Corona-Spätfolgen Die Angst vor einer Immunschwäche durch Covid-19

Die extreme Erkältungswelle der vergangenen Monate nährt bei vielen den Verdacht, dass Covid-19 die Immunabwehr nachhaltig beeinflusst. Immunologen widersprechen dieser Vermutung – doch es gibt Ausnahmen.
Könnte eine überstandene Coronainfektion uns langfristig anfälliger für andere Erkrankungen machen? (Symbolbild)

Könnte eine überstandene Coronainfektion uns langfristig anfälliger für andere Erkrankungen machen? (Symbolbild)

Foto: MASKOT / IMAGO

Die Erkältungswelle, die Deutschland in den vergangenen Monaten heimgesucht hat, war außergewöhnlich. Nach dem Wegfall der meisten Schutzmaßnahmen kursierten die Grippe, RSV und Rhinoviren besonders heftig, während das Coronavirus eher aus dem Fokus geriet. Über die genauen Ursachen wurde viel diskutiert. Vor allem darüber, ob vergangene Coronainfektionen die Menschen möglicherweise anfälliger für andere Infekte  gemacht haben könnten. Auch Politiker hielten sich mit Einschätzungen nicht zurück.

»Es ist bedenklich, was wir bei Menschen beobachten, die mehrere Coronainfektionen gehabt haben. Studien zeigen mittlerweile sehr deutlich, dass die Betroffenen es häufig mit einer Immunschwäche zu tun haben, deren Dauer wir noch nicht kennen«, sagte Karl Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, kürzlich der »Rheinischen Post« . In einer früheren Fassung, die teils stark kritisiert wurde, hatte er noch von einer »nicht mehr zu heilenden Immunschwäche« gesprochen. Lauterbach stellte dann aber klar, von unheilbarer Immunschwäche könne derzeit noch keine Rede sein – und er sprach von einem Fehler bei der Freigabe des Textes.

Über eine befürchtete Alterung des Immunsystems hatte kurz vor dem Jahreswechsel auch Charité-Virologe Christian Drosten gesprochen. In einem »Tagesspiegel«-Interview berief er sich auf immunologische Befunde: Diese suggerierten, dass die Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Coronainfektion viel weiter fortgeschritten sei als zu erwarten. »Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird«, sagte Drosten.

Auf welche Daten genau sich Drosten und Lauterbach bezogen, war zunächst unklar. Es sind bereits einige Studien veröffentlicht worden, die sich mit den Effekten von Sars-CoV-2 auf das Immunsystem befassen – auch mit Langzeitfolgen. Sie wurden nach den Lauterbach-Äußerungen auf sozialen Medien geteilt. Einige Studien klingen besorgniserregend. Es geht unter anderem um geschädigte Immunität gegen Pilzinfektionen , um eine langfristige Störung des peripheren Immunsystems  oder um eine beeinträchtigte Funktion bestimmter Zellen .

Abwehr kommt meist wieder ins Gleichgewicht

»Die Befunde, die es gibt, werden leider oft überinterpretiert«, sagte die Immunologin Christine Falk von der Medizinischen Hochschule Hannover kürzlich bei »Zeit Online« . Meist seien sie für Laien schwer bis gar nicht interpretierbar. Auch bezögen sich viele Beobachtungen auf Long-Covid-Patienten. Aus Falks Sicht gibt es für die meisten Menschen »aktuell keinen Grund, sich Sorgen zu machen, dass ihr Immunsystem nach einer oder mehreren Coronainfektionen schlechter funktioniert«.

Auch die britische Immunologin Sheena Cruickshank von der Universität Manchester erklärte kürzlich in einem Beitrag auf dem Portal »The Conversation« , dass vorübergehende Veränderungen in der Immunabwehr nach einer Infektion normal seien. Selbst, wenn Fachdetails für Laien dramatisch klängen: Es sei gezeigt worden, dass die Abwehr der meisten Menschen nach der Genesung wieder ins Gleichgewicht komme. Hinzu kommen weitere Aspekte: Sars-CoV-2 gilt verglichen mit vielen anderen Viren als besonders gut erforscht.

»Wohl keine Virusinfektion geht ganz folgenlos an uns vorüber«, sagt der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. HIV ist als besonders schädlich für das Immunsystem bekannt – und Masern bedeuten quasi einen Reset des Immunsystems, erklärt Wyler. Rhinoviren hingegen, die Schnupfen auslösen, seien vergleichsweise harmlos. »Die Frage ist, wo auf diesem breiten Spektrum sich Sars-CoV-2 einreiht und wie das Virus bei Geimpften überhaupt noch heraussticht im Vergleich mit den vielen Virusinfektionen im Laufe eines Lebens.«

Wyler gibt auch zu bedenken, dass etliche Studienergebnisse noch aus der Zeit vor der Covid-19-Impfung stammen. Was darin über Schwerkranke berichtet werde , die sich mit frühen Varianten infizierten, sei nicht automatisch übertragbar auf gesunde und geimpfte 20-Jährige in Zeiten der Omikron-Variante. Dass eine Infektion mit dem Coronavirus bei manchen Gruppen durchaus gravierende Folgeprobleme verursachen kann, zeigt auch eine neue Analyse deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Häufung von Autoimmunkrankheiten

Konkret geht es um Autoimmunerkrankungen, die laut der umfangreichen Auswertung von Krankenversicherungsdaten  nach überstandener Infektion deutlich häufiger auftreten. Der Analyse zufolge kamen bei Menschen mit Coronainfektion 15,05 Diagnosen einer Autoimmunerkrankung auf 1000 Versichertenjahre, bei Menschen ohne eine solche Infektion waren es nur 10,55 Diagnosen. Patienten mit einem schwereren Coronaverlauf hatten ein besonders hohes Risiko. Bestimmte Entzündungen der Blutgefäße wiesen die größten Assoziationen mit Covid-19 auf.

Die Ergebnisse sind noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht worden – und sie beziehen sich den Forschenden zufolge nur auf ungeimpfte Betroffene, die eine nachgewiesene Coronainfektion mit dem Wildtyp des Virus hatten. Entsprechende Erkenntnisse über andere Varianten des Virus gebe es derzeit nicht. Die Studie ist Teil eines vom Robert Koch-Institut und vom Bund geförderten Projekts zu Langzeitfolgen von Covid . Was die jüngsten Erkältungswellen angeht, betonen Immunologinnen und Immunologen seit Monaten, dass diese vor allem als Nachholeffekte zu sehen seien.

Denn während der Coronajahre zirkulierten andere Atemwegserreger weniger stark. Hätten die Menschen tatsächlich in der Breite ein geschwächtes Immunsystem, so müssten jedoch auch andere Infektionen zunehmen – »etwa solche mit atypischen Erregern, die Menschen im Normalfall nicht krank machen«, sagte Falk im Interview mit »Zeit Online«. Für ein Gesamtbild ist es laut der Immunologin noch zu früh – deshalb solle nicht immer gleich alles übersetzt werden in Warnung oder Entwarnung. Die Gespräche unter Fachleuten dauerten an. Vieles sei demnach vorläufig und gehöre nicht in die Öffentlichkeit.

jae/dpa
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