...
[00:16:19] Lenne Kaffka Ich kann das schon verstehen, dass man dann auch sagt: Wer nicht trinkt, ist eine Spaßbremse, weil Leute, die nochmal ein Bier mehr trinken, tanzen mehr, lachen mehr. Aber ein Teil wird doch auch vergessen: Es sind auch die, die sich am Ende des Abends immer mit ihren Partnern streiten - oder nicht? Also, kann man nicht mit dir jetzt auch viel besser auskommen als früher?
[00:16:34] Susanne Kaloff Ja, ich muss schon sagen, es gibt kein Drama. Und es ist halt die Frage: Findest du Drama toll, auch so in Beziehungen. Weil es ist ja so: "So eine dramatische, temperamentvolle Frau"... Ja, das war ich. Ich war schon auch ein Vulkan. Jetzt nicht, weil ich so viel getrunken habe. Aber mein Wesen ist schon so, die Zündschnur ist kürzer, wenn du trinkst - und nicht nur unmittelbar, sondern es verändert sich ja, es hat ja auch was mit dem Nervensystem zu tun. Und Alkohol hat eine starke Einwirkung darauf, und die Impulskontrolle wird auch gesteuert dadurch. Entweder man fängt an zu heulen, oder man streitet sich. Die Gefühle liegen halt irgendwie so sehr dicht unter der Haut, wenn man trinkt, und das ist bei mir nicht so. Das ist wahr. Ich bin definitiv, ja wahrscheinlich, entspannter oder gelassener.
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[00:17:56] Lenne Kaffka Wenn ich jetzt selber auch mich dazu entscheiden möchte, auf Alkohol zu verzichten, würdest du mir dann auch empfehlen, mit so einem Selbstversuch zu starten?
[00:18:04] Susanne Kaloff Ja, es ist ja alles ein Selbstversuch. Also wenn du sagst, du willst eine größere Erfahrung machen im Leben als jetzt schlafen, essen - keine Ahnung - trinken, sterben, ist es ja bei allem gut, etwas auszuprobieren, also Versuch und Irrtum und gucken, wie ich mich fühle. Nur bei Alkohol - oder bei jeder Droge wahrscheinlich - ist es natürlich sehr verführerisch, nach ein paar Tagen schon zu sagen: "Okay, Selbstversuch abgeschlossen, weil das war jetzt doch Irrtum, ich möchte wieder mitmachen, und so viel hab ich doch gar nicht getrunken". Und insofern, denke ich, ist eine abgesteckte Zeit eine gute Sache. Das muss ja kein Jahr sein. Das finde ich schon gut damit anzufangen, weil wenn man einfach nur sagt: "Okay, ich probier's mal aus", ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch, dass es nächste Woche ein Anlass gibt und dann trinkt man doch wieder. Ich glaube, da muss man vorher einen Entschluss fassen und mit sich besprechen, was für ein Zeitraum das sein könnte.
[00:18:56] Lenne Kaffka Hast du denn damals auch irgendwie den Alkohol aus deiner Wohnung verbannt, oder bist du gar nicht so drastisch vorgegangen?
[00:19:01] Susanne Kaloff Nein, ich wohne alleine. Deswegen: Wenn man keinen Alkohol kauft, dann ist er ja nicht da. Ich habe ihn also nicht verbannen müssen. Ich hatte auch keinen Großen. Aber ich habe einen Romee-Club, ich spiele Romee so einmal im Monat mit Freunden, und das sind vier Stück, und die anderen drei trinken gerne. Und dann muss ich den kaufen natürlich oder wenn ich Geburtstag hab und Gäste habe. Das fand ich anfangs ein bisschen komisch. Ehrlich gesagt deshalb, weil ich dann schon dachte: "Wir müssen ja jetzt alle irgendwie kein Alkohol mehr trinken", und das ist heute nicht mehr so.
[00:19:31] Lenne Kaffka Beim Trinken geht es ja nicht immer um den Rausch. Klar, es ist eine Droge, aber viele Leute trinken auch einfach mal ein Glas Bier am Feierabend; sagen dann oft ein bisschen verklärend "ein Bierchen" oder "ein Gläschen". Aber viele Menschen schaffen es auch, einfach mal ein Glas zu trinken, so ein bisschen zur Entspannung, um den Abend einzuläuten. Hast du da irgendwie so einen Ersatz für dich gesucht?
[00:19:53] Susanne Kaloff Ich hab mehr Süßigkeiten gegessen, hat sich aber reguliert. Da muss man keine Angst vor haben. Dann hab ich halt nächtelang nach Vintage-Kleidern gegoogelt. Ich bin schon sehr wenig unter Menschen gegangen am Anfang, und ich hab dann viel Yoga und Sport gemacht.
[00:20:06] Lenne Kaffka Hast du durch deinen Selbstversuch eigentlich auch körperliche Veränderungen gemerkt?
[00:20:11] Susanne Kaloff Ja, ich habe ein bisschen mehr vielleicht geschlafen und sehr tief und sehr wie ein Stein. Ich bin wieder aufgewacht an der gleichen Stelle, an der ich mich hingelegt habe abends. Aber das ist bei jedem Mensch anders. Viele haben mich gefragt, ob man dann abnimmt. Aber ich bin schon immer so, weder nehme ich ab, noch zu. Es ist mir auch wurscht. Die Kalorienzufuhr wird sich sicher ändern, wenn man vorher regelmäßig viel Wein und Bier getrunken hat. Aber da hat sich nichts verändert, und ich bin auch nicht 20 Jahre jünger geworden. Trotz alledem weiß man ja einfach, dass es eine ziemlich kluge Sache ist, wenig von Ethanol so in sich rein zu kippen. Das ist ja Hausverstand. Das wissen wir alle.
[00:20:48] Lenne Kaffka Es gibt ja Menschen, die hatten noch nie ein Date, ohne Alkohol zu trinken.
[00:20:52] Susanne Kaloff Oh ja!
[00:20:52] Lenne Kaffka Wie hat sich denn bei dir das Flirten verändert?
[00:20:54] Susanne Kaloff Das ist anders, und ich muss ehrlich sagen: Ich hatte da am Anfang auch Bedenken, weil das ist so verankert in uns. Es muss ja nicht viel sein. Es geht ja alleine darum, du siehst sich zum ersten Mal und sagst, Rot oder Weiß oder Bier. Und dann sitzt du da und trinkst Wasser. Und das hat schon gleich so etwas Schmallippiges und so etwas Unsinnliches. Ich finde es toll, weil viele Dinge sich schneller erledigen. Du merkst wahnsinnig schnell, auf was du wirklich Lust hast, wer dir gegenübersitzt, ob das ein Vollpfosten ist oder so.. Die Antennen sind viel feiner.
[00:21:27] Lenne Kaffka Aber es geht ja nicht nur um diese Sinnliche. Es geht ja auch schon bei vielen Leuten darum, einfach ein Stück weit lockerer zu werden. Musstest du dann neue Wege finden, dich vielleicht auch beim Gegenüber zu öffnen oder öffnen zu können?
[00:21:37] Susanne Kaloff Nein, aber ich kann mir vorstellen, wenn man sehr schüchtern ist oder sehr introvertiert, dass es dann sehr angsteinflößend ist ohne Alkohol auf so ein erste Treffen zu gehen. Und das macht schon was aus, wenn man den ersten Drink hat. Es wird einfach lustiger, man lacht mehr. Es ist ja nicht nur man selber, man schafft ja eine Atmosphäre, die leichter ist. Es macht es ja für beide einfacher. Das hat schon manchmal zu Verwirrungen geführt oder zu Irritationen. Aber die meisten waren cool, und viele haben auch nicht getrunken, wenn sie sich mit mir öfter getroffen haben. Ich bin ein guter Einfluss.
[00:22:14] Lenne Kaffka Du bist ein guter Einfluss, dir geht es körperlich besser, in der Liebe läuft es eigentlich auch besser oder zumindest bei Dates - aber trotzdem sprichst du vom Lifestylezwang Alkohol. Wie stark ist denn der eigentlich? Hast du durch deinen Verzicht jetzt wirklich auch irgendwann schonmal einen Nachteil gehabt im Job, beim Socializen, irgendwo?
[00:22:30] Susanne Kaloff Nein, im Job ist es so gewesen: Früher hab ich auch mal für ein Feinschmecker-Magazin geschrieben. Nicht, weil ich jetzt irgendwie Weinkenner-Profi war, aber ich war schon auf Wein-Tastings und Weinproben, und das waren dann halt irgendwelche Reisen in die Toskana oder so. Und ich habe mit Winzern gesprochen. Nicht, weil ich so ein Experte war, sondern weil ich eben keiner war und habe das halt aus so einer Lifestyle-Perspektive eingeordnet. Solche Sachen sind weggefallen, aber die müssen nicht zwangsläufig daran liegen. Vielleicht hat das Heft auch nicht mehr so viele freie Autoren beschäftigt - also da hätte ich mich auch reinsteigern können. Aber ansonsten, nein, ist mir kein Nachteil entstanden.
[00:23:05] Lenne Kaffka Um bei Lifestyle-Zwang zu bleiben: Du beschreibst in dem Buch auch den Placebo-Effekt des Alkohols. Und das finde ich ganz spannend, weil ich kenne das eigentlich auch. Sobald in größeren Runden die Drinks ausgeteilt werden, steigt die Stimmung, noch bevor irgendjemand irgendeinen Schluck genommen hat.
[00:23:20] Susanne Kaloff Genau!
[00:23:20] Lenne Kaffka Reicht es dann nicht, einfach kurz damit anzustoßen und das Glas wegzustellen?
[00:23:23] Susanne Kaloff Genau, nur wenn einer etwas in Aussicht stellt wie "wollen wir was trinken", nur dieser Satz macht schon, dass alle mehr lachen. Die Gesichter sind viel offener, es kann man richtig beobachten, und es liegt so ein Flirren in der Luft. So eine Aufgeregtheit, die auch toll ist. Es würde dann reichen, sicher muss man es nicht ausschütten, dann aber anzustoßen und vielleicht, wie du eben sagtest, nur ein Glas zu trinken. Aber du kennst es doch sicher auch. Es ist häufig so, dass man nicht ein Glas trinken kann, weil es eben einen abhängig machende Sache ist. Nicht nur auf lange Sicht, sondern auch in dem Moment. Du willst mehr. Das ist doch auch wie bei Zucker: Du willst mehr. Also ich kann nicht eine Lakritz-Schnecke essen. Da kann ich es gleich lassen. Das ist doch das Gleiche. Es passiert was im Körper und diese Reaktion macht, dass du mehr möchtest. Und das muss nicht immer eine Flasche sein, aber in den meisten Fällen mehr als ein Glas. Und deswegen stößt du dich nicht an und stellst es weg.
[00:24:21] Lenne Kaffka Du hast jetzt vorhin schon gesagt, dass dir das relativ schnell klar wurde, dass du diesen Selbstversuch weiterführen willst. Gab es denn irgendwie so einen Punkt, an dem du wirklich so gemerkt hat, dass du einfach gelernt hast, dass du ohne Alkohol genug Spaß haben kannst?
[00:24:35] Susanne Kaloff Es ist mehr mit der Zeit gekommen. Ich kann dir jetzt gar nicht eine tolle Szene beschreiben, wo es dann so ein Turning Point war. Aber ich weiß, dass diese Phase kam, dass ich gemerkt habe, ich denke da gar nicht mehr drüber nach. Und das wird man nur rausfinden, wenn man das ausprobiert. Ich sage mal drei Monate, meinetwegen, du denkst ganz, ganz oft an Alkohol, und es begegnet dir an jeder Ecke und diese damit beschäftigen, das lässt nach, und das ist ein sehr schönes Gefühl von, ja, ich nenne es ja Freiheit, Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von den Umständen, von dem wir die Leute drum rum sind, von dem, was du für einen Stress hast, mal mehr, mal weniger gut, kommt man damit klar. Aber es gibt nicht dieses: "Okay, dann hab ich aber ein Mittel dagegen, um es besser zu machen". Der Gedanke ist verschwunden.
[00:25:23] Lenne Kaffka Das ist ganz spannend, denn der Untertitel deines Buches lautet: "Ein Trip in die Freiheit". Ich wollte dich eigentlich gerade fragen, wovon hast du dich denn befreit? Aber jetzt hast du selber schon das Wort Unabhängigkeit als Synonym von Freiheit in den Mund genommen. Aber du hast vermieden irgendwie, von Abhängigkeit zu sprechen. Von was genau warst du vorher denn abhängig?
[00:25:45] Susanne Kaloff Es ist schon so, dass ich mir nicht vorstellen konnte, all diese Sachen, die ich aufgezählt habe vorhin, diese Events, ob das jetzt Dates sind oder Feiern oder mit Freundinnen oder Urlaube, ist ein gutes Beispiel. Dass das irgendwie genauso gut ist und genauso schön ist und genauso lustig ist, wenn ich das weglasse. Und das erlebe ich bei ganz, ganz vielen Leuten - Urlaub ist ein gutes Beispiel: Italien ohne leckere Pasta und dazu Rotwein - es ist ein ganz anderes Bild, und das verändert vieles. Davor hatte ich auch Angst, weil einfach ganz oft kamen mir Gedanken: "Ach ja, ganz im Ernst, wenn ich mal in Frankreich bin" - mein Ex-Freund war Franzose - "dann trinke ich viel Wasser". Das ist doch irgendwie alles so sinnlos, und das ist doch eine Form von Abhängigkeit. Es muss doch keine körperliche sein. Aber abhängig von den Bildern, die ich von mir und von der Welt im Kopf habe - was dazugehört, um es schöner zu machen. Und du kannst das alles irgendwie natürlich entkoppeln mit der Zeit. Aber es ist nicht so leicht, wie sich das vielleicht anfangs anhört, weil alle immer sagen: "Ja, ich kann ja jederzeit aufhören". Es macht ja trotzdem keiner. Dafür gibt es doch einen Grund.
[00:27:00] Lenne Kaffka Eigentlich ging es dir ja ohne Alkohol besser. Und du hast jetzt auch mehrere Jahre komplett darauf verzichtet. Im Vorgespräch hast du mir aber erzählt, dass du vor ein paar Wochen mal wieder Alkohol genippt hast. Warum?
[00:27:10] Susanne Kaloff Dieses Konzept von nicht trinken, das ist ja so wie, dass ich mir eine andere, eine neue Identität geschaffen habe. Es ist ja auch eine ideologische Selbstdisziplinierung. Für mich ist es mehr eine Orientierung. Ich habe mich dafür entschieden. Das ist schwarz/weiß, immer und nie. Und diese Graustufen sind für mich eher schwieriger in ganz vielen Bereichen. Und deswegen habe ich das so gewählt. Ich habe aber mit der Zeit gemerkt, vor vier Wochen war das, mein Sohn hatte Geburtstag. Ich hatte noch eine Flasche Crémant von meinem Geburtstag im Kühlschrank für meine Freundinnen und die stand da schon länger. Und als ich dann zu meinem Sohn gegangen bin, habe ich diese Flasche mitgenommen und dachte: "Ich finde es total schön, wenn wir jetzt anstoßen". Und das hatte ich nie davor! Dreieinhalb Jahre lang hatte ich das nicht. Und es hat komischerweise mit Corona zu tun. Es fing so ein bisschen an, das mit Italien und Frankreich, so gebeutelt von dem Virus und dass ich mir vorgestellt habe - das sagte ich dann auch irgendwann mal zu meiner Schwester - "Ja, und wenn wir dann alle wieder raus dürfen und das Leben wieder zurück ist und dann tanzen alle auf den Straßen in Paris, und ich kann nicht mitmachen". Und ich hatte es zum ersten Mal so ausgesprochen und plötzlich dachte ich, dann ist es doch ein Nachteil. Weil diese Lebensfreude war für mich plötzlich, ich möchte dann auch Wein trinken, und das hatte ich vorher nicht. Das hat mich auch sehr irritiert, dass ich plötzlich dieses nach so langer Zeit, nach dreieinhalb Jahren so formuliert habe. Und dass ich dann dachte, okay, ich probiere das mal aus.
[00:28:40] Lenne Kaffka Und war sofort auch der Wunsch da, wieder ein zweites Glas zu trinken?
[00:28:44] Susanne Kaloff Nein, ich hab nicht mal ein Glas getrunken. Ein Schluck, das geht nur in homöopathischen Dosen. Das ist ein Schluck, und ich bin ein bisschen wuschig im Kopf, und ich fand es auch schön. Aber ein bisschen habe ich auch gedacht: "Hä, wieso machst du das denn jetzt?" Ich beobachte das gerade. Ich weiß das auch. Es ist ein Privileg, dass ich den freien Willen haben kann. Jemand, der alkoholkrank ist, sollte das natürlich nicht mal so, mal so machen. Aber in der Zeit, in der ich nicht getrunken habe, haben so viele Leute immer wieder gefragt, auch Freundinnen: "Aber ab und zu kannst du doch mal ein Glas trinken. Das wäre doch schön mit uns zusammen". Da gab es für mich immer nur entweder ja oder nein. Ich versuche das gerade so, dass ich nicht so ein Dogma habe. Also ich kann es mir nicht vorstellen, jemals betrunken zu sein zum Beispiel oder zu trinken und in einen Zustand zu kommen, zu sagen: "Komm, wir gehen noch aus und so" - das nicht. Aber ich möchte mir freihalten zu sagen, wenn ich es fühle und denke, es tut was in dem Moment für mich oder ich nehme an, es tut vielleicht etwas für mich, es auszuprobieren. Vielleicht dann zu merken, da ist es überhaupt nicht wert, finde ich doof.
[00:29:56] Lenne Kaffka Hast du mit deinen Freundinnen jetzt schon mal einen Schluck Wein getrunken?
[00:30:00] Susanne Kaloff Ja, mit einer. Ja, und das war auch ehrlich gesagt, sehr schön. Wir haben gegessen, und dann hat sie Wein getrunken. Dann habe ich gesat: "Ja okay, ich nehme auch einen kleinen Schluck", und ich fand es super aufregend, weil es war so wie als ob ich 14 bin und zum ersten Mal was probiere. Es hat allerdings auch die Wirkung, so als ob du 14 bist dann. Und ich habe auch gedacht, oh, ich weiß nicht. Als ich gemerkt habe, dass ich, wie gesagt, schon nach dem Viertel-Glas dachte, jetzt spüre ich aber den Alkohol. Dann wollte ich dann aber auch nicht mehr. Das hat extrem was verändert, so lange nichts zu trinken.
[00:30:32] Lenne Kaffka Das Faszinierende ist, dass wir jetzt, kurz bevor wir am Ende angekommen sind, auch schon wieder dabei sind, über Alkohol zu reden und darüber, wie schön es ist, Alkohol zu trinken. Vielleicht sagst du mir zum Abschluss nochmal, warum es sich für dich einfach besser anfühlt auf Alkohol zu verzichten.
[00:30:46] Susanne Kaloff Weil eben diese Klarheit mir viel mehr wert ist, als dieser kurze Moment von "Nicht bei mir sein", von Rausch. Das ist wie so ein Gut, dass du mit herumträgst, dass du immer zur Verfügung hast, und du brauchst kein externes Ladekabel mehr. Du bist so "High on your own supply". Für mich ist dieses, unabhängig zu sein von einem externen Mittel unglaublich viel wert.
[00:31:10] Lenne Kaffka Und das war es mal wieder mit Smarter leben. Wie es Susanne Kaloff bei ihrem Selbstversuch ergangen ist, beschreibt sie auch in ihrem Buch "Nüchtern betrachtet war es betrunken nicht so berauschend". Der Link steht wie immer in den Shownotes zu dieser Episode. Die nächste Folge von Smarter leben gibt's ab kommendem Samstag auf spiegel.de und überall, wo es Podcasts gibt, z.B. bei Spotify oder Apple Podcasts. Bei Anregungen oder Themenvorschlägen, einfach eine Mail schreiben an smarterleben@spiegel.de. Diesmal wurde ich unterstützt von Philipp Fackler und Yasemin Yüksel. Unsere Musik kommt von audioBOUTIQUE. Tschüss, bis zum nächsten Mal.
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