Reiche Länder wie Deutschland haben sich mit Impfstoff eingedeckt, ärmere Nationen müssen deshalb länger warten. Das ist nicht nur ein moralisches Versagen, die Strategie ist auch noch kurzsichtig.
Die Wege zur Impfung sind verschlungen (Symbolbild)
Foto: Andriy Onufriyenko / Getty Images
Mehr als ein Drittel der Befragten in Deutschland würden auf einen Impftermin verzichten, wenn ihnen nicht der von ihnen bevorzugte Impfstoff angeboten wird. Das ergab eine Umfrage, die vergangene Woche veröffentlicht wurde. Während viele in Deutschland offensichtlich der Meinung sind, nicht alle nach sorgfältiger Prüfung zugelassenen Impfstoffe seien gut genug für sie, haben Menschen in zahlreichen anderen Ländern ernste Probleme.
Denn in vielen Nationen haben die Impfungen noch überhaupt nicht begonnen. Während Deutschland schon im Januar mehr als genug Impfstoff bestellt hatte, um alle Bürgerinnen und Bürger bis Herbst vollständig zu impfen, begann für andere ein noch viel längeres Warten.
Die Weltgesundheitsorganisation hat den Plan formuliert, dass die Impfung von medizinischem Personal in allen Ländern in den ersten 100 Tagen des Jahres begonnen haben soll.
Die Staaten in Afrika etwa sollen laut dem WHO-Programm Covax im Laufe des Februars erste Impfstoffdosen erhalten. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 sollten sie damit drei Prozent ihre Bevölkerung impfen können. Drei Prozent bis Ende Juni. Bis zum Jahresende solle es genug Dosen geben, um 20 Prozent der auf dem afrikanischen Kontinent lebenden Menschen zu impfen.
Die Solidarität hat offensichtlich Grenzen
Wenn sich also in Deutschland längst alle impfen lassen konnten und hierzulande mehr Impfstoff zur Verfügung steht als benötigt wird, werden in vielen Ländern der Welt noch bis zu 80 Prozent der Bevölkerung, vier von fünf Menschen, auf die Impfung warten. Deutschland engagiert sich zwar mit bei Covax – und beim G7-Gipfel erhöhten die beteiligten Staaten ihre finanziellen Zusagen zur Impfkampagne. Aber die Solidarität hat offensichtlich Grenzen. Bundeskanzlerin Merkel sagte zwar, dass Deutschland gegebenenfalls Impfstoff abgeben werde, sicherte aber zugleich zu, dass dadurch »kein Impftermin in Deutschland in Gefahr geraten« werde. Natürlich nicht.
Was würden wohl Menschen in diesen Ländern zu der oben genannten Umfrage sagen? Eure Probleme hätte ich gern?
»Wenn wir Impfstoffe horten und nicht teilen, wird es drei große Probleme geben«, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus Ende Januar: »Erstens ist es ein katastrophales moralisches Versagen. Zweitens wird es die Pandemie am Laufen halten. Und drittens wird sich die globale Wirtschaft langsamer erholen.« Seiner Aufzählung ist wenig hinzuzufügen.
Die deutsche Impfdebatte weckt keine große Hoffnung
Sogar aus Eigennutz müssten die reichen Nationen eigentlich anders handeln, lässt sich dem zweiten Punkt entnehmen – und schlimm genug, dass es bei einer moralischen Frage überhaupt nötig ist, mit dem Eigennutz zu argumentieren: Wenn sich das Virus in vielen Ländern weiter gut verbreiten kann, weil dort noch nicht geimpft werden kann, steigt die Gefahr, dass neue Mutanten entstehen, gegen die die Impfstoffe schlechter schützen. Der Egoismus von heute kann morgen die Impferfolge gefährden.
WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan sagte bei dem Termin, dass es so wirke, als würden einige über den Kuchen streiten, während andere nicht einmal die Krümel bekämen. »Wir müssen uns alle fragen: Würde ich mich heute impfen lassen, wenn ich daran denke, dass eine medizinische Fachkraft im Süden heute keine Impfung erhält? Ich denke, wir sollten das alle mit unserem Gewissen ausmachen und dann unseren Regierungen mitteilen, wie sie aus unserer Sicht handeln sollten.«
Wenn man die Impfdebatten in Deutschland verfolgt, stellt sich aber keine große Hoffnung ein, dass die Politik sich bald mit dem Ansinnen auseinandersetzen muss, Impfstoffe an andere Staaten abzugeben. Ins Ausland wird nur geblickt, um darauf hinzuweisen, dass es doch schneller gehen und man noch mehr Impfstoff hätte kaufen können, wie das etwa Großbritannien und Israel getan haben. Aber einsehen, dass es wichtiger wäre, die gefährdeten Gruppen in allen Ländern zu impfen, ehe jene drankommen, deren Risiko gering ist? Dafür scheint das Stück Kuchen auf dem Teller wohl doch zu verlockend.