Blutdrucksenker Hunderttausende sollen krebserregende Medikamente eingenommen haben

Ein Arzt misst den Blutdruck einer Patientin
Foto: Hauke-Christian Dittrich/ dpaBis zu 900.000 Patienten bundesweit könnten einem Zeitungsbericht zufolge allein im Vorjahr Blutdruckmittel eingenommen haben, die mit einer potenziell krebserregenden Substanz verunreinigt waren. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor, über die der Berliner "Tagesspiegel" berichtet.
Bei den betroffenen Blutdrucksenkern handele es sich um Medikamente mit dem Wirkstoff Valsartan. In ihm wurde ein mutmaßlich krebserregendes Nebenprodukt namens Nitrosodimethylamin gefunden, der von der Weltgesundheitsorganisation WHO als möglicherweise krebserregend eingestuft wurde.
Nitrosodimethylamin und andere sogenannte Nitrosamine sind unter anderem in Zigarettenrauch, Grillfleisch, Pökelware, aber auch im Trinkwasser zu finden. Bei Nagetieren konnte die krebserregende Wirkung nachgewiesen werden, für den Menschen steht das noch aus.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) pflegt eine Liste über die zurückgerufenen Valsartan-Medikamente.
Anfang Juli hatten Aufsichtsbehörden in Europa einen Vertriebsstopp und vorsorglichen Rückruf für viele dieser Präparate angeordnet. Zuvor waren Verunreinigungen des vom chinesischen Pharmakonzern Zhejiang Huahai Pharmaceuticals hergestellten Valsartan-Wirkstoffs mit potenziell krebserregender Substanz entdeckt worden.
2017 seien zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung etwa neun Millionen Packungen Valsartan-haltiger Arzneimittel verordnet worden, teilte die Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Sabine Weiss, laut "Tagesspiegel" mit. "Da rund 40 Prozent der Chargen von dem Rückruf betroffen sind, könnten auf Grundlage der oben genannten Verordnungszahlen cirka 900.000 Patientinnen und Patienten betroffen sein."
Bei der Blutdruckmessung werden immer zwei Werte angegeben, zum Beispiel 120 zu 80. Der höhere ist der systolische Blutdruck. Er tritt auf, während das Herz Blut in die Schlagadern drückt. Der niedrigere, diastolische Blutdruck herrscht, wenn die Herzkammern sich entspannen und füllen.
Laut Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) besteht "kein akutes Gesundheitsrisiko". Die Grünen im Bundestag kritisierten jedoch den Umgang der Behörden mit dem Thema: Die Aussage der EMA beruhige wenig, sagte die Pharmaexpertin der Fraktion, Kordula Schulz-Asche, der Zeitung. Schließlich seien die Medikamente bereits seit sechs Jahren verunreinigt, und die Risiken einer langfristigen Einnahme könnten bislang nicht abgeschätzt werden.
Der Bremer Pharmakologe Gerd Glaeske forderte "ein intensiveres Netz von Kontrollen". Um Qualitätsmängeln vorzubeugen, müsse der Gesetzgeber von den Generika-Vertreibern verlässliche Produktprüfungen verlangen. Krankenkassen könnten bei ihren Ausschreibungen jederzeit Kontrollnachweise und Zertifikate für Nachahmerprodukte zur Bedingung machen.
Die Behörden raten den Betroffenen, auf unbedenkliche Arzneimittel umzusteigen. Patienten sollten mit ihrem Arzt oder Apotheker Rücksprache halten, welche Mittel von dem Rückruf betroffen sind, so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Auf keinen Fall aber sollten die Arzneimittel einfach ohne Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt werden.