Bereitschaftsdienst Ärzte-Lotto in der Nacht
Den ganzen Tag schon hatte er Bauchschmerzen. Jetzt, am frühen Abend, muss sich der junge Mann übergeben. Gleich mehrmals. Der Student ist beunruhigt. Bis morgen warten will er nicht, also geht er in eine Bereitschaftspraxis. Der Arzt dort zuckt ratlos mit den Schultern, blättert einige Minuten in einem Fachbuch und gibt ihm zögernd ein Medikament. Mit einem mulmigen Gefühl geht der Patient nach Hause. Nicht ohne Grund: Schließlich hat der Arzt sich seit vielen Jahren auf Psychotherapie spezialisiert. Menschen mit körperlichen Beschwerden schickt er normalerweise direkt zum Kollegen. Doch hier in der Bereitschaftspraxis ist er plötzlich derjenige, der sich auch um solche Belange kümmern muss.
Ein beunruhigendes Szenario? Tatsächlich können hierzulande abends und am Wochenende manchmal nicht alle Bereitschaftsdienste mit Ärzten besetzt werden, die im täglichen Umgang mit medizinischen Problemen vertraut sind. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE waren etwa in Freiburg für den Bereitschaftsdienst bis Ende des Jahres vereinzelt auch Pathologen und Psychotherapeuten eingeteilt.
Jeder Arzt ist zu diesem Dienst verpflichtet
Der Kern des Problems liegt in den Regularien: Zwar haben alle eingeteilten Mediziner eine Approbation, das heißt, ein abgeschlossenes Medizinstudium. Dazu zählen aber auch jene, die nach dem Studium eine Ausbildung zum ärztlichen Psychotherapeuten gemacht haben und nur noch als solche arbeiten. Zudem ist jeder niedergelassene Mediziner in Deutschland dazu verpflichtet, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Also auch etwa jener, der ein Labor für die Analyse von Blutproben leitet und seit Jahren keinen Patienten verantwortlich behandelt hat.
Die Situation kann für beide Seiten unbefriedigend sein: Der Bereitschaftsarzt fühlt sich nicht ausreichend kompetent - der Patient nicht gut behandelt. Fatale Folgen hat das normalerweise keine. Schließlich ist der Bereitschaftsdienst, auch ärztlicher Notdienst genannt, für Patienten gedacht, die mit ihren Problemen zwar nicht bis zum nächsten Tag warten können, aber nicht in Lebensgefahr schweben. Handelt es sich dennoch um einen lebensgefährlichen Notfall, kommt der Notarztwagen zum Einsatz.
Keine Bereitschaft zum Bereitschaftsdienst
Allein mit der Idealbesetzung wie Allgemeinmedizinern und Internisten lassen sich die Bereitschaftsdienste oft nicht mehr abdecken. Die Dienste sind meist unbeliebt. Und viele Mediziner machen ihre Entscheidung davon abhängig, wo sie arbeiten wollen: "Wie viele Bereitschaftsdienste habe ich?" Das sei das Erste, was junge Ärzte fragen, bevor sie sich in einer ländlichen Region niederlassen, sagt Wolfgang Krombholz, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern. "Dabei wird der Nachwuchs gerade hier dringend gebraucht."
In Bayern hat man daher fast zwei Jahre daran gearbeitet, den Bereitschaftsdienst zu reformieren. Die Regionen werden derzeit erweitert und zusammengelegt, so dass mehr Ärzte pro Bereitschaftsdienst zur Verfügung stehen. Mittelfristig will man in Bayern von 520 Dienstbereichen auf unter 200 kommen. "Dadurch hat jeder Arzt im Schnitt maximal an sechs Wochenenden im Jahr Bereitschaftsdienst zu leisten. Das ist für die meisten Kollegen in Ordnung", sagt Krombholz.
Auch in Baden-Württemberg arbeitet man daran, die Bereitschaftsdienste zu reformieren. 380 Dienstbereiche sollen hier auf 64 Bereiche zusammengelegt werden. Dabei versucht man auch, mehr Bereitschaftspraxen in Krankenhäusern einzurichten. Die Patienten würden dann nicht mehr in die Praxis des jeweils diensthabenden Arztes geschickt, sondern in die Praxis im Krankenhaus.
"Der Arzt dort kann auf die Geräte des Krankenhauses zugreifen oder mit den Kollegen der Klinik direkt beraten, ob der Patient stationär aufgenommen werden muss oder nicht", sagt Johannes Fechner aus dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Zudem hat man in einigen Regionen auch einen Fahrdienst für die Mediziner eingerichtet. "Wenn die Ärzte ausrücken müssen, können sie sich während der Fahrt zum Beispiel schon auf den Patienten vorbereiten", sagt Fechner. Dass diese Reformen allerdings noch nicht abgeschlossen sind, zeigt sich auch am Beispiel Freiburgs.
Größere Dienstkreise, mehr Anreize, zusätzliche Fortbildungsmöglichkeiten: In der ganzen Bundesrepublik versucht man inzwischen, die Bedingungen für Bereitschaftsärzte zu verbessern - und damit auch für die Patienten. In Mecklenburg-Vorpommern setzt man vor allem auch auf finanzielle Anreize. "Wir zahlen zum Beispiel eine Stundenpauschale von 18 Euro. Die erhalten die Ärzte auch dann, wenn kein Patient kommt", sagt Fridjof Matuszewski, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern. Die Folge: Mehr als 100 Ärzte aus anderen Bundesländern kommen gelegentlich hierher, um Dienste zu machen.