
Aids-Risiko HIV-Medikamente schützen vor Infektion
Die Nachricht befeuert eine hitzige Diskussion: Sollen Menschen vorbeugend mit HIV-Medikamenten behandelt werden - ohne, dass sie mit dem HI-Virus infiziert sind? Knapp zwei Wochen vor der Internationalen Aidskonferenz in Washington präsentieren Wissenschaftler der Cochrane Collaboration einen umfassenden Bericht, der bekräftigt, dass sogenannte antiretrovirale Medikamente bei Nichtinfizierten das Risiko für eine Infektion senken. Bis heute ist es allerdings umstritten, die Aids-Medikamente als Prophylaxe einzusetzen.
Die Cochrane-Forscher analysierten Daten aus sechs Studien, in denen die Teilnehmer täglich das HIV-Medikament Tenofovir einnahmen. Einige von ihnen nutzten zusätzlich das Virostatikum Emtricitabin. Die Mittel sollen dafür sorgen, dass sich die HI-Viren nicht ungestört ausbreiten können.
Knapp 10.000 Menschen bezogen die Forscher in ihre Analyse ein: Homosexuelle, Menschen mit HIV-positiven Partnern, Prostituierte und Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnern. Die Daten aus vier der Studien mit insgesamt mehr als 8800 Teilnehmern zeigten, dass Tenofovir gemeinsam eingenommen mit Emtricitabin das Risiko fast halbiert, sich mit HIV zu infizieren. Daten aus zwei Studien mit insgesamt über 4000 Menschen ergaben, dass die Wahrscheinlichkeit um mehr als zwei Drittel sinkt, wenn man Tenofovir alleine zu sich nimmt.
Die Studie im Detail
Die Forscher wollten die Frage beantworten, ob eine Behandlung mit antiretroviralen Wirkstoffen bei nicht mit HIV infizierten Menschen eine Ansteckung verhindern kann.
Cochrane Reviews sind aufwendige, systematische und standardisierte Überisichtsarbeiten, die das verfügbare Wissen aus wichtigen Studien zu einem medizinischen Thema sammeln und bewerten. Weltweit gibt es 52 Cochrane Review-Gruppen, deren Autoren aus unterschiedlichen Fachrichtungen kommen. Die Autoren der Reviews sind nicht nur Mediziner, sondern etwa auch Statistiker oder Epidemiologen, außerdem Rechercheure. Cochrane Reviews zeichnen sich durch eine besonders ausführliche Suche nach der verfügbaren Literatur zu einem Thema aus.
Ein Cochrane Review untersucht immer eine konkrete Frage, zum Beispiel: "Kann man Harnvwegsinfekte durch Cranberry-Saft verhindern?" Alle Cochrane Reviews sind ähnlich aufgebaut, die Kernaussage wird immer leicht verständlich zusammengefasst.
Die Forscher schlossen in ihre Übersichtsarbeit randomisierte, placebokontrollierte Studien ein, in denen die Wirkung eines oder mehrerer HIV-Medikamenten bei nichtinfizierten Menschen untersucht wurde, die ein erhöhtes Ansteckungsrisiko haben. Das sind zum Beispiel Menschen, die mit vielen wechselnden Personen Geschlechtsverkehr haben, Prostituierte, Menschen mit einem HIV-positiven Partner oder Homosexuelle.
Insgesamt fanden die Cochrane-Autoren 12 solcher Studien, die den Kriterien des Reviews entsprachen. Sechs der Studien sind noch nicht abgeschlossen, zwei waren vor Studienende abgebrochen worden. Die Daten der verbleibenden sechs Studien mit insgesamt 9489 Patienten schlossen die Autoren in den Cochrane Review ein.
Die sechs Studien verglichen die Gabe einer Kombination aus Tenofovir und Emtricitabin gegenüber Placebo, Tenofovir alleine gegenüber Placebo und der täglichen Gabe der Kombination gegenüber einer unterbrochenen Gabe. Eine der Studien untersuchte sowohl die alleinige Tenofovirgabe als auch die Kombination und verglich sie mit einem Placebo.
In den Studien, die eine Kombination von Tenofovir und Emtricitabin mit Placebo verglichen, sank das Infektionsrisiko bei 8918 Teilnehmern um 49 Prozent. Beim Vergleich von Tenofovir alleine gegenüber Plazebo konnte das Infektionsrisiko mit HIV sogar um 72 Prozent gesenkt werden (4027 Teilnehmer).
Sowohl die Zuverlässigkeit der Studienteilnehmer als auch das Sexualverhalten war nach Angaben der Cochrane-Autoren in den unterschiedlich behandelten Gruppen vergleichbar.
Bei nicht mit dem HI-Virus infizierten Menschen mit hohem Ansteckungsrisiko kann die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion durch eine vorsorgliche Behandlung mit Tenofovir alleine oder eine Kombiination aus Tenofovir und Emtiricabin gesenkt werden.
Die Autoren bezeichnen die verfügbaren Daten als mäßig. Verantwortlich dafür sind vor allem die aus Sicht der Cochrane-Mitarbeiter relativ niedrigen Ansteckungszahlen in den einzelnen Studienarmen.
Die Medikamente schützen und behandeln
Tenofovir ist ein antiretrovirales Medikament, das HIV-Patienten bekommen. Bei der antiretroviralen Therapie (ART) sollen verschiedene Wirkstoffe verhindern, dass das HI-Virus sich ungehindert vermehrt. Das bremst den Ausbruch der Immunschwäche Aids, im besten Fall verhindert es die Folgekrankheiten der HIV-Infektion vollständig.
Bereits seit einiger Zeit werden antiretrovirale Medikamente vor allem in Studien auch prophylaktisch von gesunden Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko eingenommen - etwa, wenn diese mit einem infizierten Partner zusammenleben. In diesem Zusammenhang heißt die Behandlung Prep, vom englischen Begriff "pre-exposure prophylaxis". Doch die Prep ist umstritten. Kritiker fürchten die Zunahme von Resistenzen gegen die auch für die Therapie der Infektion benötigten Wirkstoffe.
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung
Obwohl die Ergebnisse der neuen Studie vielversprechend scheinen, sind die Wissenschaftler vorsichtig: "Unser Ergebnis weist darauf hin, dass antiretrovirale Medikamente das Risiko einer HIV-Infektion bei Menschen aus Risikogruppen verringern", sagt Charles Okwundu von der Stellenbosch University im südafrikanischen Kapstadt. "Dennoch muss man auf der Suche nach Präventionsstrategien überlegen, wie man Prep sinnvoll mit anderen Methoden kombinieren kann." Keine Strategie biete hundertprozentige Sicherheit.
Auch deshalb wird Prep kontrovers diskutiert: Skeptiker befürchten, dass sich die Menschen durch die Prophylaxe zu sicher fühlen und durch waghalsiges Verhalten ihr Ansteckungsrisiko insgesamt sogar steigen könnte. Außerdem drohen Nebenwirkungen wie Knochen- oder Nierenprobleme.
Die Cochrane-Wissenschaftler fordern weitere Studien, um die Sicherheit der PreP zu überprüfen und festzustellen, ob sich die Prophylaxe auch finanziell lohnt. Insbesondere seien auch die Langzeitfolgen einer medikamentösen Prophylaxe noch nicht geklärt.