Nina Weber

Diskussion über Corona-Schutz Wir sind kein Land der Impfgegner

Der Präsident des Weltärzteverbands, Frank Ulrich Montgomery, spricht sich für eine Impfpflicht gegen das Coronavirus aus. Dabei richtet Zwang hier mehr Schaden an als Nutzen.
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Wenn es eine Impfung gegen das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 gäbe, würden Sie sich impfen lassen? Ja? Nein?

Moment. Sie müssen die Frage nicht jetzt beantworten. Denn eine Impfung gegen das Coronavirus gibt es noch gar nicht. Sie können also abwarten und später entscheiden - allerdings nicht, wenn es nach dem Präsidenten des Weltärzteverbands, Frank Ulrich Montogmery, geht. Er spricht sich schon jetzt für eine Impfpflicht aus. "Ich war für die Impfpflicht bei Masern. Ich bin auch hier für eine Impfpflicht", sagte Montgomery den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Doch obwohl es das Ziel sein muss, dass sich viele Menschen impfen lassen, wenn eine Impfung gegen das Coronavirus verfügbar ist, ist Zwang der falsche Weg.

Impfungen nehmen in der Medizin einen ganz besonderen Platz ein. Sie zählen sicher zu den größten Errungenschaften der Medizingeschichte. Gleichzeitig wecken gerade Impfungen bei einigen Menschen besonders große Ängste. Diese werden durch einen Zwang zur Impfung noch befeuert.

Natürlich gibt es einige laute Impfgegner, die mit Mythen über Krankheiten und Impfungen Angst säen. Doch bereits ein Blick auf die Impfquoten bei Schulanfängern macht klar, dass das nur eine Minderheit sein kann. Denn 97 Prozent  der Erstklässler haben die erste der zwei Impfungen gegen Masern bekommen, 93 Prozent beide. Auch wenn die Zahlen vermutlich etwas niedriger sind, weil sie nur jene Schüler abbilden, die einen Impfpass vorgelegt haben: Wir sind kein Land der Impfgegner.

Damit wir uns nicht missverstehen: Für Impfungen gilt die Maxime, die jeder medizinischen Handlung zugrunde liegt - der Nutzen muss die Risiken überwiegen. Die Betrachtung ist in vielen Fällen so eindeutig, dass keine großen Diskussionen nötig sind. Oder kennen Sie jemanden, der bei einem Beinbruch eine Operation ablehnen würde, weil er sich wegen der möglichen Nebenwirkungen des Narkosemittels sorgt? In manchen Fällen ist es etwas komplizierter - aber sobald man die Zusammenhänge verstanden hat, wird man bereitwillig die Tabletten gegen Bluthochdruck nehmen, um das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls zu senken.

Auch hier sind Impfungen ein Sonderfall: Denn je erfolgreicher sie sind, desto geringer kann ihr Nutzen erscheinen, weil die Krankheiten, die durch sie verhindert werden, eben kaum noch ausbrechen. Es ist ein bisschen wie mit den Kontaktbeschränkungen, die Deutschland vor einer weitaus dramatischeren Coronavirus-Ausbreitung bewahrt haben. Wer niemanden kennt, der in den vergangenen Monaten schwer an Covid-19 erkrankt ist, fragt sich mitunter: War da wirklich was? Wozu die ganzen Einschränkungen? "There is no glory in prevention", man erntet keinen Ruhm mit der Verhinderung von Krankheiten, hat der Virologe Christian Drosten vor einer Weile gesagt hat.

Impfungen sind nicht nutzlos geworden, sondern verschaffen uns im Hinblick auf viele Krankheiten den gemütlichen Status quo, in dem wir uns keine Sorgen machen müssen: Lähmungen durch Polio davonzutragen, nach einer Verletzung am oft tödlichen Wundstarrkrampf zu erkranken oder infolge von Röteln eine Fehlgeburt zu erleiden, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das muss man sich vor Augen halten, wenn man abwägt, ob das sehr, sehr kleine Nebenwirkungspotenzial von Impfungen einen von dem Stich abhalten sollte.

Ja? Nein? Kommt darauf an!

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Würden Sie sich gegen Sars-CoV-2 impfen lassen? Wenn man ehrlich ist, kann man diese Frage zurzeit nur mit einem "Kommt darauf an" beantworten, weil das notwendige Abwägen von Nutzen und Risiko unmöglich ist, solange der Impfstoff nur hypothetisch vorhanden ist. Welche Altersgruppen schützt er wie zuverlässig? Welches Nebenwirkungsprofil hat er? Wie lange hält der Schutz an? Das wären nur einige Fragen, die es zu klären gilt und auf deren Basis dann beispielsweise die Ständige Impfkommission (Stiko) ihre Empfehlung basiert.

Frank Ulrich Montgomerys Forderung nach einer Impfpflicht kommt also mindestens zu früh. Schlimmstenfalls trägt sie dazu bei, das nötige Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte sowie Gremien wie die Stiko zu verspielen, weil Menschen, die sich informieren und Vor- und Nachteile der Impfung verstehen wollen, sich nun bevormundet fühlen.

Die größten Impflücken bei den Masern bestehen übrigens bei Erwachsenen, die nach 1970 geboren wurden - also nach der Zeit, in der fast alle Kinder Masern durchgemacht haben, aber vor der Zeit, in der Kinderärzte konsequent zweimal geimpft haben. Falls Sie sich jetzt angesprochen fühlen: Schauen Sie im Impfpass nach! Denken Sie bestenfalls nicht nur an Ihr persönliches Risiko, sondern auch an das von Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, und die deshalb darauf zählen müssen, dass genug andere Menschen sich impfen lassen. Und dann entscheiden Sie selbst.

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