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Medizinermangel: Arztsuche auf dem Land

Foto: Carsten Koall/ Getty Images

Landarztmangel Zu wenige weiße Kittel in der Provinz

Landarztidylle? Nicht in Deutschland: Mediziner wollen nicht in die Provinz, sie bevorzugen die Stadt. Viele Patienten müssen schon jetzt weit fahren, um zu ihrem Hausarzt zu kommen. Und Ärzteverbände warnen bereits: in den nächsten Jahren gehen Tausende Ärzte in Rente.

Karin Schlich war auf der Suche nach einem neuen Hausarzt. Die 52-jährige Mutter wohnt im beschaulichen ostwestfälischen Städtchen Kirchlengern. Ihr langjähriger Hausarzt Eberhard Possin schloss Ende 2012 mit 66 Jahren seine Praxis. Mit Grausen erinnert Schlich sich an die folgenden Telefonate bei ihrer Suche nach einem neuen Landarzt: "Es war wirklich wie in einem Film und lief immer gleich ab. 'Nein, wir sind leider voll, ausgebucht, es tut uns leid.'"

Doch Schlich ist resolut - sie blieb stur, machte weiter und wurde belohnt. Die Zusage kam beim 14. Anruf. Anfang Februar konnte sie zum ersten Mal bei ihrer neuen Hausärztin in die Sprechstunde gehen. Deren Namen will sie aus pragmatischen Gründen nicht verraten: "Sonst rennen ihr alle noch heute die Praxis ein."

Die Geschichte ist kein Einzelfall aus der Provinz. In der gesamten Bundesrepublik gibt es nach Schätzungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) über 3000 unbesetzte Hausarztpraxen, in Niedersachsen waren Ende des vergangenen Jahres 481 Landarztstellen unbesetzt. Und die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg geht aktuell von 120 verwaisten Arztstellen im Land aus.

Nachfolge bleibt schwierig

Seit Jahren beklagen Ärzteverbände diesen Medizinermangel, der zu Situationen wie bei Karin Schlich führen kann. Doch statt einer Verbesserung wird die Situation schlimmer. Dies bestätigt auch der jüngste MLP-Gesundheitsreport 2012/13, den die Bundesärztekammer vor kurzem vorstellte. Das Institut für Demoskopie Allensbach ermittelte darin, dass 72 Prozent der niedergelassenen deutschen Ärzte mit einer "schwierigen bis sehr schwierigen Nachfolgeregelung" rechnen.

Gegen diesen Mangel wurde das seit Anfang 2012 geltende GKV-Versorgungsstrukturgesetz geschaffen, das sogenannte Landarztgesetz. Darin heißt es: "Junge Ärztinnen und Ärzte sollen motiviert werden, sich in unterversorgten Regionen neu niederzulassen oder dort Praxen zu übernehmen." Die KBV lobt das Gesetz: "Mit dem Versorgungstrukturgesetz wurden im vergangenen Jahr wichtige Schritte gegen den Ärztemangel unternommen. So ist etwa die Residenzpflicht entfallen. Das heißt, der Arzt muss nicht mehr unbedingt am Ort der Praxis auch leben und wohnen", sagt ein Sprecher.

Doch den Hausärzten gehen die Änderungen im Gesetz nicht weit genug. Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Hausärztebundes, sagt: "Über Jahre haben wir in Deutschland nur die technische Medizin gefördert und die Hausarztmedizin vernachlässigt. Ich kann auch niemand dazu zwingen, sich an einem Ort niederzulassen." Denn immer noch entscheiden sich zu viele junge Mediziner für einen anderen Weg und verschmähen eine Praxis auf dem Land.

"Die Gründe dafür sind die härteren Arbeitsbedingungen für Landärzte und die langen Arbeitszeiten sowie große Einzugsgebiete, die per Hausbesuch abgedeckt werden müssen", meint KBV-Sprecher Roland Stahl dazu. "Junge Mediziner können sich heute aussuchen, wo und wie sie arbeiten wollen. Die Nachfrage nach Ärzten ist enorm, bei uns in Deutschland, aber ebenso im europäischen Ausland."

Nachwuchsärzte fürchten die Verantwortung

Diesen Eindruck bestätigt der junge Arzt Benjamin, der seinen Nachnamen nicht verraten möchte. Der Nachwuchsmediziner arbeitet im schweizerischen Schaffhausen. "Ich hätte die Möglichkeit, eine gutgehende Allgemeinarztpraxis auf der schwäbischen Alb zu übernehmen. Doch ich fürchte das unternehmerische Risiko. Denn ein Landarzt, der oft Hausbesuche machen muss, bekommt nur wenige Euro vergütet. Lohnt sich das dann finanziell?"

Ulrich Weigeldt vom Bund der Deutschen Hausärzte denkt noch weiter. Ihm gefällt eine Idee aus den Niederlanden. "Wir versuchen ein System zu etablieren, bei dem sich jeder Patient bei seinem Hausarzt einschreibt. Darüber erhält der Hausarzt dann eine Art Grundfinanzierung. Doch leider mauern die Kassenärztlichen Vereinigungen bei diesem System massiv." Bisher bekommt der Arzt nur für solche Patienten Geld von der Krankenkasse, die tatsächlich die Praxis besuchen.

Weigeldt rät Betroffenen auf dem Land, sich vorsorglich "rechtzeitig um einen Hausarzt zu kümmern, auch wenn man nicht krank ist." Er ist sich sicher: "In einem Notfall wird diese Ablehnungstour einfach nicht funktionieren." Auf den Fall von Karin Schlich angesprochen sagt er nur abwiegelnd: "Das ist wirklich die Ausnahme." Habe ein Patient das Gefühl, er werde zu Unrecht abgelehnt, so könne er sich an die Ärztekammer wenden und um Hilfe bitten.

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